Montag, 4. Oktober 1971
Die Sonntagszeitungen haben von der Pressekonferenz in Graz
über die Benzinpreiserhöhung so berichtet, als ob eine 50 Groschen
Erhöhung im Rahmen des Möglichen liegt. Der APA-Korrespondent hat
von Graz nicht meine Stellung, dass eine 50 Groschen-Preiserhöhung
nicht in Frage kommt, sondern nur berichtet, dass der Antrag auf
50 Groschen vorliegt und jetzt geprüft wird. Dadurch ergab sich
eine merkliche Unruhe, nicht nur in den Kraftfahrkreisen sondern
auch – wie sich später herausstellte, innerhalb der SPÖ. Instinktiv
erkannten wir, dass ein gewöhnliches Dementi kaum Aussicht hat,
entsprechend wirksam in der Öffentlichkeit zu wirken und wir ersuchten
deshalb die Kraftfahrverbände unverzüglich bei mir vorzusprechen.
Vom ÖAMTC erschien Dr. Schuchlenz und Dr. Soche und vom ARBÖ Ing. Hobl.
Vom Haus war Dr. Neuhold und Elsinger anwesend. Ich erklärte den
Verbänden die Situation und versprach ihnen, dass sie über die
weiteren Verhandlungen am laufenden gehalten werden. Schuchlenz
teilte mir mit, dass sie einen Beschluss im ÖAMTC-Vorstand gefasst
haben, dass niemand bis zum 11. Oktober über dieses Problem eine
Erklärung abgeben darf, damit dieses Problem nicht im Wahlkampf
gegen den ÖAMTC oder gegen irgendeine Partei ausgenützt werden kann.
Er wurde aber schon von der Kronenzeitung heute telefonisch in der
Früh befragt, wo er eine Stellungnahme abgeben musste. Ebenso hat der
Kurier sich bei ihm erkundigt. Sowohl der ÖAMTC als auch der ARBÖ waren
über mein Vorgehen sehr erfreut, dass ich sie nämlich so wie bei dem
KFZ-Versicherungsproblem zur Lösung dieser schwierigen Frage heranzog.
Soche meinte nur, man sollte vielleicht die Herabsetzung des Bleige-
haltes überhaupt nicht als eine Kostenbelastung der Kraftfahrer aner-
kennen, sondern meint, es sollte dies ausschliesslich die Ölindustrie
selbst bezahlen. Abgesehen davon, dass es meiner Meinung nach auf die
Dauer vollkommen unmöglich ist, der Industrie ausschliesslich die Umwelt-
verschmutzungskosten allein bezahlen zu lassen, erklärte ich sofort,
dass ja eine Trennung des Preises in Kostenerhöhung durch Ölpreis-
steigerung in den OPEC-Staaten, durch Spannenregulierung zwischen
den Ölfirmen und den Tankstellen und durch Herabsetzung des Bleige-
haltes nicht möglich ist. Eine solche Trennung müsste doch auf alle
Fälle einen höheren Preis ergeben als wahrscheinlich letzten Endes
für alle drei Komponenten zusammen von der Preisbehörde genehmigt
wird. Diese Aussprache hatten wir ein Kommunique herausgegeben, wo
wir insbesondere darauf hinwiesen, dass die geforderten Preiserhöhungen
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kaum erreicht werden würden.
Die Wirtschaftsredaktion des ORF wollte ein Interview für das
Mittagsjournal über die Meldung der Benzinpreiserhöhung. Dieses
4-Minuten-Interview mussten wir dreimal machen. Koppe, der an-
wesend drängte immer wieder auf eine neuere, schärfere Fassung.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir – zumindestens ich – nicht richtig
erkannt, welch politische Frage sich aus diesem Problem der Benzin-
preiserhöhung ergeben wird. Koppe hat nur scheinbar rein instinktiv
gehandelt und vor allem verlangt, es müsste die Formulierung: Wir
kämpfen um jeden Groschen, hineinkommen. Auch der Reporter war mit
seiner Fragestellung nie zufrieden. Beim dritten Mal war dann
endlich eine Formel und Formulierung gefunden, die alle akzeptierten
und die tatsächlich zum Ausdruck brachte, was in der APA-Meldung
unterging. Dass nämlich zwar 50 Groschen verlangt werden, aber keines-
falls vom Handelsministerium zugestanden würden.
Als Koppe am Nachmittag in der Löwelstrasse erschien, um wie all-
wöchentlich eine Lagebesprechung der Propagandisten mitzumachen,
wurde er sofort mit der Frage konfrontiert: Was denn mit der Benzin-
preiserhöhung für eine Bewandtnis habe. Spät am Abend rief mich
dann noch Kreisky an, um mich dann ebenfalls zu fragen, wieso es
zu einer solchen Meldung kommen konnte. Jetzt in diesem Zeitpunkt
bemerkte ich, wie hier – von wem weiss ich nicht – aber vom Gegner
geschickt genützt ein scheinbarer Gegensatz auch zwischen Kreisky
und Staribacher noch neben dem Gegensatz zwischen Häuser und Kreisky
herausgearbeitet werden sollte. Die Redaktionen haben bei Koppe dann
angerufen, um zu fragen, ob Kreisky, der zu dem Zeitpunkt als diese
Anrufe stattfanden überhaupt noch nicht mit mir geredet hatte, der
Bundeskanzler mich veranlasst habe, jetzt zurückzuziehen. Aus einer
die Schwerpunkte einer Pressekonferenz nicht genau gemeldeten APA-
Mitteilung wurde scheinbar jetzt eine hochpolitische Kabinettsfrage.
Durch die Nervosität aller bedingt, wird ähnlich wie in der Ver-
staatlichungsfrage ein Problem hochgespielt, das ursprünglich über-
haupt kein Problem war und sicherlich nicht sein muss. Wenn natür-
lich dann, in angeblichen Telegrammen, ich habe sie nicht gesehen,
Kreisky aufgefordert wird und gefragt wird, wieso die Gewerkschafter
in der Regierung jetzt scheinbar seine Politik so torpedieren, dann
kann ich mir sehr gut vorstellen, wie ein Team tatsächlich aufgespalten
werden kann. Häuser hat, als er seinerzeit im Juni 1971 in der Zeit-
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schrift "Die Akademia " eine CV-Zeitschrift, über die Vermögens-
bildung in Arbeitnehmerhand befragt wurde, nur in einem Nebensatz
erwähnt, dass es ausser der Vermögensbildung noch eine andere Mög-
lichkeit gibt, um die Konzentration des Vermögens in der Hand von
Wenigen zu verhindern, nämlich eine Vergesellschaftung vorzunehmen.
Die ÖVP wollte aus dem Gewerkschaftskongress, wie sie schreibt, auch
klassenkämpferische Theorien herausgehört haben. Insbesondere wird
auch Benya wegen seiner Äusserungen: Es ist nicht entscheidend, wer
die Produktionsmittel besitzt, sondern wer darüber verfügt und wie er
darüber verfügt, war nicht in der Öffentlichkeit hart angegriffen,
aber doch in höchsten Spitzengremien der Handelskammer deshalb attackiert.
Häuser hat deshalb in einem Interview, das ich nicht gehört habe,
zwar erklärt, dass die soz. Regierung absolut hinter der Meinung des
Bundeskanzlers steht, dass eine Verstaatlichung derzeit nicht in Frage
kommt und auf die Zusatzfrage, welche Verstaatlichungen er sich vor-
stellen könnte, auf die Versicherungen, die Lebensmittelindustrie und
die pharmazeutische Industrie hingewiesen. Da Häuser auch gleichzeitig
seine Diskussion resp. Auffassung gegenüber der FPÖ dokumentiert,
ergibt sich für den Gegner die Möglichkeit, neuerdings Gegensätze
zwischen dem ÖGB und der SPÖ – sprich Benya, Häuser auf der einen
Seite und Kreisky auf der anderen Seite – herauszulesen. Kreisky
will die kleine Koalition, der Gewerkschaftsbund wünscht die grosse
und deshalb torpediert er jetzt bereits die FPÖ, um die kleine
Koalition unmöglich zu machen. Nun beginnen die Funktionäre in der
SPÖ und zwar die mittleren, aber auch die höchsten Funktionäre an
dieses Märchen zu glauben. Richtig ist, dass der Gewerkschaftsbund oder
deren Führung mehr für eine grosse Koalition plädiert, aber genauso
richtig ist, dass über dieses Problem überhaupt noch keine Beschlüsse
in einem Gremium gefasst wurden, zumindestens weiss ich nichts davon.
Wie in solchen Wahlzeiten hektisch selbst Spitzenfunktionäre nicht
mehr logisch denken, ergibt dieses Beispiel. Wenn der ÖGB gegen eine
kleine Koalition ist, dann dürfte er doch oder müsste unter allen
Umständen trachten, dass wir die absolute Mehrheit erreichen. In
diesem Fall ist nämlich das Problem einer Koalition überhaupt nicht
aktuell. Was soll daher der ÖGB für ein Interesse haben, Kreisky
jetzt Prügeln zwischen die Füsse zu werfen, damit womöglich diese
absolute Mehrheit nicht erreicht wird. Niemand denkt mehr logisch.
Für mich eine heilsame Lehre.
Ein ähnliches Problem zwischen der Bundeshandelskammer und mir ist
die Frage der Verlängerung des Importstosses resp. der zusätzlichen
Ausstellung von Einfuhrlizenzen für Ost- resp. Japanwaren. Wir
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Wir haben seinerzeit vereinbart, dass wir bis Ende September eine
50 %-ige Aufstockung der Kontingente vornehmen und damit diese
Lizenzen auch tatsächlich ausgenützt werden, habe ich die Weisung
gegeben, dass über den September hinaus eine Verlängerung nicht
in Frage kommt. Für Kassettenrecorder aus Japan haben nun einige
Firmen Lizenzen angefordert, obwohl sie nicht annähernd diese Li-
zenzen effektuieren konnten oder wollten und beginnen sie jetzt
wieder zurückzulegen. Dadurch ist für das Weihnachtsgeschäft nicht
der erwartete Importstoss gekommen, sondern nur Beschwerden einzelner
Firmen beim ÖGB – Tommy Lachs hat hier einige Verbindungen – dass
eben die Regierungspolitik sabotiert werde. Für die Importeure
ist das natürlich gar nichts anderes als ein gutes Geschäft und
der Einfluss auf die Preisdämpfung ist minimalst. Ich habe deshalb
am 13.9. unmittelbar nach der Rückkunft von Reiterer vom Urlaub diesen
ersucht, er möge mit der Handelskammer Besprechungen aufnehmen, um
so schnell wie möglich eine Akkord herzustellen, dass wir weiterhin.
gewisse Kontingente freigeben müssten. Als letzten Ausweg haben Wanke
und Meisl mir vorgeschlagen, sollten wir gegebenenfalls die Kontingente
dies Vorjahres vorziehen, um wirklich noch eine befriedigende Be-
schickung für das Weihnachtsgeschäft zu ermöglichen. Eine solche Idee
hat auch Gleissner von der Handelskammer gehabt und sie vertreten.
Die Fachverbände, Dr. Placek und Ing. Weber vom Industriellenverband ,
haben aber ganz entschieden gegen eine weitere Kontingentaufstockung
oder Verlängerung Stellung genommen. Die BHK verlangt nun, dass sie
dieses Problem in ihrem Präsidium am 13. Oktober zur Sprache bringen
wird und nur dort entschieden werden kann. Rome von der AZ, der von
mir oder unserem Haus sicherlich nicht verständigt wurde, hat bereits
angefragt, was eigentlich in dieser Angelegenheit jetzt geschieht.
Er hat sich zuerst bei Mussil erkundigt und dort erfahren, dass
eben die Bundeshandelskammer am 13.10. entscheiden wird. Er erklärte
mir nun mittags, er hätte keine Zeit mehr und müsste einen diesbe-
züglichen Artikel schreiben nachdem er von mir keine befriedigende
Auskunft für seinen Artikel scheinbar bekommen hat. Ich ersuchte ihn,
solange zuzuwarten, da wir um 3 Uhr, es war 5 vor drei, als er mich
anrief, die Verhandlungen mit der Handelskammer aufnehmen und er würde
dann von Wanke verständigt werden. Mussil selbst hat am Abend eine
Parteiveranstaltung und wollte deshalb unmittelbar nachdem er erklärt
hat, er habe keine Möglichkeit, ohne das Präsidium eine Entscheidung
zu treffen, weggehen. Ich ersuchte ihn dennoch zu bleiben, da ich
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überzeugt war, dass wir eine Kompromisslösung finden konnten. Dr. Meisl
insbesondere plädierte, dass wir doch die Kontingente vorziehen könnten.
Hillebrandt allerdings meinte, dies würde Schwierigkeiten ergeben, da
man zuerst mit den Handelsdelegierten reden müsste, ob sie bereit
wären, bei Vorziehung der Kontingente diese dann im nächsten Jahr
sich auch tatsächlich anrechnen zu lassen, oder nicht erklärten, dies
bedinge eben, dass die Kontingente zu niedrig sind und sie müssten
entsprechend aufgestockt werden. Eine Befürchtung, die übrigens auch
Dr. Gleissner hat, der in dem Fall sogar meinte, es wären die Verhand-
lungen über eine Liberalisierung bis zum Jahre 1975 und damit das
sogenannte Sicherheitsnetz, wie wir es bei Polen gefunden hatten,
gefährdet. Die Ungarn und die Tschechen zeigten nämlich wenig Nei-
gung eine generelle Lösung, die ähnlich der polnischen Lösung wäre,
zu akzeptieren. Es ergab sich hier für die BHK verständlicherweise
die Frage, ob sie handelspolitisch scheinbare Atouts jetzt bereits
abgeben wollen. Ing. Weber wollte unbedingt von mir wissen, welche
Gründe das Handelsministerium veranlassen, überhaupt eine weitere
Aufstockung der Kontingente zu verlangen, nachdem die Importe sowieso
so stark zugenommen haben und die Exporte, wie er sich ausdrückte, stag-
nieren und damit das Handelsbilanzdefizit immer grösser wird. Ich
wies darauf hin, dass letzten Endes die Regierung immer wieder hart
angegriffen wird, dass sie keine preisdämpfenden Massnahmen ergreift
und selbst die ÖVP beschlossen hat, dass entsprechende höhere Einfuhr-
kontingente von mir vorgenommen werden sollen. Ich gab deshalb unmiss-
verständlich zu verstehen, dass ich auf alle Fälle eine weitere
Liberalisierung durchführen werde. Biese Gelegenheit benützte Mussil
um zu erklären, dann seien eben die Verhandlungen gescheitert und
er verabschiedete sich mit seinen Herren. Ich war über diese Vor-
gangsweise so verärgert, dass ich am liebsten sofort eine vollkommene
Liberalisierung angeordnet hätte. Ich ersuchte Min.Rat Hillebrandt,
diesbezügliche Vorbereitungen dafür zu treffen und Min.Rat Meisl,
sich mit Gleissner noch einmal in Verbindung zu setzen, um ihn über
den Entschluss zu informieren. Nach einiger Überlegung fiel mir allerdings
ein, dass ich eigentlich den Präsidenten der Handelskammer über meinen
Entschluss noch nicht informiert hatte. Zweifelsohne wäre dies aber
als ein ganz schwerer Vertrauensbruch von Sallinger aufgefasst worden.
Ich versuchte, Sallinger deshalb zu erreichen, was mir dann spät
abends gelang und informierte ihn über das bisherige Geschehen. Er
hatte mir Mussil noch keine Gelegenheit gehabt zu sprechen, sagt, er
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würde dies machen und wir vereinbarten, dass wir am Dienstag
und auf alle Fälle noch zusammensetzen. Den endgültigen Ent-
scheid, erklärte ich meinen Herren, auch Meisl und Hillebrandt,
würde ich erst treffen, wenn ich die ganze Sache überschlafen
habe. In dem Fall heisst es allerdings nicht, dass ich wirklich
verschlafen will, sondern dass ich nur den guten Grundsatz nach wie
vor aufrechterhalte, man soll an demselben Tag schwerwiegende Ent-
scheidungen nicht treffen, wenn es unbedingt möglich ist, sich
noch einmal die ganze Angelegenheit zu überlegen und erst am näch-
sten Tag eine wirkliche Entscheidung treffen.
Die Ministerratsvorbesprechung war unheimlich kurz. Sehr zum Unter-
schied von den bisherigen hat Kreisky weder über seine Wahlerfahrungen
berichtet, noch wollte er scheinbar von den Ministern irgendwelche
Informationen. Man hatte das Gefühl, dass eine gewisse Spannung in
der Luft lag und niemand hat dazu beigetragen, diese auch dann
tatsächlich zur Entladung zu bringen. Rösch hat mir zum Schluss
– wir waren die beiden letzten, die weggegangen sind – erklärt,
das Traurige dabei ist nicht, dass jetzt die Verstaatlichungspro-
blematik so in den Vordergrund kommt, sondern dass jetzt scheinbar
der Eindruck entsteht, dass dieses geschlossene Team, welches
knapp vor der absoluten Mehrheit steht, in Wirklichkeit ausein-
anderfällt. Häuser befürchtet – wahrscheinlich nicht ganz zu
Unrecht – dass man jetzt einen Sündenbock sucht, insbesondere in
den Bundesländern, damit man, wenn die absolute Mehrheit nicht
erreicht werden kann, dann umso leichter erklären kann, schuld sei
er gewesen, da er mit der Verstaatlichungsdiskussion die grosse
Chance zerschlagen. Als Draufgabe wird es dann sicherlich noch
heissen: Und die Benzinpreisfrage war das Tüpfelchen auf dem I.
An und für sich finde ich diese Idee für so absurd, dass man darüber
gar nicht einige Worte verlieren sollte. Andererseits aber muss
ich zugeben, dass sie optisch sicherlich bei mittleren Funktionären
und vielen Wählern vorhanden sein wird resp. ist.
Bei unserer ständigen Diskussion mit den Akademikern, die in Ab-
ständen von einigen Monaten erfolgt, griff ich natürlich diese
heissen Eisen bei meinem Einleitungsreferat auf. Wieweit dies
in diesen Kreisen von Nutzen ist, kann ich natürlich nicht beur-
teilen. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass uns nicht Nahe-
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stehende, Gegner nehme ich kaum an, dass sich überhaupt bereit
finden, zu unseren Aussprache zu kommen, fragen, wenn nun diese
Probleme immer wieder von der Soz. Partei und deren Mandataren
in den Vordergrund gestellt werden, dann muss dies eine besondere
Bewandtnis haben, dass sie doch für die Soz. Partei und die Regierungs-
politik von Bedeutung sind. Trotzdem glaube ich ist es besser, darüber
zu diskutieren und die Entstehungsgeschichte genau zu erklären, als
sich darüber hinwegzuschwindeln.
Gratz war verhindert, an einer Diskussion in der "Camera obscura" teil-
zunehmen, die er bereits zugesagt hatte. Die Frau Kulturminister
Furzewa war frühzeitig angekommen und er ersuchte mich deshalb,
über sein Sekretariat, dass ich um 21.30 Uhr zu dieser Diskussion
gehen sollte. Da ich niemanden gerne im Stich lasse, habe ich trotz
der Akademiker dies akzeptiert und dort um 1/4 10 Uhr die Diskussions-
runde verlassen. Was ich bei dieser Diskussion angetroffen habe und
das Lokal, das ich der erste Mal in meinem Leben betreten habe, hat
alles in den Schatten gestellt, was ich an Negativem erwartete.
Meine Diskussionspartner waren Broesigke von der FPÖ, Kohlmaier
von der ÖVP und das ZK-Mitglied Wimmer von der KPÖ. Die Leitung
der Diskussion – so stellte sich zum Schluss heraus – hatte ein
Redakteur von der Kronen-Zeitung. In diesem schummrigen Lokal,
wo alle anderen im Dunklen waren, sassen gerade wir Diskutanten
von einem Scheinwerfer angestrahlt und konnten überhaupt nicht fest-
stellen, wer uns fragt. Ausserdem meinte der Diskussionsleiter gleich
einleitend zu mir, dass Wimmer sich scheinbar lauter Linksradikale
mitgebracht hat. Wir kamen überein, dass wir gar kein Statement ab-
geben, sondern gleich mit der Diskussion beginnen, da wir um 11 Uhr
beabsichtigten, Schluss zu machen. Interessanterweise meldete sich
nicht sofort jemand zu Wort worauf doch zumindestens einleitend ein
jeder ein paar Worte sagen musste. Da ich überzeugt war, dass sich
die sonstigen Anwesenden in dieser Camera obscura überhaupt nicht für
Politik interessierten und die Gekommenen lauter Apparatschiks von
welcher Seite immer waren, versuchte ich sofort das Thema "Wählen" –
wie, warum – folgendermassen zu beantworten: Was: die Soz. Partei,
wie: Kreuzerl bei 1 machen, warum: das will ich am Abend in der
Diskussion erklären. Als die Diskussion zustandekam, wurde sofort
rein ideologisch geführt nämlich die Frage: Gibt es einen Klassen-
kampf, wieso ist der ÖGB so sozialpartnerschaftlich ausgerichtet,
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wie lange soll der Neocoloralismus in Österreich noch anhalten, warum
bekennt sich die SPÖ nicht zur Verstaatlichung, wie Häuser dies er-
klärt hat, was machen die Nazis in allen Parteien, warum wurde
Strachwitz von der ÖVP aufgestellt und lauter solche obskure Fragen
in der Camera obscura. An eine wirkliche Diskussion war überhaupt
nicht zu denken, ein jeder hat nur versucht, dass seine Ideologien
zu verkaufen. Ein sinnloser Abend vor vielleicht einem Dutzend
Apparatschiks. Nur weil der Rundfunk erklärt hat und angeblich auch
das Fernsehen, er wird von dieser Diskussion eine Übertragung machen,
war scheinbar von Seiten der SPÖ und der ÖVP und der FPÖ die Zu-
stimmung gegeben worden. Der Leiter der Camera obscura soll mit der
Jungen Generation – Weisbier war übrigens auch anwesend – in guter
Beziehung stehen und scheinbar war es deshalb zu dieser Veranstaltung
gekommen. Ich persönlich glaube aber, dass es dem Ansehen – und ich
diskutiere sonst mit jedermann und bei jeder Stelle – sehr abträglich
ist, in wirklich obskure Lokale obskure Diskutanten und ein obskures
Publikum und noch obskurere Themen in einer kurzen Zeit wirklich sinn-
voll und ergiebig aussprechen und diskutieren zu können. Ich habe
deshalb zum Schluss vorgeschlagen, ich bin zwar bereit über alle
und mit jedem zu diskutieren, aber man sollte sich vorher darüber
einigen, welches Problem diskutiert werden sollte, weil ansonsten
es ganz unmöglich ist, auch nur einen annähernden Akkord in der Reihen-
folge der Diskutanten oder auch in der Themenabgrenzung zu finden
und damit in Wirklichkeit ja keine Diskussion entsteht sondern nur
eine Gegenüberstellung verschiedener Ideologien. Die anderen stimmten
mit mir darüber überein, ich glaube sogar ein kleiner Teil dieser
Apparatschiks, die bei dieser Diskussion anwesend waren. Reis ,
der sich für alle diese Fragen sehr interessiert, war ebenfalls
in dieses Lokal gekommen und hat sich hinten irgendwo aufgestellt,
gesehen habe ich ja überhaupt nichts, und erklärte mir nachher,
dass die wirklichen obskuren Besucher dieser Camera obscura gar nicht
die Absicht hatten, dort auch nur zuzuhören, sondern ganz einfach
erklärten, aha, da quargeln ein paar Leute.
Tagesprogramm, 4.10.1971