Donnerstag, der 13. Jänner 1972

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Donnerstag, 13. Jänner 1972

Der Botschafter von Somalia, Mohamed Ahmed, nützte den Neujahrs-
empfang, um auch bei mir vorzusprechen. Da er in Bonn akkredi-
tiert ist, hat er sicherlich sonst kaum Gelegenheit in Wien tätig
zu werden, und nach Wien zu kommen. Bei dieser Gelegenheit konnte
ich feststellen, dass Fälbl, der referatsmässig dafür zuständig
ist, Unterlagen auch nur von der Handelskammer besitzt. Die Unter-
lagen haben das Niveau eines Geographie-Lehrbuches. Immerhin aber
ist es zumindestens ein Hinweis auf die wichtigsten Export- und
Importgüter und vor allem auf die Staatsform und ein paar charakteri-
stische Angaben. Da die Bundeskammer dies von allen afrikanischen,
asiatischen, vorderer Orient und sonstigen Staaten, mit denen
Österreich Wirtschaftsbeziehungen hat, herausgibt, so ist dies
immerhin ein Hinweis für mich, dass sie zum Unterschied zu uns
im Haus tätigen Beamten doch wenigstens teilweise aktiver ist als wir.
Ich glaube, es wäre nicht sehr zielführend, wenn wir jetzt eine
solche Arbeit machen würden, denn es wäre damit zweigeleisig und
überflüssig. Es zeigten aber, dass selbst auf dem Gebiet, wo das
Handelsministerium eigentlich wirklich das dominierende und allein
kompetenzmässig zuständige Ministerium auch hier unsere Beamten
sich niemals den Kopf zerbrochen haben, ob es nicht ihre Aufgabe
wäre, solches Material zu erarbeiten und zu besitzen.

Gen.Dir. Haslinger von der Fa. Reichert, der jetzt – wie er mir
mitteilte – bereits in Pension ist, hat die letzte China-Reise der
Industriellen-Delegation mitgemacht. Da er in Pension ist, hat
er jetzt mehr Zeit und war sehr glücklich, dass er mir davon berich-
ten konnte. Er bestätigte mir, dass es zielführend wäre, wenn wir
jetzt einen offiziellen Handelsvertrag mit der VR China schliessen
würden. Auch hier ist mir aufgefallen, dass die Handelskammer einen
solchen Vertragsentwurf dem Handelsministerium vorgelegt hat. In
diesem Fall gibt es vielleicht noch die Erklärung, dass die Handels-
kammer bis jetzt auf ihrer Ebene mit der VR China entsprechende
Beziehungen gehabt hat und deshalb vielleicht aus diesem Grund
allein schon die Berechtigung und Verpflichtung ableitet, einen
entsprechenden Vertragsentwurf auszuarbeiten und vorzulegen. Vom
politischen Standpunkt bin ich sehr froh, dass die Handelskammer


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in diesen Fällen aktiv wird, denn damit trägt sie mehr oder
minder auch die Mitverantwortung, wenn wirklich irgendwo
etwas schief gehen sollte. Vom ressortmässigen Standpunkt aller-
dings verstehe ich nicht, dass unsere Beamten seit Jahrzehnten
sich dies gefallen lassen. Ein energischer Sektionsleiter hätte
keinesfalls in den vergangenen Jahren – dies geht sicherlich
schon auf eine sehr lange Zeit zurück – akzeptiert, dass die
Handelskammer hierin Wirklichkeit der aktivere Teil auch in
der Aussenhandelspolitik ist. Selbst wenn auch unser Ministerium
ein administratives Ministerium ist und nicht die tatsächlichen
Aussenhandelsgeschäfte macht, so wäre es doch möglich gewesen,
wesentlich grösseren Einfluss in der Erstellung vor allem Ini-
tiative bei der Anknüpfung von entsprechenden Verträgen zu ent-
wickeln. Ich werde diesen Zustand nicht mehr ändern, denn das
würde bedeuten, dass ich dann wahrscheinlich in Frontstellung gegen
die Handelskammer käme und gleichzeitig aber auch die Mitwirkung
dieser Institution in wichtigen Fragen verlieren könnte. Solange
die Handelskammer in der Richtung die Politik macht, die ich
decke und von der ich überzeugt bin, dass sie richtig ist,
glaube ich brauche ich von dem jetzigen Verfahren und dem jetzigen
System nicht abzugehen. Dort allerdings, wo die Handelskammer
eine gegenteilige Politik machen will, werden wir uns stärker
auf die Füsse stellen müssen. Ein Beispiel dafür ist die Aner-
kennung von Rumänien, Bulgarien und anderen europäischen Staaten
als Entwicklungsländer, damit sie in den Genuss der 30 %-igen Zoll-
senkung kommen können. Die UNCTAD hat eine diesbezügliche Verein-
barung für die afrikanischen und asiatischen Entwicklungsländer
angestrebt und Österreich hat sich entschlossen, es diesen Staaten
zu geben. Die Handelskammer möchte nun insbesondere z.B. gegen
Rumänien schärfstens protestieren, dass auch dieser Staat die
30 %-ige Zollsenkung bekommen soll. Ich habe Fälbl mitgeteilt,
dass ich an unserer bisherigen Stellungnahme zur Genehmigung für
Rumänien nichts ändern wird.

Min.Rat Schmid, der vom Ministerium in den Aufsichtsrat der
Austroplan entsendet wurde, wollte mit mir reden, um über seinen
Nachfolger Zustimmungen von mir zu erhalten. Da ich nicht beab-
sichtigte, eine entsprechende Entscheidung zu treffen, habe ich
auch Schmid sofort an den Sekt.Chef Schipper, unseren Präsidialisten
verwiesen.



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Sekt.Chef Schipper, der auch in einer Besprechung mitgeteilt hat,
dass er auf dem Standpunkt steht, man sollte doch dem Wunsch Reiterers,
dass dieser in die Austroplan entsendet wird, nachkommen. Nach Mitteilung
von Reiterer ist diese Funktion mit keinerlei finanziellen Entschädi-
gungen verbunden. Schipper zumindestens hat es mir gegenüber ebenfalls
behauptet. Ich glaube allerdings nicht, dass er es auch tatsächlich ge-
prüft hat und kann mir vorstellen, dass zwar vielleicht keine Aufsichtsrats-
vergütung bezahlt wird, dafür aber sicherlich ein Sitzungsgeld. Um
Reiterer aber nicht weiterhin zu verärgern, habe ich dem Vorschlag
Schippers vorbehaltlos zugestimmt. Reiterer hat ja vor etlichen Mona-
ten auf kurzem Wege, sonst findet er kaum Möglichkeiten und Zeit, mit
mir über Sachprobleme zu diskutieren, mich ersucht, ob ich etwas da-
gegen hätte, wenn er sich um diese Stelle bewirbt. Ich habe ihm damals
sofort gesagt, dass ich dies nur über Antrag des Präsidialchefs machen
würde. Bei dieser Aussprache teilte mir auch Schipper mit, dass er
für Mock einen jungen Juristen aufnehmen würde. Da wir im Ministerium
keinen Dienstposten mehr frei haben, müsste oder könnte er über eine
Berghauptmannschaft einen Mann aufnehmen, um dann den ins Ministerium
zu delegieren. Mock kommt mit seiner Arbeit, dem Berggesetz, deshalb
nicht weiter, weil er doch immer wieder die gesamten sonstigen juri-
stischen und rechtlichen Arbeiten der OB erledigen muss. Nach Mitteilung
von Schipper sind dort oben eine ganze Anzahl von ausgesprochenen
Nieten, in Wirklichkeit meint er, gäbe es nur drei Leute, die wirk-
lich arbeiten und tüchtig sind, das ist Mock, Sterk und Pelzl. Schipper
selbst hat glaube ich mehr oder minder angedeutet, dass wir, wenn das
grosse Kompetenzgesetz kommen würde, dann die OB in eine Energiesektion
eingliedern sollten. Vielleicht hat Schipper damit die Absicht ver-
bunden, bei dieser Gelegenheit Gasser, den 9-Posten der Energiesektion
zuzuschanzen.

Anmerkung für Heindl: Wir müssen jetzt entsprechende Vorkehrungen treffen,
damit hier nicht falsche Hoffnungen im Hause auf die Leitung dieser Sekti-
on entstehen.

In der Parteivorstandssitzung, wo ich nur kurze Zeit anwesend sein konnte
weil ich zur Lebensmittelarbeiter-Vorstandssitzung, die ich präsidierte,
gehen musste, konnte ich doch den grossen Unterschied feststellen, wenn
ein führender Genosse gratuliert, der jahrzehntelang in der Partei
verankert ist und damit alle Geburtstagskinder jahrzehntelang schon
kennt. Kreisky hat sowohl Hella Hanzlik als auch Ludwig Kostroun


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bereits in der Jugendzeit gekannt und er konnte deshalb den beiden
einen wirklich herzlichen Gratulationsgruss überreichen. Ich bin
jetzt noch froh, dass trotz der vielen Fehler und sicherlich auch
schwachen Seiten, die Kreisky hat und die ich mir vollkommen klar war,
er zum Parteiobmann bestellt wurde und nicht Czettel Hans, der gerade
bei dieser Gratulation neben ihm sass. Hätte damals die Gruppe, die
rein emotionell nur gegen Kreisky eingestellt war, gesiegt und wäre Czet-
tel Hans
Obmann der soz. Partei geworden, dann hätte wahrscheinlich die
Partei eine wesentlich andere Entwicklung genommen. Ich glaube aber mit
ruhigem Gewissen sagen zu können, nicht zu ihren Gunsten. Natürlich
konnte damals niemand ahnen, dass Kreisky sich auf eine solche Hoch-
form entwickeln wird und wahrscheinlich hätte Czettel sich auch anders
entwickelt als jetzt als LH-Stv. von NÖ, von dem man kaum etwas hört.
Czettel Hans hat sich damals fabelhaft benommen, indem er erklärt hat,
er würde nicht gerne gegen Kreisky kandidieren und hätte damals Czettel
ohne Rücksicht auf Verluste diesen Posten angestrebt, weiss ich nicht,
ob sich nicht wirklich eine Mehrheit dann dafür gefunden hätte. Die
Partei hätte sicherlich ein anderes Gesicht und ich glaube kaum, dass
wir diese Erfolge hätten verzeichnen können. Hoffentlich wird auch
in Zukunft der Partei vorbehalten bleiben, dass nicht ein Verlegenheits-
kandidat gewählt wird. Aufgabe eines guten Obmannes muss es doch sein,
und ich bin überzeugt davon, Kreisky wird dies zeitgerecht machen,
einen wirklich starken Nachfolger aufzubauen. Wohin sonst eine Partei
geführt wird, zeigen glaube ich am besten bei uns einige Landesorganisa-
tionen. Dort kommt es vor, dass man sich auf den starken Mann nicht eini-
gen kann oder einigen will und dann wird ein schwacher Kompromisskandidat
gewählt.

Bei der Vorstandssitzung in der LUGA konnte ich wieder feststellen,
dass obwohl wir schöne Abschlüsse auf dem Lohnsektor tätigen, doch
das Preisproblem nach wie vor im Vordergrund in unseren Betrieben
steht. Insbesondere glaube ich, müssen wir jetzt schön langsam daran
denken, in der Gewerkschaftsbewegung eine einheitliche Linie herauszu-
arbeiten. Ich halte es und ich wurde diesbezüglich mit Recht kriti-
siert, für vollkommen unmöglich, dass die Arbeiterkammer noch immer
auf dem Standpunkt steht, eine Zuckerpreiserhöhung kommt nicht in
Frage, denn die Bilanzen der Zuckerfabriken seien so günstig wie
noch nie und gleichzeitig erklärt Weihs, dass nach der Lohnbewegung der
Zuckerarbeiter er den Zuckerpreis dann erhöhen wird. Da die Zucker-


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industrie bereits zwei Lohnbewegungen ohne eine Zuckerpreiserhöhung
verkraften musste, ist jedem klar, dass die nächste Lohnbe-
wegung auf alle Fälle dazu führen wird, dass eine Zuckerpreiser-
höhung durchgeführt wird werden. Ich bin neugierig, was dann die
Arbeiterkammer machen wird, wenn Weihs eine solche Genehmigung
aussprechen wird. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass Weihs hier
mit der Arbeiterkammer und insbesondere natürlich mit dem ÖGB
zumindestens mit Zöllner und Lachs zu wenig kooperiert. Sicher wird
er in dem einen oder anderen Fall bevor er die endgültige Entschei-
dung trifft, mit Benya sprechen. Meiner Meinung nach aber müsste er
viel mehr Kontakt mit den Beamten dieser Institutionen halten,
denn er wird sonst immer wieder erleben, dass natürlich mehr oder
minder dann in der letzten Phase die Zustimmung von Präsidenten be-
kommt aber in der Öffentlichkeit in der Polemik wird er vorher
mit den Stellungnahmen des ÖGB und der AK immer wieder konfron-
tiert und gepeitscht werden. Wenn er nicht die Zeit oder selbst
auch nicht die Lust hat, mit unseren Kollegen enger zu kooperieren,
dann würde ich an seiner Stelle Pleschiutschnig dafür ermächtigen
und ihn ersuchen, dass er seine Politik diesen Leuten erklären kann.
Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass Weihs gelegentlich, wie z.
B. beim Getreidepreis überraschend Zusagen und Entscheidungen trifft,
ohne selbst mit dem dafür zuständigen oder kompetenten Innen-
minister zu sprechen. Noch ist das Klima in der Bundesregierung so
gut, dass sich Häuser und Rösch nur innerlich und im kleinsten Kreis
darüber aufregen. Wenn es allerdings zu einigen solchen Entscheidungen
kommt, dann fürchte ich, wird Weihs in Hinkunft einen stärkeren
Widerstand bei diesen Genossen bei seinen Aktionen antreffen.
Ich komme nämlich immer mehr drauf, dass es gar nicht so sehr darauf
ankommt dass man materiell nicht eine Meinung durchsetzt, sondern
dass es vielmehr darauf ankommt, die davon Betroffenen und wenn es
geht womöglich auf die davon nicht Betroffenen zeitgerecht davon zu
verständigen und für diese Politik zu gewinnen. Wenn dies nämlich
nicht der Fall ist, kann es passieren, dass der Betreffende schon
irgendwo irgendwelche Äusserungen in gegenteiliger Richtung gemacht
hat und dann da natürlich nicht mehr kann oder will auf die neue Linie
umschwenken. Das Endergebnis muss dann sein, dass hier eine ent-
sprechende Misstimmung zurückbleibt, wenn nicht sogar ein Wider-
stand gegen die neue Richtung oder gegen die dann veröffentlichte Er-


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klärung. Wenn man die Emotionen und dies gilt auch für mich,
vollkommen ausschalten könnte, würde sich die Politik wesentlich
leichter machen lassen und viel zielführender sein.

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Tagesprogramm, 13.1.1972




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    Tätigkeit: Wr. SPÖ-BR-Abg. bis 1973


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        Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
        GND ID: 119083906


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            Tätigkeit: OB


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              Tätigkeit: Innenminister bis 1977, danach Verteidigungsminister


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                Tätigkeit: AK


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                  GND ID: 128199814


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                    Tätigkeit: nö. LH-Stv., SPÖ


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                      Tätigkeit: Sektionschef HM, Diplomat, Verteter bei der EG


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                        Tätigkeit: somal. Botschafter


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: MR HM, Leiter OB


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                            Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
                            GND ID: 102318379X


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                              Tätigkeit: Kabinett Staribacher


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                                Tätigkeit: Beamter HM


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                                  Tätigkeit: MR HM


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                                    Tätigkeit: GD Fa. Reichert [Identifikation nicht ganz sicher; 1972 bereits pensioniert; spricht mit JS über Chinahandel]


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                                      Tätigkeit: MR HM, AR Austroplan [Vorname lt. Tagesprogramm vom 13.1.1972, vmtl. derselbe, von dem schon am 24.11.1971 die Rede war, dort ohne Vornamen]


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                                        Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
                                        GND ID: 130620351


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                                          Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


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                                            Tätigkeit: Bundeskanzler
                                            GND ID: 118566512


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