Dienstag, 7. Dezember 1971
Androsch teilte mir mit, dass er ausserstande ist, eine Gesell-
schaft zu gründen, um für Aichfeld-Murboden die von mir zur
Verfügung gestellten Mittel in der Höhe von max. 12 Mio. S zu
übernehmen. Er möchte unbedingt die Gemeinden, aber vor allem das
Land Steiermark in dieser Gesellschaft verankern. Seiner Ansicht
nach kommt es weniger darauf an, von diesen dann budgetäre Zu-
schüsse zu bekommen, als überhaupt die Mitwirkung des Landes
Steiermark und der Gemeiden sichern. Wenn es nicht um budgetäre
Mittel geht, verstehe ich nicht, warum er unbedingt darauf drängt,
dass das Land und die Gemeinden mitwirken. Auf alle Fälle habe
ich recht gehabt, dass das Finanzministerium doch nicht imstande
ist, so schnell eine Gesellschaft auf die Beine zu stellen.
Vranitzky erzählte mit, dass Buchauer wie ein aufgescheuchtes
Hendel herumläuft und den Kopf hängen lässt, weil es nicht zur
Gründung der Gesellschaft bekommen ist. Androsch meinte dann,
er hätte jetzt gehört, dass Veselsky herumerzählt, er sei schuld
daran, dass jetzt bei Aichfeld-Murboden nichts weiter geht. Sicher-
lich hätte die Planungsabteilung im BKA wesentlich früher alle
Schritte einleiten müssen, um zu einer Gesellschaftsgründung zu
kommen. Ich vereinbarte mit Androsch, dass wir die Budgetmittel,
die uns für die Industrieförderung zur Verfügung stehen, vorüber-
gehend der Bürges zuleiten. Im nächsten Jahr kann dann der BÜRGES
ein geringerer Zuschuss gegeben wird, sodass für die Industrie-
förderung dann mehr Mittel zur Verfügung stehen werden. Sollte ich
im Parlament angeschossen werden, was mit den 20 Mill. Industrie-
förderung geschehen ist, so kann ich darauf hinweisen,
dass erstens die Patentverwertungsgesellschaft im nächsten Jahr
errichtet wird, die ja heuer bereits hätte sollen aktiviert werden
aber durch Geldmangel der Handelskammer und Industriellenvereinigung
nicht zustande kam, dass zweitens die Industriegebiete Fulpmes
für die Genossenschaft und Aichfeld-Murboden unterstützt werden
sollen und drittens, dass die Wifis und BfI einen entsprechenden
Zuschuss bekamen, um industriepolitische Umschulungen durchzuführen.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte veranlasse, dass die Budgetabteilung
die unverzüglich durchführt.
Im Ministerrat hat Androsch seinen Genehmigungserlass für Ausgaben
bis Jahresende 1971 im mündlichen Vortrag beschliessen lassen.
Bei der Vorbesprechung hatte er davon geredet, dass insbesondere
Anschaffungen in Höhe bis über 5.000 S zum Jahresende gemacht werden
die oft nicht einmal die Ressortchefs wahrscheinlich wünschten. Es
handle sich z.B. um elektrische Schreibmaschinen und sonstige Ausgaben,
die ganz sinnlos sind. Jetzt sprach er von Anschaffungen, Leistungs-
aufträgen, Zuschussgewährungen und ähnlichem die nicht auf gesetz-
licher oder vertraglicher Verpflichtung beruhen. Damit hat er alle
Ausgaben in den Griff bekommen und will angeblich nur eine formelle
Genehmigung aussprechen. Er hat nämlich bei der Vorbesprechung er-
klärt, er wird alle Anträge der Bundesministerien genehmigen. Nach
der Sitzung erklärte ich, dass er gestern doch nr von Ausgaben gespro-
chen hat und jetzt z.B. auch die Bergbauförderung und die Bürges-
Übertragung der Industrieförderungskredite darunterfällt. Er meinte,
er hätte gestern auch gesagt, dass eine Abgrenzung sehr schwer
möglich sei und er würde jedoch auf alle Fälle die Genehmigung aus-
sprechen. Ich frage mich dann, wozu er ein so kompliziertes Ver-
fahren mit Zustimmung dann einführt. Hier glaube ich wird sich
viel Konfliktstoff mit den einzelnen Ressorts ergeben.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Da ich gegenüber Androsch alle Ansätze werde
durchsetzen müssen, bitte sofort veranlassen resp. Genehmigungen so-
fort jetzt in Angriff zu nehmen sind. Ich will nicht, dass dann vor
Weihnachten erst wirklich die Listen zur Genehmigung beim Finanzmini-
ster eingereicht werden.
In der Sektionsleiterbesprechung im Parlament zeigt sich wieder einmal
mehr, wer von den Sektionsleitern initiativ ist und die Leitung der
Sektion wirklich in der Hand hat. Vielleicht aber auch ist das Schwei-
gen der anderen auf eine passivise Resistenz zurückzuführen oder
sie sind wirklich nur auf Weisung empfangen eingestellt, jetzt
handhaben wir dieses System 1 3/4 Jahr und es hat noch immer nicht
die Form, wie wir es wünschen. Sektionschef Römer erörterte das
neue System für die Zollbestätigung der Maschinenkommission und
der Kann-Bestimmungen auf Grund der 7. ZT-Novelle. Zuerst hiess es
hier seien 10.000-e von Akten zu erledigen und die Arbeit werde
immer mehr, dann hiess es, die Reorganisation sei äusserst schwie-
rig und man sei bereit, Kompetenzen an die Handelskammer abzugeben
und Vereinfachungen zu machen. Jetzt heisst es, es würden in Wirklich-
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keit nur ganz unwesentliche Ersparnisse an Arbeitsvorgänge durch die
Zolltarifnovelle und die Umstellung bei uns im Haus Platz greifen.
Man könnte verzweifeln. Wenn es nicht bei der Abgabe der Statistik,
die wir im Hause gemacht haben an das Statistische Zentralamt oder der
Auflassung der Hollerith-Abteilung in der Aussenhandelsstelle, die
letzten Endes dann doch eine entsprechende Verwaltungsreform einleitet
genau dieselbe Taktik festzustellen war.
Die Firma SATEL, Direktor Wolkenstein, und ein Rechtsanwalt wollten
mit einreden, dass die Fremdenverkehrswerbung etliche Millionen für
die Fremdenverkehrsfilme aufwenden sollte. Er selbst hätte mit dem ORF
aber auch mit dem 1. Deutschen Fernsehen bereits Gespräche geführt,
dass sehr günstige Sendezeiten für österr. Werbefilme zur Verfügung
gestellt werden. Angeblich hat er drei halbstündige Sendungen mit
dem Deutschen Fernsehen und kann sogar auf 6 Halbstunden-Sendungen
seine garantierte Sendezeit erweitern. Die Herstellkosten für eine
halbe Stunde Werbefilm würde 400–500.000 S betragen und er würde
die Produktion übernehmen. Er meinte, die ÖFVW hätte früher viele
produzierte Filme nicht senden können, da sie überhaupt nicht von
den Fernsehgesellschaften übernommen wurden. Dies mag stimmen, doch
erklärte ich ihm sofort, dass ich nicht bereit bin, auch nur einen
Schilling in eine Filmwerbung in Hinkunft zu stecken. Abgesehen
davon, dass wir im Budget nicht die notwendigen Mittel bereitstel-
len würden, käme es nur zu Streitereien, welches Land bei einer
Halbstundensendung z.B. durch Mehrminuten stärker gefördert oder pro-
pagiert wird als ein anderes Land. Er könnte hier nur die Länder ver-
suchen zu gewinnen, dass sie entsprechende Fernsehfilme herstellen,
um für ihr Land eine Fernsehwerbung durchzuführen. Diesbezüglich
könnte er auch meine moralische Unterstützung haben. Geld gibt es
keines. Sein zweiter Vorschlag bezog sich darauf, dass er Kassetten-
recorder herstellen will. In diesem Fall meinte auch er, dass wir
zuerst Mittel dafür bereitstellen. Auch dies lehnte ich ganz ent-
schieden ab. Wir könnten nur dafür Sorge tragen, dass so wie wir
Prospekte der einzelnen Länder in unseren Zweigstellen im Ausland
versenden auch solche audiovisuelle Kassetten in den Zweigstellen
bereithalten, damit wenn irgendwelche Wünsche von Seiten der Reise-
büros oder anderer Institutionen an die Zweigestellen herangetragen
werden diese zur Verfügung gestellt werden könnten. Damit die Zweig-
stellen, diese vorführen könnten, könnte man sich vorstellen, dass
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wir, d.h. aus Budget der Fremdenverkehrswerbung solche Fernseh-
geräte mit Kassettenrecordern zu Vorführzwecken anschaffen. Auch
hier hat die Firma höchstens von mir eine moralische aber keine
finanzielle Unterstützung zu erwarten.
Bei einer Betriebsversammlung der KG Wien in der Gewerkschaft der
Lebensmittelarbeiter war der Saal bummvoll, auch die Galerie war
besetzt. Ich sollte nur eine kurze Begrüssungsansprache halten, nützte
aber gleich die Gelegenheit, um die heissen Eisen der Preisbildung
und des Verhaltens der Gewerkschaft der Lebensmittelarbeiter zu die-
sem Problem zu erörtern. Dann erklärte ich, dass ich unbedingt eine
Diskussion wünsche. Das Eis war sofort gebrochen als der erste Dis-
kussionsredner die kurze Frage stellte, was verdienen sie? An-
stelle der Minutenbegrüssung entwickelte sich dann eine lebhafte
stundenlang dauernde Diskussion. Die Preisentwicklung und insbeson-
dere die Erhöhung der Tramway-Tarife und Zigarettenpreise, Strompreis
Eisenbahntarife wurde lebhaftest kritisiert. Dort konnte ich durch
meine verbindliche Art vielleicht die Mehrzahl davon überzeugen,
dass es notwendig ist. Im Parlament diskutierte ich dann mit Gratz
und Fischer dieses Problem. Kreisky hat – so sagten sie mir – sich
vorgenommen, dass wir nicht den Fehler machten sollten, in den
ersten Wochen oder Monaten unserer Tätigkeit unsere Wähler vor den
Kopf zu stossen, Wir glauben und ich bin auch der Meinung, dass
wir dies jetzt durch die konzentrierten Preiserhöhungen in den
letzten Tagen getan haben. Jede Stelle hat versucht, jetzt die
Preiserhöhung so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen,
ob dies die Gemeinde Wien war, die Eisenbahner oder die Tabakregie.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man folgenden taktischen
Weg einschlagen sollen: Zuerst wäre es zielführend gewesen, im Par-
lament die Preisregelung und Preistreibereigesetznovelle zu be-
handeln. Dies hätte die ÖVP abgelehnt und anschliessend daran hätte
man sagen müssen, jetzt kann man die Preisflut nicht mehr so leicht
aufhalten und deshalb müsste auch die öffentliche Hand ihre schon
so lange zurückgestauten Preiswünschen durchsetzen. Ob wir nämlich
den Strompreis vor dieser Debatte oder nach dieser Debatte durchge-
führt hätten, wäre ganz gleich gewesen. Ebenso wäre es für den
Effekt vollkommen gleich gewesen, wenn wir die Bahntarife und vielleicht
auch sogar die Zigarettenpreise zu einem späteren Zeitpunkt erst
bekanntgegeben hätten. So wird die Debatte im Parlament vollkommen
wirkungslos werden, d.h. die ÖVP und die FPÖ werden imstande sein
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uns – die Bundesregierung – als die Preistreiber hinzustellen.
Und die Bevölkerung wird genau denselben Eindruck haben. Androsch
wurde angeblich von seiner Bürokratie mitgeteilt, dass die
Zigarettenpreiserhöhung nur 0,2 % Lebenshaltungskostensteigerung
ausmacht. Meine flüchtige Berechnung hat ergeben, dass mindestens
das Doppelte der Fall sein wird.
Die neuen jungen Leute bewähren sich im Parlament sehr gut. Sowohl
Heinz Fischer, als Charly Blecha als auch Edgar Schranz, die bis
jetzt sprachen, haben sich als Fachleute sofort das Gehör des
Hauses verschaffen können. Kreisky ist mächtig stolz und glaubt,
dass es ausschliesslich auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist,
dass diese jungen Leute ins Parlament gekommen sind. Ich kann
dies nicht beurteilen und möchte es daher auch nicht bezweifeln.
Richtig ist, dass jetzt eine bessere Auslese von Nachwuchs er-
folgt, als dies früher der Fall gewesen ist. Früher haben ausschliess-
lich die Parteimatadore der einzelnen Länder oder besser gesagt
noch der Bezirksorganisationen sich durchgesetzt und sind auch auf
Nationalratslisten gekommen. Vereinzelt wurden dann Nieten gewählt
und haben im Haus nur einen Platz versessen. Wenn man allerdings
auf dem Standpunkt steht, dass das Parlament den Durchschnitt des
österreichischen Volks repräsentieren soll, dann muss man halt auch
solche Typen in Kauf nehmen. Kreisky meinte mir gegenüber, es sei
in der österreichischen Sozialdemokratie und er selbst würde diese
Tradition unbedingt fortsetzen, immer das Bestreben gewesen„ seinen
Nachfolgern entsprechende Chance zu geben, sie aufzubauen und dann
einen besten aus vielen Guten heraus die Chance der Parteiführer-
schaft zu geben. Dies hätte insbesondere Viktor Adler gemacht und
damit eine Kontinuität und eine Aufwärtsentwicklung der Sozialdemo-
kratischen Bartei Österreichs ermöglicht. Sehr zum Unterschied davon
hätte August Bebel in Deutschland sich um seinen Nachfolger über-
haupt nicht gekümmert und das Endergebnis sei der Verfall der Sozial-
demokratischen Partei Deutschlands gewesen. Ich bin viel zu wenig
Parteigeschichtshistoriker – welch ein ungewollter Pleonasmus –
um dies beurteilen zu können. Auf alle Fälle ist der Vorsatz,
sich Nachfolger heranzuziehen und eine entsprechende grosse An-
zahl von Leuten, die tüchtig sind, dafür aufzubauen, sehr löblich.
Kreisky meinte, dadurch mache man sich selbst mit der Zeit
unnötig. Ich bin überzeugt, dass er dies nicht ganz ernst meint,
dass er sich damit unnötig macht, denn auch ich habe eine solche
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Taktik immer an den Tag gelegt und bin daraufgekommen, dass
man dabei nicht unnötig wird, sondern dass man dann nur andere
Funktionen umso leichter übernehmen kann, weil man die Gewiss-
heit hat, dass wenn man die Funktion verlässt, schon ein guter Nach-
folger oder vielleicht sogar zwei zur Verfügung stehen.
Die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer hat nun ein Gut-
achten nachgereicht zur Gewerbeordnung, wo sie die Einbeziehung der
Landwirtschaft in eine Wirtschaftsordnung, die die Gewerbeordnung
ersetzen oll, verlangt. Ich habe deshalb die Gelegenheit benützt,
um mit Präsident Minkowitsch im Hohen Haus ist ja jetzt Zeit
genug, über dieses Problem zu diskutieren. Minkowitsch meinte,
dass die Landwirtschaft nicht mehr auf lange Sicht gesehen als
ein besonderer Zweig der Wirtschaft betrachtet werden soll, sondern
dass er tatsächlich die Absicht hat, die Landwirtschaft in die ge-
samte Wirtschaft so zu integrieren, dass sie eben in der Wirtschafts-
ordnung, die auch die Landwirtschaft umfassen soll, seinen Nieder-
schlag findet. Er hätte dieses Problem, unabhängig von den seinerzei-
tigen Vereinbarungen, die ich mit den landwirtschaftlichen Genossen-
schaften getroffen habe, jetzt zur Sprache gebracht. Die landwirt-
schaftlichen Genossenschaften hätten – da sie ja damals einer
Gewerbeordnungsreform zugestimmt haben – nur ihren unmittelbaren
Gesichtspunkt und Gesichtskreis berücksichtigt. Minkowitsch und
Brandstätter dürften diese Idee gehabt haben – wie er mir versichert
möchte aber jetzt-eine allumfassende Wirtschaftsordnung. Es kommt
ihnen auch nicht darauf an, dass die Organisationszugehörigkeit bei
den Landwirtschaftskammern bleibt sondern er geht ihnen wirklich
um ein weit gestecktes höheres Ziel. Selbst wenn dies zutrifft, so
erklärte ich ihm, besteht derzeit aber keine Möglichkeit, diesen
Schritt zu tun. Die Landwirtschaft ist nach wie vor Landessache
und eine solche Gewerbeordnung besser gesagt Wirtschaftsordnung
müsste auf eine Verfassungsänderung aufbauen. Hier könnte man doch
keineswegs mit einer Verfassungsbestimmung einen solchen wichtigen
Schritt gehen. Minkowitsch meinte, dass wenn es zu einer Regelung
der Agrarmarktordnungen auf längere Sicht kommen sollte, dann würde
ja auch die Verfassungsbestimmung ausreichen, die derzeit in den
Marktordnungsgesetzen besteht, man könnte dann, wenn dies in die
Verfassung eingebaut ist, ja gleichzeitig dann auf diese Ver-
fassungsbestimmung auch die Wirtschaftsordnung, die ihnen vorschwebt
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aufbauen. Hiezu erklärte ich sofort, dass mir dies unmöglich er-
scheint. Ich könnte mit nicht vorstellen, dass man eine gewöhn-
liche Verfassungsbestimmung an die Spitze der Wirtschaftsordnung
stellt und damit dann das gesamte Verfassungsgefüge und die
Aufteilung zwischen Ländern und Bund durchführt. Hier müsste doch
wirklich eine Verfassungsänderung vorausgehen. Da Minkowitsch
nicht ganz überzeugt ist, einigten wir uns, dass wir unsere Fach-
leute, d.h. Sektionschef Jagoda und vom BKA, Verfassungsdienst, und
von der Präsidentenkonferenz einmal Besprechungen über dieses
Problem aufnehmen sollten.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte veranlasse, dass eine diesbezügliche
Sitzung unverzüglich von Jagoda einberufen wird.
Ich habe zwar Minkowitsch von dieser unmöglichen Idee noch nicht
abbringen können, ich hoffe aber, dass es gelingen wird, die ent-
sprechenden verfassungsmässigen Schwierigkeiten seinen Leute vor
Augen zu führen. Dann bin ich überzeugt werden wir wieder die
Zustimmung der Landwirtschaft zu einer vernünftigen Gewerbe-
reform erlangen können. Ganz besonders aber wies ich bei
der Aussprache darauf hin, dass mir es vollkommen unmöglich er-
scheint, die Landeshauptleute, ob es sich um ÖVP oder SPÖ
handelt, für eine solche Verfassungsänderung
die Zustimmung zu erhalten.
Zuerst hatte es den Anschein, als ob die Diskussion über die Budget-
gruppe Oberste Organe, BKA und Inneres bis in die frühen Morgen-
stunden dauern würde. Zuletzt aber, da am nächsten Tag ein Feier-
tag war, bewährte sich das bekannte Rezept, dass die Bundes-
länderabgeordneten nach Hause fahren wollten. Überraschend wurden
deshalb Dutzende Redner glaube ich gestrichen. Zur Barbarafeier
allerdings wäre ich zu spät gekommen.
Leitner verständigte mich am Mittwoch spät abends, dass für nächsten
Mittwoch und Donnerstag die Verhandlungen über der Interimsabkommen
angesetzt sind, er hofft, dass er bis spätestens Ende der Woche
der Text des Kommissionsberichtes bekommen wird. Er erwartet mit
Ende der Woche einberufen zu werden, damit wir am Montag noch
einmal in der interministeriellen resp. in einem kleineren Kreis
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mit den Präsidenten der Handelskammer und Industriellenvereinigung
das Problem Interimsabkommen besprechen können. Ich werde so eine
Besprechung garantiert herbeiführen, habe ihm aber noch nicht end-
gültig zugesagt, sondern ersucht, er soll am Donnerstag noch einmal
anrufen, bis er die Bestätigung des Termines für den Beginn der
Verhandlungen fix hat. In der Zwischenzeit werde ich Sallinger und
Mussil fragen, ob sie eine solche Aussprache noch einmal wollen, was
ich mit Sicherheit annehme und dann ihnen das Zugeständnis machen,
zu diesem Zweck dann Leitner wieder nach Wien zu beordern. Die
Bundeskammer wird sich nämlich sehr schwer tun, das Interimsabkommen
abzulehnen. Andererseits kann ich mir vorstellen und Mussil hat
so etwas angedeutet, dass natürlich der Nebeneffekt einer 30 %-igen
Zollsenkung auf die Einfuhren aus Deutschland eine entsprechende
preisdämpfende Wirkung haben werden. Darüber hinaus ist dies natür-
lich, wenn das Interimsabkommen zustandekommt, ein weiterer Erfolg
der Regierung Kreisky. Wenn sie dagegen sind aber, dann müssten
wir uns wirklich überlegen, ob wir dieses Interimsabkommen anstre-
ben sollten. Geht nämlich das Ganze schief, dann hat die Bundes-
handelskammer die Verantwortung dafür zu tragen. Diese Überlegung hat
nur einen grossen Fehler: Die BHK als Interessensvertretung kann
sich dann immer darauf berufen, dass sie eben die unmittelbaren Indu-
strieinteressen durch die sensiblen Listenprodukte z.B. sehr stark
vernachlässigt weiterhin ausschliesslich verfolgt hat. Wir die
Bundesregierung aber, muss letzten Endes die politische Verantwor-
tung tragen und würde bei einem Scheitern natürlich auf lange Sicht
dafür verantwortlich gemacht werden. Ich muss mich deshalb selbst
als EFTA-Partisan dafür einsetzen und schauen, dass wir zu einem
einstimmigen Beschluss über das EWG-Arrangement gelangen. Da wir
uns ja jetzt durchgesetzt haben und auch in Brüssel man einsieht,
dass nur eine Freihandelszonen-Regelung in Frage kommt und damit
unsere Neutralität nicht gefährdet erscheint, glaube ich dies auch
mit ruhigem Gewissen tun zu können. Da das Interimsabkommen mehr
oder minder auch von der Schweiz akzeptiert wurde, Brugger hat mir
ja telefonisch neuerdings bestätigt, dass sie zwar nicht damit
sehr einverstanden waren, sich aber jetzt damit abgefunden haben,
könnten wir – ohne dass wir unseren Bündnispartner Schweiz ver-
ärgern – diesen Schritt in Brüssel tatsächlich wagen. Die Unternehmer
die auf der Liste der sensiblen Produkte stehen werden, werden
ja dadurch nicht mehr geschädigt, als wenn es zu keinem Interims-
abkommen kommt, weil Präjudiz, welches die Handelskammer für das
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Globalabkommen befürchtet ist nicht gegeben. Auch Brugger hat mir
dies neuerdings bestätigt. Solange sich die Schweiz nicht durch
ein solches Abkommen präjudiziert für die weiteren Verhandlungen
fühlt, solange brauchen auch wir glaube ich auf die einzelnen
Industriegruppen nicht mehr Rücksicht nehmen, als wir dies bei
den Verhandlungen durchsetzen können. Der bisherige offizielle
und jetzt auch schon für die Beamten klar erkennbare Widerstand
der Handelskammer gegen das Interimsabkommen gibt mir politisch
eine gute Möglichkeit. Wenn nämlich dann wieder einmal behauptet
wird, dass ich nach Brüssel hätte fahren müssen, um die Verhandlungen
dort vorwärtszutreiben, kann ich darauf hinweisen, dass die wichtig-
ste Arbeit darin besteht, im Inland, d.h. in Österreich die Koordi-
nierung herbeizuführen und ohne dass ich dann besonders den Wider-
stand der Bundeskammer gegen das Interimsabkommen herausstreiche
werden, werde ich doch darauf hinweisen, dass es notwendig war,
divergierende Meinungen, die von Seiten der Interessens-
vertretungen oder einzelnen Gruppen bestanden hatten, auf eine
Linie zu bringen. Dies ist immerhin in den vergangenen Monaten
mit der Landwirtschaft geglückt und ich hoffe, dass es mir
auch in Hinkunft mit der Handelskammer und der Landwirtschaftskammer
glücken wird.
Tagesprogramm, 7.12.1971
Tagesordnung 6. Ministerratssitzung, 7.12.1971
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SL-Besprechung 7.12.1971