Mittwoch, der 23. Februar 1972

09-0252

Mittwoch, 23. Feber 1972

In Feichtenbach hielten die Wiener Ortsgruppenobmänner der Metall-
arbeiter und die Spitzenfunktionäre dieser Organisation einen Schu-
lungskurs ab. Der Vorsitzender der Wiener Metallarbeiter ist der
Vizepräsident der Wiener Arbeiterkammer, Adolf Czettel, Ich be-
richtete ihm über die berechtigte Verstimmung von Hrdlitschka und
wollte damit aber gleichzeitig vorbauen, damit nicht wegen der In-
stituts für Gesellschaftspolitik ein unüberlegter Beschluss zustan-
dekommt. Czettel berichtete mir, dass es im Vorstand, aber ganz beson-
ders im Präsidium jetzt öfters vorkommt, dass Hrdlitschka, ohne
dass er vorher mit der Fraktion darüber gesprochen hat, Ansichten
vertritt, die auch von ihm nicht gedeckt werden. Czettel ist der
Vertrauensmann von Benya. Benya sagte mir allerdings dann auf einem
Empfang nach meiner Rückkehr von Klagenfurt, Lachs hatte mich
schon vorher gewarnt und informiert, dass das Verhalten von Weihs
vollkommen unerklärlich für ihn sei. Im März käme die Bahntarifer-
höhung und Benya lehnt deshalb eine Zuckerpreiserhöhung zu diesem
Zeitpunkt ganz entschieden ab. Weihs dürfte mit niemandem über
diesen Alleingang beim Pressegespräch mit der Journalisten vorher
gesprochen haben. Benya und auch Czettel sind allerdings der Mei-
nung, dass die sture Haltung von Hrdlitschka auf die Dauer wird
nicht von Erfolg sein und auch nicht aufrechterhalten werden kann.
Hrdlitschka dürfte Benya erklärte haben, dass ein Unternehmer,
welches Dividenden Ausschüttet oder die Aufsichtsratsvergütungen er-
höht, wie es z.B. die Zuckerfabriken getan haben, keine Preiser-
höhungen verlangen könnten. Demgegenüber steht Benya auf dem Stand-
punkt, dass dies kein Kriterium sein kann, um wirklich Preiser-
höhungen abzulehnen. Wenn Kostenerhöhungen vorliegen, dann muss
man eine Preiserhöhung durchführen und er ist deshalb der Meinung,
dass auch insbesondere bei Bier eine solche kommen wird. Eine
Lehre für mich aus diesen beiden Gesprächen: Man muss unbedingt
mit dem Gewerkschaftsbund und der Arbeiterkammer im einzelnen seine
Taktik absprechen und vor allem zuerst einmal Lachs und Zöllner
eingehend informieren und versuchen auf eine gemeinsame Linie zu
bringen, dann kann man damit rechnen, dass der Funktionär in diesen
Institutionen auch entsprechend informiert wird und wenn dort noch
Widerstände sind, im Einzelgespräch versuchen, diese zu beseitigen.



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In der Abschöpfungsfrage hat mir Hauffe vorgeschlagen, dass ich
mit den offenen landwirtschaftl. Nachfolgeprodukten wie Teigwaren,
Cornflakes und andere noch in der Regierung einen diesbezüglichen
Beschluss herbeiführen sollte. Dies wäre genau der verkehrte Weg.
In einer Regierung könnte ich wahrscheinlich sofort oder zumindestens
einen positiven Beschluss herbeiführen, doch hätte ich dann die ent-
sprechende Verstimmung bei den Interessensvertretungen. Ich werde
deshalb Zöllner und Lachs sowie Vertreter der Landwirtschafts-
kammer und der Handelskammer zu mir bitten, um eine endgültige Berei-
nigung der offenen Probleme herbeizuführen.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte eine diesbezügliche Einladung durch-
führen.

Die Besichtigung vom Werk Stuppach der Neusiedler AG hat mich einen
verheerenden Eindruck gemacht. Turnauer selbst meinte, hier seien
80 Mill. S investiert worden und es dürfte dadurch nicht ein solch
schlechter Betriebszustand existieren. Der BRO erzählte uns, dass
jahrelang ein Direktor in Stuppach wirkte, der vollkommen scheinbar
unfähig gewesen ist. Er hätte dann Turnauer ein einziges Mal ge-
troffen und ihm erklärt, dass er einen Mann wüsste, der als Direktor
sehr gut in Stuppach wirken sollte oder könnte. Turnauer hat den
Mann sofort nach Stuppach geschickt. Wenn der Betrieb jetzt auch
stillgelegt wird, hat Turnauer die Absicht, eine Kombination zwischen
Chemie und Papier doch noch in einigen Jahren in Stuppach zu versuchen.
Diese strengstvertrauliche Mitteilung hat er mir gemacht und hingewie-
sen, dass der jetzige neue Direktor mit einem Chemiemann, den er
scheinbar von Stolllack her noch kennt, dazu ausersehen ist, ein
neues technisches Verfahren zu entwickeln. In Laborversuchen soll
es bereits funktionieren. Wenn nämlich ein solches neues Produkt
auf den Markt kommt, kann man auch damit rechnen, dass man in einer
kleineren Einheit wie Stuppach nur produzieren kann, doch nicht nur
kostendeckend sondern sogar gewinnbringende Produktion aufnehmen
kann. Bis die anderen Fabriken dieses technische Know-how haben und
insbesondere dann in grosser Masse erzeugen, sind so viele Jahre ver-
gangen, wo man mit kleinen Einheiten, wie Stuppach leider eine darstellt,
konkurrenzfähig aber gewinnbringend arbeiten kann. Da ich noch einige
Zeit hatte und wusste, dass Schlöglmühl ebenfalls gefährdet ist, ver-
einbarte ich mit Turnauer, wir sollten uns doch auch noch diesen


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Betrieb anschauen. Bernegger, der Generaldirektor von Neusiedler
meinte, dass in Schlöglmühl ihr bester Betriebsdirektor sitzt.
Dieser Betrieb war seinerzeit ein ärarischer, d.h. in der Kaiser-
zeit hat er zur Wiener Zeitung gehört und hat Spezialdruckpapier für
Aktien und so weiter hergestellt. Zwischen Stuppach und Schlöglmühl
besteht wirklich ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Trotzdem
hat der Betrieb auch ein 9 Mill.-Defizit. Mit Zentralregien ist er mit
6 Mill. belastet. Der Direktor meinte nun beim Rundgang und insbeson-
dere bei einer Besprechung, die anschliessend stattfand, er möchte ger-
ne wissen, wieso die Zentralverwaltung nicht imstande ist, das
Papier einigermassen preiswert zu verkaufen. Er hätte angenommen,
dass in der Schweiz, wo er sich scheinbar gut auskennt, doch eine
Chance bestehen müsste. Turnauer ging sofort auf diesen Vorschlag
ein und meinte, er sollte halt mit einem Verkaufsmann in die
Schweiz fahren und versuchen, so wie er dies jetzt in der Umgebung von
Schlöglmühl gemacht hat, Papiersorten preiswert an Einzelabnehmer ab-
zugeben. Derzeit kaufen maximal 12 Grosshändler und Fabriken Waldheim
und Elbemühl die Produkte von Schlöglmühl. Turnauer ging dann über-
haupt schön langsam aus seiner Reserve heraus, er kannte die anwesen-
den Betriebsräte, die ich aufgefordert hatte, mitzugehen, nicht und
befürchtete, dass Leute dort wären, die vielleicht seine Ideen
weitertragen, als ihm die Betriebsräte versicherten, dass sie
grössten Wert darauf legten, unter allen Umständen den Betrieb zu
erhalten, was er auch sofort anerkannte, schlug er vor, dass Schlögl-
mühl aus dem Einkaufs- und Verkaufsapparat der Zentrale am Schotten-
ring herausgelöst wird und als eigenes Unternehmen, d.h. als Betrieb
mit Unterstützung von ihm mit einigen tüchtigen Leuten selbständig
wirtschaften sollte. Er hat dieses Prinzip auch in Hirschwang so weit
getrieben, dass er sogar jetzt eine eigene Gesellschaft dort gegründet
hat. Turnauer erzählt mir, dass er bei Stolllack bereits solche Versuche
gestartet hat, nämlich dass Die Betriebsleitungen ebenfalls als
selbständige Organisationen d.h. z.B. einen eigenen Verkauf aufziehen
konnte, wenn sie dadurch bessere Erlöse erzielt haben. Seine Ab-
sicht ist eben, den Wasserkopf am Schottenring, d.h. die Zentral-
verwaltung auszuschalten oder womöglich sogar stillzulegen, zuminde-
stens aber wesentlich zu verkleinern. Turnauer war ein einziges Mal
ganz kurz in Schlöglmühl und kennt daher den Betrieb nicht. Zum Neu-
siedler Aktienpaket ist er überhaupt durch einen reinen Zufall gekommen
er hat als Stolllack-Besitzer grössere Geldmittel freigehabt und wollte


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über seinen Anwalt Aktien von irgendeinem Unternehmer er-
werben, welches er jederzeit dann wieder verkaufen konnte, um ge-
gebenenfalls, Mittel die er für Stolllack brauchen würde, dann zu
haben. Mit 20 % fing es an und er musste sich schön langsam dann
mit den anderen Grossaktionäre arrangieren, d.h. deren Aktien über-
nehmen, weil die nicht bereit wären, Mitteln in die Neusiedler hinein-
zustopfen, resp. nur solang an ihren Aktien interessiert waren, als
die Papierindustrie gute Gewinne abwarf. Wenn das Experiment Schlögl-
mühl, an dem ich eigentlich jetzt wesentlich beteiligt war, funktio-
nieren sollte, glaube ich könnte man auch versuchen, für andere
Neusiedler Betriebe, die gesperrt werden müssten, solche Konstruk-
tionen zu schaffen. Gen.Direktor Bernegger meinte, dass das Ver-
heerende sei, dass die Papierindustrie bereits mit der Gewerk-
schaft eine fixe Lohnwertklausel vereinbart hätte und deshalb z.B.
im März wieder eine 7 %-ige Lohnerhöhung fällig wird. Er hoffte –
ich habe ihm allerdings gesagt, so etwas ist vollkommen unmöglich –
dass die Gewerkschaft jetzt Lohnerhöhungen im Neusiedler Bereich
verzichtet. Hier zeigte sich meine berechtigte Aversion aber
gegen die seinerzeitigen Abschlüsse der öffentlich Bediensteten
die dann von Hrdlitschka für die Chemiearbeiter, Papierindustrie
übernommen wurde, wo auf Grund der Lebenshaltungskostensteigerung
zuzüglich einer 2 %-igen weiteren Erhöhung die Löhne automatisch
für einige Jahre jetzt geregelt werden. Ob man in eine Papier-
krise kommt, dann ist diese Lohnregelung verheerend und wenn man
in eine Papierkonjunktur hineinkommt, ist sie vom Interesse der
Belegschaft auch wieder vollkommen inakzeptabel. Wir sollten wirk-
lich alles daran setzen, um in der Lohnpolitik beweglich zu sein
und uns nicht durch Verträge die auf Lebenshaltungskostenindex aufge-
baut sind, binden. Dadurch kann man keine antizyklische Lohnpolitik
betreiben und kommt damit eigentlich in ein wirtschaftspolitisches
Fahrwasser, das auch für die Gewerkschaften in Wirklichkeit gar nicht
vom gewerkschaftspolitischen Standpunkt auf zielführend sein kann.
Früher oder später endet dies wirtschaftspolitisch glaube ich in
einem Debakel und gewerkschaftspolitisch führt es dazu, dass die
Mitglieder sagen, wozu brauche ich noch eine Organisation, meine
Lohnbewegungen sind sowieso schon automatisch festgelegt.



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Die beiden Österreich-Gespräche, die ich in der Steiermark
abführte, haben mir wieder bestätigt, dass es ganz sinnlos ist,
auf dieser Basis zu hoffen, mit Gegnern oder Neutralen bekannt
zu werden. Ich glaube, und die örtlichen Mandatare bestätigten
es mir, dass kaum irgendwelche andersgläubige bei diesen Versamm-
lungen anwesend sind. Hier müsste man neue Formen versuchen zu
finden. Ich habe schon einigemale angeregt, man sollte doch
örtliche Funktionäre und insbesondere Parteisekretäre fragen,
ob sie nicht bessere Ideen haben als nur diese Österreich-Gespräche
immer wieder zu kopieren und zu wiederholen.

ANMERKUNG FÜR KOPPE: Versuche vielleicht in NÖ und Wien einige Än-
derung dieser Praxis herbeizuführen. Es müsste doch einige vife Be-
zirkssekretäre geben, die andere Ideen haben und die örtlichen Ver-
hältnisse gut kennen.



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