Dienstag, 9. Mai 1972
Die Tagesordnung über den Ministerrat ergänze ich mit einem
Bericht über die EFTA-Tagung. Da dieser Bericht auch schriftlich
vorliegt, brauche ich nur darauf zu verweisen. Lütgendorf be-
richtet über den Maturantenerlass genauso. Gleichzeitig aber in-
formiert er den Ministerrat, dass in der Steiermark er die Reser-
visten, die die Brücken bauen, besucht hat. Sie arbeiten anständig,
aber seinen Worten konnte ich entnehmen, dass sie sehr "stinkert"
sind. Man hat ihr Taggeld deshalb von 12.– um 78.– auf S 90.–
pro Tag erhöht. Der Finanzminister wehrt sich nur, dass der Aus-
druck Taggeld verwendet wird, weil dies sofort ein Präjudiz für
sonstige Gruppen, die im Einsatz sind, werden würde und wünscht,
dass zum Schluss jeder einzelnen eine Belohnung in der Höhe der
90.– S bekommen sollte. Mich wundert immer wieder, wie die Bürokratie
im Finanzministerium oft zu einzelnen Tagesordnungspunkten Stel-
lung nimmt, das beweist, wie sehr sie wirklich den Ministerrat
durcharbeiten. Im Punkt 3 z.B. wurde vom Bundeskanzler eine Novelle
zum Dienstrechtsverfahren – Verordnung – eingereicht, wo das BKA
von Nebengebührenzulagen sprach, während das Finanzministerium ver-
langt, man müsste Nebengebührenzulagengesetz richtig sagen. Ich
glaube, dass solche Details bei uns im Haus, selbst wenn sie auffal-
len, mir nicht gemeldet werden. Mich stört das aber nicht, sondern
ganz im Gegenteil ich bin sehr froh, dass sowohl Mussil, dem ich
ja die Tagesordnung zeige, als auch das Haus, das ja den Minister-
ratsvortrag zeitgerecht und im einzelnen bekommt, mir niemals
irgendwelche Vorschläge unterbreitet. Winterleitner ist nach längerer
Zeit mit einem Umweltbericht über die OECD-Tagung, die vom BKA
vorgelegt werden sollte, mit einer Information an mich herange-
treten. Sollte ich wider Erwarten einmal von der Bundeshandelskammer
oder von der ÖVP, dass ich die Wirtschaftsinteressen nicht ver-
trete und daher manche Gesetze passieren liess, die für die Wirt-
schaft schädlich oder zumindestens abträglich sind, kann ich
ohne weiteres dann parieren, dass niemand mich im Detail auf die
negativen Bestimmungen eines solchen Gesetzes aufmerksam gemacht
hat. Der Zustand ist also für mich ideal, ohne dass ich dazu
wesentlich beigetragen haben, als dass wir vor zwei Jahren
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eben als wir das Geschäft übernommen haben, die Weichen in dieser
Richtung gestellt haben. Dabei ging dies ohne dass wir Weisungen
erlassen mussten. Kirchschläger will in einem Brief an Graber, den
Schweizer Aussenminister, darauf aufmerksam machen, dass das Atom-
kraftwerk nicht die nachbarlichen Beziehungen stören soll und des-
halb die österreichischen Interessen und Aspekte mehr berücksichtigt
werden müssen. Kreisky wünschte, dass dies den Vorarlbergern, es
handelt sich um das Atomkraftwerk Rüthi, zur Kenntnis kommt, so
musste Kirchschläger unbedingt jetzt diese Erklärung in einem münd-
lichen Bericht umwandeln, damit nicht Graber womöglich aus den Zei-
tungen in Vorarlberg erfährt, dass hier eine Intervention von
österreichischer Seite erfolgt. Bei der Information Kirchschlägers
über den Vorfall in Drasenhofen hat Kirchschläger sicherlich im
Einvernehmen mit Kreisky, die härteste Gangart eingeschlagen. Wir
werden den Botschafter zur Berichterstattung zurückbeordern und
damit unsere diplomatischen Beziehungen de facto unterbrechen.
1945 soll ein Schweizer Vorfall, wo ebenfalls ein von österreichi-
schem Gebiet Verschleppter auch damals die Beziehungen mit der
Schweiz sehr getrübt haben und trotzdem muss man die Integrität
des Staatsgebietes mit allen Mitteln verteidigen. Kirchschläger hofft,
dass die UNO-Versammlung dann die Aussenminister alle wieder zusammen-
führt und dann dort die Ungarn auf unseren Wunsch entsprechende Ver-
mittlungen zwischen CSSR und Österreich ergreifen sollten.
Die CSSR – meint Kreisky – wäre dazu ausersehen, um Österreicher
zu attackieren, wenn es dem Osten passt. Er erwartet auch in der Inte-
grationsfrage – übrigens auch Kirchschläger – dass so wie 1931 beim
Zollunionsstreit - jetzt die CSSR nach dem EG-Abschluss gegebenenfalls
auf Artikel 35 Österreich attackieren wird. Der Wirtschaftsverkehr
aber soll weiterhin auf privater Basis womöglich aufrechterhalten
und wenn notwendig auch ausgedehnt werden. Nur die offiziellen Be-
ziehungen werden und sollen auf ein Minimum auch auf dem Wirt-
schaftssektor reduziert werden. Die Einladung an den csl. Handels-
minister, die wir für Herbst ausgesprochen haben, soll dem csl.
Wunsch nach jetzt schriftlich bestätigt werden, was ich keinesfalls
durchführen werde.
Bei der ganztägigen Klubtagung wird zuerst festgestellt, dass unsere
Präsenz im Plenum äusserst fraglich ist. Zankl ist in Klagenfurt im
Spital, Jungwirth im Hanuschkrankenhaus und darf es nicht verlassen.
Veselsky, der ebenfalls an Erschöpfung und Nervenschwäche leidet,
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liegt ebenfalls im Hanuschkrankenhaus, kann aber zu Abstimmungen
gegebenenfalls geholt werden. Schieder bemerkt, dass Veselsky an
KUK leidet – Kreisky-Umgebungs-Krankheit. Androsch berichtet über
seine Tätigkeit, weist auf den Finanzbericht hin, den er verlegen
wird und ebenfalls über einen Wirtschaftsbericht, der noch nicht fertig
ist, der aber im Juni wenn er vorliegt, die Debatte erwartet. Dort
wird über die preisrechtliche Seite der Mehrwertsteuer einiges drinnen-
stehen.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte darauf achten, dass unser Teil über die res-
sortmässigen uns zustehenden Wirtschaftsbelange unbedingt jetzt bereits
beim FM schriftlich vorliegt, damit nicht wir an der Verzögerung schuld
sind.
Bei der Mehrwertsteuer erklärt er, dass alles bereits entschieden ist,
nur mehr die Investitionssteuer offen ist. Hier sei er bereit, eine
Kombination zwischen Alt-Investitionen und Neu-Investitionen sowie
dem Exportumsatz zum Gesamtumsatz in Relationen zu stellen und damit
die kapitalintensive, d.h. die verstaatlichte Industrie hauptsächlich
zu entlasten. Teils hat er noch nicht gesagt und ich nehme an, dass
er jetzt mit der Bundeshandelskammer auf dieser Basis verhandeln wird.
Die Gewerbesteuer und Lohnsummensteuer kann nicht in die Mehrwert-
steuer eingebaut werden, da bereits jetzt mit den 16 % nicht mehr
Deckung gefunden wird und man wahrscheinlich in der BRD und in Belgien
eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes nach einiger Zeit wird vor-
nehmen müssen. Die offenen Fragen, Mieten, Wohn–, Weinbau und Bau-
sparkassen sowie Versicherungen wurden – wie er mitteilte – positiv
gelöst. Offen sei auch noch die Treibstoffbelastung, hie aber gebe
es drei Wege, die er alle ablehnt.
1. Die Bundesmineralölsteuer senken – ein Verlust von 1,1 Mia. S für
den Strassenbau wäre die Folge.
2. Die Bundesmineralölsteuer aus der Berechnungsgrundlage für die
Mehrwertsteuer ausschalten – 800 Mill. S Verlust.
3. Den halben Steuersatz mit 8 % – würde einen 600 Mill. S Ausfall
bedeuten.
Er meint, dass die Verbilligung bei Fleisch, Schuhen und Textilien
halt der Erhöhung bei Benzin und einigen anderen Produkten entgegen-
steht und deshalb propagandistisch und optisch vertreten werden muss
und kann.
Die Beförderungssteuer wird in Hinkunft wegfallen, da sie eine
Umsatzsteuer ist, aber die Wettbewerbsausgleichsfunktion, die die
Fernverkehrssteuer beinhaltet soll, wird einen Frühbauer- oder
Androsch-Groschen aufrechtbleiben. Die Fernverkehrssteuer, die er
über 65 km eingehoben hat, im Jahr 1971 270 Mill. und wird lt.
Frühbauer-Auskunft jetzt mindestens 300 Mill. erbringen. Frühbauer
möchte dass eine pauschalierte Wegekosten-Gebühr eingehoben wird.
In der Diskussion wehrt sich Hobl gegen die Benzinpreisbelastung,
sagt, es sind nicht 30 Groschen, wie Androsch meint, sondern 53
wobei der ARBÖ und der ÖAMTC schon überlegt haben, ob man nicht
eventuell den Benzinpreis um 50 Groschen verteuert, aber um bessere
und schnellere Strassen zu bauen. Androsch: 50 Groschen sind über-
höht, hier will man unbedingt, das einbauen, was Staribacher am
1.1. ihnen nicht gegeben hat. Die Regierung könnte nicht als Preis-
treiber betrachtet werden, man müsste nur aufklären und insbesondere
auf die eventuellen Verteuerungen beim Friseur und bei Treibstoffen
eben hinweisen. Blecha, der neben mir sitzt, bemerkt, dass wenn wir
diese Benzinpreiserhöhung mit 50 Groschen machen, dann ist die Ge-
samt-Steuer eine Katastrophe und wird uns ungeheuerlich propagan-
distisch und auch im Wahlergebnis und in der Popularität schaden.
Die Haftpflichtversicherung Prämienforderung wird aus der Mehrwert-
steuer mit falschen Argumenten vorgebracht, erklärt Androsch. U.a.
hätten sie erklärt, die Spitalskosten würden um 2 % steigen,
obwohl dies noch gar nicht feststeht. Bei Gebrauchtwagen meinte
Androsch könnte ebenfalls kein Entgegenkommen zeigen, da für die
einzelnen Firmen verschieden sei. Mercedes wird grösstenteils in
der Unternehmerkette gekauft, d.h. die Firmen haben die Möglichkeit
die Steuerbelastung als Vorsteuerabzug in Rechnung zu stellen. Bei
der Abgrenzung der Gebrauchtwagen mit den Vorführwagen sie also
unmöglich und aus diesem Grund käme eine Herabsetzung der Sätze
oder gar eine unechte Befreiung nicht in Frage. Scheibengraf und
Samwald befürchten, dass die Investitionen und die Gewinne der ver-
staatlichten Industrie wesentlich zurückgehen werden. Schoeller-
Bleckmann hätte 90 Mill. Gewinn aber dies ist dieselbe Zahl, die
sie auch Umsatzsteuerrückvergütung, d.h. Exportförderung derzeit
bekommen. Androsch argumentiert, dass er von diesen Gewinnen 70 %
jetzt bekommt und deshalb die verstaatlichte Industrie und auch
die Privaten, wenn dies wegfällt nicht mehr so stark leiden, wie
dies am Anfang den Anschein hat. Ausserdem würde durch die Lager-
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entlastung und dadurch, dass in Hinkunft die Investitionsgüter nicht
mit einer Ausgleichssteuer von 13,5 % belastet sind, die Firmen
grosse Finanzierungskosten sich ersparen. Die Mietenfrage, die
Moser anschneidet, und insbesondere darauf hinweist, dass er in
Hinkunft, nachdem die 13 Groschen Neuvermietungszuschlag zum
Hauptmietzins wieder dazugeschlagen werden müssen, um die Mieten
nicht zu erhöhen, bringt ihm 48 Mill. geringere Wohnbauförderungs-
mittel. Dies ergebe ein Bauvolumen von minus 110 Mill. S, das
entfällt. Da durch die Lohn- und Einkommensteuersenkung von
5 Mia. 15 % davon ist der Wohnbauförderungsanteil, schon 750 Mill.
verlorengehen, glaubt er, auf die 13 Groschen nicht verzichten zu
können und wünscht vom Finanzminister dafür eine andere Entschädigung
für zukünftige Wohnbaufinanzierungen. Androsch verteidigt, warum
er nicht eine unechte Befreiung gemacht hätte, dann wären die Neu-
bauten nicht mehr imstande gewesen, den Vorsteuerabzug durchzuführen
und es hätten sich dann die entsprechenden Mietzinse für Neubau-
wohnungen noch wesentlich verteuert.Ebenso wären Reparaturen an Alt-
bauten nach dem 1.1.1973 nicht mehr abzugsfähig gewesen und vor
allem bei den Geschäftslokalen hätten sich bei Alt-Mieten etwaige
Reparaturen, die der Unternehmerkette nicht mehr mit Vorsteuer-
abzug bemerkbar gemacht ist, hätte für die Geschäftslokale eine
grosse Benachteiligung der Handelsbetriebe ergeben. Seiner Berech-
nung nach werden von den 5 – 6 Mia. Wohnbauförderung ca. 10 %
Vorsteuerabzug haben, also dann gegenüber den 8 %, die die halbe
Befreiung ausmacht, eine 2 % Ersparnis eintreten lassen. Dies er-
gibt 100 - 120 Mill., wo die mehr für die Wohnbauförderung d.h.
für den Bau neuer Wohnung zur Verfügung stehen. Nach Berechnung
des FM macht also der Wohnbausektor ein Geschäft. Ähnlich ist es –
weil Thalhammer für die Tarife der öffentlichen Hand, insbesondere
Energie und Wasser interveniert bei allen neuen Investitionen, die
getätigt werden. Nur Helbich, der die Elektrizität in seinem Werk
bereits abgeschrieben hat, protestiert deshalb so heftig dagegen.
Überall, wo Neu-Investitionen getätigt werden, ist Androsch-Vorschlag
vorteilhafter. Auf dem Kultursektor haben nur die Blinden eine
unechte Befreiung verlangt und ebenfalls die Sportverbände und er
hat es den beiden zugesagt, obwohl sich herausstellen wird, dass
sie damit schlechter fahren und er der Finanzminister noch ein Ge-
schäft macht. Derzeit wollen noch die Musikschulen in diese unechte
Befreiung. Eine weitere Ausdehnung auf Näh- u. Tanzschulen usw.
käme wegen der Folgewirkung nicht in Frage. Bei Wein sei die
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Regelung so vorgesehen, dass die Weinbauern, die derzeit 1,7 %
bezahlen, wenn sie ihren eigenen Wein verkaufen, beim Zukauf
müssen sie 5,5 % Umsatzsteuer leisten, wird die Vorbelastung
nach Ländern verschieden von 5,8 bis 8 % angenommen. Wenn nun
in Hinkunft die Bauern statt 1,7 % Zahllast 8 % Zahllast haben,
wird durch eine Pauschalierung eine Direktvermarktung mit 6 %
Vorsteuerabzug in Abrechnung kommen. Dies gilt aber nur für
Einheitswerte bis zu maximal 250.000 S, d.h. 5–9 ha Weingebiet.
Wein, der an Gastwirte und Händler verkauft wird, muss mit 16 %
belastet werden. Tull war der einzige Debattenredner, er ist
gleichzeitig auch Vorsitzender des Unterausschusses, der sich
massiv auf Androschs Seite gestellt hat. Er meinte, die flankieren-
den Massnahmen würden dann die Preiserhöhungen, wenn solche kommen,
entsprechend dämpfen. Massauer von der Landwirtschaftskammer, hätte
u.a. die Christbäume besonders behandelt sehen wollen und König sogar
die Pille. Er meint, man müsste Mut haben und mit den Gefälligkeits-
gesichtspunkten aufhören. Auf viele Mitglieder, die alle ein ungutes
Gefühl haben, aber sich im Detail natürlich überhaupt nicht auskenn-
en, muss der Eindruck entstehen, wie wenn durch die Mehrwertsteuer-
Einführung alle ein Geschäft machen auf Kosten des Finanzministers.
Durch flankierende Massnahmen und insbesondere durch Verbilligungen,
die jetzt Androsch immer wieder herausstreicht, müsste es zu einer
preisneutralen Lösung kommen. Ich glaube, das wir für viele eine
furchtbare Enttäuschung werden.
Die Lohn- und Einkommensteuer – berichtete Androsch – dort wo Kritik
geübt wird, ist, dass der Pensionistenabsetzungsbetrag von 1.500 S
als zu gering empfunden wird und dass die Haftpflicht im Hinkunft
nicht mehr im Sonderausgabenpauschale sondern durch Erhöhung des
KFZ-Pauschales abgegolten wird, den Pensionisten dadurch entfällt.
Den Bausparern sei insbesondere die Verwendungsseite herauszustrei-
chen, weil noch immer Appartementhäuser, die Ausländer kaufen, über
die Bausparkassen finanziert werden. Die Banken und Sparkassen er-
warten, dass die Kontensparer, die im Durchschnitt 10.000 S auf
dem Kosten derzeit haben, in die Bausparverträge ausweichen werden,
weil sie dort sofort 25 % Prämien kriegen, was Androsch aber nicht
erwartet, da die Liquiditätsüberlegungen bei Kontensparern an der
Spitze stehen. Ansonsten hätten sie schon jetzt eine bessere
Anlage gesucht. Die Einzel- oder Grenzfälle, die eventuell Steuer-
erhöhungen mit 1.1.1973 erwarten müssen, können nur sehr gering sein.
Im Zentralbesoldungsamt hätte man 200.000 Steuerpflichtige durch-
gerechnet und davon wären nur 9.000, die mehr und drei Kinder haben,
von einer eventuellen Steuererhöhung betroffen, 50 % davon wären
aber nur die Doppelverdiener, die gegebenenfalls beide verdienen
und knapp unter 200.000 S liegen oder wo der Hauptverdiener
120.000 und die Frau 40.000 S verdient, gegebenenfalls dann eine
Mehrsteuerleistung zu erwarten hätten. Auch hier meint Blecha
mir gegenüber, dass wenn nur eine einzige Person mehr Steuer zahlen
wird, es für uns sehr schwer sein wird, der propagandistischen
Argumentation: Ihr seht, es müssen Leute mehr Steuer zahlen, ent-
gegenzutreten.
In der Diskussion und insbesondere auch der Wunsch der Frauen,
dass man doch beim Familienlastenausgleich die Kinderbeihilfe
gegebenenfalls erhöhen sollte, wird von Androsch verständlicher-
weise schon sehr aggressiv beantwortet. Dies veranlasst Herta Winkler
von einer frivolen Antwort zu sprechen. Die Vorleistung von
360.– S im Juli soll durch einen Initiativ-Antrag der Sozialisten
jetzt eingebracht werden. Diese Einmal-Zahlung, weist Androsch
darauf hin, gebe ihm eine Verwaltungsvereinfachung und vor
allem aber bleibt die Optik der grossen Steuerreform mit 1.1.1973
gewahrt, weil im Oktober, November, Dezember eben in der kritischer
Zeit die grossen Steuerabzüge wieder Platz greifen und dann mit
1.1.1972 die grosse Entlastung kommt. Ich bin überzeugt, dass
mit 1.1.1973 auf dem steuerlichen Sektor, Mehrwertsteuer und
Steuer – Einkommensteuer usw. so viel Ungereimtes geschehen wird,
dass der Einzelne überhaupt keine Möglichkeit mehr haben wird,
zu prüfen und zu kontrollieren, was ihm zugutekommt und wie er
belastet wird. Ich fürchte deshalb, dass ein richtiges Tohuwabohu
entstehen wird und wie sich dies politisch auswirkt, wird ja
Charly Blecha dann sehr bald in einer Meinungsumfrage feststellen
können.
Kreisky berichtet über die ORF-Situation, er meint man sollte
nicht die Nerven verlieren, es werden jetzt die Revisoren neu
bestellt und Bacher müsste eine Gebührenerhöhung verlangen und
damit käme er in unsere Gasse. Die ÖVP der Aufsichtsrat wird sich
jetzt entscheiden müssen, ob er dem zustimmt oder nicht. Die
Preisentwicklung sei äusserst kritisch, doch müsste man um der
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Mehrwertsteuer-Preiserhöhung entgegenzutreten, das belgische System
anstreben und er würde deshalb in der Paritätischen Kommission am
24. diesbezügliche Gesetzesanträge von Rösch resp. von sich selbst
stellen. Der Abschluss der europäischen Verhandlungen steht
bevor und damit gibt es eine 40 %-ige Zollsenkung innerhalb eines
Jahres, die wesentlich preisdämpfend wirken wird. Über diesen Be-
richt gibt es überhaupt keine Debatte. Häuser berichtet dann noch
über die 29. ASVG-Novelle, wo insbesondere die Ärzte sich beschweren,
dass sie in Hinkunft nicht mehr verhindern können, wenn Ambulatorien
errichtet werden. Hier stellt Häuser richtig, dass natürlich, wenn
die Landesbehörden keinen Bedarf feststellen, der Sozialversicherungs-
träger kein Ambulatorium errichten kann. Nur in Hinkunft werden
die Ärzte nicht mehr die Partei-Stellung haben sondern nur mehr als
Beteiligte mitwirken können. Dadurch werden sie nicht mehr verhin-
dern, wie dies jetzt z.B. der Fall war, dass Ambulatorien, die
von einem entlegenen und ausgesiedelteren Bezirk z.B. 5. Bez. nach
Floridsdorf verlegt werden soll, verhindern können. Auch die Kon-
zentration der Landarbeiterkassen ist dringend erforderlich. Derzeit
sind 46.000 Versicherte auf 9 Krankenkassen auf eine landwirtschaft-
liche Pensionsversicherung und auf eine Unfallversicherungsanstalt
aufgeteilt. Hier müsste mit 1.1.1974 die Konzentration erfolgen.
Dies sei keine politische Aktion, sondern diene ausschliesslich
der Kostenersparnis.
Fischer legt den Regierungsplan über die Gesetze, die noch in der
Frühjahrssession beschlossen werden sollen vor und vergisst von uns
das so wichtige Gesetz zur Aufhebung der Schuhputz- und Metallputzmit-
tel, das EFTA-widrig ist. Ich urgiere zur allgemeinen Heiterkeit
und ich hoffe, dass es tatsächlich jetzt auf die Tagesordnung
kommt.
Gen.Direktor Guéroult von EED, das ist die Zweigfirma der amerikani-
schen Research and Development Association , kommt von einem Dr. Jakob
aus der BRD, der im Aufsichtsrat tätig ist und vor allem von Hutter
begleitet, der bereits seinerzeit Mitterer nach Amerika wegen Investo-
rentätigkeit geführt hat. Diese Gesellschaft wünscht aber von mir
keine Unterstützung finanzieller Art sondern hat genug Risikokapital
um Investitionen in Österreich bei Firmen zu tätigen, die Patentver-
wertungen oder sonstige fortschrittliche Produktionen aufnehmen wollen.
und nicht genug Kapitel haben. Voraussetzung allerdings ist,
dass diese Firma bereit sind, einen Manager vorübergehend zu-
mindestens von der Gesellschaft zu übernehmen, der die Reorgani-
sation des Betriebes in Angriff nimmt. Bei einem Grundkapital von
17,5 Mill. $ hätten sie bereits in den sieben Jahren in Europa
10 Mill. $ investiert. Sie erwarten von uns, dass wir ihnen nur
Projekte mitteilen und Gehart empfiehlt ihnen als erstes Schukra.
Es ist gut zu wissen, eine solche Kapitalgesellschaft in Öster-
reich tätig zu haben, denn erstens wird dies eine Konkurrenz
gegen die sogenannte Kapitalbeteiligungsgesellschaft, die die
österr. Banken errichten wollen, als auch vor allem aber für Firmen
die sich immer wieder wie Schukra um Subventionen an uns wenden,
dann auf diese Möglichkeit verweisen zu können. Wenn es zu keinem
Abschluss kommt, kann man zumindestens Schukra und diesen Firmen
sagen, dass man ihnen die Chance einer Kapitalbeteiligung
verschafft hat.
In unserer Vorstandssitzung im dritten Bezirk berichtet Seitler
vom Wiener Ausschuss und dass dort im Hinblick auf die Begrüssung
Kreisky von Otto Habsburg die Frage gestellt wurde, wie weit Öster-
reich nicht heute bereits von einer autoritär geführten SPÖ regiert
wird. Solange die Wahlerfolge Kreisky recht gegeben haben, waren
alle mit seiner Politik restlos einverstanden. Wegen so nichtigen
Anlässen beginnen nun einige Leute seine Autorität in Frage zu
stellen und beginnen sie damit auch schön langsam zu untergraben.
Ich weiss nicht, wie man einer solchen Entwicklung Einhalt gebieten
kann, ich fürchte sogar, wenn es also zu einer Wahlniederlage in
irgendeinem Land oder Gemeinde usw. kommen wird und sich dies dann
letzten Endes auf mehrere Gebiete erstrecken wird, dass dann die
wirkliche harte Zeit erst beginnen wird. Einem siegenden Parteiführer
hat man restlos vertraut und ihm die gesamte Unterstützung gewährt.
Ich bin gespannt, wie sich dies aber weiter entwickeln wird.
Niemand berücksichtigt, unter welchem ungeheuerlichen Druck des
Arbeitseinsatzes ein solcher Mann steht. Jeder glaubt, sein Klein-
problem müsste für ihn auch das grösste und wichtigste sein und
wenn er damit nicht durchkommt, ist er bitter enttäuscht. Ein
typisches Beispiel: Meine Frau erzählt mir, dass am 1. Mai beim
Aufmarsch, gerade als ihre Sektion vorübermarschiert ist, Kreisky
mit Benya einige Worte gewechselt hat und deshalb nicht die
Huldigung, d.h. das Winken der Genossinnen entgegengenommen hat.
Enttäuschung und Verärgerung bei diesen. Wenn nun seine nähere
Umgebung und vor allem seine Mitarbeiter ihn nicht in dieser
Beziehung hundertprozentig entlasten und unterstützen sondern
vielleicht gar anfangen über ihn abfällige Bemerkungen zu machen,
dann wird der Nimbus bald dahin sein und damit natürlich auch
bei den ersten Niederlagen alle die Nörgler und Besserwisser
sich auf diese stürzen. Hier müsste man entsprechende Lösungen
versuchen.
ANMERKUNG FÜR KOPPE: Fällt Dir etwas ein?
Tagesprogramm, 9.5.1972
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)
hs. Notizen
11_0568_05Tagesordnung 25. Ministerratssitzung, 9.5.1972
Nachtrag TO 25. Ministerratssitzung, 9.5.1972
11_0578_05