Dienstag, 6. Juni 1972
Kirchschläger will den Gesandten Buresch von der Mission EFTA abbe-
rufen und Martins, der ein Spezialist für Handelsfragen ist, dorthin
entsenden. Da die Genfer Mission auch bei der Weltgesundheitsorganisation,
bei der UNO usw. vertritt, ist eigentlich selbstverständlich für mich,
dass der Aussenminister die Besetzung vornimmt. Heindl ist der Meinung,
dass uns dieses Besetzungsrecht ausschliesslich zusteht. Ich habe mit
Kirchschläger über dieses Problem schon einige Male gesprochen und er
steht glaube ich mit Recht auf dem Standpunkt, dass uns ein solches
Besetzungsrecht ausschliesslich für die Mission in Brüssel zusteht.
Dort ist nämlich neben dem Botschafter, der eben die aussenpolitischen
Belange wahrzunehmen hat, eine eigene Mission für die EWG – und für diese
EWG ist derzeit ausschliesslich das Handelsministerium zuständig.
Diese Kompetenzlage hat sich im Laufe der Jahre, seit eben die ÖVP
das Aussenministerium – wie sie sich ausgedrückt haben – abgeräumt hat,
geben und wird im neuen Kompetenzgesetz geändert. Auf Grund der Vereinba-
rung von Reiterer und Marquet wird die Ausarbeitung von aussenpolitischen
Verträgen auch dann wenn sie den Handel betreffen, ausschliesslich das
Aussenministerium nach aussen hin zuständig sein. Die Mission wird damit
dann automatisch auch dem Aussenministerium unterstehen und von ihm
besetzt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt aber habe ich das alleinige
Vorschlagsrecht, ich habe in einer neuerlichen Aussprache mit Kirch-
schläger die Zusicherung erhalten, dass ich von diesem Vorschlags-
recht auch Gebrauch machen kann. Im selben Moment, wo der Vertrag ab-
geschlossen ist und dies wird im Laufe des heurigen Jahres der Fall
sein, kann ich über den mir jetzt zugeteilten Leitner verfügen. Nach
der Fertigstellung des EWG-Vertrages wird es dann nur mehr um die Durch-
führung dieses Vertrages gehen, es werden daher ausschliesslich techni-
sche, handelspolitische und damit ausschliesslich in der Kompetenz des
Handelsministeriums liegende Probleme verhandelt werden und zur Debatte
stehen. Dann sagt Kirchschläger der Zeitpunkt am besten gekommen, um
eine Änderung in Brüssel vorzunehmen.
Im Ministerrat lässt Kreisky den neuen Gesetzentwurf für die Besoldung der
Obersten Organe verteilen, ohne eigentlich dort zu erklären, ob offiziell
diese Unterlage über den Ministerrat jetzt vorgelegt hat. Nach der Mini-
sterratssitzung habe ich mit Androsch gesprochen, um ihn neuerdings
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aufmerksam zu machen, dass wir mit der Komfortzimmeraktion 40 Mill.
nicht durchkommen. Ich fragte, ob er bereit sei, ein Budgetüber-
schreitungsgesetz zu machen. Er hatte mir eine solche Zusicherung vor
längerer Zeit gegeben, wiederholte sie und meinte nur, ich sollte
ihm darüber einen Brief schreiben, was ich sowieso beabsichtigt habe.
Die Bedeckung allerdings meinte er könnten wir im eigenen Ressort finden,
da wir ja für die Industriepolitik die 20 Mill. nicht ausgeben. Mein
Hinweis, dass wir damit die Patentdokumentation und insbesondere auch
die Patentverwertungsgesellschaft finanzieren wollen, nahm er zur
Kenntnis, meinte allerdings, er hätte die Industriepolitik anders
aufgezogen, indem er zumindestens Zinsenzuschüsse für Industrie
eingeführt hät-
te und mit diesen 20 Mill. doch einen 100 Mill. gehenden Betrag hätte
können. Insbesondere lehnt er scheinbar aber die Gründung einer Stiftung
und damit die Bindung von 2 Mill. S aus der Industrieförderung für die
EWG-Information ab. Ich erklärte ihm, dass dadurch viele hunderttausende
Schilling, die wir von der EWG für Aufklärung erhalten könnten, für
Österreich verloren geht.
Vranitzky hat mich später angerufen und erklärt, dass die Bestellung
von den Aufsichtsräten der Exportfonds Ges.m.b.H. durchzuführen sei und
er würde mir deshalb einen Brief schreiben. Bei dieser Gelegenheit
meinte er auch, dass das Finanzministerium sich gegen die Stiftung aus-
spricht. Ich teilte ihm mein Gespräch mit Androsch mit und er wird
klären, ob Androsch auf seinem Standpunkt beharrt. Er fürchtet, dass
dann wesentlich mehr als nur 2 Mill. S in diese Stiftung investieren
müsste. Mein Hinweis, dass ich wegen dieser Frage keinen Krieg
mit dem FM beginnen würde, meinte Vranitzky, dass ein solcher auch
gar nicht von ihnen beabsichtigt sei.
Nach der Sektionsleitersitzung kam Thaler zu mir und meinte, ob wir
nicht die Leute, die sich für die Errichtung des Patentdokumentationszen-
trums verdient gemacht haben, durch Orden auszeichnen könnten. Ich
habe ihm natürlich sofort zugesagt, dass ich dafür sehr bin, Lorenz kommt
allerdings nicht in Frage, da er im nächsten Jahr für einen Hofratstitel
ansteht und wenn er heute einen Orden bekäme dann fünf Jahre warten
müsste. Ich versicherte Thaler, dass ich nicht nur durch Schreiben
sondern auch durch eine persönliche Aussprache alle, die sich besonders
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um diese Patentdokumentation verdient gemacht haben, ehren möchte.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte überlege, welche Möglichkeiten wir
haben und vereinbare dann Termine.
In einer Arbeitsgruppe über sensible Produkte, wo Reiterer
referierte, aber auch Marquet anwesend war, berichtete ich ganz kurz,
dass Hausberger aus Luxemburg in der Nacht mich noch verständigt
hat, dass die Verhandlungen am gestrigen Tage nicht sehr gut
gelaufen sind. Gerade als wir uns in eine Diskussion einliessen, wie
die einzelnen Mitteilungen, die wir teils über Rundfunk und Fernsehen
teils über die Mitteilung, die Hausberger uns unmittelbar zukommen
liess, weiter agieren sollten, kam ein Anruf von Hausberger, der
uns mitteilte, dass jetzt die Verhandlungen abgeschlossen sind
und doch die Kommission sich mit ihren Vorschlägen, d.h. ein weiteres
Verhandlungsmandat zu bekommen, durchgesetzt hat. Bei den sensiblen
Produkten, wie mir Marquet und Reiterer und Steiger am Abend berichte-
ten, hat die Handelskammer aber nicht nur diese sondern auch Bodo
Beelitz für die verstaatlichte Industrie und auch alle anderen
Kammervertreter verlangt, dass wir auf eine weitere Verkürzung
der Abbauzeiten für die sensiblen Produkte bestehen müssen, dass
auch versucht werden soll, eine Umstufung von survaillance stricte
in suople Berichtsplafond von 5 auf 10 % und die Basiswerte
nicht vom Jahre 1968 bis 1971 sondern auch für 1972 verlangt
werden sollte. Insbesondere aber wird erklärt, die Spiegelgleich-
heit, ohne dass der Name gesagt wird, müsste unbedingt erreicht
werden. Die österr. Industrie könnte es nicht verstehen, dass man
der EWG eine Zollpräferenz einräumt und gleichzeitig also mit
diesen Produkten in die EWG behindert wird. Ich versicherte den
Dreien, dass ich ausschliesslich ihnen vertraue und daher nur auch
sie in Brüssel feststellen können, ob Wellenstein bereit ist,
wenn er ein solches Forderungsprogramm auf den Tisch bekommt,
dies dann auch so dem Rat zu präsentieren, dass wir Chancen haben,
dass dort nicht ein striktes Nein herauskommt. In einem solchen
Fall nämlich würde dann die österr. Regierung vor der Entscheidung
stehen, entweder zu akzeptieren, oder den Vertrag nicht zu be-
kommen. Marquet hat dieses Problem schon längst erkannt und arbeitet
sehr loyal, obwohl er immer erklärt, er ist ein Bürgerlicher und
kein Mann, der die SPÖ wählt, doch auf einen Vertragsabschluss hin,
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damit würde der soz. Regierung der ganze Erfolg zufallen. Für mich
ist sehr interessant, dass dieser gute Verhandlungsleiter und in
Wirklichkeit in meinen Augen geniale Marquet diese Erklärung, nicht
sozialistischer Wähler zu sein, immer wieder deshalb abgibt, um sich
selbst seine Loyalität gegenüber dem Staate zu bestätigen. Marquet ist
in meinen Augen der typische Beamte, der sich eben von der Aufgabe
faszinieren lässt und von dem Vertrauen, das man ihm entgegenbringt,
restlos einsetzt, um der Sache zu dienen. Am meisten kommt dies
zum Ausdruck, wenn er mit seinem Cousin von der Industriellenvereinigung
streitet. Die nächsten Verhandlungswochen in Brüssel, aber auch in
Österreich mit den Interessenvertretungen werden äusserst hart sein.
Marquet selbst befürchtet ja, dass die ÖVP als Oppositionspartei
doch den Vertrag letzten Endes ablehnen könnte.
Bei der Plenumssitzung am Fremdenverkehrstag ist genau das eingetreten,
was ich in der letzten Zeit befürchtete. Die Handelskammer hat dort ihre
gesamten Wünsche nicht nur deponiert, sondern natürlich auch in den
Ausschüssen einstimmig durchgebracht. Als ich dies vor etlicher Zeit,
als mir die Entwürfe solcher Resolutionen von seiten der Handelskammer
zugekommen sind, hatten noch Heindl und Würzl geglaubt, dass es
gelingen wird, diese unmöglich zu erfüllenden Forderungen abzubiegen.
Das einzige, was dann geglückt ist, ist z.B. die Forderungen an das
Finanzministerium, die Abschreibung für unbewegliche Güter vom 2 auf
5 % nicht gleich dezidiert zu verlangen, sondern zu schreiben, Prüfung
dieses Vorschlages. Die Forderung von Komm.Rat Fröhlich, dass die Ge-
tränkesteuer unverzüglich abzuschaffen sei hat in der Arbeitsgruppe
bereits den heftigsten Widerstand von Hofrat Hammer, dem Sekretär
des Gemeindebundes ausgelöst. Als deshalb Arbeitsgruppenleiter, Komm.
Rat Lissbauer von der HK, über Wunsch von Komm.Rat Fröhlich, dass dies
auch aufgenommen werden sollte, referierte, hat Hammer sofort aus dem
Plenum heraus dagegen heftigst polemisiert. Nach der Zusammenfassung der
Diskussion meldete sich allerdings dann nur mehr die Reisebüros wegen
ihrer Wünsche, hat Würzl in der Zusammenfassung darauf hingewiesen,
dass alle Fremdenverkehrstage irrsinnige Forderungsprogramme aufge-
stellt haben, die nie auch nur annähernd erfüllt wurden. Genau dieser
Stil aber behagt mir nicht und ich hätte mir vorgestellt, dass es
gelingt, mit den Leuten zu vernünftigen Vorschlägen zu kommen. Hier
habe ich mich gründlich getäuscht und bereue es zutiefst, dass ich den
Fremdenverkehrstag überhaupt einberufen habe. Obwohl ich klar und deut-
lich erklärte, dass ich nur für die Kompetenz des Handelsministeriums
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Zusagen machen könnte, z.B. in der Frage Fremdenverkehr – Bergbaugesetz
nicht aber in der Frage Forstrecht, da muss ich mich mit dem Land-
wirtschaftsminister erst einigen. Zum Abschluss teilte ich dem Fremden-
verkehrstag mit, dass ich mich mit den Forderungen nicht identifiziere,
da ich keine Chance sehe, sie auch durchzusetzen. Von meinem Stand-
punkt aus gesehen war der Fremdenverkehrstag ein richtiges Debakel
in Hinkunft werde ich viel mehr Augenmerk auf eine Entwicklung legen
müssen, die - wie es sich jetzt gezeigt hat – verheerend sein kann.
Initiative Beamte wie z.B. Würzl können der Überlegung und Hoffnung
dass z.B. ein solcher Fremdenverkehrstag die Aktivitäten des Handels-
ministeriums herausstreichen könnte, zu Vorschlägen kommen, die sich
nachher als Bumerang für unsre Politik erwiesen. Wenn man eine solche
Entwicklung nicht von Anfang an abfängt, kann es in eine Richtung führen,
die man nicht nur nicht beabsichtigt hat, sondern die sogar dann in
der Politik gegen einem gewendet werden kann. Ich habe noch niemals
ein so feindliches Forum wie z.B. in der Arbeitsgruppe des KAD Dr. Rainer
gefunden, welches ihm klar und deutlich als ÖVP-Exponenten zu erkennen
gaben, dass sie ihn als einen Eindringling betrachten. Wir hoffen,
dass in einem solchen Forum, auch dann wenn gewisse Zusicherungen
von vernünftigen Leuten wie z.B. Direktor Schreiner vorgelegen sind,
unsere Politik ergänzt wird oder vielleicht gar gewürdigt wird, war
eine Illusion, die ich erkennen hätte müssen. Der Hinweis, dass
dies bei den beiden Fremdenverkehrstagen 1967, wo ein Protokoll vor-
liegt oder 1969, wo das grosse Fremdenverkehrskonzept beschlossen
wurde, wo alles drinnen steht, was gut und teuer ist, kann für mich
keine Entschuldigung sein, weil ich diese Politik ja ganz entschieden
ablehne.
Ähnlich verhält es sich auch, wenn wir z.B. über die Auswirkung der
Mehrwertsteuer Branchenreferaten den Auftrag geben, solide Untersuchun-
gen anzustellen. Die Branchenreferate wenden sich an die Handelskammer
kriegen von dort dann Unterlagen, resp. briefliche Mitteilungen,
dass alles teurer wird, und schreiben dies dann in einem Akt zusammen.
Geprüft wird gar nichts oder zumindestens nicht entsprechend gewissen-
haft, sondern man nützt die Gelegenheit, sich des Auftrages dadurch
zu entziehen, dass man eben aktenmässig festhält, was die Handels-
kammer einem in einem solchen Fall mitteilt. Natürlich kann man
sagen, dass die Ergebnisse des Fremdenverkehrstages oder solche internen
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Akten ja keine Rolle spielen, niemand interessiert sich dafür, sie werden
mehr oder minder schubladiert. Die Gefahr ist nur, dass die Opposition ein-
mal draufkommt und diese Gelegenheit dann benützt, um die Regierungs-
partei mit solchen Ergebnissen zu konfrontieren. Wir müssen glaube ich
unsere Taktik genau überlegen und wesentliche interne Änderungen vor-
nehmen.
Im Bezirksausschuss kann ich immer wieder feststellen, wenn sich auch
nur der eine oder andere wegen der Preisentwicklung meldet, dass doch
dieses Problem die Arbeiterschaft und damit wahrscheinlich die ganze
Bevölkerung sehr stark berührt. Neu war für mich, dass Bez.Vorsteher
Seitler auch dem Wiener Ausschuss berichtete, dass man in der Frage der
Fälschung von Profil-Unterlagen auch über eine Umfrage des IFES-Instituts
berichtete. Dort wurde gefragt, wie weit korrupt sei. Müllner
hätten 60 %, Olah 50 %, Slavik aber immerhin noch 8 % beschuldigt.
Ich kenne die Frage nicht genau, weiss auch nicht, wer aller noch
auf der Liste stand. Die Erklärung von Blecha, die 8 % werden allen
Politikern zugemutet, ist unbefriedigend. Die Vertrauensmänner reagierten
sehr heftig, dass überhaupt ein Genosse von uns mit schon abgeurteilten
auf einen Fragebogen kommt. Einer vermutete sogar, dass hier mit Hilfe
dieser Methode Slavik abgeschossen werden. Er meinte, dies entspräche dem
Stil der Jusos in der BRD. Da konnte ich ihn wirklich beruhigen, weil
wir bei uns tatsächlich keine Jusos haben und wahrscheinlich ich keine
bekommen werden, bin aber sehr verwundert, dass man eine solche Umfrage
machte und noch mehr verwundert, dass dies im Wiener Ausschuss mitge-
teilt wurde.
Tagesprogramm, 6.6.1972
Tagesordnung 29. Ministerratssitzung, 6.6.1972
11_0704_03hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)
Typoskript Präsidium HM betr. Personalangelegenheiten