Freitag, 29. Oktober 1971
In der Fraktionssitzung der Gewerkschaft der Lebens- und
Genussmittelarbeiter setzte ich unseren Genossinnen und Genossen
auseinander, dass die Gefahr für diese Regierung nicht vom ÖAAB,
sondern von der KPÖ kommen könnte. Die Arbeiterschaft, die nach
wie vor der Stock unserer Organisation und unserer Wähler sind, könn-
ten durch eine allzu schlechte Regierungspolitik, wo die Stand-
ortbezeichnung rechts nicht sehr glücklich ist, nach links abge-
trieben werden. Die KPÖ hätte dann die grosse Chance, bei den
Betriebsratswahlen und auch bei den kommenden Landtagswahlen
und Gemeindewahlen Stimmenzuwachs zu bekommen. Derzeit ist die
KP für uns keine Gefahr, weil sie erstens aufgespalten ist und
zweitens eine strebende Organisation. Die wirklich Apparatschiki
und fanatischen KP-ler, aber auch die Genossen, die 1934 zur KP
abgewandert sind und bisher diese nicht verlassen haben, sterben
schön langsam aus. Der Jugend hat die KP kaum Chance, Nachwuchs
zu bekommen. Wenn es daher uns gelingt, die Arbeiterschaft zu halten,
dann wird die KP kaum stärker werden. Der Zuwachs der KP um 17.000
Stimmen bei den letzten Wahlen und damit einer Summe von fast
60.000 ist uninteressant. Dies waren Wähler, die bisher immer schon
Kommunisten gewesen sind und nur jetzt wieder, weil sie der
KP eine Chance gegeben haben, diese gewählt haben. 1966 und vor
allem im März 1970 haben sie auch Verzweiflung, dass es doch eine
weggeworfene Stimme wäre, vielleicht kommunistisch gewählt. Richtig
ist, dass wie Charly Blecha errechnet hat, wahrscheinlich die
Hälfte der Verluste die die Sozialistische Partei erlitten hat,
von den KP abgewanderten Simmen herrührt. In Wien hat die KP 5.000
Stimmen dazugewonnen und damit 23.000 erreicht. Wenn sie bei den
nächsten Wahlen wieder 10 % stärker würde, dann hätte sie ein
Grundmandat in Wien und damit automatisch, nachdem die Reststimmen-
mandate billiger werden, ein mindestens zweites, wenn nicht sogar
ein drittes. Dies ist allerdings noch lange hin und die Gefahr, oder
besser gesagt, die Tendenz und den Trend werden wir ja bereits bei
den Betriebsratswahlen sehen. Der ÖAAB will uns links überholen,
da wird er aber innerhalb der ÖVP auf Widerstand stossen. Ein typi-
sches Beispiel ist das Verhältnis zwischen Hubinek und der HK.
Dr. Hubinek die Frauenführerin der ÖVP in Wien, hat mich wegen
der Koksankündigung angeschossen und die Handelskammer musste
auf Intervention des Koppe dann eine Richtigstellung herausgeben.
Koppe hat nämlich angedroht, dass wir jetzt verpflichtet wären,
obwohl ich mich bei der Aussprache mit den Kohlehändlern verpflichtet
habe, keine konkreten Meldungen der Presse zu geben, dass wir
dieses jetzt auf Grund der Angriffe der Frau Dr. Hubinek, die frägt,
wo man den billigen Koks bekommen kann und ob ein billiger Koks
kommt, Einzelheiten bekanntgeben müssen. In diesem Fall hat die
Handelskammer es vorgezogen, ihre eigene Angestellte, Frau Dr. Hubi-
nek ist nämlich bei der Kaufmannschaft beschäftigt, zu desavouieren.
Man muss sich nur vorstellen, wenn so etwas in der SPÖ bei den
Frauen von der Arbeiterkammer oder vom ÖGB zurückrechtgewiesen
werden. Solange die ÖVP in sich diese Probleme abstimmen muss,
solange kann sie als Oppositionspartei gar nicht richtig in Er-
scheinung treten und vor allem kann uns der ÖAAB kaum links über-
holen und dabei noch glaubwürdig sein. Die Stärke unserer Partei
war und ist wahrscheinlich auch in Zukunft, dass wir die Arbeiter
und Angestellten und Kleine-Leute-Politik an die Spitze unserer
Programme stellen und stellen müssen und dass wir dann darüber hinaus
die anderen Wirtschaftsgruppen dieser Politik mehr oder minder an-
passen müssen. Da die breite Masse auch letzten Endes als Konsumenten
angesprochen werden können und vorn uns in den vergangenen Jahr-
zehnten immer angesprochen wurden, haben wir eine glaubwürdige und
in sich beschlossene Politik machen können. Ich glaube, dass wir
daran unbedingt festhalten müssen. Aufgabe von Weihs z.B. auf dem
Sektor der Landwirtschaft oder von mir am Sektor von Handel, Gewerbe
und Industrie kann es nur sein, diese Gruppen zu neutralisieren und
zu befrieden. Der grösste Fehler wäre, wenn wir uns einbilden könnten,
für diese Gruppen eine ausgesprochene Gruppenpolitik machen zu können
oder zu sollen, dies würde man uns erstens einmal selbst in diesen
Gruppen nicht glauben und zweitens würde man unsere Stammwähler und
unsere Kaderorganisation, d.h. die Partei und deren Funktionäre nur
vor den Kopf stossen. Am meisten aber würde der ÖGB und die soz.
Fraktion eine solche Politik nicht verstehen. In der Gesamtvorstands-
sitzung wies ich dann natürlich auf die Überparteilichkeit unserer
Organisation im besonderen hin und bekräftigte, dass wir so wie in
der Koalitionsregierung und in der monochromen ÖVP-Regierung auch jetzt
in der monochromen soz. Regierung natürlich unsere Lohn- und Kollek-
tivvertragspolitik fortsetzen werden. Wir haben und werden niemals
Rücksicht nehmen auf irgendwelche politischen Gesichtspunkte, sei
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es der Bundesregierung oder sei es einer anderen Organisation,
sondern werden uns ausschliesslich nach den Bedürfnissen und den
wirtschaftlichen Gegebenheiten für unsere Kollegen anzusetzen haben.
Während es bei meinem Referat in der Fraktion eine Diskussion ge-
geben hat, wurde von den anderen Fraktionen, die allerdings bei uns
kaum eine Rolle spielen in der Gesamtvorstandssitzung mein
Bericht ohne Diskussion zur Kenntnis genommen.
Voriges Jahr hatte ich keine Zeit und auch keinerlei Lust, am Weltspar-
tag die Banken und Sparkassen zu besuchen. Heuer wurde ich neuer-
dings dazu eingeladen und wollte zuerst nicht, da ich einen Fried-
hofsbesuch vorgesehen hatte. Dann habe ich dieses Volksfest
aber doch mitgemacht. Ich glaube wirklich, dass es sich hier um ein
Volksfest handelt, denn ich hatte wahrlich nicht erwartet, dass
ein solcher Andrang zu verzeichnen sein wird. Psychologisch kann
ich mir das nur so erklären, dass die Bevölkerung, d.h. der Einleger
in diesem Fall ein kleines Geschenk bekommt und die Kinder aber
auch die Erwachsenen sicherlich in mehreren Kreditinstituten Einlagen
tätigen. Sowohl die Länderbank als auch die Postparkasse ersuchten
mich, ich solle eine Einlage tätigen und stellten mir selbstver-
ständlich den Betrag zur Verfügung. In der Länderbank waren ein
2.000 S, die für die Forschungsförderung verwendet werden soll-
ten, in der Postsparkasse waren es 600.- S, ohne Zweckangabe. In beiden
Fällen ersuchte ich und niemand konnte natürlich dagegen Einspruch er-
heben, ich möchte dieses Geld lieber dem Betriebsrat für soziale
Zwecke zur Verfügung stellen und das natürlich akzeptiert werden
musste.
In der Bawag traf ich Broda bei Gen.Dir. Klenner, dieser meinte, er
möge doch für das Preistreibereigesetz nicht nur eine Verlängerung
auf ein Jahr im Ministerrat einbringen sondern doch die Änderungen,
die er letztes Mal vornehmen wollte, diesmal wieder in seine Re-
gierungsvorlage aufnehmen. Ich weiss nicht, ob es zielführend ist,
wenn wir an Stelle einer kurzfristigen Verlängerung der derzeit be-
stehenden Gesetzte vereinzelt versuchen, jetzt entsprechende Ver-
besserungen durchzuführen. Auf der einen Seite erwartet natürlich die
Bevölkerung, nicht zuletzt durch die Ankündigung von Kreisky im Wahl-
kampf bedingt, dass wir ein gutes Preisregelungsgesetz zumindests
dem Nationalrat vorlegen werden. Auf der anderen Seite aber ist
die Preisregelung eine Verfassungsbestimmung und bedeutet, dass
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wir, falls wir nicht im vorparlamentarischen Raum mit der Handels-
kammer koordinierend regeln können, kaum Chancen haben, im Parlament
eine Mehrheit dafür zu kriegen. Die Bundeshandelskammer hat durch
ihren Beschluss gegen unbotmässige Unternehmungen gegebenenfalls
den § 3 a anwenden zu lassen, bei den Verhandlungen ein grosses
Plus, dass sie nämlich erklärt, man hat es ja nicht einmal bei einem
Produkt versucht. Meine diesbezüglichen Recherchen in der Arbei-
terkammer und im ÖGB haben ergeben, dass Tommy Lachs mir erklärte,
er hätte bis jetzt noch niemals die Zustimmung von Benya bekommen,
ein Produkt dem § 3 a zu unterwerfen. Da es sich nach dem Gesetz
aber um ein marktbeherrschendes Unternehmen oder um eine ganze
Branche handelt, ist es wahrscheinlich gar nicht so einfach,
ein rechtlich einwandfreies Produkt zu finden. Lachs wird jetzt
versuchen, Benya für die Autos zu gewinnen. Die Arbeiterkammer hat
überhaupt noch keinerlei Initiative entwickelt, weil sie schein-
bar mit Benya darüber nicht in einen Streit geraten will. Hrdlitsch-
ka erzählte mir, dass Benya sowieso wegen eines Beschlusses des
Beirates, wonach dieser in Hinkunft ohne einen Auftrag
von den Präsidenten über gewisse Probleme Gutachten und Vorschläge
ausarbeiten will, sehr verärgert ist. Benya ist heute mehr denn
je der starke Mann innerhalb der Arbeiterbewegung und deshalb
traut sich und soll auch gar nicht die Arbeiterkammer auch
nur im entferntesten gegen Intentionen von ihm entscheiden.
Seine Intention dürfte nach wie vor, unter allen Umständen die
Einstimmigkeit und die Sozialpartner- und Wirtschaftspartnerschaft
aufrecht zu erhalten. Da die Handelskammer nach wie vor erklärt,
dass sie mit jedem Vorschlag einverstanden ist, solange er auf
der Einstimmigkeit der Sozial- oder Wirtschaftspartner beruht,
werden wir kaum in der Frage der Preisregelung wesentlich weiter
kommen. Ich werde deshalb versuchen, wenn die grosse Kompetenz mir
dazu die Möglichkeit gibt, im vorparlamentarischen Raum mit
der Handelskammer – so wie ich dies im Vorjahr getan habe – zu
einer Lösung zu kommen. Sicher ist andererseits, dass Kreisky
keinesfalls wird erstens solange warten wollen und zweitens
er nicht wird Verständnis dafür aufbringen, dass ich noch immer
mit der Handelskammer hier einvernehmlich vorgehen will. Wenn
er daher auf diesem Standpunkt beharrt, dann ist es vielleicht
besser, wenn jetzt noch die einzelnen Ministerien und die dafür
zuständigen Minister Regierungsvorlagen ausarbeiten, die seinen
Intentionen Rechnung tragen. Ich habe Broda vorgeschlagen, dass
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wir in der nächsten Vorbesprechung zum Ministerrat dieses
Problem eingehend erörtern sollen. Dort müsste sich ja Kreisky
eingehend entweder für die weiteren Koordinationsversuche meiner-
seits mit der Bundeshandelskammer oder für das Einbringen der
Preisgesetze durch die dafür zuständigen Ministerien, die nicht
nur eine Verlängerung sondern in dem Fall auch eine wesentliche
materielle Änderung versehen, entscheiden.
In der Zentralsparkasse war eine Druckerpresse ausgestellt und
ich konnte natürlich nicht die Gelegenheit vorübergehen lassen,
um meinen jetzt 30 Jahre nicht mehr ausgeübten Beruf zu frönen.
Ich glaube, niemand von den Anwesenden hat angenommen, dass ich
wirklich einen Druck noch machen könnte. Ich war selbst ein bisschen
erstaunt, als er mir so gut gelungen ist. Ich habe in jedem
Institut ein Geschenk bekommen und es tat mir leid, dass wir nicht
schon im Vorjahr daran teilnahmen, denn dadurch hätte sich und
hat sich heuer vor allem unser Weihnachtsbazar wesentlich ange-
reichert.
Da ich abends eine Veranstaltung in Schwechat 40 Jahre Fa. Morawetz
hatte, wo insbesondere der NR-Abgeordnete Tonn und der zweite
Präsident des Landtages Binder mich ersucht, ich sollte unbedingt
daran teilnehmen, so konnten wir ein Abendessen mit den Botschaftern
der EWG-Staaten nicht durchführen, sondern konnten nur einen Tee
im Pallavicini veranstalten. Da ich für die EWG-Verhandlungen noch
immer ausschliesslich zuständig bin, musste ich diese Einladung
machen, obwohl das Aussenamt die gesamte Durchführung hatte.
Marquet hat also mit den entsprechenden Botschaftern gesprochen
und ich glaube kaum, dass Reiterer auch nur einen bescheidenen Ein-
fluss darauf genommen hat. Auf der einen Seite ist es ja meiner
Meinung nach nur zu natürlich, dass man die Botschafter, die
ja ausschliesslich mit dem Aussenamt verkehren von diesen auch
einladen lässt, aber es würde mich doch interessiere, ob Reiterer
unter früheren Ministern hier aktiver gewesen ist, oder ob es
nicht doch auch immer das Aussenamt war, welches die Beziehungen
zu den Botschaften aufrecht erhalten hat.
Anmerkung für Wanke: Bitte vielleicht kann man dies gelegentlich
über Steiger erfahren.
Da die Strassen hoffnungslos verstopft waren, bin ich vom Schwarzen-
bergplatz zu Fuss gelaufen zu Fuss gelaufen, sonst wäre ich noch
als Gastgeber zu spät gekommen. So traf ich Punkt halb den Aussen-
minister und Marquet auf der Stiege. Marquet erklärte sofort,
er hätte eine Papier vorbereitet, das man den Botschaftern geben
könnte und ich ersuchte natürlich, dass ich es vorher lesen kann.
Auch hier hat Reiterer die Initiative scheinbar vollkommen Marquet
überlassen, denn er meinte nur später, dieses Papier sei mit ihm ab-
gestimmt gewesen. Der franz. Botschafter liess sich durch den Ge-
schäftsträger vertreten, ebenso der niederländische. Den luxem-
burgischen hatten wir gar nicht eingeladen, hier handelt es sich
ja nur um den Honorarkonsul Dr. Kammler von Österreich. Am nächsten
Tag traf ich aber Dr. Kammler, der über die Aussprache sich sehr
informiert zeigte. Hier war ich wieder froh, dass nicht wir die
Einladung ausgesprochen hatten, denn leicht wäre er sonst ein
bisschen verstimmt gewesen. Kammler ist aber ein ausgesprochener
Gegner vom Beitritt zur EWG und hat auch gegenüber den jetzigen
Verhandlungen ein sehr reserviertes Verhalten an den Tag gelegt.
Kammler meint nämlich, dass wenn man heute in der Industriellen-
vereinigung fragen würde, keine 5 % der Unternehmer sich mehr
positiv für ein Arrangement mit der EWG aussprechen würden.
Kammler sieht in der EWG eine zentralistische Organisation, die
die Selbständigkeit Österreichs gefährden könnte. Er war z.B.
jetzt bei einer Tagung in Venedig, wo Spinelli, ein Kommissions-
mitglied aus Brüssel einen Vortrag über die zukünftige Industrie-
politik der EWG hielt. Nach dem Vortrag meinte er, er hätte ihm
den Namen: "Spinnerelli" gegeben. Dem Mann wäre z.B. vorgeschwebt,
dass in Hinkunft, die Atomenergie über Brüssel den einzelnen
Staaten vergeben wird. Bei dieser Aussprache machte Kammler auch
die Bemerkung, dass bezüglich des Kartellgesetzes er mit Auracher
weitestgehend schon Absprachen getätigt habe und auch im Prinzip
bereits einig sei. Da das Gesetz 1972 auslauft, müsse man kleinere
Modifikationen daran vornehmen.
Kirchschläger ist der Meinung, dass der Umschwung bei Kreisky, der
in der letzten Zeit immer mehr zu erkennen gegeben hat, dass wenn
die Kommission nicht doch ein Verhandlungsmandat kriegt, dass
den österr. Wüschen entgegenkommt, man an den Verhandlungen nicht
mehr so grosses Interesse zeigen sollte, von Kammler beeinflusst ist.
Kirchschläger und ich kamen allerdings überein, dass wir auf
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alle Fälle unsere Politik fortsetzen werden. Bei der Aussprache
mit den Botschaftern hat deshalb Kirchschläger ganz besonders darauf
hingewiesen, dass die Kontinuität der Politik dadurch auch dokumentiert
werden müsste, dass wir unter allen Umständen auf das Interimsab-
kommen bestehen. Ich selbst hatte diesen Punkt, der im Marquet-
Brief der dritte war, an die Spitze gestellt, da ich damit auch
dokumentieren wollte, dass es für den Ministerrat das leichteste
wäre, hier ein modifiziertes Mandat der Kommission zu geben. Da
die Kommission je ein Mandat schon einmal gehabt hat und mit uns
bereits Verhandlungen stattgefunden haben, müsste es doch möglich
sein, in diesem Punkt eine Einigung oder eine Lösung zu erreichen.
Was ich den Botschaftern nicht sagte, aber was mein Prinzip dabei ist,
dies, dass ich hoffe, wenn wir ein Interimsabkommen abschliessen
können, selbst wenn dies noch so ungünstig und nichtssagend ist,
damit den Fuss in der Tür der EWG haben. Niemand weiss, was aus dem
Globalabkommen wird. Ich glaube aber, dass selbst wenn die Präambel
heute vorsieht, dass zuerst das Globalabkommen in den Grundzügen zu
erkennen sein muss, bevor ein Interimsabkommen abgeschlossen werden
kann, wir jeden Abschluss des Interimsabkommens akzeptieren sollten.
Durch das Interimsabkommen haben wir dann die Möglichkeit immer
wieder nicht nur Verhandlungen zu verlangen, sondern als Vertrags-
partner der EWG dann tatsächlich auch irgendwelche Lösungen anzu-
streben. Kirchschläger ersuchte deshalb die Botschafter, sie mögen
alles daran setzen, damit am 9. November der Ministerrat ein Mandat
der Kommission gibt und gegebenenfalls die ständigen Vertreter beauf-
tragen, sie sollten eine selbständige Ermächtigung im Einvernehmen
mit der Kommission finden. Da mir Kirchschläger die Vorsitz-
führung übertragen hatte, war ich sehr froh, dass Marquet ein solches
Papier vorgelegt hat, das nebenbei bemerkt auch von den Botschaftern,
der deutsche war der erste, der meinte, ob nicht irgendwelche Unterlagen
zu bekommen seien, ebenfalls begierig verlangt wurde.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte das nächste Mal auf alle Fälle auch unserer-
seits immer ein solches Papier zur Übergabe vorzubereiten, wann immer
ich mit einem Botschafter oder einem Ausländer in solchen Fragen rede.
Punkt 1) beinhaltete die Forderung, dass allergrösste Eile geboten ist
und Kirchschläger wies darauf hin, dass er unbedingt am 9. November
bereits eine Mandatserteilung erwartet. Da im Papier aber steht, im
Laufe des Monats November meinte ich, bevor die Ausführungen Kirch-
schlägers folgten, dass wir auf alle Fälle wir gegen Ende November,
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wo eine zweite Ministerratssitzung ist, eine solche Mandats-
erteilung aber als allerletzten Termin betrachten. Kirchschläger führt
dann aber aus, dass die Oststaaten immer triumphierend feststellen,
wenn Österreich wieder bei einer Ministerratssitzung nicht behandelt
wird. Der italienische Botschafter anerkannte dieses politische Ar-
gument und wird ganz besonders glaube ich seinem Aussenamt da-
rüber berichten. Die anderen waren sehr zurückhaltend, was die
materiellen drei Punkte betraf, gab es kaum eine Diskussion. Über
die sensiblen Produkte, die wir ersuchten, sie mögen nicht von vornhe-
rein ausgeschlossen sein, wollten wir nur in der Mandatserteilung
Verhandlungsmöglichkeiten. Betreffend die Landwirtschaft ersuchte nur
der italienische Botschafter, ob es sich hier um einzelnen
Verfahren handeln sollte, oder ob für einzelne Produkte Lösungen
gefunden werden müssten. Wir wiesen darauf hin, dass selbstver-
ständlich nur für einzelne Produkte Lösungen gefunden werden sollten.
Über der kumulativen Ursprung war , da es sich um eine reine tech-
nische Frage handelt, die Botschafter natürlich überhaupt nicht
informiert, sondern werden nur den Wortlaut sicherlich weitergegen .
Der belgische Botschafter ersuchte dann noch, ob diei eine Mög-
lichkeit haben, noch weiter untereinander zu sprechen, was wir
natürlich bejahten. Der Italiener meinte allerdings, er hätte nicht
sehr viel Zeit, denn die Kurierpost sei noch zu erledigen,
ich glaube aber eher, er hat noch einen anderen Termin gehabt.
Auf alle Fälle liessen wir die Botschafter unter sich und wir hoffen,
dass damit der Wunsch Leitners erfüllt ist, viel wird diese Aus-
sprache sicherlich nicht helfen. Marquet hatte aber, wie wir dann in
der Garderobe standen, den Akt bereits für Kirchschläger vorbereitet
wo Leitner über die Aussprache informiert wurde. Kirchschläger
sagte mehr spasshalber, aber ihm war sicherlich dabei ernst,
dass er alle die Wünsche Marquets in dieser Hinsicht erfüllen
könne, denn er verlasse sich da hundertprozentig auf ihn. Bei einem
solchen gewissenhaften Arbeiter und vor allem bei einem solchen Syste-
matiker, wie das Marquet ist, kann man dies auch ungeschaut tun.
Vom Handelsministerium war es ein Verbrechen diesen Mann einmal
weggehen zu lassen. Wenn man ihm zeitgerecht eine entsprechende
Karriere im Handelsministerium in Aussicht gestellt hätte, wäre
der Mann wahrscheinlich auch gerne geblieben.
Gamperling hat im Eisenbahnerheim ein Abschiedsessen für
16 Leute gegeben. Da sie an vier Tischen sassen, konnte ich,
da ich nur eine halbe Stunde zur Verfügung hatte, doch von
einem Tisch zu anderen gehen, um ein paar Worte mit unseren
seinerzeitigen Kolleginnen und Kollegen zu wechseln. Zum
Schluss war auch noch Tommy Lachs anwesend und Lachs erzählte
mir, er sei bei der letzten Kautsky-Kreis deshalb weggegangen,
weil er meine Ausführungen – wie er sich ausdrückte – nicht mehr
vertragen hat. Ich weiss nicht, ob das stimmt, oder ob er nicht
vielleicht doch einen anderen Termin gehabt hat, auf alle
Fälle hätte ich erwartet, dass er sich in der Diskussion gemeldet
hätte wenn er – wie er meint – überhaupt keinen sozialistischen
Gedankengang mehr in meinen Ausführungen mehr gefunden hat. Er
meinte, er hätte doch die sozialistische Partei gewählt und er
erfahre nun, dass wir vor der Bürokratie kapitulieren. Da Czernetz
der Abgeordnete von seinem Wahlkreis resp. Bezirk ist, wies ich
darauf hin, dass selbst der linke Czernetz in seiner Zukunft ge-
schrieben hatte, die ich zufällig gelesen habe, dass die SPÖ
um kein Mandat bei der Bevölkerung gebeten hat, die soz. Politik
zu machen und deshalb auch nicht jetzt eine solche durchführen kann
oder auch nur dürfte. Unter soz. Politik verstehe ich hier nicht
die Erfüllung des Regierungsprogrammes, denn dies wurde ja den
Wählern vorgelegt, sondern unser Parteiprogramm. Mehr denn je
bin ich heute davon überzeugt, dass es notwendig ist, mit unseren
Experten und Fachleuten in den Institutionen einen engeren Kon-
takt zu halten.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte unbedingt jetzt darauf drängen, dass
die wirtschaftspolitische Kommission zusammentritt. Nicht zuletzt
aus der Diskussion mit Kammler und auch unseren Leuten von der Ar-
beiterkammer glaube ich, dass wir wirklich über die Kartellfrage
einen Konsens herstellen sollten.
Bitte den Termin auch mit Broda abstimmen.
Tagesprogramm, 29.10.1971
öst. Positionspapier Verhandlungen EG-Interims-/Globalabkommen