Mittwoch, 30. Juni 1971
Gestern konnte ich die Einzelbeschlüsse in der ERP-Fachkommission
nicht mehr abwarten und deshalb hat mich Jagoda über die Einzel-
anträge, die beschlossen wurden, genau informiert. Die Verteilung
gestattet sich äusserst schwierig. Derzeit liegen ja 744 Mill. S
Ansuchen vor. Davon sind 546 Beherbergungsbetriebe, 88 Mio Ver-
pflegungsbetriebe, 15 Mill. Schlepplifte, 78 Mill. Bäder und
15 Mill. Kurhäuser. Zur Verfügung stehen aber nur 150 Mill.
Die Sitzung hat für 129,8 Mill. den Zuschlag gegeben. Die ÖVP
hat einen Antrag auf 2 Mio. S, doch hat Landeshauptmann Haslinger
dieser Ansuchen abgelehnt. Wichtig erscheint mir nur, dass alle
Änderungen, Ablehnungen, Aufstockungen und Zuschläge einvernehmlich
erfolgt sind.
Im Nationalrat hat die Tagesordnungen keine besonderen Höhepunkte
ergeben. Diskussionen gab es nur über die Abfertigungsfrage und
über die Studienrichtungen an den Hochschulen. Zur Abfertigungs-
frage war ursprünglich nur geplant, dass höchstens nur 5–6 Redner
sprechen sollten und dann hat es sich herausgestellt, dass es über
ein Dutzend wurden. Da man aber in der Abfertigungsfrage letzten
Endes zustimmte – dieser Beschluss wurde mit den Stimmen der ÖVP
gefasst, die FPÖ hat sich dagegen ausgesprochen – kann man natür-
lich sehr schwer gegen die Regierung polemisieren. Eine weitere
Aktion, dringliche Anfrage oder sonstiges ist nicht zustande gekommen.
Ursprünglich schwirrte das Gerücht herum, dass man wegen des Wehr-
ersatzdienstes an eine dringliche Anfrage denke. Ich konnte mir nicht
gut vorstellen, dass nach dem letzten Ergebnis der dringlichen An-
frage gegen Lütgendorf neuerdings die Wehrfrage von der ÖVP als
dringliche Anfrage herangezogen wird. Wenn dies der Fall gewesen
wäre, dann sagte ich, gelte auch hier das Sprichwort: Die ÖVP –
im Krieg sagten wir das immer für die Artillerie – kennt weder
Freund noch Feind, nur lohnende Ziele! Einige ÖVP-Abgeordnete,
wie Mock und Helbich, denen ich zufällig zusammen traf, fragten,
wie dies alles weitergehen soll. Wir werden ja doch jetzt das
Parlament auflösen, es wird zu Neuwahlen kommen, aber was soll
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nachher sein. Ich erklärte meinen alten Spruch, dass ich
kein Politiker sei, dass ich aus der Gewerkschaftsbewegung
komme und dass diese Gewerkschaftsbewegung in der Sozial-
partnerschaft einen viel grösseren stabilisierenden Faktor
darstellt als man vielleicht heute bereit ist, von Seite der
ÖVP zuzugestehen.
Die Kleine Zeitung, Redakteur Weissenberger und Redakteur Christian
von den Salzburger Nachrichten wollten ein Interview. Ursprünglich
versuchten sie mit aller Gewalt unsere Taktik von mir herauszu-
bekommen. Ich konnte mich am besten aus der Affäre ziehen,
indem ich ihnen gleich offen erklärte, ich hätte doch niemals
grosse Politik gemacht und sie sollten doch die Leute fragen,
die dafür zuständig seien. In weiterer Folge interessierten sie
sich für den zu erwartenden Preisbericht, doch auch hier erklärte
ich, dass die Einzelheiten von Kreisky festgelegt werden und ich
ihnen daher keine Auskünft geben kann. Letzten Endes kamen sie
auf das Gebiet, wo ich erstens wirklich etwas weiss und zweitens
auch bereit war, ihnen etwas zu sagen, nämlich auf die Preis-
situation.
Wenn unsere Redakteure nicht sehr schlau sind, dann sind sie
eigentlich sehr schlecht auch informiert. Die beiden wollten
unbedingt von mir wissen, wer eigentlich im Präsidium der SPÖ
sitzt. Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass auch ich dies
nicht genau exakt weiss. Wenn es also nicht eine Finte gewesen
ist um vielleicht auf diesem Weg von mir Details von Beschlüssen
zu erfahren, die ich nebenbei bemerkt, gar nicht weiss, so war
es ein deutliches Kennzeichen dafür, dass sie sich mit innen-
parteipolitischen Fragen nur sehr oberflächlich beschäftigen.
Der Handelsausschuss tagte nicht am Ende der Sitzung sondern während
der Sitzung. Dies ist eigentlich geschäftsordnungsmässig verboten,
doch hatten scheinbar die Klubs untereinander vereinbart, über
diese Bestimmung hinwegzusetzen, da ja im Handelsausschuss wirk-
lich keine Beratungen durchgeführt wurden. In der Sitzung, die
verhältnismässig sehr kurz dauerte, konnte der Vorsitzende, Abge-
ordneter Staudinger, mitteilen, dass der Unterausschuss beschlossen
hatte, neue Unterlagen zum Gelegenheitsverkehrsgesetz zu beschaf-
fen und deshalb der Termin bis 2. Juli nicht eingehalten werden
konnte. Ich benützte die Gelegenheit, um meine Befriedigung zum
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Ausdruck zu bringen, dass Mussil darauf verzichtet hatte, ein so
wichtiges Gesetz ohne eine gründliche Beratung mit Gewalt beschliessen
zu lassen, da damit die bisherige Gepflogenheit der Einstimmigkeit
gestört würde. Mussil wies darauf hin, dass er auch grössten Wert auf
Einstimmigkeit legt, er aber angenommen hätte, wir würden uns seinem
Vorschlag beugen, da dieser – wie er sich ausdrückt – die einzige Möglich-
keit ist, auf dem Verkehrssektor Ruhe und vor allen eine vernünftige
Regelung herbeizuführen ist.
Der HandelsministerNedew, besuchte die Nachrichtentechni-
schen Werke und da es zu keiner Kampfabstimmung kam über die Abferti-
gung irrsinnig lang diskutiert wurde, konnte ich auch an dieser Be-
sichtigung und an dem Werksküchenmittagessen teilnehmen. Gen.Dir.-Stellv.
Langhans, der übrigens jetzt in Pension geht, hatte die Führung über-
nommen und abschliessend dann erklärt, er würde auch uns nur ein Werks-
küchenessen servieren lassen. Tatsächlich gingen wir dann in einen
separierten Raum bei der Werksküche, wo die einzelnen Angestellten und
Arbeiter zu hunderten ebenfalls ihr Essen einnahmen. Nedew erkundigte,
was das Werksessen kostet und tatsächlich sind es ja nur 6.– S, die
man bezahlen muss für Suppe, Fleisch und Beilage. Zuerst fürchtete ich,
dass Langhans das tatsächliche Werkessen, das aus Suppe und vor allem
aus Augsburgern mit Kartoffeln bestand, servieren wird. Doch tatsächlich
hat er nur ein potemkinsches Dorf aufgebaut und erzählt, denn es gab
dann eine grosse Portion Gulasch und anschliessend sogar eine Mehl-
speise. Ich glaube, es wäre zweckmässiger gewesen, Langhans hätte nur
erklärt – und das hätte man ohne dies gesehen – dass hier das Kasino
oder die Werksküche sich befindet und auch nur ein entsprechend ein-
faches Essen gekocht werden könnte. Das Essen hat nämlich allen sehr
gut geschmeckt und ich selbst strich immer wieder hervor, dass es
viel zielführender ist, unseren Gästen heimische Küche vorzusetzen,
ohne diesen internationalen Schlick, den man sonst bei den Empfängen
immer bekommt.
Am Abend war ich deshalb auch sehr froh, dass es Fälbl übernommen hat,
in Bisamberg, wo er wohnt, bei einem verhältnismässig kleinen Heurigen
die ganze Delegation mit einem wirklichen Nachtmahl zu versorgen, wie
man es nur in solchen Lokalen bekommen kann. Die Familie – es ist ein
Familienbetrieb – hat am Vortag – wie sie sich ausdrückten – ein
Schwein geschlachtet und daraus Würste erzeugt und Rollkarrees gekocht,
die wirklich hervorragend schmeckten. Ich weiss nicht, ob es nicht wirk-
lich zielführender wäre, bei allen offiziellen Besuchen viel mehr von
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den heutigen internationalen Standard und Niveau herabzusteigen und
dafür ganz unprotokollarisch, aber dafür umso herzlicher und typi-
scher den Gästen Wien und deren Küche und vor allem auch deren
Leben zu zeigen, wie es wirklich ist. Es Lösung könnte doch darin
bestehen, dass man um allein schon von der Übersetzung wegzukommen,
die Heimatsprache des Gastes sprechende Männer und Frauen finden
müsste, die ganz unverblümt hier mit ihm über Probleme diskutieren,
die ihn tatsächlich interessieren und wo er sicherlich dann viel
mehr Erfahrung und Einblick bekommen könnte in das Land, das er gerade
besucht. Z.B. war ich sehr erfreut wie ich in Bulgarien zwei Leute
von der VÖEST getroffen haben, die sich mir vorstellten und mir
einiges über ihre Erfahrungen erzählten. Ich bin überzeugt, dass
aber solche Ideen vom Protokoll nicht nur nicht aufgegriffen sondern
wahrscheinlich mit tausend Einwänden, von der Sicherheit angefangen
bis zur Desavouierung des hohen Gastes, kommen würden, deshalb niemals
verwirklicht werden würden.
Würzl hatte mich bereits im Parlament davon informiert, dass sich
jetzt auch Schwierigkeiten ergeben, um das Fremdenverkehrsabkommen
unterzeichnen zu können. Wir haben, um eventuell Österreicher, die
ihren ständigen Wohnsitz in Bulgarien haben, die Chance zu geben
als Touristen ausreisen zu können, einen Passus verlangt, wonach die
Vertragspartner bestrebt sein werden, jedwede Erleichterung und
Vereinfachung der Formalitäten im Zusammenhang mit den Reisen ihrer
Staatsangehörigen nach Österreich bzw. in die VR Bulgarien zu
treffen, dies gilt auch für Staatsangehörige eines der beiden
Vertragspartner, die auf dem Staatsgebiet des einen oder anderen
Staates ihre ordentlichen Wohnsitz haben. Zuerst hatten die Bulgaren
scheinbar nicht erfasst, welche Bedeutung dieser Absatz haben könnte
obwohl Würzl sie auf diesen Wunsch besonders aufmerksam gemacht hatte,
und sie darauf hingewiesen hat, dass ein österr. Staatsbürger derzeit
keine Ausreise aus Bulgarien erhalten, wie uns die Botschaft mitge-
teilt hat. Die Botschaft wollte ja bekanntlich auch, dass wir deshalb
das Fremdenverkehrsabkommen nicht abschliessen. Um diesen Passus,
der vielleicht doch dem einen oder anderen Österreicher, der ständig
in Bulgarien wohnt und eigentlich noch nie in Österreich war, die
Chance zu geben, nachher auszuwandern, hätte ich das Fremdenver-
kehrsabkommen paraphiert und unterzeichnet, obwohl die einzelnen
Bundesländer noch nicht informiert wurden. Die Verbindungsstelle
der österr. Bundesländer hat zwar Würzl mitgeteilt, dass sie sich
vorstellen könnte, dass die Länder nichts dagegen einzuwenden hätten,
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doch hat eine Aussprache, die Würzl mit dem Hofrat Manzano von
Salzburg gehabt hat, ergeben, dass dieser sich ganz entschieden
gegen diese Abkommen wehrt. Es ist zwar noch nicht klar, aus
welchen Gründen, aber wahrscheinlich werden die Länder oder
zumindestens Manzano darin eine Einschränkung ihrer Kompetenz
sehen und deshalb haben sie jetzt einmal dagegen Stellung bezogen.
Ich hätte mich aber im Interesse von einem Einzelschicksal über diese
Einwände hinweggesetzt, doch dazu kam ich gar nicht, da die Verhand-
lungen sich dann am späten Abend sich sehr versteiften. Letzten
Endes musste die Arbeitsgruppe unterbrechen und Würzl kam mit den
Mitarbeitern auch zum Heurigen. Dort versuchte nun Nedew alle diese
strittigen Punkte aus dem Vertrag herauszustreichen und mir dann
vorzuschlagen. dass er bereit wäre, den reduzierten Vertrag dann zu
unterschreiben. Ich hätte alle gestrichenen Paragraphen akzep-
tiert, ausser den einen, dem meiner Meinung nach fast wirklich
humanitäre Gründe als Grundlage dienen. Ich erklärte ihm deshalb
unumwunden, dass das Aussenministerium auf dieser Bestimmung
besteht und ich deshalb ausserstande bin, einen Vertrag zu paraphieren
resp. zu unterzeichnen, der nicht eine solche Bestimmung enthält.
Im übrigen gab ich aber unseren Delegationsmitgliedern zu verstehen,
dass ich normaler weise bei einem Heurigen nicht bereit bin, tat-
sächliche Verhandlungen zu führen. Ich könnte zwar – da ich bekannt-
licherweise überhaupt nichts trinke – eine solche Situation gut
nützen, denn vielleicht hat der andere dann nicht mehr den klaren
Sinn, den ich auf alle Fälle auch nach stundenlangen Saufgelagen
noch habe, doch finde ich, dass dies nicht eine richtige Methode
ist, denn wenn dann wirklich irgendetwas passiert, könnte der andere
Sagen, dass wir ihn unter Alkohol gesetzt haben, um unsere Wünsche
zu erreichen. Ich glaube, das trägt zu einem guten Klima nicht bei.
Mit Blecha hatte ich eine sehr interessante Diskussion. Blecha hat
mit seinen Leute durchgerechnet und das schon vor etlichen Monaten,
als wir die Wahlrechtsreform beschlossen haben, dass auf Grund der
Ergebnisse von 1970 die Sozialisten von den 183 Mandaten 89 Mandate
kriegen könnten. Bei Überlegungen Kreiskys spielt nun immer Vorarlberg
eine grosse Rolle, weil er auf dem Standpunkt steht, dort könnten
wir uns ein zweites Mandat, also ein zweites Grundmandat erwerben.
Zu diesem Zweck wird verhältnismässig viel nach Vorarlberg an
finanziellen Mitteln gelegt, wir haben doch u.a. die Frage des
Ausbaues des Güterbahnhofes Wolfurt, wo 1 Mia. S benötigt werden.
Kreisky selbst glaubt, es wäre sogar zielführend, ein Tunnel
zwischen dem Arlberg auf der Basishöhe zu graben, es wird über
die Bregenzer Festspielbühne und deren Aufwendungen nicht nur
verhandelt, sondern auch entsprechende Zuschüsse gegeben, sodass
man wirklich sagen kann, es wird viel Geld aufgewendet, um ein
zweites Grundmandat dort zu erreichen. Ich selbst mich instinktiv
eigentlich sehr negativ dagegen verhalten, ohne eine wirklich
konkrete Erklärung dafür zu haben. Vielleicht habe ich auch des-
halb mich eher negativ gegen diese Politik gestellt, weil ich das
Gefühl hatte, dass ich viel zu oft nach Vorarlberg fahre, um dort
einzelne Wählerschichten zu beeinflussen. Nun erklärt Blecha,
dass in Wirklichkeit der ganze Aufwand für Vorarlberg ganz umsonst
ist. Wenn nämlich Vorarlberg wirklich ein paar hundert Stimmen
dazugewinnt, und dann ein zweites Grundmandat für uns dort heraus-
schaut, so könnten wir das wesentlich billiger ohne den finanziellen
und vor allem den persönlichen Einsatz erreichen, wenn wir dieses
zweite Grundmandat gar nicht bekommen. Dadurch kommen nämlich die
Stimmen Vorarlbergs und den grossen Reststimmentopf des Wahlkreis-
verbandes West, wo bekanntlicherweise OÖ, Steiermark, Kärnten,
Salzburg, Tirol und Vorarlberg zusammengezogen sind, wodurch sich
in Wirklichkeit dann ein Mandat mit wesentlich geringerer Wahlzahl
erreichen wird lassen. Da nämlich in diesen Wahlkreisverband wahr-
scheinlich bis zu einem Dutzend Reststimmenmandate verteilt werden,
wird da einzelne Mandat billiger sein als das Grundmandat in Vorarl-
berg. Ich habe Blecha sofort ersucht, er sollte doch eine kurze Ar-
beit anfertigen und unbedingt allen Regierungsmitgliedern und den
anderen Spitzenfunktionären zur Verfügung stellen. Ich selbst
ärgere mich aber blau, da ich doch immer für Ziffern so viel übrig
gehabt habe und solche Berechnungen selbst mit grösstem Interesse
verfolgt habe und jetzt scheinbar infolge meiner anderweitigen
Tätigkeit diese wichtige Arbeit sträflich vernachlässige und dadurch
solche strategische Fehler nicht bemerkte.
Tagesprogramm, 30.6.1971