Die am Abend des Vortages eingesagte Ministerratssitzung fand nicht
um 9 Uhr sondern schon um 1/2 9 Uhr und nicht im BKA sondern im Parlament
Ministerratssitzungsaal statt. Daher kamen Androsch, Weihs und ich
natürlich zu spät. Auf der Stiege erzählte mir Androsch schon, dass
es geglückt sei, einen Abschluss zu tätigen. Es hat sich zwar herausge-
stellt, dass es zwar nicht gelungen ist, die FPÖ so billig zur Zustimmung
zu kriegen wie man ursprünglich angenommen hat. U.A. muss jetzt die
ganze KFZ-Sonderabgabe von 10 % aufgehoben werden. Ursprünglich wollte
ja Kreisky mit der Hälfte durchkommen. Bei den Ruhensbestimmungen wird
den Wünschen der FPÖ nur formell nachgegeben, denn ein Rentner der 65
Jahre alt ist, 540 Monate Pflicht- und Freiwilligenversicherungszeiten
hat, wird es kaum viele geben. Wesentlicher ist, dass der Freibetrag
von 2.162.- auf 2.500.- und der Gesamtbetrag, das ist das Einkommen und
die Pension von 3.844.- auf 4.300.- S erhöht wird. Da für den Weinsteuer-
ausfall die Länder und Gemeinden mit der Alkoholabgabe Ertragsanteilserhö
hungen kriegen sollen, wird die Alkoholabgabe verankert und es wird des-
halb wahrscheinlich in Zukunft möglich sein, diese auch weiter zu behalten
Kreisky schwebt ja seit langem vor, dafür die Gesundheitsaufgaben des Staa-
tes zu finanzieren. Kreisky machte auch zum Schluss noch eine Milchmäd-
chenrechnung, indem er sagte, die 840 Mill. S betragen von budgetkürzungs-
fähigen Betrag von 10 Mia nicht ganz 8 %, das entspricht ungefähr der
Stärke ihrer Fraktion im Parlament. Diese Milchmädchenrechnung lasse ich
natürlich nicht gelten, denn in Zukunft, wo die FPÖ kein Wahlrecht in
Aussicht hat, wird sie kaum sich so billig bereit erklären, einem Budget
zuzustimmen. Da die ÖVP, insbesondere die Bauern, bis jetzt sich gewehr
haben, dem Budget zuzustimmen und nicht bereit sind, uns zu unterstützen,
werden jetzt die Ausgaben des Grünen Planes, die 810 Mill. , neu über-
dacht. Es soll von der FPÖ ein gewisser Bauer Bachinger, vom allgemeinen
Bauernverband Loitfellner und von der SPÖ der Bauernabgeordnete NR Pfeifer
mit Weihs gemeinsam noch einmal die Ausgaben des Grünen Planes durchgehen
und gegebenenfalls Abänderungsanträge im Parlament stellen. Die FPÖ –
so nach Kreisky – hat sich bereit erklärt, keinerlei Beschlüsse mehr
zu beantragen, die eine Haushaltsbelastung bedeuten würden. Dies gilt
bis in das Frühjahr 1971. Damit wäre die Regierung auf alle Fälle bis
zu den Präsidentenwahlen gesichert. Ich selbst hatte ja immer die grosse
Angst, dass wir vor den Präsidentenwahlen scheitern könnten und dann
der Bundespräsident zu einer Entscheidung, nämlich zur Auflösung des
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Parlamentes aufgerufen würde. In der Öffentlichkeit würde dann die ÖVP
und die FPÖ den Bundespräsidenten als einen Mann hinstellen, der sich
ausschliesslich nach den sozialistischen Wünschen richtet. Diese Gefahr
scheint nun endgültig gebannt. Kreisky meinte noch, dass bezüglich der
6 Monate Heeresdienstzeit alle drei Parteien im Parlament einer Lösung
zustimmen würden. Bezüglich des Wohnbaues sagte er zu Moser, da würde
es Schwierigkeiten geben und da müsste er halt schauen, wie er durchkommt.
Verhandlungen aber werden in Zukunft nur mehr die beiden Parteiobmänner
Kreisky und Peter führen, wenn es Schwierigkeiten gibt. Diese Vorgangs-
weise trifft mich gar nicht, weil ich sowieso nicht die Absicht hatte
in keinem einzigen Fall mit der FPÖ Verhandlungen über ein Gesetz zu führen.
In der Politik lässt sich natürlich sehr schwer sagen, ob diese Entscheidung
die einzig mögliche gewesen ist, ob es nicht wesentlich billiger gegangen
wäre, ob man nicht hätte sollen andere Konstellationen noch versuchen. Sicher
ist eines, dass Kreisky mit einem ungeheuren Instinkt diese Situation ge-
nützt hat, ja ich glaube sogar seit jeher auf eine solche Situation hinge-
arbeitet hat. Die FPÖ, die im Wahlkampf, um nicht vollkommen von der ÖVP
an die Wand gedrückt zu werde, erklärt hat, niemals einen sozialistischen
Bundeskanzler zu unterstützen, hat jetzt ohne ihre Gesicht ganz zu verlieren
doch diese Unterstützung Kreisky gewährt. Mit dieser Lösung kann nun wahr-
scheinlich ein ganzes Jahr die SPÖ-Minderheitsregierung weiterregieren.
Bei der Festveranstaltung Pro AUSTRIA – eine Veranstaltung, die die 17
freie mit dem Fremdenverkehr befassten Verbände der Bundeskammer subventio-
niert und veranstalteten, traf ich Sallinger. Ich informierte ihn über den
Abschluss und meinte, dass er doch als Anhänger der grossen Koalition
die auch ich jederzeit immer gewünscht hatte, nun erkennen müsse, dass es
eben auch andere Wege gibt als die ÖVP für eine Lösung zu gewinnen. Ins-
besondere wies ich darauf hin, dass die ÖVP in der jetztigen Phase kaum
verhandlungsfähig ist und Sallinger widersprach dem eigentlich nicht.
Ein Hinweis, dass Withalm ja nach der Bundespräsidentenwahl zurücklegen
würde, und Schleinzer Obmann werden sollte, wurde von ihm nicht wider-
sprochen, er hat nur aufgeschrieen, als ich ihm sagte, dass auch Mock Ge-
neralsekretär werden würde. Er meinte, dass Mock viel zu jung ist, um diesen
Posten ausfüllen zu können.Interessanterweise war bei dieser Veranstaltung
weder direkt noch indirekt beteiligt. Als ich Sallinger darauf ansprach,
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erklärte er mir, dass Dr. Fink, der seinerzeitige Leiter der Sektion
Fremdenverkehr der Bundeskammer ein alter und scheinbar in der Bundes-
kammer nicht sehr beliebter Funktionär, der übrigens jetzt aus den
Funktionen schön langsam hinausgedrängt wird, abgelehnt hatte, daran
mitzuwirken. Sallinger musste deshalb in seiner Begrüssungsansprache
darauf hinweisen, dass selbstverständlich auch die Bundeskammer grösste
Interesse daran hatte, und dieser Aktion PRO AUSTRIA sein ganzes Augenmerk
und Unterstützung zuwenden wird. Nach meiner Festansprache, die ich in
der üblichen Form hielt, musste ich mit Sallinger gleich die Veran-
staltung verlassen, da ich eine interne Sitzung über Integration ein-
berufen hatte.
Bei dieser Sitzung mit Leitner – von Brüssel zurückberufen – Reiterer,
Marquet, Steiger, Meisl, Wanke, Pfusterschmied und mir auch Koppe
war anwesend, weil er die Pressekonferenz für Montag vorbereiten soll,
konnte ich feststellen, dass ich eigentlich sehr wenig über die Vor-
bereitungsarbeiten informiert war. Vielleicht habe ich gegenüber
anderen Ministern mich sehr informiert gegenüber der Delegation
gezeigt. In Wirklihckeit aber muss ich gestehen, dass ich erst in
viel späteren Phasen mir einen Überblick über die Arbeit, die bis
jetzt geleistet wurde, machen konnte. Befriedigt hat mich dieser
Zustand nicht. Ich konnte in weiterer Folge feststellen, dass ich viel
Material eigentlich im Ministerratsvortrag als Anhang gehabt hätte,
das ich mir im Detail nicht angeschaut habe und über das ich letzten
Endes die Sitzungsteilnehmer gefragt habe. Wenn sie intelligente Men-
schen sind – und daran zweifle ich nicht – müssten sie bemerkt haben,
dass ich das Sitzungsmaterial für die Ministerratssitzung nicht genau
studiert habe.
Beim Mittagessen im Institut wollte ich gerne eine endgültige Fassung
über die Verhandlungen der preisdämpfenden Massnahmen, d.h. der Zoll-
senkungen und der Ausgleichsteuerbefreiungen und konnte sie weder von
Zöllner noch von Tommy Lachs oder Schmidt bekommen. Ich lud deshalb
alle drei für Samstag vormittag ins Ministerium, nachdem sie ausser-
stande waren, diese Arbeit noch Freitags zu liefern. Zöllner hatte
zwar wie er erklärte keine Zeit, hat aber dann im Laufe des Tages
sich wahrscheinlich doch anders überlegt. Vielleicht sollte ich auch
hier weniger hart vorgehen und die Freizeit der Genossen nicht so sehr
in Anspruch nehmen.
Die Industriebranchen-Referenten waren zu einer Sitzung zusammen-
gerufen und wurden von ihrem Sektionsleiter Dr. Römer über die neue
Geschäftsordnung von Kottulinsky über die Industriestudie und von
einem guten Referenten des ÖPZ über die Führungsmodelle informiert.
Als erste einer solchen Reihe von Sitzungen war daher die Diskussion
über die Probleme noch sehr zurückhaltend. Immerhin wird aber bei den
Mitgliedern diese Industriebranchen-Versammlung der Eindruck ent-
standen sein, dass man sich hier fortbilden kann, dass man hier
auf diesem Sektor etwas erreichen kann und dass vor allem man nicht
auf Weisungen von oben sondern von Initiative und Mitinitiative im
Hause weiter fortkommen wird. Ich glaube, es wird zweckmässig sein ,
nach einigen Wochen diesen selben Kreis wieder zusammenzurufen um
hier weiter die Diskussion und Aussprache und eine Art Leistungsbericht
der einzelnen geben zu lassen und dann bei der Gelegenheit gleich-
zeitig Richtlinien und Arbeitsmöglichkeiten festzulegen.
Leider konnte ich die Industriebranchen-Sitzung nicht bis zum Ende
anhören, denn um 15.30 Uhr begann die interministerielle Sitzung
über Integration. Es waren mindestens 3 Dutzend Vertreter der Mini-
sterien, aber auch der Kammern anwesend. Ich erörterte für die Kam-
mern, die noch nicht wissen konnten, oder die es vielleicht schon
gewusst aber offiziell vielleicht noch nicht bekannt war , die auf
Grund der Kompetenzlage sich ergebende Organisationsform in meinem
Ministerium. Das Vorbereitungskomitee, welches von Steiger in
meinem Haus und Pfusterschmied von Aussenamt betreut wird, steht
unter Leitung von Dr. Michitsch. Ich erklärte, dass die beiden Sek-
tionschefs, sowohl Reiterer als auch Marquet weniger im Inland
seien und deshalb eine solche Lösung gefunden werden musste. Marquet
meinte allerdings, dass er ja doch sehr viel auch im Inland sein
würde und ich erwiderte dann sofort, dass ja keinerlei Qualifi-
kation mit diesem Ausspruch verbunden sein sollte. Tatsache ist, dass
Marquet ja sehr ungern fliegt und deshalb konnte ich mit einem Gag
über diese Schwierigkeit hinwegkommen, ohne dass – wie ich hoffe –
Marquet beleidigt war. Da er zum Schluss mir noch unter vier Augen
versicherte, dass ich diese schwierige Verhandlung ganz hervorragend
geführt hätte, kann ich annehmen, dass er nicht beleidigt gewesen ist.
Tatsächlich aber hat die Vorarbeiten bei uns im Haus scheinbar
Steiger geführt und ich erfuhr nachher noch, dass Michitsch ein
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sehr hartes Leben in der Sektion hat. Er gilt aber als äusserst
tüchtig und fleissig und ich werde ihn deshalb bei der Pressekon-
ferenz entsprechend herausstreichen. Zuerst glaubte Wanke, dass die
interministerielle Sitzung, da sie Freitag nachmittags einberufen
war, nicht allzu lange dauern würde und ich zur Diskussion zu Pro-
Austria, wo das Fernsehen Zilk insbesondere eine ganze Show abziehen
wollte, und zum anschliessenden Empfang im Rathaus noch gehen könnte.
Ich hätte die interministerielle Sitzung nach eineinhalb Stunden
verlassen können, ich glaube, es war nie ein Minister, der sich so lan-
ge mit diesem Ressort und dieser Frage aufgehalten hat, doch ich zog
die Information, die ich aus dieser Sitzung mitbekam einem Empfang
und vor allem einer Fernsehshow vor. Auch bei dieserSitzung musste
ich feststellen, dass ich über die Details nicht im einzelnen in-
formiert war, und in Zukunft mich wahrscheinlich viel mehr dieser
Aufgabe werde widmen müssen.
Tagesprogramm, 20.11.1970
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)