Montag, der 16. November 1970

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Die Arbeitsbesprechung und auch die Sitzung der Gemischten Kommission
mit den ung. Aussenhandelsminister-Stellvertreter Baczoni war erfolg-
reich. Ungarn ist es in den letzten Jahren zu einer starken Steigerung
des Aussenhandelsvolumens gekommen. 1969 war ein Betrag von 100 Mill. $
und man nahm an, dass dies ein Höhepunkt sein würde. Tatsächlich ist
durch die konjunkturelle Situation 1970 dieses Volumen auf 155 Mill.$
erhöht worden. Insbesondere sind durch die Kooperationsabkommen grosse
Ausweitungsmöglichkeiten geschaffen worden. Der ungarische Vertrag läuft
erst mit Ende des Jahres 1972 ab, doch hat bereits bei der vormittägigen
Aussprache Baczoni darauf gedrängt, dass dieser Vertrag, weil er voll-
kommen veraltet ist, womöglich frühzeitig abgelöst werden sollte. Seinem
Wunsch nach und dem habe ich zugestimmt, wären im Jahre 1971 bereits
Verhandlungen aufzunehmen. Nach Mitteilung von Baczoni sind nur mehr
mit Österreich, der Schweiz Griechenland und der Türkei Clearingab-
kommen. Alle anderen Staaten haben bereits nach Mitteilung des ung.
AH-Ministers multilateralen Zahlungsverkehr. Nach seiner Meinung muss
die ungarische Nationalbank auch derzeit bereits mindestens heuer 20
Mill. $ freie Devisen zuschiessen, um einen Ausgleich einigermassen her-
beiführen zu können. Aus diesem Grund möchte Ungarn so bald wie möglich
auch auf multilaterlae Zahlungsbilanz übergehen. Betreffend die Libe-
ralisierung waren die Wünsche dieselbe, die von den Oststaaten bis jetzt
geäussert wurden. Nur bezüglich der Kooperationen konnten wir feststellen,
dass hier eine wesentlich bessere Entwicklung als in den anderen Ost-
staaten festzustellen ist. Der unga. Aussenhandelsminister sagte
bei dem Essen zu Mittag, dass er auf die Kooperationen den grössten
Wert legt. Hier trifft er sich mit meiner Auffassung, denn auch ich
glaube, dass eine Ausdehnung des Warenverkehrs nur über die Koopera-
tionen möglich ist. Die Ungarn sind der am weitestens fortgeschrittene
Oststaat bezüglich dieses Punktes. Die Ungarn haben mit den Weststaaten
nach ihren Angaben ca. 140 Kooperationen-Verträge. 25 Verträge davon
hat Österreich mit ihnen geschlossen, 50 Verträge stehen derzeit noch in
Arbeit. Da die Steyr-Daimler-Puch AG einen grossen Kooperationsvertrag
jetzt mit Ungarn abschliessen wollen, und zwar denken sie an eine
gemeinsame Produktion von einem ganz modernen Achtzylindermototr,
hatte ich anschliessend an das Essen sofort den Generaldirektor Rabus
mit Min.Rat Peschke aufgesucht. Peschke wird bei uns die Kooperationen
zentral verwalten, resp. zumindestens registrieren und ich war daher
sehr interessiert, in das unmittelbare am nächsftfolgenden Tag statt-


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findende Gespräch zwischen dem Steyrer-Werk und den ungarischen
Vertretungen einzuschalten. Dies ist mir auch restlos gelungen,
da Rabus den grössten Wert darauf legt, den Ungarn zu beweisen,
dass die österreichische Bundesregierung an diesem Kooperations-
abkommen grosses Interesse hat. Die wirklich grosse Befürchtung der
Ungarn, wie auch Sekt.Chef. Matai mitteilte, war die Frage, was zwi-
schen Österreich und Ungarn geschehen wird, wenn Österreich eine
Arrangement mit der Europäischen Gemeinschaft erzielt. Ich konnte
ihn beruhigen, da ich ihm ausdrücklich feststellte, dass Österreich
auch wenn es mit der Schweiz und vielleicht Schweden ein spezielles
Arrangement mit der EWG erreichen sollte, auf alle Fälle
die Handelsvertragshoheit, die trade making power, nach wie vor behalte
wird. Dies ist eine unumstössliche Forderung der österreichischen
Bundesregierung gegenüber der EG. Die ungarische Delegation war,
glaube ich mit dieser Erklärung sehr zufrieden. Beim Essen konnte
ich feststellen, dass Sekt.Chef Matai auch Botschafter Marquet in
dieser Frage angesprochen hatte und wie ich mit einem halben Ohr höhren
konnte, Marquet gegenüber dem Sektionschef der ungarischen Delegation
genau dieselbe Stellungnahme einnahm, die ich ihnen vormittags be-
reits gesagt habe. Die ungarische Delegation teilte mir mit, dass
sie noch eine Aussprache beim österreichischen Aussenhandelsminister
haben würde und dort bitten würde, den Vortrag von Brüssel zu be-
kommen. Ich fragte deshalb Kirchschläger, ob es ihm angenehm ist,
dass er ihnen diesen Vertrag dann übergeben müsste und würde.
Er erwiderte sofort, es wäre ihm viel lieber, wenn ich auf un-
diplomatischem Wege diesen Vortrag den Ungarn zur Verfügung stellen
würde. Da meine Frau am Abend bei der Opernaufführung mit den Ungarn
zusammenkommt, ich selbst aber eine Konferenz im 16. Bezirk hatte,
die ich unter gar keinen Umständen absagen konnte, hatte ich mit
Kirchschläger vereinbart, dass sie ganz formlos den Vortrag dem
Delegationsleiter gibt. Da Kirchschläger nicht in die Verlegenheit
kommen will, dass wenn irgendwelche Staaten, insbesondere vom Osten,
von ihm die Unterlagen bezüglich der EG-Verhandlungen verlangen,
war er nicht nur sehr einverstanden mit dieser Vorgangsweise sondern
begrüsste sie. Kirchschläger befürchtet scheinbar, dass aus solchen


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formlosen Übergabe-n von Dokuemten dann sehr leicht Konsultationen
werden könnten, und genau dies möchte er natürlich unter allen Um-
ständen vermeiden. Da es innerhalb unserer Regierung und gerade
zwischen Kirchschläger und mir keinerlei Kompetenzprobleme gibt, werden
wird in Zukunft deshalb sehr geschickt hier gegenseitig uns die Bälle
zuspielen, Ich werde, wenn notwendig, ganz formlos die notwendigen
Informationen an die Oststaaten ergehen lassen, ohne dass daraus ein
Rechtsanspruch oder vielleicht gar eine Konsultationspflicht entstehen
würde. Die Vorgangsweise über eine dritte Person Material den Ungarn
zukommen zu lassen, ist wie mir Kirchschläger mitteilte, gar nicht
so etwas Absonderliches, sondern wurde auch von ihm schon einige Male
in seiner Beamtenlaufbahn gemacht. Ich hatte mir eingebildet durch
diesen Vorschlag wieder einmal mehr zu beweisen, dass ich gegen das
Protokoll verstosse, wenn es irgendwie notwendig und zweckmässig ist.
In Wirklichkeit dürfte es also innerhalb der Diplomatie auch schon
früher solcher Formen gegeben haben. Interessant ist nur, dass in Wirklich-
keit unsere Erklärung in Brüssel der Presse übergeben wurde und deshalb
eigentlich die Oststaaten über den genauen Wortlaut der Erklärung in-
formiert sein müssten. Vielleicht sind sie sogar auch über diese Er-
klärung ganz genau informiert und wollen nur jetzt die Gelegenheit be-
nütze, bei einer offiziellen Sitzung, dieses Material, das sie schon
erhalten haben, neuerdings zu verlangen, um zu dokumentieren, dass sie
offiziell doch in irgendeiner Weise in diese Frage eingeschaltet zu werden
wünschen. Trifft diese Überlegung zu, dann haben wir umso richtiger ge-
handelt, ihnen die Erklärung des Aussenministers in Brüssel ganz inoffi-
ziell zukommen zu lassen. Da nicht einmal ein Begleitschreiben von mir
der Erklärung beigefügt ist, sondern ganz formlos in einem neutralen
Kuvert gesteckt ist, so können sie wirklich mit dieser gar nichts an-
fangen. Bei der nachmittägigen Gemischten Kommission hatte ich einen
einzigen offenen Punkt, nämlich wie sehr die Lieferungen aus Koopera-
tionsverträgen auf die Kontingentvereinbarung anzurechnen sind. Da
Min.Rat Hillebrandt und seine Leute die Vertragsverhandlungen sehr gut
vorbereitet hatten, die Information, die ich bekommen hatte, war ausrei-
chend und wirklich auf die Schwerpunkte ausgerichtet, konnte auch über
diesen Punkte verhältnismässig bald ein Einvernehmen erzielt werden.
Die Ungarn drängten natürlich darauf, dass in ihrer Formulierung
klar und deutlich zum Ausdruck kommen sollte, dass sie eine Anrechnung
womöglich auf das Kontingent nicht wünschen. Diese Formulierung hätte
aber gegen den Art. 4 unseres derzeitigen Vertrages verstossen und des-

halb auch lt. unserem Verfassungsdienst unmöglich in ein Protokoll auf-


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genommen werden können. Wir fanden dann eine Formulierung, die sowohl
den ungarischen Wünschen weitestgehend entgegenkam aber dennoch von
unserer Seite keine Änderung des Art. 4 darstellte und in Wirklichkeit
nur eine Good-Will-Erklärung war. In Punkt 5 der TO, wo wir nicht genau
wussten, was die Ungarn eigentlich wollten, stellte sich heraus, dass
in Wirklichkeit Baczoni nur eine Erklärung über die langfristigen Per-
spektiven der ungarischen Wirtschaft gegeben hat. Damit war die Tages-
ordnung erschöpft und positiv abgeschlossen.

Beim Bundeskanzler fand eine Aussprache mit den Fuhrwerkern statt, an
der auch Sallinger und Mussil teilnehmen. Die Forderung, die Mineralöl-
steuer zurückzustellen, bis das Güterbeförderungsgesetz und die
Fernverkehrssteuer, das Gelegenheitsverkehrsgesetz usw. im Sinne der
Wünsche der Fuhrwerker novelliert wurde, konnten wir selbstverständ-
lich nicht akzeptieren. Nach einer Unterbrechung, wo wir uns über eine
Rückzugslinie einigten, wurde ihnen folgender Vorschlag unterbreitet:
Der Finanzminister ist bereit, unverzüglich die Verhandlungen über Änderung
der Fernverkehrssteuer aufzunehmen. Derzeit ist es so, dass die 65 km –
Grenze dazu führt, dass die Unternehmen sich an der Peripherie dieser
65 km einen neuen Zweigbetrieb errichten, und wenn sie den nur in
Forme einer Firmenanmeldung machen und dadurch von diesem Radius
wieder 65 km weiter fahren können. Deshalb wünscht das Lastgewerbe,
dass dieser Kilometerkreiseinteilung durch eine Umsatzbesteuerung abge-
löst wird. Die österr.Bundesbahn, für die ja diese steuerliche Belastung
besonders eingeführt wurde, ist mit einer Umstellung auf eine Umsatz-
steuerbelastung einverstanden, verlangt allerdings dafür den Satz von
18 %. Die Fuhrwerker selbst wollen nur 14% leisten und das FM.hat
als einziges Ziel bei der neuen Regelung keinen Steuerausfall zu er-
leiden. Betreffend des Linienverkehrs wurde den Taxlern vorgeschlagen,
sie sollten eine Untersuchung der Bundesregierung übermitteln, wie sie
die Notwendigkeit des öffentlichen Transportes von Beamten durchführen
könnten, dann würde – wie Kreisky sich ausdrückt – die Bundesregierung
es sich überlegen, ob und inwieweit weitere Dienstwagen in Bundesbetrieben
notwendig und zweckmässig wären. Da auch unter diesen Umständen die
Bundeskammer noch nicht bereit war, auf konkretere Verhandlungen einzu-
gehen und nach wie vor erklärte, sie würde die Mineralölsteuererhöhung
unter allen Umständen ablehnen, erklärte Kreisky ganz dezidiert, dass
dann allerdings die ÖVP genau wissen müsste, was die Österr. Bundes-
regierung in solch einem Fall machen sollte, nämlich dass dann
die Bundesregierung darauf dränge würde, Neuwahlen zu erreichen.



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zum Abschluss deutete dann Kreisky noch an, dass gegebenenfalls
wenn es im Parlament zu einer Einigung kommen könnte, die Erhöhung
der Mineralölsteuer in Etappen vorgenommen werden könnte. Die
Fuhrwerker stellen sich – wie ich nachher erfahren konnte – vor,
in der ersten Etappe 30 Groschen und im nächsten Jahr 40 Groschen
während dem dem Finanzminister vorgeschwebt ist, in der ersten Etappe
50 Groschen und im nächsten Jahr 20 Groschen Erhöhung des Diesel-
ölpreises vorzunehmen. Die von den Fuhrwerkern angedeuteten Belastungen
wonach diese Erhöhung von 70 Groschen 25 % ihrer Kostenbelastung
steigern würde, ist vollkommen falsch. Die ersten Konfrontationen
zwischen ihnen und uns ergaben sofort, dass sie hier zurückweichen
müssten. Konkrete Unterlagen hat es weder im Finanzministerium noch
im Handelsministerium gegebe, aber auf Grund von Milchmädchen-
rechnungen konnten wir ihnen nachweisen, dass ihre Behauptungen nicht
einmal eine Milchmädchenrechnung sein konnte. Mussil zog deshalb auch
dann zurück und meinte, wenn auch meine Berechnungen stimmen,
sollten, dann wäre immerhin doch eine Erhöhung um 4 % ihrer Kosten
zu verzeichnen und auch diese 4 % könnten derzeit nicht übernommen
werden. Ich erwiderte dann allerdings, wie für die gewerbliche Verkehrs-
unternehmungan dann,wenn der Vorschlag der ÖVP auf verbilligtes
eingefäbtes Dieselöl für die Bauern Wirklichkeit werden sollte,
die Konkurrenzfähigkeit des Lastiuhrwerkgewerbes gewährleistet
sein könnte. Wenn dieser Initiativantrag Gesetz wird, würden die
Bauern mit Hilfe der Nachbarschaftshilfe Fuhrwerksleistungen zu
wesentlich günstigeren Bedingungnen durchführen, die Genossenschaften
würden wahrscheinlich um dieses verbilligte Dieselöl abgeben zu kön-
nen, Tankstellen errichten und die Konkurrenzierung der gewerblichen
Wirtschaft würde in einem Ausmass Platz greifen, das nicht einmal
die sozialistische Regierung verantworten könnte. Ich wusste, dass
sowohl Sallinger als auch Mussil sich in der ÖVP ganz entschieden
gegen diesen Initiativantrag gewehrt hatten, allerdings dann letzten
Endes doch zugestimmt hatten. Aus diesem Grund konnte ich an die vor-
sprechendede Delegation,auf die Auswirkungen hinweisend, die Frage
richten, was sie nun zu tun gedenken, ob sie auch gegen diesen
Initiativantrag mit entsprechenden Aufmärschen und Protesten ant-
worten würden. Sie hatten zwar bei dieser Aussprache zu diesem Punkt
geschwiegen, ich bin aber überzeugt, dass sie in ihren Organisationen


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über dieses Problem noch sehr eingehend diskutieren werden.
Als einzige Ausrede meldete Mussil, dass die ÖVP diesen Initiati-
vantrag ganz besonders deshalb eingebracht hat, weil auch der Herr
Landwirtschaftsminister einen solchen Entwurf bereits ausgearbeitet
hat. Es stellte sich allerdings dann sehr bald heraus, dass Weihs
nur in der Begutachtung zur Mineralölsteuergesetz in der Stellung-
nahme des Ministeriums auf eine solche Möglichkeit hinverwiesen
hat. Kreisky erwiderte deshalb sofort, dass der Landwirtschaftsmins-
ter,und dafür hat er volles Verständnis, in diesem Fall der Land-
wirtschaft eine besondere Bevorzugung zukommen lassen wollte, dies
aber nicht die Zustimmung der österreichschen Bundesregierung
finden könnte und letzten Endes dafür noch immer der Finanzminister
zuständig sei. Der Finanzminister aber hat diese Anregung nicht
aufgenommen. Kreisky bemerkte dann noch und dies hat mich sehr
verwundert, dass ja auch der Landwirtschaftsminister, wie er den
Krisengroschen erhöhen wollte, und er durch die Regierung erst dazu
gezwungen werden musste. Er schwächte diese Aussage dann allerdings
in der weiteren Debatte gleich dadurch ab, dass er darauf hinwies,
dass auch ich als Handelsminister ja immer wieder die reinen Inter-
essen der Bundeskammer zu vertreten suche und auch hier natürlich
oft mit Problemen, die die Bundesregierung in Angriff nimmt, in
Konflikt kommen könnte. Ein konkretes Beispiel hat er nicht ge-
sagt er hätte auch sicher keines gefunden.

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Tagesprogramm, 16.11.1970


Tätigkeit: Botschafter, Onkel v. Louis Marquet; evtl. Falschidentifikation


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    Tätigkeit: GD Steyr-Daimler-Puch


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      Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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        Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
        GND ID: 130620351


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          Tätigkeit: MR HM


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: ung. stv. Außenhandelsmin.


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Bundeskanzler
              GND ID: 118566512


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
                GND ID: 118723189


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                  Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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