Freitag, der 12. Mai 1972

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Freitag, 12. Mai 1972

Bei der 100-Jahr-Feier des Hauptverbandes der graphischen Unter-
nehmungen hatte ich es natürlich als gelernter Stein- und Offset-
drucker leicht, eine Begrüssung zu halten. Mitterer war anwesend,
sprach vor mir und war nicht schlecht, aber er kann sich scheinbar
mit der Tatsache, dass er nicht mehr Handelsminister ist, noch
immer nicht abfinden. Ihm bereitet es sichtbar physische Schmerzen,
und psychische Pein, wenn er mir zuhören muss. Vielleicht empört
er sich darüber, dass ich immer frei spreche und deshalb natürlich
viel lockerer und leichter und vor allem einmal mit vielen Gags
einstreuend die Zuhörer unterhalte. Vielleicht aber empört er sich
auch darüber, dass ein Minister so wenig ernst und tierisch die
Aufgabe erfüllt, die ihm eigentlich zukommt, nämlich die ganze
Würde des Amtes auch bei so einer Begrüssung zur Schau zu tragen.
Schade, dass ich niemals seine wirkliche innere Einstellung werde
erfahren können, denn es fällt mir natürlich nicht ein, ihn zu fragen.

Ein Interview mit Dr. Schiff vom Stern über Konsumentenbelange und
Preispolitik war mir das erste Mal unangenehm. Da ich in dieser
Frage, insbesondere Preispolitik sehr vorsichtig agieren muss,
muss ich natürlich auch bei Interviews mich äusserst vorsichtig äussern.
Dies führt natürlich dann zu einem richtigen Paradoxon, denn
als Konsumentenminister und als Preiswachthund müsste ich natür-
lich viel mehr sagen, aber vor allem müsste ich viel mehr getan haben,
als dies bis jetzt der Fall war. Wenn die Kompetenzlage geklärt wäre,
hätte ich wahrscheinlich hier freie Hand. Trotz dieser ungeklärten
Situation haben wir zu Mittag mit den Kollegen der Arbeiterkammer
und des Gewerkschaftsbundes, nachdem Marsch jetzt endlich vom Urlaub
zurückgekommen ist, unsere Überlegungen besprochen und vor allem
unseren Fahrplan festgelegt. Kreisky wird nicht nur wegen der Preis-
entwicklung jetzt hart attackiert, sondern ihm wird auch vorgewor-
fen, dass er hier mit seiner Methode, nämlich als Show- und Problem-
aufzeiger nicht -löser und als pseudowissenschaftlicher National-
ökonom an dieser Frage gescheitert ist. Dies kann bei ihm natür-
lich nur die Reaktion auslösen, sich noch mehr für dieses Gebiet
zu interessieren und seine Ideen mit aller Gewalt durchzusetzen.
Andererseits aber wieder hat die Sozialpartnerschaft die Erfahrungen
dieser in dem Preisunterausschuss und vor allem das Bestreben der
Handelskammer, die weitere Preisentwicklung auch durch die Mehr-
wertsteuer in ihrem Bereich zu behalten. Er selbst dürfte jetzt


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doch auch letzten Endes mehr dahin neigen, dieser Institution
den Vorrang einzuräumen. Auf der anderen Seite natürlich muss
er als Bundeskanzler und die gesamte Bundesregierung, soweit sie
für Preise verantwortlich ist, ebenfalls in Erscheinung treten
oder zumindestens es versuchen, sich auf diesem Gebiet zu betätigen.
Mein ursprünglicher Vorschlag, schon als wir die Regierung vor
zwei Jahren bildeten, auf dem Lohn- und Preissektor schon in der
Regierungserklärung zum Ausdruck zu bringen, dass wir die Bestre-
bungen der Wirtschafts- und Sozialpartner unterstützen werden, wurde
ja damals von ihm ganz kategorisch abgelehnt. Um nun irgendwie
gewappnet zu sein, hat Koppe mit dem Magistrat der Stadt Wien Be-
sprechungen geführt, wie weit man uns entsprechende B-Leute ab-
stellen würde. Da diese nur eine zeitlich beschränkte Tätigkeit
sein kann, wo kaum auf Bundesebene für den einzelnen Aufstiegs-
chancen gegeben sind, hat es mich sehr gewundert, dass er doch
etliche Dutzend Leute zusammenbringen könnte. Eine Besprechung
mit Brantl und Mauhart vom Finanzministerium und einigen anderen
Propagandisten hat gezeigt, dass diese Leute erklärt haben und
erkannt haben, dass es dringend notwendig ist, wenn wir bei uns
einen Apparat entsprechend aufbauen. Ich zweifle, ob der Bundes-
kanzler uns die entsprechenden Dienstposten geben wird. Da der ÖGB
insbesondere Benya aber dringendst will, dass diese ganze Preisüber-
wachung, Kontrolle und vor allem Vorbereitung bei uns liegt, hat
Dkfm. Marsch von unserem Ministerium die entsprechenden Stellen für
nächsten Freitag zu einer Sitzung einberufen. Zöllner selbst möchte
bei dieser Sitzung einen ganz extremen Standpunkt beziehen. Seine
Überlegung ist, dass bisher die Industrie behauptet hat, dass
13 % Extrem-Fall Umsatzsteuervorbelastung existiert und deshalb müsste
sie diese auch als Vorsteuerabzugsbelastung in Rechnung stellen. Jeder-
mann weiss, dass diese 13 % 1969 nur als indirekter Zollschutz ein-
geführt wurden und vielleicht in dem einen oder anderen Extremfall
wirklich 13 % nur betragen hat. Wenn Zöllner tatsächlich jetzt nur
auf diesem Standpunkt beharren würde, würden kaum brauchbare Ergebnisse
aus dieser Diskussion herauskommen. Wir werden deshalb die Verhandlung-
en anders beginnen. Da die Lebensmittelkleinhändler und vor allem
jeder Kleinhandel kaum eine Umsatzsteuerbelastung von derzeit 5,5 %
oder gar 6,1 auf den Endverbraucherpreis bei einer Mehrwertsteuerbe-
rechnung haben kann, in Hinkunft wird ja nur die Handelsspanne mit
16 % und bei Lebensmitteln 8 % belastet sein, muss sich eine gewisse


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Entlastung bei einigen Produkten ergeben. Dieses Problem würden
wir versuchen generell zu lösen und dann über den Grosshandel erst
den Erzeuger und seine Stufe durchrechnen und entsprechende Vor-
schläge unterbreiten. Dadurch hoffe ich, dass wir uns aus dem Streit,
der sich daraus ergibt zwischen der Arbeiterkammer und der Handels-
kammer und sicherlich fruchtlos ist, heraushalten. Bei der Industrie
werden wir dann jedes einzelne Produkt versuchen müssen, individuell
durchzurechnen. Wenn ich auch nicht daran denke, dass wir ein Buch
wie es die Belgier gehabt haben, aufstellen können, wobei ich nicht
genau weiss, ob sie jede Postion auch wirklich genau durchkalkuliert
haben, so möchten wir doch auf Grund des Zolltarifes und der Ausgleichs-
steuervergütungen eine umfangreiche Liste vorlegen.

ANMERKUNG FÜR KOPPE: Bitte entsprechend Exemplare vorbereiten, selbst
wenn dies etwas kostet, optisch würden wir dadurch, wenn wir einmal
gefragt werden, zeigen, dass wir umfangreiche Vorarbeiten beabsichtigt
haben.

Der bulg. Handelsrat Teofilow hatte von Sofia den Auftrag zu erkunden,
ob es möglich ist, bulg. Firmen bei uns Projektierungen von Bau-
vorhaben bei uns vornehmen. Ausserdem sollten diese Firmen dann
gleichzeitig die Überwachung der Bauten durchführen. Fälbl hatte
angenommen, dass sich jede ausländische Firma – so wie dies bei
dem UNIDO-Projekt der Fall war – automatisch um irgendwelche
Projektierungen bemühen könne. Auch ich habe eigentlich diese Meinung
geteilt. Zum Glück habe ich aber Sekt.Chef Jagoda gerufen und der
erklärte uns dann, dass dies eine falsche Auffassung sei, denn jede
Firma müsste bei uns eine Konzession besitzen, soweit sie dem
Gewerberecht unterliegt. Soweit sie freischaffend als Architekt tätig
werden will, müsste sie bei Moser anfragen, wie das Ziviltechnikerge-
setz die Regelung vorsieht. Da der Handelsrat aber keine konkreten
Angaben hat oder uns zumindestens nicht sagen wollte, verbleiben
wir so, dass er sich mit österreichischen Baufirmen ins Einvernehmen
setzen wird, ob sie überhaupt bereit sind, bulgarische Projektanten
zu beschäftigen.

Bei dieser Gelegenheit erinnerte ich den Handelsrat daran, dass
noch immer der Punkt über die Schiffahrt, welches bis April er-
ledigt sein sollte, in unserem abzuschliessenden Vertrag über Handel


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und Schiffahrt offen ist. Teofilow erwiderte, dass die DDSG
in Bulgarien war und nun versprochen hat, sie wird eben unver-
züglichst einen entsprechenden Vorschlag ausarbeiten und den
Bulgaren zur Verfügung stellen. Dies ist bis jetzt nicht geschehen,
Fälbl wird bei der DDSG urgieren. Andererseits ist noch immer
der Punkt offen, dass die Meistbegünstigung, die die Bulgaren
wünschen, nicht für zollähnliche Massnahmen, die sich auf
Grund des Kakao-, Weizenabkommens usw. ergeben, automatisch gegeben
werden könnten. Zu diesem Zweck sollte der bulg. Vorschlag von
uns akzeptiert werden, dass wir in einem vertraulichen Briefwechsel
auf diese Ausnahmen hinweisen. Diese unsere Stellungnahme wurde
den Bulgaren bereits mit 7. Oktober 1971 in einem Vorschlag mit-
geteilt und bis jetzt ist noch keine Antwort eingetroffen. Da ich
bei meiner Anwesenheit in Sofia den Vertrag unterzeichnen möchte,
habe ich Teofilow darauf hingewiesen, dass jetzt dringend ein
Abschluss der Vorbesprechungen notwendig sei. Der Handelsrat ist
voller Hoffnungen, dass dies gelingen könnte, da ja acht Tage
vor meinem Eintreffen in Sofia Fälbl mit der Delegation über diese
Probleme verhandeln wird.

Der stv. rum. Fremdenverkehrsminister war mit dem Botschafter,
dem Übersetzer aber vor allem mit dem Leiter der rum. Fremdenverkehrs-
stelle in Wien gekommen. Interessant wollte er nur eine Aussprache
und wollte von uns überhaupt nicht weiter betreut werden. Wir unter-
hielten uns über die Bedeutung des Fremdenverkehrs und ob es überhaupt
möglich ist und von unserer Seite sicherlich als zielführend bezeich-
net den Fremdenverkehr noch weiter auszubauen. Zum Schluss schlug der
Minister sicherlich aber nicht genau überlegt und vorbereitet vor,
ob wir nicht ein entsprechendes Fremdenverkehrsabkommen abschliessen
könnten. Da wir ein solches bereits mit Bulgarien besitzen, steht
dem nichts im Wege, wird allerdings genauso nichtssagend sein
wie dieses.

Die zweite Wiener Antiquitäten- und Kunstmesse hatte mich eingeladen
und da ich Zeit hatte und sie mir gerne einmal anschauen wollte,
bin ich dann tatsächlich auch dort erschienen. Die Veranstalter
waren sehr angenehm berührt, da andererseits war Komm.Rat Otto,
der Vorsteher, betroffen, weil er schon Mitterer zugesichert hatte,
dass er die Messe eröffnen sollte. Er fragte mich deshalb, ob
auch in einige Worte zwischen seiner Begrüssung und der Eröffnung


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sprechen möchte. Da dies gegen das Protokoll verstösst, war ich
sofort damit einverstanden. Ich hatte keinerlei Unterlagen, konnte
aber noch durch einige Umfragen z.B. erfahren, dass dies die zweite
Messe war und vor allem, dass sie im Vorjahr es ein Batzen Geschäft
gewesen ist, u.a. wurde ein Bild um 1 Mill. S verkauft. Min.Rat
Wagner, der anwesend war, war überhaupt nicht eingeladen worden, sondern
hat nur aus dem Wochenprogramm erfahren, dass diese Messe überhaupt
stattfindet. Ich hätte angenommen, dass er einen so guten Draht
zum Messepalast besitzt und zur Messe-Leitung, dass er über alle
Messe entsprechend vom Büro aus schon informiert wird. Anstelle des
üblichen Glas Sektes, das man mir nachher anbieten wollte, schlug
ich vor, einen Messerundgang zu absolvieren. Mitterer entschied sich
für den Sektempfang, machte nachher auch einen Rundgang allerdings in
der entgegengesetzten Richtung. Heindl, dem ich nachher von dieser
Messe-Eröffnung erzählte, meinte, man sollte in Hinkunft diese Messe
nicht mehr besuchen, denn wenn man einen so grossen Protokollfehler
macht, dass man mich nicht als letzten reden und eröffnen lässt,
sollte man dies der Leitung zur Kenntnis bringen und durch zukünftige
Abwesenheit spüren lassen. Ich vertrete eigentlich die gegenteilige
Meinung. Wenn ich im nächsten Jahr Zeit habe, werde ich wieder diese
Messe besuchen, mich zeitgerecht anmelden, sodass man mir wahrscheinlich
automatisch die Eröffnung übertragen muss. Dies wird allerdings Mitte-
rer
wieder masslos ärgern. Ich glaube aber, dass man doch versuchen
soll, so wenig wie möglich, ihn allein mit den Unternehmern zu lassen,
insbesondere wo er in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten kann.

Aus diesem Grunde war ich auch sehr froh, dass ich abends doch noch
den Empfang vom Hauptverband, der im Intercontinental gegeben wurde,
wenn auch nur zeitweise, bis nach der Begrüssung, besuchen konnte.
Mitterer war selbstverständlich ebenfalls wieder anwesend. Während
man bei Sallinger das Gefühl hat, wenn ich mit ihm zusammentreffe,
dass er wirklich kaum etwas innerlich dagegen hat, sondern äusserlich
immer bestätigt, dass er dort sein muss, wo der Handelsminister ist,
und dass er, wenn man soll will, auf mich aufpasst, dies aber immer
nur sehr lustig, aber freudig vorbringt, hat man bei Mitterer das
wirkliche Gefühl, dass er sich über das Zusammentreffen sehr ärgert.
Vielleicht sollte ich versuchen, einen Draht zu ihm zu bekommen,
der ein freundschaftliches Verhältnis ermöglicht. Wäre nämlich eine
Koalitionsregierung zustande gekommen, hätte Koren, was kein Zweifel ist,


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das Handelsministerium übernommen, so müsste das doch von seinem
Standpunkt aus noch viel furchtbarer gewesen sein. In diesem Fall
hätte man doch gesagt, die eigene Partei hat in abgeschossen. Der-
zeit hat er aber Mussil vom Schattenminister verdrängt und müsste
doch in Wirklichkeit über die jetzige Situation vom innenpoliti-
schen Standpunkt aus sehr zufrieden sein. Das ist aber vielleicht
gerade der Grund, dass er sich jetzt gegenüber dem Handelsminister
besonders ablehnend zeigen muss oder zeigen will. Da ich zwar mit
allen Menschen gut auskommen möchte, dies aber nicht unter allen
Bedingungen anstrebe, wird sich an unserem Verhältnis in der näch-
sten Zeit kaum etwas ändern.

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Tagesprogramm, 12.5.1972


Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
GND ID: 119083906


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    Tätigkeit: SPÖ-Wahlkampfmanager, Journalist


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      Tätigkeit: Beamter HM


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        Tätigkeit: Leiter Sekt. III HM


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          Tätigkeit: Bundeskanzler
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            Tätigkeit: AK


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              Tätigkeit: Finanzminister, ÖVP-NR-Abg., OeNB-Präs.


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                Tätigkeit: bulg. HR


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                  Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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                    Tätigkeit: Bautenminister


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                      Tätigkeit: Beamter HM


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                        Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


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                          Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
                          GND ID: 102318379X


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                            Tätigkeit: MR HM [1971 zuständig für das Messwesen; gemeinsam mit Pellech genannt; evtl. Falschidentifikation]


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                              Tätigkeit: AR-Vors. Austria Tabak


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                                Tätigkeit: Handelsminister, ÖVP, Präs. HK Wien


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                                  Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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