Montag, 10. April 1972
Die Verhandlungen mit den einzelnen Minigliedern der Kommission
und vor allem mit dem Delegationsleiter der EG-Verhandlungsgruppe
Wellenstein gestaltete sich wie ich erwartet habe. Wellenstein hatte
seinen Bericht fertig und er wurde am selben Tag noch von den
Kabinettsdirektoren besprochen und wie mir dann am Abend beim Empfang
von Wellenstein gesagt wurde, klaglos und ohne viel Diskussion akzep-
tiert. Wellenstein meinte, dass er versucht hat, einen ausgewogenen
vertrag zu erstellen. Für die Landwirtschaft sieht er keine wie immer
geartete Möglichkeit ausser den drei Punkten, die wir bereits kennen,
in den Vertrag aufzunehmen. Er glaubt aber, dass ausserhalb des Ver-
trages autonom für Rinder eine Regelung möglich sei und Milchpulver
sei derzeit überhaupt nicht ein Problem, da Knappheit herrsche und
bei Butter könnte er sich vorstellen, dass das Kommissionsmitglied
Deniau, der die Verhandlungen offiziell führt, wies ebenfalls darauf
hin, bei den Beitrittsverhandlungen mit den Vier das Protokoll Nr. 16
abgeschlossen wurde. Auf Grund dieses Protokolls soll ein abrupter
Bruch in den bisherigen EFTA-Staaten vermieden werden. In der Über-
gangszeit – und nur auf eine solche erstreckt sich dieses Protokoll –
könnte deshalb auch für Butter als eines von vier Produkten, die dort
aufgezählt sind, eine Lösung gefunden werden. Ich habe nämlich sowohl
bei Wellenstein als auch bei Deniau darauf hingewiesen, dass man
doch erklärt hat, dass sich die Handelsbeziehungen zwischen den EFTA-
Staaten durch den Beitritt der Kandidaten England, Irland usw. nicht
nicht verschlechtern soll. Man erwartet allerdings, dass die Land-
wirtschaft, das hat Wellenstein und Deniau erklärt, unbedingt eine
Gegenkonzession autonom macht. In diesem Fall müsste, wie Deniau
sich ausdrückte, ausser Obst und Gemüse irgendetwas für die Nieder-
länder gefunden werden. Obst, Gemüse und Wein sei für die südlichen
Länder und er müsse etwas für den niederländischen Landwirtschafts-
minister Lardinois finden. Er denkt dabei, das ist vielleicht nur
optisch, an Blumen.
Bezüglich der sensiblen Produkte wurde immer wieder nur erklärt,
und dies wird man in den ständigen Vertretungen und beim Rat
versuchen durchzusetzen, dass der Scheel wegfallen sollte. Eine
weitere Herausnahme von der strikten Überwachung in die einfache
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Überwachung werden wir kaum durchsetzen können. Ich hatte aller-
dings am Abend dann beim Empfang mit dem Generaldirektor für Papier
Braun eine ausführliche Diskussion und er hat erklärt, dass man
oft in der letzten Phase vielleicht die eine oder anderen Ver-
besserung noch bringen könnte. Jetzt sei dies allerdings nicht
opportun und nicht zielführend.
Ursprungsregeln werden so gefasst werden können, dass mit Hilfe
der Ja und e²-Formel vollkommen befriedigende Lösung für Österreich
erzielt werden kann. Hier hat sich bewahrheitet, dass es gut war,
dass der Rat keine Richtlinien gegeben hat der Kommission, sondern
dass eben eine Ermächtigung vorgelegen ist, dieses Problem zu
lösen. Bei den Schutzklauseln selbst wird es auch möglich sein,
zu einer Lösung zu Kommen. Wellenstein und Deniau erklärten, ihnen
schwebt vor, eine Regelung wie sie für Grossbritannien beim
EGKS-Artikel 7 vorgesehen ist, wonach die Konsultation, das Normale
ist und auch durchgeführt wird, vorher oder unmittelbar nachher, wen:
es die Umstände erfordern. Bei Zolldisparitäten soll auf keinen
Fall ein Dringlichkeitsverfahren gelten.
Eine wichtige Frage, wie man den Zeitplan einhalten kann, ergibt
sich durch die Tatsache, dass im April nur eine Ministerratssitzung
vorgesehen ist und dann erst wird im Juni. Deshalb will Deniau
aber auch Wellenstein versuchen, den Rat davon zu überzeugen,
dass die ständigen Vertreter beauftragt, die Details mit der Kom-
mission zu verhandeln. Eine solche Lösung wurde bereits beim
Interimsabkommen mit Österreich gemacht. Die Ratsmitglieder würden
einige prinzipielle Fragen entscheiden und den Rest dann den
ständigen Vertretern zur Durchführung und Verhandlung mit der
Kommission ermächtigen. Wellenstein selbst hofft, dass in der
zweiten Hälfte die Verhandlungen fortgesetzt werden, damit noch
wirklich bis Juni spätestens 1. Woche Juli der Vertrag paraphiert
werden könnte. Wenn dies nämlich nicht der Fall ist, dann wird
man im Herbst unter furchtbaren Zeitdruck kommen da sie keine
Zeit mehr haben für die EFTA-Staaten dann noch irgendwelche
Sitzungstermine freizugeben. Da mich Hausberger aufmerksam
machte, dass Deniau neuerdings gerne nach Österreich käme.
habe ich ihn eingeladen und Deniau selbst meinte, vielleicht
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könnte er dann den Interimsvertrag, auf den ich überall hinge-
wiesen habe, dass wir grössten Wert darauf legen, dass wenn
die vier Punkte geklärt sind, sofort in Kraft treten sollte,
diesen Interimsvertrag also in Wien unterzeichnen könnte. Zuerst
meinte er ja, dass er zur Vertragsparaphierung nach Wien kommen
möchte, wurde aber dann sofort belehrt, dass dies nicht geht,
denn alle Verträge müssten in Brüssel unterzeichnet werden, sonst
müsste er in alle EFTA-Städte fahren. Da das Interimsabkommen
aber ein spezifisch österreichisches ist, könnte er diesem Präjudiz
ausweichen. Er meinte zum Schluss, schön wär's und ich sagte,
sie könnten es auch spielen, wenn wir noch zeitgerecht mit dem
Interimsabkommen fertig wären.
Herr Dahrendorf, der sich primär über die Aussenhandelsbeziehungen
zwischen der EG und den Oststaaten äusserte, aber auch natürlich von
mir wissen wollte, wie wir mit der SU zurechtkommen, war die
Aussprache sehr einfach. Über Details haben wir in dem Fall
hier gar nicht gesprochen, obwohl ich ihm natürlich auch
unser Aide Memoire überreicht habe. Er meinte, dass er als Liberaler
dafür die umfassende Lösung sei, interessant war seine Bemerkung,
dass die Schweiz zuerst eine grosse Bestimmung wollten und jetzt
hätte ihm Brugger, sein Parteifreund, wissen lassen, dass der
Bundesrat so wenig wie möglich im Vertrag verankert haben will.
Bei den Schweden sei doch an einen zukünftigen Beitritt bei allen
Verhandlungen mitgedacht. Er meint, das so weit komplizierte
Verfahren ausgedacht werden, sie in der Praxis doch kaum gehandhabt
werden können und er sieht deshalb in allen diesen komplizierten
technischen Lösungen, die im Einzelnen vorgeschlagen werden, keine
Hemmnisse, denn früher oder später sind sie sowieso passé, wenn
sie überhaupt jemals angewendet werden können.
Der neue italienische Vizepräsident Scarascia-Mugnozza, den
ich ebenfalls besuchte, der Besuch wurde im letzten Moment einge-
schoben, hat sich natürlich überhaupt noch nicht einarbeite
können, hat aber nur im Prinzip erklärt, dass sich Italien und
er selbst ganz besonders für eine Lösung Österreichs einsetzen
werden.
Am Abend hat Leitner einen Riesenempfang gegeben, wo teilweise
Vizepräsident Scarascia-Mugnozza, Dahrendorf, Wellenstein usw.
gekommen sind. Man hat dort mit einigen Dutzend Leuten geredet,
Das Ergebnis ist natürlich Null komma Josef. Ich habe überhaupt
nachdem ja auch Steiger und Hausberger bei allen Besprechungen an-
wesend waren, immer wieder herausgestrichen, dass eigentlich das
Verdienst der Beamten ist, wenn sie überhaupt solche Erfolge
wie jetzt wahrscheinlich zu erreichen sind, durchgesetzt haben.
Diese politischen Interventionen, wie sie wir auf der Politiker-
ebene machen, haben zwar, wie Steiger richtig betont, den
einzelnen Kommissionsmitgliedern, die uns wohlgesinnt sind, den
Rücken gestärkt, aber konkrete Ergebnisse glaube ich hat man
bis jetzt noch nicht feststellen können. Interessant ist, dass
aus den Interventionen in Paris weder vom Bundeskanzler noch vom
Bundespräsidenten oder unseren auch nur bis jetzt ein Sterbens-
wörtchen an die französischen Vertreter oder den Französischen
Botschafter gekommen sind. Dies hat zumindestens der franz.
Botschafter sowohl mir gesagt als auch Leitner und der ständige
Vertreter von Frankreich hat ihn bestätigt. Interessant war
auch dass der franz. ständige Vertreter erklärt hat, dass er
noch immer gegen die Auflösung des Scheels sei, da er keine
andere Weisung habe. Dies hat den Vorsitzenden der ständigen
Vertreter, einen Luxemburger, überhaupt nicht aufgeregt, denn
er sagt, die Franzosen werden eine Position vorher überhaupt
nicht räumen, bis sie nicht auf Ministerratsebene oder auf
Ministerweisung dazu gezwungen sind. Der Generaldirektor Braun,
der sich nebenbei als Sozialist mir gegenüber unter vier Augen
deklarierte, meinte, dass die Franzosen, wenn sie jetzt gegen
den Entwurf des Vertrages sind, isoliert würden und dass sie
dies wahrscheinlich nicht durchstehen könnten. Leitner selbst
wird jetzt unmittelbar mit unserem franz. Botschafter Lemberger
reden, damit dieser doch neuerdings versucht, einen entsprechenden
Einfluss auf die ständigen Vertreter über den Quai d'Orsay zu
erreichen. Zum Abschuss meinte man noch bei dem Empfang von Seiten
des Botschafters unter anderem Ministerialbeamten, dass es
für mich ein sehr anstrengender Tag gewesen ist. Ich erklärte
freimütig, dass ich in Österreich viel schwierigere Arbeit in
der Koordination durchzuführen habe und dass natürlich ich gerne
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gekommen bin, nachdem sie ja jetzt den richtigen Zeitpunkt für
mich ausgewählt haben.
Interessant war eigentlich nur, dass beim Mittagessen, das die
Kommission den Journalisten gegeben hat, wo ich auch anwesend
war, ich Wellenstein vorher schon aufmerksam gemacht habe, dass
unsere Journalisten sicherlich von ihm Auskunft haben wollen. Es
hat sich dann auch gezeigt, dass bevor ich noch erschienen bin,
sie bereits Wellenstein so drangsaliert haben, dass er dann meinte,
ob ich bereit sein, mit ihm gemeinsam eine improvisierte Presse-
konferenz nach dem Essen zu machen. Ich stimmte natürlich sofort zu
und meinte nur, dass ich ihn ja bereits gewarnt hätte, dass unsere
Journalisten keinesfalls nur zum Essen kommen würden. Bei dieser
Pressekonferenz – worüber ich sehr glücklich war – wurde natür-
lich primär Wellenstein über seine Einstellung gefragt und er hat
für uns sehr wohlwollende Auskunft gegeben. Insbesondere hat er auch
den Zeitplan genau terminiert und mitgeteilt. Hätte ich am nächsten
Tag dies gemacht, dann hätten natürlich unsere Journalisten gesagt,
dass Staribacher ein Optimist ist, er dazu kaum eine Chance hätte
so zu reden. Jetzt aber, da Wellenstein dies gesagt hat, habe ich
meine Auffassung von ihm bestätigt, den Journalisten mitteilen
können. Eine einzige verfängliche Frage hat Graber gestellt, ob
ich der Auffassung bin, dass unsere Wünsche. die ich jetzt neuerdings
vorgebracht habe, im Vertrag ihren Niederschlag haben werden. Ich
selbst erklärt wortwörtlich: Ich hoffe. Darauf meint Graber, er
fragt mich nicht, ob ich hoffe, sondern ob ich annehme, dass es
einen Niederschlag findet, worauf ich erwiderte, ein wenig glaube ich
schon. Ich habe also klar und deutlich nicht versucht, den Eindruck
zu erwecken, dass durch meine Intervention jetzt der Vertrag sich
wesentlich zu Österreichs Gunsten verändert hat, habe aber doch nicht
verabsäumt, auf die Bedeutung dieser Intervention unter vielen
vorangegangen des Bundespräsidenten, des Kanzlers und aller Fachmini-
ster hinzuweisen. Wie das Echo sein wird, kann ich natürlich nicht
beurteilen.