Samstag, der 19. Dezember 1970

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Das sich die Budgetdebatte wesentlich länger erstreckte, als im
Fahrplan vorgesehen war, musste auch Samstag noch zur Nationalrat-
sitzung herangezogen werden. Interessant war, dass zwar wesentliche
Programmpunkte und Gesetze vorlagen, u.a. wurden die Marktordnungsge-
setze und die Wirtschaftsgesetze behandelt, ausserdem wurden sozial-
politisch wichtige Gesetzentwürfe verhandelt und letzten Endes auch be-
schlossen. Dennoch war es möglich, bis zum frühen Nachmittag, d.h. von
9 bis 1/2 2 Uhr die umfangreiche Tagesordnung mit doch einer grossen An-
zahl von Diskussionrednern über die Runden zu bringen. Da die Abgeor-
dneten die Nachmittagszüge erreichen wollten, wurden die Redner verhalten,
sich kurz und prägnant zu fassen. Obwohl eine sehr harte Diskussion geführt
wurde und nur einzelne Entgleisungen bezüglich der Länge und des
Ausdruckes festzustellen waren, wurden meiner Meinung nach damit dokumen-
tiert, dass dieser Stil wesentlich zielführender und zweckmässiger wäre.

Mussil war sehr erschüttert, als er von mir bestätigt bekam, dass bei
der Vorsprache der Hauptvertreter der Genossenschaften, es waren die
Revisionsverbände bei Justizminister Broda, auch der landwirtschaftliche
Revisionsverband, resp. Raiffeisenverband anwesend war. Mussil hatte
gehofft, dass er innerhalb der ÖVP doch so stark koordinierenden Einfluss
nehmen kann, dass die einzelnen Bünde nicht aus einer gemeinsamen Politik
ausbrechen. Nun musste er erleben, dass mit Wissen Minkowitsch,wie Gasser
und anderen Funktionären ein Genossenschaftsgesetz bei Broda anstreben, das
wie er – Mussil – sich ausdrückte, eine weitere Benachteiligung der Han-
delsbetriebe mit sich bringen müsste. Ich versicherte Mussil, dass sie
sozialistische Regierung natürlich ein modernes Genossenschaftsgesetz
schaffen wird, dass wir uns aber bemühen werden, darinnen gleiche Start-
bedingungen zu schaffen. Ähnlich wie in der Gewerbeordnung meinte ich,
müsste eben ein neuer Geist auch im Genossenschaftswesen Platz greifen.
Mussil gab zu, dass dies notwendig sei, hat allerdings folgende Bedenken:
die Genossenschaften haben derzeit nicht nur einen legistischen Vorteil,
sie dehnen ihr Geschäft auch auf Nichtmitglieder aus, obwohl dies in
Wirklichkeit im Prinzip verboten ist, sondern haben auch steuerliche und
budgetmässige Vorteile. Ich ersuchte ihn, seine Finanzabteilung sollte
die wirklichen steuerlichen Vorteile des derzeitigen Genossenschaftsrechtes
herausarbeiten. Bezüglich der Subventionen hatte ich ihm ja bereits vor
Wochen mitgeteilt, dass ich mit Weihs übereingekommen bin, dass


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Sektionschef Schratt und Sektionschef Habel überprüfen sollten, wie weit
hier Subventionsvorteile an die Genossenschaften gegeben werden. Wenn Mussil
mir einige Fälle, wo Händler z.B. bei Errichtung von Kellereien keine Subven-
tion oder AJK-Kredite verbilligt kriegen sollten, dann müsst er mir dies
mitteilen, und ich würde entsprechend intervenieren. Anschliessend an diese
Aussprache hatte ich auch noch Gelegenheit, sowohl mit Weihs als auch mit
Broda und Androsch über dieses Problem zu sprechen. Alle teilten meine Auf-
fassung bezüglich der Wettbewerbsgleichheit, nur Weihs meinte, dies müsste
man sich doch noch ganz besonders überlegen. Ich bin überzeugt davon,
dass Weihs versuchen wird, hier die Genossenschaften doch besonders ein
bisschen zu bevorzugen. Da Mussil die Aktenunterlagen, die mir Broda ab-
schriftlich zur Verfügung gestellt hat, gerne besitzen will, habe ich
ihm vorgeschlagen, er soll mir einen Brief offizielle schreiben und ich
werde dann in meinem Antwortschreiben alle diese Probleme aufzeigen. Ins-
besondere werde ich, dies habe ich ihm zwar noch nicht gesagt, bei
dieser Gelegenheit dann von der Bundeskammer ihre konkrete Stellungnahme
zum Genossenschaftsproblem in kürzester Zeit aber sehr ausführlich von
ihm verlangen.

Tätigkeit: Präs. Bauernbund
GND ID: 118894366


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Finanzminister
    GND ID: 118503049


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Justizminister


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
          GND ID: 130620351


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: [unklar; von einer Genossenschaft; Chefred. Thür von der TT interviewt ihn 1971]


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