Mittwoch, 12. April 1972
Als letztes Kommissionsmitglied konnte ich Vizepräsident Haferkamp,
einen Gewerkschafter sprechen. Beim Empfang von Leitner am Montag
hatte ich Generaldirektor Braun , den Industriemann, gesprochen.
Sowohl Leitner als auch Hausberger hatten angenommen, dass
dieser bei Haferkamp arbeitet und daher dieser auch für die
Industriepolitik zuständig ist. Im Laufe der Diskussion stellte
sich aber heraus, dass für die Industriepolitik Spinelli zuständig
ist. Dies war der einzige für mich sichtbare Fehler, der Leitner
und Hausberger unterlaufen ist. Es war für sie sehr peinlich und
am meisten waren sie überrascht, dass ich erklärte, dass dies
mein Fehler sei, was sie natürlich sofort bestritten und die Schuld
auf sich genommen haben. Hausberger meinte allerdings mit Recht,
dass durch diesen Fehler ich doch immerhin die Möglichkeit gehabt habe
Haferkamp ebenfalls noch zu sprechen. Innenpolitisch war dies auch
für mich sehr wertvoll, denn ich habe, obwohl ich nur zweieinhalb Ta-
ge in Brüssel war, wesentlich mehr Kommissionsmitglieder gesehen als
die ÖVP-Regierung oder Bock in der Koalition jemals zu Gesicht
bekommen haben, obwohl sie zu einem Massenauftrieb von Ministern
und vor allem immer wieder in Brüssel aufgekreuzt sind. Sechs
Kommissionsmitglieder und den Leiter der Delegation mit seinen Herren,
das ist glaube ich wirklich ein einmaliger Rekord. Ausserdem ist es
einmalig, dass Leitner imstande war, alle sechs ständigen Vertreter
und die vier Beitrittskandidaten ihre Gesandten an einem Tisch
zu vereinen.
Anmerkung für Heindl: Bitte entsprechenden Dankbrief und Geschenk
für Frau Leitner.
Hausberger hat auch in der Mission sehr geschickt alle Fäden nach
amerikanischer und sowjetischer Seite gesponnen. Wie mir Leitner
mitteilt, hat deshalb Kirchschläger Bedenken gehabt, dass Wünsche
der Sowjetunion über uns an die Europäische Gemeinschaft heran-
getragen werden. Vom Büro Dahrendorf hat Direktor Ernst, der die
Drittländer, d.h. den Osten und Japan, zuständig ist, nun uns
ersucht, man möge die Sowjetunionvertretern wissen lassen,
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dass Dahrendorf nach Japan fährt und dann in Moskau unterbrechen
wird. Man wollte, dass die Russen dies zeitgerecht wissen, um ihn
gegebenenfalls in Moskau einzuladen und mit ihm Sachen zu besprechen.
Hausberger hat mit dem Botschaftsrat Ewaschew Verbindungen und dies
hat er natürlich sofort ihm mitgeteilt. Mit anderen Worten: Die SU be-
nützt nicht nur unsere Mission, um ihre Wünsche der EG mitzuteilen,
sondern Gott sei Dank jetzt auch umgekehrt. Ich habe Kirchschläger
bei meiner Auskunft dies sofort mitgeteilt.
Am Flughafen hat Leitner den jug. Akkreditierten bei der EG erkannt
und dort dadurch auch in Erfahrung gebracht, dass Snuderl anwesend
ist. Wir flogen mit demselben Flugzeug, allerdings er erste und ich
zweite Klasse nach Wien. In Wien konnte ich ihn dann sehr leicht
durch den Zoll und die Passkontrolle bringen, das erst Mal, dass sich
bewährt hat, dass ich als Bundesminister einen Diplomatenpass vorwei-
sen konnte, soweit man mich nicht sowieso erkannt hat, und dort dem jug.
Botschafter übergeben. Da mich Heindl verständigt hat, dass ich nicht
bei dem Empfang von ihm, er sollte mit seinem Ministerpräsidenten ankom-
men, anwesend sein sollte, wollte ich wirklich vorerst sofort ins Büro
fahren. Da der Empfang aber in ca. 5 Minuten stattfand, bin ich dann
doch im Sondergastraum aufgekreuzt. Zum Entsetzen des Protokolls,
Beroldingen war äusserst nervös, erzählte ich, obwohl Jugoslawen an-
wesend waren, dass ich an dem offiziellen Empfang nicht teilnehmen
könnte, da ja kein Platz für mich frei sei, weshalb ich halt dann
wieder gehen werde. Dies war aber selbst dem Protokoll zu viel und
Kreisky meinte auch, es käme doch der Handelsminister Snuderl mit.
Der eigentlich ja mein Gegenpart sei. Wie ich später in Erfahrung brin-
gen konnte, hat Heindl sich schon gegen den Blödsinn, dass ich nicht
mit ihm in die Stadt – in die Residenz – fahre, mit Beroldingen ge-
stritten. Selbstverständlich musste dann das Protokoll die Wagenfolge
dann umstossen, was mir ungeheure Freude bereitete, weil ich mich wirklich
ein wenig geärgert habe.
Bei den Gesprächen, die ich mit Snuderl während der Fahrt und vor allem
dann am Abend bei dem Empfang hatte, zeichnet sich ab, dass die Jugosla-
wen gerne für Kooperationen, die sie anstreben, Zollermässigungen resp.
Nullzölle wünschten. Ebenso möchte gerne die kroatische-slowenische
Region einen regionalen Vertrag mit Österreich – Kärnten resp.
Steiermark. Ich erklärte ihnen rundwegs, dass dies ein nicht gang-
barer Weg ist, weil wir ein einziges Sonderabkommen zwischen Nord-/
Südtirol haben und das GATT sicherlich keine andere Zone mehr ge-
nehmigen würde. Ich konnte bei diesen Gesprächen Snuderl über
die weitere Rest-EFTA aufklären, dass auf alle Fälle nicht nur die
neutralen Staaten, sondern auch Island und Portugal dieser angehören
werden und dort die Zölle nach wie vor auf Null bleiben. Ein Bei-
tritt von Jugoslawien zu dieser Rest-EFTA, wodurch sie in den Be-
sitz der Zollermässigungen gelangen würden, hält Snuderl aber nicht für
opportun und politisch von seinem Standpunkt aus derzeit für untragbar.
Über die Zonenregelung meint er, müssten man sich doch einigen können,
da ja auch Jugoslawien mit Italien einen solchen Vertrag hat, der
eigentlich von der EWG sogar scheinbar akzeptiert wurde und vor allem
im GATT keinerlei Anstoss erregt hat.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte von Willenpart prüfen lassen, wie dies
möglich ist.
Im Parlament tagte der Rechnungshofausschuss und Weihs hat für sein
Kapitel den Vizekanzler Häuser ersucht zu bleiben. Da Häuser aber
bereits mit seinem Kapitel fertig war, hatte ich ihn abgelöst. Im
Rechnungshofbericht war unter Land- und Forstwirtschaft auch die
Prüfung über den Mühlenfonds, Dieser ressortiert allerdings bei mir
und ü den ganzen Bericht wurde von ÖVP-Abgeordneten Hietl nur dieser
Punkt herangezogen. Ich konnte sofort einen Gag starten und erklären,
der Rechnungshof hatte ja wahrscheinlich schon bei der Aufstellung des
Berichtes gewusst, dass ich Weihs vertreten werde und deshalb kann
ich jetzt nicht als Landwirtschaftsminister, denn der ist dafür nicht
zuständig, wohl aber als Handelsminister die Frage leicht beantworten.
Da ich tatsächlich im Mühlenfonds jahrzehntelang tätig war, fiel es mir
sehr leicht, auf die Frage, nämlich wie es dort weitergehen soll und
ob man den Anregungen des Rechnungshofes, Richtlinien für die Ablöse
festzusetzen, nachkommen soll, zu antworten. Bezüglich der weiteren
Tätigkeit verwies ich auf die Notwendigkeit der Einigung der Inter-
essensvertretungen, die ich bereits angeregt hatte und erklärte,
dass wenn diese zu keinem Einvernehmen kämen, ich gerne als Ver-
mittler auftreten würde. Die Anregung des Rechnungshofes halte ich
für falsch, da, wenn Richtlinien erstellt werden, dann nicht mehr
so kommerziell und für den Fonds günstig Stillegungsbeschlüsse gefasst
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werden könnten. Das Kapital Handel wurde von Scherrer und Gorton der
ÖVP kritisiert. Alle Anfragen, es waren eigentlich mehr solche als
wirkliche Kritik, konnte ich leicht beantworten. Peinlich war
nur die Frage Würzls, der bekanntlicherweise für eine Strassenkon-
gress sich zur Verfügung gestellt hatte und dafür extra belohnt wurde.
Obwohl die ausserhalb meiner Zeit war, habe ich natürlich Würzl ent-
sprechend verteidigt und dies mit einem Gag insofern gerettet,
indem ich gesagt habe, ich bin ja sehr froh, dass ich sprachgewandte
Ministerialbeamte besitze, denn ich selbst sei sowieso ein sprach-
liches Gnu. Androsch der ebenfalls anwesend war, meinte zu mir,
es sei eine Ironie des Schicksals, dass ich als EFTA-Partisan
nun scheinbar doch den EWG-Vertrag nach Hause bringen werde.
Der Delegationsleiter der franz. Industriedelegation und dem Patronat,
Montet, wollte mit mir über Progil und Donau-Chemie sprechen. Zu diese
Behufe ist er mit seinem Generaldirektor und dem Botschafter ins Parla-
ment gekommen. Landeck, ihr Sorgenkind, hat 23.000 t Karbid erzeugt,
wovon sie 8–9.000 t jetzt in Brückl verarbeiten und in zwei
Jahren wahrscheinlich diese Menge auf 10–12.000 t steigern könnten.
Dadurch wäre die Möglichkeit der Sicherung dieses Werkes gegeben.
Im Brückl aber hätten sie derzeit sehr ungünstige Kosten und befürch-
ten, dass sie dieses Werk stillegen müssten. In ihrem franz. Werk
Bougle , das wir besichtigten, sei der Salzpreis um 20 % gegenüber
Österreichs 100. Die Elektrizität sei 50 % : 60 % Kostenanteil
im Brückl. Die Abschreibung sei in Brückl günstiger, weil sie bereits
weitestgehend durchgeführt wurde und belaste ungefähr mit einem
Drittel zum Unterschied von franz. Werk mit der Hälfte. Montet
schlug deshalb vor, es müssten entweder die Salzpreise oder die
Elektrizitätspreise gesenkt werden, wenn nicht sie auf lange
Sicht das Werk stillegen und ihre franz. Produkte nach Österreich
liefern sollten. Ich erklärte sofort, dass dies gegen die Intentionen
von mir sei, da wir im Gegenteil hofften, dass die Donau-Chemie mit
franz. Unterstützung ausgebaut wird. Dies sagten sie auch zu,
wenn die entsprechende Kostenlage vorliegt. In Pischelsdorf selbst
werden sie die notwendigen Investitionen tätigen. Montet meinte,
man müsste überhaupt den österreichischen Markt von der italienischen
und der BRD-Konkurrenz schützen, wenn jetzt die Zölle im Rahmen der
EWG abgebaut werden. In diesem Fall würden die italienischen und
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deutschen Industriekonzern die Vorprodukte, Karbid und Ätznatron billi-
ger nach Österreich liefern. Er meinte, ich sollte eine Art: sensible
Produkte verlangen. Gegen einen solchen Vorschlag habe ich mich ganz
entschieden ausgesprochen und selbst Leduc musste dann erklären, dass
auch vom Standpunkt der Kommission es ganz unmöglich sei, dass wir
hier ein sensibles Produkt bekommen könnten. Hier irrt Leduc allerdings,
denn Wellenstein und auch andere Herren haben in Brüssel zu erkennen ge-
geben, dass sehr wohl Österreich entsprechende Gegenforderungen an die
EG stellen könnte und sollte. Wir haben nur überall und ich teile
diese Meinung zu erkennen gegeben, dass wir dies nicht machen wollen.
Bei den Salznachfolgeprodukten allerdings wurde so etwas angedeutet.
Ein wirkliches Herausnehmen von Produkten, die langsam im Zollabbau
dann als sensibles Produkt letzten Endes aber doch auf Nullzoll hinarbei-
ten, bedeutet, dass wir uns damit auf denselben Weg begeben wie die
EWG nicht zuletzt durch Frankreichs Wünsche gegangen ist. Im Inland hätte
wird dann das grosse Problem, wie wir und welches Produkte wir in
eine solche Regelung vorschlagen sollten. Aus diesem Grund allein glaube
ich sollten wir diesen Weg nicht beschreiten, der Gen.Direktor hat
mich ersucht, ich sollte mir doch endlich einmal Brückl anschauen
und ich habe ihm zugesagt, zu prüfen, ob ich beim Parteitag in Vil-
lach nicht wirklich, wenn ich zu Phipis fahren werde, dann auch dem
Brückler Werk einen Besuch abstatten werde.
Beim Empfang hat mir auch Rösch über seine Absichten auf dem Preis-
sektor berichtet. Im Parteivorstand hat es bekanntlich Differenzen
zwischen seiner Auffassung und der von Kreisky gegeben, was mir Wald-
brunner bereits mitgeteilt hat. Nun glaubt er, dass Kreisky doch auch
auf seine Linie eingeschwenkt ist. Ich selbst erklärte sofort, dass ich
mit seinen Intentionen hundertprozentig einverstanden bin, da er
wissen wollte, nachdem ich ja letzten Endes, wie er sich immer aus-
drückt, sein Preisberater bin und in Hinkunft die ganze Arbeit
auf diesem Sektor leisten soll, zu seinen Vorschlägen stehe. Im
Prinzip will er ja ein entsprechendes Preisgesetz, resp. Androsch wollte
dass es in die Mehrwertsteuer eingebaut wird, aber nur dann, wenn die
Sozialpartner sich nicht freiwillig auf ein besseres System einigen
können und wollen. Ich glaube, jetzt lauft zumindestens materiell
die Sache richtig, denn auch ich bin ja immer auf dem Standpunkt ge-
standen, dort wo die Sozialpartner sich nicht einigen können, dann
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entsprechende Regierungstätigkeit in Erscheinung treten muss.
Beim Empfang ist Mitterer das einzige und erste Mal seitdem ich Minister
bin, direkt zu mir gekommen, um zu fragen, was es in Brüssel Neues ge-
geben hat. Ich erklärte, dass ich dort gewesen bin, weil man – wie es
sich ja ausgedrückt hat – mich mit einem Nasenring hinziehen muss, und
habe dann andeutungsweise unsere Erfolge natürlich entsprechend heraus-
gestrichen. Er kam gerade bei einem Gespräch, das ich mit Marquet im
Detail führte, wo ich diesen informiert habe und vor allem auch immer
wieder herausgestrichen habe, wie sehr die Verhandlungsdelegation unter
seiner Führung an diesem Erfolg Anteil hat. Marquet meinte noch, er hätte
sich immer sehr bemüht und glaube, dass er wirklich nichts verhaut hat.
Dieses Understatement hat mir sehr gut gefallen, es entspricht so seinem
und wahrscheinlich auch meinem Stil und ich habe ihm daher ganz im Gegen-
teil wirklich Anerkennung ausgesprochen.
Tagesprogramm, 12.4.1972
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)