Dienstag, 12. Oktober 1971
Bei der Ministerratsvorbesprechung, aber auch im Parteivorstand
sowie in der soz. Fraktion des ÖGB hat Kreisky seine Politik
dargelegt. Ausgang dieser Politik war, dass wir nur 92 Mandate
erreicht haben und deshalb damit rechnen müssten, dass im Par-
lament eine Patt-Stellung zwischen der Opposition und der Re-
gierungspartei ist. Die Hochrechnung und auch die ersten Auszäh-
lungsergebnisse der Wahlkartenwähler haben nämlich eindeutig ge-
zeigt, dass 92 Mandate das Maximum ist, was die SPÖ erreichen
kann. Unter diesen Umständen wurde selbst bei uns auf der Land-
strasse im Bezirksausschuss von den einzelnen kleineren Funktio-
nären und sicherlich auch in den Vorbesprechungen und letzten
Endes in de Hauptgremien die Frage ventiliert, ob und inwieweit
man überhaupt regieren kann. Kreisky aber stand glaube ich seit eh
und je auf dem Standpunkt, dass wir mehr Mandate haben als dies
bis jetzt der Fall gewesen ist und deshalb ein Auftrag von den
Wählern vorliegt, die Alleinregierung fortzusetzen. Alle Kombi-
nationen, dass Kreisky schon von vornherein eine kleine Koalition
anstrebt und vor allem, dass er entsprechende Vorbereitungen ge-
troffen hat, haben sich als falsch erwiesen. Ich hatte in der
Ministerratsvorbesprechung zum Abschuss die Bemerkung gemacht,
dass ich seit eh und je überzeugt war, dass wir allein regieren
werden. Mein Motto war immer, Kreisky kann gar nicht so wenig
Mandate bekommen, dass er nicht weiter regiert. Alle Überlegungen,
die insbesondere von Kärnten angestellt wurden, man sollte gegebenen-
falls einen Präsidenten im Nationalrat abtreten, hat er ganz ent-
schieden zurückgewiesen. Waldbrunner vor allem steht auf dem Stand-
punkt, dass niemals noch ein Präsidium in Koalitionsverhandlungen
festgelegt wurde, sondern dass es immer bis jetzt Gepflogenheit
war, dass der 1. und der 3. Präsident der stärksten Partei gehört.
Die Oppositionsparteien haben deshalb nur einen Anspruch auf den
2. Präsidenten und müssen sich damit abfinden. Kreisky wird
überhaupt – wie er sich ausdrückte – prüfen, wie weit die
Oppositionsparteien durch ihr Verhalten sich als vielleicht zu-
künftige Koalitionspartner qualifizieren. Die wichtigsten zwei
Punkte sind, dass niemand diese Regierung stürzen kann und dass
zweitens keine Lizitationspolitik von den Oppositionsparteien
durchgesetzt werden kann. In beiden Fällen ist das Abstimmungs-
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verhältnis 91:91 und damit alle Anträge abgelehnt. Richtig ist,
dass für die Gesetze eine entsprechende Mehrheit gesucht werden muss.
Dies gilt natürlich auch vor allem für das Budget. Gesetze können
aber im Parlament in Hinkunft auch nicht mehr von den Oppositions-
parteien, wie sie es wünschen, in das Haus gebracht werden. Die soz.
Abgeordneten werden in jedem Ausschuss die Mehrheit bilden. Wenn es
bei der Bestellung der Ausschüsse der Anzahl der Mandate Schwierig-
keiten geben sollte, kann man über die namentlich Abstimmung der Aus-
schussmitglieder jederzeit erreichen, dass die soz. Mehrheit im Aus-
schuss gesichert ist. Bei Abstimmung nämlich stimmen die Präsidenten
mit und damit ist die Sicherheit und Garantie gegeben, dass Ausschüsse
nur mehr mit soz. Mehrheit beschlossen werden. Falls im Nationalrat ein
Gesetz durch Abwesenheit eines soz. Abgeordneten beschlossen werden
würde, das der Regierung und der Fraktion nicht passt, kann im Bundesrat
jederzeit Einspruch dagegen erhoben werden und dieses Gesetz würde
wieder in den Nationalrat zurückkommen, wo natürlich dann bei ent-
sprechender Anwesenheit der Beharrungsbeschluss nicht zustandekommen
würde. Der Parteivorstand dankte Kreisky und allen Wählern und ins-
besondere den Mitarbeitern. Waldbrunner hatte zwar, wie er sich aus-
drückte, kein Mandat von jemanden erhalten, spontan aber dankte er
vor allem Kreisky, der durch seinen Einsatz dieses Wahlergebnis
ermöglicht hatte. Czernetz meinte, dass in der Wahlpropaganda und
vor allem einmal in den ganzen Berichterstattungen durch die Zeitungen
die Bundesregierung stark in den Vordergrund gedrückt wurde und die
anderen Kandidaten nicht einmal erwähnt wurden. Daran ist sicher vieles
richtig, doch personifizierte sich der Wahlkampf immer stärker. Die
Abgeordneten müssen versuchen – und ich habe dies auch in meinem Wahl-
kreis immer so gehalten – durch persönlichen Einsatz in ihrem Wähler-
kreis bekannt zu werden. Der Wahlkampf wurde und wird in Hinkunft
immer von Spitzenpolitikern geführt werden und ganz besonders wird
der erste Mann – ob es in einer Oppositionspartei ist oder in der
Regierungspartei ist – nicht nur herausgestrichen, sondern muss auch
das entsprechende Image haben, um die Wähler mitreissen zu können.
Im Wiener Ausschuss, wo ich zu spät hinkam, da ich in der soz. Fraktion
des ÖGB war, hat man bei der Berichterstattung durch Probst drei
Gründe angeführt, die zu dem Erfolg in Wien führten: in Wien haben
auch wir das erste Mal 60 % der Stimmen erhalten. 1. die gute Arbeit
des Regierungsteams, 2. die gute Zusammenarbeit zwischen der Bundes-
regierung und Wien und 3. die gute kommunalpolitische Leistung Wiens.
Nach Schluss der Sitzung sagte man zu mir, man hätte doch auch mit
einem Wort die Leistung Kreiskys herausstreichen müssen. Ich bin
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wahrlich kein Anhänger von einer Führerparteiideologie. Man
braucht nicht unbedingt mit allen Mitteln versuchen, die einzelne
Einsatzleistung zu verschweigen, nur um die kollektive Führung
die es nebenbei bemerkt sowieso nicht geben kann und gibt, ideo-
logisch nicht antasten zu müssen. Wenn Czernetz meint, dass der
Parteivorstand nur ein Gummistempel-Gremium ist, dann hat Kreisky
richtig geantwortet, dass alle Grundsatzbeschlüsse in den Gremien
zu fassen sind, aber dann in der Durchführung doch die einzelnen
und insbesondere auch er frei Hand haben muss. Die Politik wird
einmal von Personen gemacht und nicht von Gremien, diese können
nur Grundsatzbeschlüsse fassen, die Durchführung wird immer Einzel-
personen anvertraut werden müssen. Die Berichterstattung und die
Beschlussfassung in allen diesen vier Gremien war, dass die Re-
gierung weiterarbeiten soll. Kreisky wird deshalb dem Bundes-
präsidenten, wenn er ihn mit der Regierungsbildung beauftragt,
dies vorschlagen. Eine Sistierung oder Ergänzung der Regierung
wird später erfolgen.
Mit Reiterer und Hillebrandt besprach ich die Intervention von
Vizeminister Baczoni. Reiterer teilte mir mit, dass er nicht
allein unter vier Augen mit Baczoni verhandelt hat, sondern
damals in Budapest mit einem zweiten Mann von der Botschaft
oder den Handelsdelegierten – ich kenne den Mann nicht – die
Besprechungen geführt hat. Tatsache ist allerdings – und das
gibt er auch unumwunden zu – dass dies vor dem polnischen Ab-
schluss gewesen ist und deshalb jetzt eben die Handelskammer dar-
auf drängt, eine ähnliche polnische Regelung auch mit Ungarn
zu erreichen. Ich ersuchte Reiterer auch jetzt nicht mit dem
ungarischen Sektionschef Madai, der Donnerstag nach Wien kommt,
allein zu verhandeln, sondern auf alle Fälle Hillebrandt, d.h.
eine zweite Personen, gegebenenfalls sogar jemanden von der
Handelskammer, Dr. Gleissner, mitzunehmen. Ich glaube, dass es
möglich sein müsste, mit den Ungarn eine ähnliche Regelung wie
mit Polen zu erzielen, d.h. insbesondere das Sicherheitsnetz für
eine eventuelle Dumpingpolitik einzuziehen und damit die Handels-
kammer zu beruhigen. Andererseits aber wird man durch entsprechende
liberalere Haltung bei Einfuhren den Ungarn entgegenkommen müssen,
um das Aktivum abbauen zu können.
Bei einem Empfang des sowjetischen Vorsitzenden der Ausrüstungs-
und Maschinenarbeitsgruppe nützte ich die Gelegenheit, um sowohl
unseren Mitgliedern dieser Kommission als auch dem Vorsitzenden
selbst zu erklären, dass sowohl Patolitschew als auch ich kon-
kretere Ergebnisse der Arbeitsuntergruppen erwarten. Der Vorsitzende
meinte, dass gegenüber früher jetzt schon sehr konkret verhandelt
wird. Gleichzeitig mit den Besprechungen der Arbeitsgruppe wurden
Gespräche zwischen der SGP und den Ingenieuren der SU für den
Waggonbau auf Firmenbasis eine Kooperation besprochen. Trotzdem
ersuchte ich die beiden Delegationsteile während der Sightseeing-
Tour jetzt in Österreich noch konkrete Überlegungen anzustellen,
wie man die Arbeitsgruppentagungen noch effektiver gestalten
kann. Ich glaube, dass die beste Arbeitsgruppe auf diesem Sektor
die Öl- und Gasarbeitsgruppe ist, die nächste Woche zu verhandeln
beginnt. Ich werde, wenn es meine Zeit erlaubt, unbedingt auch
daran teilnehmen, um die Arbeitsmethode kennenzulernen.
ANMERKUNG: Bitte, das Arbeitsprogramm dieser Arbeitsgruppe genau
zu erkunden und mir eine Möglichkeit zu geben, dass ich zeitweise
daran teilnehme.
Die grösste Überraschung des Tages aber war die Verkündung im
Fernsehen, dass das 93. Mandat noch der SPÖ verbleibt. Ich
hatte im Bezirksausschuss gerade das Schlusswort, wo ich be-
richtete, dass es unmöglich sei, mit einem 93. Mandat zu rech-
nen, da alle Hochrechnungen und die bisherigen Auszählungsergeb-
nisse klar und deutlich den Verlust dieses Mandates erwarten lassen.
Unsere Genossinnen und Genossen haben seit eh und je eine gesunde
Skepsis gegen diese mathematischen und computermässigen Methoden.
Ich war natürlich freudig überrascht, dass die Computer und
die Hochrechnung in dem Fall geirrt hatte. Die ganze Bedenken,
die ebenfalls in unserer Ausschussitzung geäussert wurden und
die sehr ähnlich waren in den anderen Gremien, waren im Nu
bei diesen Genossinnen und Genossen verflogen. Insbesondere Adel-
poller, der als letzter in der Diskussion das Wort ergriffen hatte,
konnte nur einen Satz sagen, wie glücklich er ist und dann hat
er in Rührung und Tränen kaum mehr sprechen können.
Tagesprogramm, 12.10.1971
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)
Tagesordnung 72. Ministerratssitzung, 12.10.1971
hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)