Montag, 19. April 1971
Bei der Eröffnungssitzung des Kongresses der Internationalen
Handelskammer (IHK) konnte ich glaube ich mein ganzes Ministerium
dort begrüssen. Es wäre wirklich interessant festzustellen, wer
aller von der Handelskammer vorgeschlagen wurde, an dieser Eröffnungs-
sitzung teilzunehmen. Z.B. habe ich Sekt.Chef Jagoda nicht entdeckt.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Wenn es nicht allzu grosse Mühe macht, sollte man
von der BHK, Dr. Melis, versuchen, die Grundsätze zu erfahren, nach wel-
chen eingeladen wurde. Ich weiss, dass die Veranstalter grosse Schwie-
rigkeiten hatten, da sie natürlich auch immer wieder ans Protokoll ge-
bunden sind.
Am meisten freut es mich, dass ein ganz grosser Protokollfehler gesche-
hen ist. Der Bundespräsident sitzt auf der Bühne auf seinem eigenen
Stuhl, das ist üblich und wurde auch so durchgeführt, Nur der Platz
neben mir war eigentlich – wie ich angenommen hatte – für den Bun-
despräsidenten reserviert. Zu meiner grössten Verwunderung sass dann
der Kabinettsdirektor Trescher an dieser Stelle. Er meinte zwar sofort,
bitte, Herr Minister resp. der Aussenminister, der neben mir sass,
sollte sich sofort auf seinen Sessel setzen und er wäre in eine
rückwärtige Reihe gehen. Ich lehnte dies ganz entschieden ab, da ich
mich freute und es ja auch überall erzählte, dass ich für Protokoll-
fehler direkt süchtig bin aber in positivem Sinne, indem ich nämlich
beweisen will, dass hier immer wieder Fehler geschehen und dass es
daher zielführend ist, die ganze Protokollfrage wirklich neu durch-
zudenken. Zu meiner grössten Verwunderung konnte ich nachher bei dem
Empfang, wo dem Bundespräsidenten die ausländischen Delegationslei-
tungen vorgestellt wurden, erfahren, Dr. Oder, der Sekretär von
Präs. Sallinger, klärte mich darüber auf, dass der Kabinettsdirektor
verlangt hatte, dass dieser Sitz für ihn reserviert werden muss.
Da auch Sallinger über dieses Problem lauthals mit mir diskutierte
und Trescher ganz in der Nähe stand, musste er die Diskussion eigent-
lich mit anhören. Ich selbst erwähnte in keiner Phase, dass er mir
gesagt hätte, dass er sich gerne auf einen anderen Platz setzen wolle.
Das Lustigste war aber, dass wir bei einem Konzertstück nach der Er-
öffnung des Bundespräsidenten, uzw . der Feuerwerk-Fanfare von Händel,
ebenfalls alle aufstanden. Kirchschläger bemerkte sarkastisch, jetzt
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stehen wir auch schon bei einem Feuerwehrmarsch auf.
Die Spediteurvertreter waren die Gruppe, die innerhalb der Bundes-
kammer scheinbar den linken Flügel bildet und auch bei der seiner-
zeitigen Vorsprache beim Bundeskanzler bei der Dieselpreiserhöhung die
Führenden waren, Römer und Herr Sigmund kamen, um mir ein Konzept
zu überreichen. Es war vollkommen formlos, wogegen ich mich überhaupt
nicht wehre, sondern ich erklärte sofort, dass ich diese Art der Unter-
redung sehr begrüsse. Im Prinzip lief diese Punktation darauf hinaus,
dass sie ein engeres Einvernehmen mit der ÖBB wollten und irgendwie den
Tarif- und Konkurrenzkampf zwischen den Spediteuren und der ÖBB beenden
sollten. Sie stellten sich vor, dass die Tarife in Hinkunft zwischen
den beiden Gruppen ÖBB und Fuhrwerker abgesprochen werden soll, festge-
legt werden soll und dann auch tatsächlich geprüft werden soll, ob
die Tarife eingehalten werden. Sie hatten allerdings dieses Forderungs-
programm auf Kosten der verladenden Wirtschaft erstellt. Metzner erklärte
sofort, dass zu prüfen sei durch den Verfassungsdienst, ob überhaupt
eine solche Kommission möglich wäre. Da wir die Sitzung früher begon-
nen hatten, war der Syndikus der Sektion Verkehr, Dr. Ebner, später er-
schienen. Zu meiner grössten Verwunderung musste ich feststellen, dass
er diese Punktation gar nicht kannte, sondern dass die Herren sie ihm
erst jetzt übergaben. Er erklärte zwar, dass sie im grundsätzlichen
ja mit den Auffassungen der Sektion übereinstimmen und deshalb nur
kleinere Korrekturen notwendig wären. Ebner bestätigte mir, was bereits
Frühbauer mir einige Male erzählte, dass die Sektion Verkehr in der
BHK derzeit schon ununterbrochen versucht, mit der ÖBB ein besseres
Verhältnis zu erlangen. Ich glaube, dass die beiden einig sind, dass
auf Kosten der verladenden Wirtschaft, eben z.B. des Werkverkehrs,
sie sich sehr leicht einigen und finden könnten. Schon allein aus
dieser Vorgangsweise kann ich verstehen, dass die BHK grösste Bedenken
hat, dass die ganze Strassenverkehrskompetenz zu Frühbauer ins Verkehrs-
ministerium kommt.
Bei dem Besuch des bereits auf der Brandstätte liegenden General-
sekretärs Mussil, unter Anwesenheit von Sallinger, brachte Mussil
auch sofort die Sprache auf das Kompetenzgesetz. Er meinte, dass
es unverantwortlich sei, dass ich tatsächlich trotz seiner Warnung
die Strassenkompetenzen incl. des Werkverkehrs an das Verkehrs-
ministerium abgetreten habe. Ich erwiderte nur das alte Argument,
dass die Kompetenzbereinigung dazu führen muss, dass ein Minister
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womöglich für die wirtschaftlich abgegrenzte Kompetenz zustän-
dig sein sollte. Ich hoffte aber, dass Frühbauer nicht wirklich
den Intentionen der Sektion Verkehr und der ÖBB allzu sehr nach-
gibt. Mussil kritisierte auch sehr stark, dass wir durch den
neuen Aufbau der Ministerien die seit Jahrhunderten bestehenden
Aufbau der Sektionen mit ihren hierarchischen Gliederungen durch
Ministerbüros und sonstige ad hoc zu schaffende Ausschüsse – wie
er sich ausdrückte – verwässern wollen. Er meinte, dass ein
Politruk von Kammersekretären wie in meinem Ministerium als
Ministerbüro in Hinkunft in der ganzen Verwaltung die Sektions-
chefs entmachten wird. Bei dieser Gelegenheit fragte die beiden
auch, warum ich Reiterer nicht nach Russland mitnehmen möchte.
Ich erklärte ihnen, dass Reiterer immer wieder erklärt, dass
er soviel zu tun hat, dass er z.B. nicht einmal dazu gekommen
ist, die Negativlisten für den Osthandel auszuarbeiten, resp.
ausarbeiten zu lassen. Das Argument, dass ich nicht der Minister
sei, der sich von einem Kranz von Sektionschefs umgeben wird,
und der vor allem aus kostensparenden Gründen es nur für ziel-
führend erachtet, wenn die Beamten fahren, die mit der Materie
unmittelbar zu tun haben, löste als einzige Reaktion aus, dass
sie erklärten, dann würden sie Reiterer die Fahrt bezahlen. Da
in Österreich auch der Sektionschef Manschulo anwesend war, stehen
sie auf dem Standpunkt, Reiterer müsste unbedingt auch daran
teilnehmen. Als sie allerdings dann erfuhren, dass ich bereits
seit 6 Monaten auf die Osthandels-Negativliste warte, die ich
letzten Endes ja mit ihnen gemeinsam besprochen hatte, dass wir
diese machen würden, waren sie, glaube ich, davon überzeugt, dass
es sich hier um eine Entscheidung handelt, um Reiterer zu strafen.
Ich habe zwar an diese Möglichkeit nie wirklich gedacht, aber
wenn sich jetzt herauskristallisiert, dass jetzt dies einer der
Gründe ist, warum Reiterer nicht mitfährt, habe ich eigentlich
auch nichts dagegen. Sallinger regte sich sehr auf, dass in einem
Film über Benya als Sozialpartner der einige Industriellenvereini-
gungspräsident Mayer-Gunthof zu Wort gekommen ist. Er bestätigte
mir zwar sofort, dass Benya sicher damit gar nichts zu tun hat
und Mussil meinte, sie müssten halt einmal mit Zilk über diese
Frage ernstlich diskutieren. Seiner Auffassung nach beginnt der
Rundfunk und das Fernsehen hier insofern Politik zu machen, als
sie die Bestrebungen von Kreisky unterstützen, wonach die Indu-
striellenvereinigung besonders herausgearbeitet werden soll.
Die Arbeiterkammer hat die Berufsbildung für Erwachsene in einer
Arbeitsgemeinschaft, die unter ihrer Führung steht, eingeleitet.
Ein Symposiun auf der Hungerburg soll die Organisationskonstruktion
diskutieren. Die Bundeshandelskammer wehrt sich nun sehr dagegen,
dass hier einseitig von der Arbeiterkammer, resp. vom BFI eine
solche Aktion gestartet wird. Ich glaube, dass es zielführend sein
müsste, hier von Seiten der Arbeiterkammer und der ÖGB mit der
Handelskammer eine gemeinsame Konstruktion zu versuchen. Ebenso hat
die Arbeiterkammer seinerzeit noch ein Berufsforschungsinstitut
beabsichtigt, das gemeinsam mit der Handelskammer erstellt werden
sollte. Nun hat die Arbeiterkammer Wien allein ein Berufspädago-
gisches Institut in Gründung. Auch hier möchte die Handelskammer
womöglich gemeinsam vorgehen. Auch bei der Zusammenführung des ÖPZ
und des ÖKW geht es momentan hart auf hart. Die Handelskammer wäre
bereit, paritätische Vertretungen sofort in der gemeinsam zu grün-
denden Organisationsform. wo das ÖPZ und das Kuratorium für Wirt-
schaftlichkeit sich zusammenschliessen sollten.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte, diesen Fragenkomplex für die nächste
Besprechung mit Präsident Hrdlitschka vorbereiten.
Mussil erklärte mir, dass sie zwar keinen einstimmigen Beschluss
bezüglich des Pipelinegesetzes zustandebringen werden, dass sie aber
eine Präsidialentscheidung herbeiführen werden. In dieser Präsidial-
entscheidung werden sie eine Trennung der Pipeline zwischen Öl und
Gas wünschen. Bei dem Öl-Pipeline.Gesetz möchten sie aber verankert
haben, dass die bisherigen erworbenen Rechte der TAL nicht angetastet
werden dürfen. Ich ersuchte ihn, dass er doch versuchen sollte, die
Stellungnahme der ÖMV zu verstehen, die jetzt eine solche Stellung-
nahme nicht brauchen kann. Sie verhandelt derzeit mit der TAL über
Erhöhung ihrer Durchsatzmengen von 6 Mill. auf 10 Mill. und vor allem
mit den Italienern über die Errichtung einer Gasleitung. Gen.Dir. Bauer,
der auch von ihnen als ein Schlaucherl bezeichnet wird, möchte diese
Verhandlungen über die Runden bringen, bevor die Pipelinefrage und
das Pipelinegesetz konkret diskutiert wird.
Mein Vorschlag, die Gewerbeordnung aus dem politischen Streit
herauszuhalten, fand begeisterte Zustimmung. Sie bestätigten mir,
dass es zielführend war, die Gewerbeordnung nicht vor der Bundes-
präsidentenwahl in die Öffentlichkeit zu bringen. Sie meinten, dass
dies auch in meinem Interesse richtig war, da sich ansonsten in der
Polemik nur eine Verhärtung der Standpunkte ergeben hätte. Nach
der Bundespräsidentenwahl werden sie mir mitteilen, ob und inwieweit
sie imstande sind, den Gewerbeordnungsentwurf gemeinsam zu präsentieren.
Mein Vorschlag, dass man gegebenenfalls über die Wirtschaftsjournalisten
es gibt eine solche Vereinigung bei Horst Knapp, also ohne eine grosse
Pressekonferenz diesen Entwurf in der Öffentlichkeit präsentieren könnte.
wurde positiv aufgenommen. Die Frage – wie Mussil sich ausdrückte – ist
nur, ob sie dies politisch durchstehen. Die Bauern kämpfen jetzt schon
innerhalb ihrer Partei sehr gegen die Wirtschaft, da sie auf dem Stand-
punkt stehen, wir packeln viel zu viel und sie allein müssen den
Kampf gegen diese Regierung führen. Mussil meinte, wenn eine gemeinsame
Präsentation nicht möglich wäre, so könnten wir den Weg dahingehend
nehmen, dass wir ein gemeinsamen Kommunique über die Gewerbeordnung,
d.h. über die Übergabe der Gewerbeordnung an eine Delegation bei
mir im Ministerium oder wie ich vorgeschlagen habe bei einer Vorstands-
sitzung resp. Präsidiumssitzung in der Handelskammer herausgeben.
Diese sehr abgeschwächte Form würde allerdings nur dann zum Tragen
kommen, wenn er aus politischen Gründen ausserstande wäre, eine wirklich
gemeinsame Präsentation nicht verantworten zu können. Bei dieser Gelegen-
heit erfuhr ich, dass man innerhalb der ÖVP die Mär laufen lässt,
dass zwischen Broda und mir in dieser Frage ein grosser Gegensatz ist,
da die Landwirtschaft auf alle Fälle ihre Genossenschaftswünsche durch-
bringt bei Broda und er sich deshalb in einen Gegensatz zu meinem
Intentionen bezüglich des Einbaues der Genossenschaften in die Gewerbe-
ordnung befindet. Ich beruhigte die beiden und stellte ausdrücklich
fest, dass zwischen Weihs, Landwirtschaftsminister, Broda, Justizminister,
Androsch, Finanzminister, und mir ein vollkommenes Einvernehmen in dieser
Frage bestände. Derzeit seien im Entwurf unverändert alle Genossenschaf-
ten der Gewerbeordnung zu unterwerfen, in Verhandlungen aber bin
ich bereit, für die nicht auf ausgesprochenen Gewinn und damit Konkurren-
zierungen abzielenden Genossenschaften, wie z.B. Sennerei-Genossenschaften,
Almweide-Genossenschaften, Zuchtstier-Genossenschaften, auf eine Unter-
werfung unter die Gewerbeordnung zu verzichten. Strittig sei noch, dass
die Landwirtschaftsvertreter, ich erwähnte, dass Rasser und Reinthaler
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bei mir waren, noch die Molkereigenossenschaften ebenfalls aus-
genommen haben möchten. Ich hätte aber in diesem Punkt noch
keinerlei Zusage gemacht. Da Mussil wieder auf die Benachteiligung
der gewerblichen Betriebe bei den Förderungsmassnahmen des Land-
wirtschaftsministerium zu sprechen kam, erinnerte ich mich und
sagte zum dritten Mal, dass er mir versprochen hatte, er würde
mir konkrete Projekte, die von seiten der gewerblichen Wirt-
schaft beim Landwirtschaftsministerium eingereicht wurden und abge-
lehnt wurden, mir endgültig mitteilen, damit ich bei Weihs inter-
venieren könnte. Bis jetzt habe ich keinen einzigen Vorschlag,
resp. Beschwerde erhalten. Mussil erwähnte auch, dass die Landwirt-
schaft derzeit wieder eine grosse Kampagne startet, wo sie gegen
das Kartellgesetz verstossen, ihre Bauern verpflichtet bei den Ge-
nossenschaften einzukaufen resp. ihre Produkte über diese Genossen-
schaften zu verkaufen. Der ideologischen Verbrämung der Bauerntreue
gegenüber ihren Genossenschaften wird hier ein kartellmässig ver-
botener Druck auf die Mitglieder der Genossenschaften ausgeübt.
In diesem Fall verlangte ich entsprechende Unterlagen, die mir Mussil
zusicherte. Auf der einen Seite kann ich bei solchen Aussprachen
immer wieder feststellen, dass die ÖVP über den Kampf der Bauern
gegen die Regierung glaube ich teilweise sehr zufrieden ist, auf
der anderen Seite aber gerade Sallinger und Mussil todfroh sind,
dass wir eine anderes Verhältnis haben. Ich selbst frage mich aber
oft, ob es zielführend ist, dass ich auf dem schon seit 25 Jahren
eingeschlagenen Weg der Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft mit
der Bundeskammer ein so enges Verhältnis habe, während andere mit
den eigenen Interessensvertretungen hart kämpfen müssen. Ich könnte
mir allerdings einen anderen Weg kaum vorstellen, da ich letzten
Endes überzeugt bin, dass unser Weg, der auch für die Regierung
zielführendere ist.
Tagesprogramm, 19.4.1971