Donnerstag, der 28. Oktober 1971

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Donerstag, 28. Oktober 1971

Der Wiener Ausschuss hielt eine ganztägige Sitzung ab. Soweit ich
an der Sitzung teilnehmen konnte, musste ich feststellen, dass
sie sich sehr dahingezogen hat. Probst hat in der Einleitung nicht
nur eine Begrüssung gegeben, sondern versuchte auch eine kleine Wahl-
analyse. Dasselbe machte dann Heinz Nittel bei seinem Vortrag über
die organisatorischen Probleme der Partei. Auch Slavik, der sich
primär mit der Erfüllung des Wiener Wahlprogrammes beschäftigte,
kam natürlich auf die Wahlergebnisse zu sprechen. Letzten Endes
hat dann non Kreisky nachmittags um 4 Uhr ein Referat über die Wahlen
und natürlich über die zukünftige Arbeit gehalten. Da zwischendurch
Diskussionen waren, nur über das Slavik-Referat konnte nicht mehr
diskutiert werden, da es bereits 1/2 7 Uhr gewesen ist, und Suttner
noch über die Änderung der Wiener Wohnbauförderung referierte, wo
auch Beschlüsse gefasst werden mussten. Um 7 Uhr aber sollte bereits
die Tagung zu Ende sein. Nekula hätte aber noch über die Tarif-
erhöhung und Schweda über Gebührenerhöhungen zu referieren gehabt.
Ausserdem herrschte dann ein begreiflicher Unmut, dass man über das
Slavik-Referat, das bis in die letzten Details der Mitteilungen der
einzelnen Magistratsabteilungen referiert hat, nicht diskutieren
mehr konnte. Die einzige interessante Bemerkungen, die Slavik
gemacht hat, war, dass er erklärte, man rede davon, dass das Image
des Bürgermeisters aufgebaut werden sollte. Seiner Meinung nach wäre
das am leichtesten möglich, wenn er nur Repräsentationsveranstaltungen
und diese in jeder noch so grossen Mengen absolvieren könnte. Er hat
aber vom Bürgermeister einen anderen Begriff und wird deshalb weiterhin
aktiv in der Verwaltung mitarbeiten. Ich glaube, dass diese Anschauung
vollkommen falsch ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es tat-
sächlich die Aufgabe eines Bürgermeisters sein muss, ausschliesslich
der Repräsentationen in der Bevölkerung in Erscheinung zu treten und
damit keine Chance mehr zu haben, in der Verwaltung die grundlegenden
Beschlüsse nicht nur als Vorsitzender zu präsentieren, sondern auch
durch entsprechende Information und Mitentscheidung auch tatsächlich
zu beeinflussen. Sein schlechtes Image kommt glaube ich aus einer
ganze anderen Ursache, die man allerdings wahrscheinlich durch
eine Meinungsumfrage, die strengst vertraulich für ihn ausgearbeitet
gehörte, begründen müsste und dann durch eine ordentliche Public-Relations-
Arbeit wahrscheinlich auch zu korrigieren wäre. Ich zog aus der


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Tagung eine einzigen Nutzen. Man darf eine solche, auch wenn sie
einen ganzen Tag dauern soll, nicht mit so vielen Referaten bestücken.
Weniger Referenten, dafür eventuell als Koreferenten die Probleme
über die Wahl einem Hauptreferat anzuschliessen, daran eine kurz gestraff-
te Diskussion zu führen, dann erst ein nächsten Problem angehen. Sie
So wäre man vielleicht zu den viel wichtigeren Referaten von Nekula
und Schweda gekommen und hätte dort auch dann entsprechende Beschlüsse
fassen können. Vielleicht bin ich aber auch schon zu nervös und hasse
ja schon seit jeher diese langgezogenen sinnlosen Diskussionen.

Ähnliches stellte ich übrigens auch bei der Sekretärsbesprechung der
Lebensmittelarbeiter fest. Dort hat Blümel, da ich nicht die ganze
Zeit den Vorsitz führen konnte, mit den Sekretären alle Details durch-
gesprochen gehabt. Bei meiner nachmittägigen Anwesenheit versuchte
ich natürlich die Verhandlungen sehr konzentriert zu führen. Wir wickel-
ten die Tagesordnung wirklich verhältnismässig sehr schnell ab und
wie ich aber doch glaube sehr zielführend ab. Es kamen auch tatsächlich
alle wichtigen Fragen zur Sprache und wurden letzten Endes auch diskutiert
Das Hauptproblem liegt nur darin, dass nur Leute, die viel Zeit haben,
über Probleme ungeheuer gerne herumreden, ohne dass sie sich kurz auf den
Kern, der zur Diskussion steht, beschränken. Ich habe noch in keinem
einzigen Fall deswegen jemanden unterbrochen oder ihm gar gesagt, er
sollte seine Ausführungen beenden. Ich glaube, Victor Adler hat gesagt,
man muss den Arbeitern zuhören können. Bei den Arbeitern bin ich ja auch
bereit zuzuhören, nur bei Funktionären oder Sekretären, die in Wirklich-
keit wissen müssten, dass es doch nur darauf ankommt, das Problem kurz
und bündig zu besprechen, kann ich das Herumschwafeln halt so schlecht
leiden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dann die Meinung ent-
steht, der Mann hat keine Zeit für uns. Ich glaube, ich sollte mir
doch den seinerzeitigen Innenmister Helmer als Vorbild nehmen. Helmer
hat, wenn man in sein Ministerium kam, und ich hab damals als Funktio-
när der Arbeiterkammer doch einige Probleme mit ihm über Preise zu
besprechen gehabt, kaum für mich Zeit gehabt und hat das immer auch
so gemacht, dass er gesagt hat, entscheide wie Du willst, es wird


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schon gut sein. Bei Helmer sind aber andererseits Gemeindefunktionäre
aus NÖ oder gar Bürgermeister und oft auch nur Vertrauenspersonen
stundenlang gesessen und haben seinen Terminkalender blockiert. Hier
hat er sich – wie mir sein Sekretär damals mitteilte – immer Zeit ge-
nommen und hat daher auch in NÖ wesentlich dazu beigetragen, die Orga-
nisation aufzubauen und zu festigen. Für mich als Aussenstehenden ist
zumindestens dieser Eindruck entstanden.

Die Arbeitsgruppe Gas und Öl der Gemischten Kommission hat in Wien ge-
tagt. Lewitt von der SU und Gen.Dir. Bauer von der ÖMV haben die Ver-
handlungen über eine Erhöhung der Gasmenge gegen Lieferung von Rohren
besprochen. Konkrete Ziffern konnte und wollte Lewitt nicht sagen.
Ich wollte die Sitzung besuchen, kam aber leider schon zu spät. Gerade
als Lewitt ins Auto steigen wollte, wurde ich ihm von Gen.Dir. Bauer
noch vorgestellt. Ich ersuchte ihn, noch einmal zurückzukommen und
führte dann ein sehr interessantes Gespräch mit ihm. Gen.Dir. Bauer
unter Anwesenheit von Feichtinger berichtete mir kurz über die Ergeb-
nisse. Da Lewitt auch mir keine Ziffern nennen wollte oder konnte,
habe ich doch darauf hingewiesen, dass Patolitschew zu erkennen ge-
geben hat, dass wir mit einer Erhöhung der Gasmengen, die derzeit
1,5 Mia. m³ betragen rechnen könnten. Dies bestätigte auch Lewitt.
Keinesfalls aber werden wir die gewünschten 3 Mia. m³ zusätzlich bekommen
können. Der Minister Ossipow, der für die Gaslieferungen zuständig ist,
wird jetzt von Lewitt informiert werden und wir rechnen, dass doch
gegen Röhren mit der VÖEST ein gutes Geschäft zustandekommt. Matthes
von der VÖEST hatte mich unverzüglich angerufen und mir mitgeteilt,
dass er von Gen.Sekr.Stv. Wakolbinger verständigt wurde, dass Wolfs-
berger
von Siemens jetzt querschiesst. Beim ersten Vertrag 1968
wurden von 100 Mill. $ Kredit, den die VÖEST gegeben hat, um die
Röhren liefern zu können, 15 Mill. $ auf Verlangen von Mitterer für
andere Firmen abgetreten. Von diesen 15 Mill. $ seien jetzt noch 2,5 Mill.
$ nicht ausgeliefert. Die neue Vereinbarung mit der SU würde nicht nur
Röhren, sondern auch Ausrüstungen umfassen. Sie SU hätte grosses Inter-
esse daran, auch Rohrbiegeanlagen, Caterpillar und grosse Kranwagen
zu bekommen. Diese drei Produkte können wir aber nicht liefern. Abends
in der russischen Botschaft musste ich noch feststellen, dass über die
endgültige Formulierung des Protokoll noch Differenzen bestehen, die
dann allerdings am späten Abend bereinigt werden konnten. Sicher ist,


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dass die SU sich jetzt schon sehr konkret mit einer Erhöhung der
Gaslieferung beschäftigt und wahrscheinlich auch Produkte haben
möchte, die für sie interessant sind. Ich habe auf alle Fälle Matthes
versichert, dass ich die Politik nicht fortsetzen werde, die Mitterer
seinerzeit mit Abtretung eines Lieferteiles für andere Firmen eingeleitet
hat. Für mich kann es nur entscheidend sein, dass entsprechende Mengen
von Waren geliefert werden, die erstens die SU abnimmt und wo unserer-
seits exportseitig Interesse besteht.

Meine Frage ah Lewitt, ob der italienisch-sowjetische Erdgasvertrag,
der mit 1.1.1973, wie ich immer vermutet habe und auch jetzt bestä-
tigt wird, die Gasabnahme von der SU vorsieht, obwohl die Leitung frühe-
stens in 33 Monaten fertig sein kann, erfüllt werden muss, erklärt
Lewitt: Hic Rhodus, hic salta. Die Italiener haben aber bisher noch nicht
die Bauausführung begonnen. Die ÖMV hat ein Vorprojekt von der amerika-
nischen Firma Pechtl 5 Mill. S in Angriff genommen, das aber jetzt
dann hinfällig ist, da jetzt die Italiener die Bauführung haben und
die Snam-Projekt damit beauftragen. 1973 sollten aber bereits 1,2 Mia.
m³ Gas von den insgesamt Höchstjahresmenge von 6 Mia. übernommen werden.
Wenn Österreich dann einspringt, kann es nach Auffassung von Gen.
Direktor Bauer maximalst 300 Mill. m³ übernehmen. Bis dahin wird
es noch ganz grosse Schwierigkeiten mit Italien und teilweise auch
mit der Sowjetunion geben.

Ich sprach dann mit Gen.Direktor Bauer und Feichtinger auch gleich
über das Benzinpreisproblem bzw. die Preiserhöhung. Bauer wollte
von mit den genauen Betrag wissen, den ich ihnen genehmigen würde
und er würde dann den internationalen Gesellschaften sagen, dass
dies das Maximum ist, das eben erreichen könnte. Gegen seine solche
Vorgangsweise wehrte ich mich ganz entschieden. Ich verlangte von
ihm, dass er jetzt ein Komitee zusammenstellen soll, welches dann
mit mir, den Kraftfahrverbänden, den Interessenvertretungen in konkrete
Verhandlungen eingeht. Ich werde dann als Vermittler auftreten und
versuchen, auch die Kraftfahrverbände und die Interessensvertretungen
für einen Vermittlungsvorschlag zu gewinnen. Bauer war über eine
Vorgangsweise sehr erstaunt, da er sie bis jetzt noch niemals so ge-
spielt wurde. Er meinte auch, dass internationalen Gesellschaften
untereinander sehr zerstritten sind und dass er vor allem einmal
fürchtet, wenn die internationalen Gesellschaftsvertreter mit den


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Kraftfahrverbänden zusammenkommen, diese dann sofort umfallen werden.
Ich glaube dies auf keinen Fall und werde deshalb an meiner Taktik fest-
halten.

Bauer erzählte mir auch, dass dies erst nach dem 6. November sein soll,
denn sie hätten wieder eine Tagung am Semmering in ihrem ÖMV-Heim mit den
Journalisten. Ich machte die Bemerkung, dass ich eventuell dort ganz
unvermutet auftauchen könnte. Darüber war Bauer innerlich entsetzt, denn
er meinte, dies müsste er doch auf alle Fälle den Journalisten ankündigen.
Wenn ich nämlich unangemeldet kommen würde, würde man dies falsch ver-
stehen. Da er – wie er mir mitteilte - die Absicht hat, den berühmten
Psychologen Hacker über die "Aggressivität in der Wirtschaft" referieren
zu lassen, sagte ich dann mein Kommen zu, wenn Hacker tatsächlich diesen
Vortag hält. Am Abend bei den Russen teilte er mir dann mit, dass ihm
dies gelungen sei.

Der russische Vizeminister für Touristik war von Luczensky uns vermittelt
worden. Mit zwei Funktionären wollte er über den österr.-sowjetischen
Fremdenverkehr diskutieren. Ich habe das Gefühl, er wollte primär damit be-
weisen, dass er auch mit den höchsten Stellen in Österreich Kontakt nehmen
konnte. Ich habe, da ich einen Termin nicht einhalten konnte, bei der
russischen Handelsdelegation über dieses Problem mit ihm gesprochen.
In der SU gibt es aber nur 3 Reisebüros, davon eines von der Gewerk-
schaft, bei uns in Österreich aber – wie ich ihm erklärte – mindestens
100 mal so viele. Konkretere Schlüsse muss er daher mit den österr.
Reisebüros tätigen. Er war über diese Aussprache sehr erfreut und ich
habe damit Luczensky einen Gefallen getan, ob ich etwas damit erreicht
habe ist eine zweite Frage, die ich nicht beantworten kann.

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Tagesprogramm, 28.10.1971

08_1262_02

hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)


Tätigkeit: AK, GD DDSG


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: GD ÖMV


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Handelsminister, ÖVP, Präs. HK Wien


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Psychiater, Psychoanalytiker


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: SPÖ-Politiker, Wien


          Einträge mit Erwähnung:


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Wr. Bgm. bis 1973
              GND ID: 107489872


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: VÖEST


                Einträge mit Erwähnung:
                  GND ID: 124089623


                  Einträge mit Erwähnung:
                    GND ID: 124729509


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: Politiker, Arzt


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: GS-Stv. HK


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                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: LUGA-Zentralsekretär


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                              Tätigkeit: sowj. Außenhandelsminister


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                                Tätigkeit: stv. sowj. Außenhandelsmin.


                                Einträge mit Erwähnung:
                                  Tätigkeit: Bundeskanzler
                                  GND ID: 118566512


                                  Einträge mit Erwähnung:
                                    Tätigkeit: GD Siemens Österreich


                                    Einträge mit Erwähnung:
                                      GND ID: 127033629


                                      Einträge mit Erwähnung:
                                        Tätigkeit: Minister; berichtet bei der Gem. Komm. in der SU 1971 über Entwicklung von Erdgaslieferungen und Rohren; 28.10.1971 in Österreich zu Verhandlungen über diese Themen]


                                        Einträge mit Erwähnung:
                                          Tätigkeit: ÖMV
                                          GND ID: 132912112


                                          Einträge mit Erwähnung: