Dienstag, der 17. November 1970

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Bei der Ministerratsvorbesprechung teilte Kreisky mit, dass mit
der FPÖ sich eine Regelung über ihre Budgetwünsche abzeichnet. Die
von der FPÖ verlangten theoretischen oder langfristig wirkenden
Massnahmen, die ziffernmässig nicht zu erfassen sind, können von
uns überhaupt leicht zugestimmt werden, da sie meistens mit den
SPÖ-Forderung übereinstimmen.
l.) wollen sie eine mehrjährige Budgetierung
2) wollen sie für das konjunkturelle Ausgleichsbudget keine
Ermächtigung für den Finanzminister geben, sondern ganz konkrete
Forderung diesbezüglich stellen.
3.) wollen sie die Mehrwertsteuer bereits 1972 einführen, Wenn die
entsprechenden Vorarbeiten so weit gediehen sind und die Konjunk-
turlage es erlaubt, ist gegen diesen Zeitpunkt überhaupt nichts
einzuwenden. Wahrscheinlich wird es aber erst gegen Ende 1972
möglich sein.

Die Aufhebung der Ruhensbestimmungen werden wahrscheinlich nicht
möglich sein, da dies eine wesentliche Belastung des Budgets und
vor allem aber auch der Sozialversicherungsinstitute mit sich
bringen würde. Richtig ist, dass diese Ruhensbestimmungen eine
Zweiteilung der österreichischen Pensionisten vornehmen.Die Pensio-
nisten des Staates können – wenn sie in Pension sind – ohne weiteres
und ohne jede Beschränkung zusätzliche Arbeit verrichten und dadurch
ihr Einkommen wesentlich verbessern. Bei den ASVG-Pensionisten wird
dagegen nur ein gewisser Freibetrag – derzeit 2.162.- S – freigestellt
Die Pension und das Erwerbseinkommen können derzeit S 3.844.- betragen
und auch dann findet kein Ruhen statt, wenn dagegen jemand diese Ein-
kommensgrenze oder Freibetragsgrenze überschreitet, dann wird der
Grundbetrag seiner Pension zum Ruhen gebracht. In Zukunft will Häuser
diese Beträge – diese Freibeträge von Erwerbseinkommen – um 400.-S
ca. erhöhen, damit müssten eigentlich auch die FPÖ einverstanden sein.
Ihr Hauptaugenmerk richtet die FPÖ aber auf die Abschaffung der Sonder-
abgaben, insbesondere will sie die 10 % Zuschlag zum Alkohol und
den Autos nicht mehr zustimmen. Diese Vorschläge können nicht 100 %-ig
erfüllt werden. Betreffend die Alkoholabgabe könnte man um die Wein-
bauern ein bisschen zu entlasten, die Weinsteuer aufheben. Heute

bekommt der Bauer vielleicht S 4.- für den Liter Wein Erzeugerpreis


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und davon sind 52 Groschen Weinsteuerbelastung. Hier könnte man,
wenn man die Weinsteuer zum Verschwinden bringt, den Bauern helfen
und dem Budget allerdings mit 150 Mill. S durch Mindereinnahmen-
belastung auferlegen.

Bezüglich der Forderung der FPÖ im Sozialausschuss, dass die
um weitere 103 Mill. und der Bundeszuschuss für
die ASVG-Renten um weitere 100 Mill. aufgestockt werden sollte
kann wahrscheinliche keine Zustimmung aus budgetären Gründen
gegeben werden.
Die Forderung, die auch die FPÖ mit der ÖVP gemeinsam erhoben hat, im
Wissenschaftsressort den Sachaufwand um ca. 30 Mill. S zu erhöhen,
könnte nur durch eine Umschichtung im Ressort entsprochen werden.

Die Minister kamen auch überein, dass sie vor Weihnachten jetzt
einen Erlass, der bereits vor 6 Jahren in Kraft getreten ist und vor
2 Jahren von der ÖVP-Regierung bestätigt wurde, betreffend die
Geschenksannahme zu Weihnachten, wieder in Erinnerung rufen werden.
Danach sind Gegenstände, die durch Veräusserung einen Wert darstel-
len, als Geschenkannahme zu betrachten. Alles was sozusagen nicht
veräussert wird, wie Wein und sonstige Anerkennungsgeschenke sollte
also nicht verboten werden. Ersten kann man solche Angebinde sowie-
so nicht kontrollieren und zweitens würden die Beamten nur wieder,
wenn man ein generelles und rigoroses Geschenkannahmeverbot erlas-
sen würde, gegen die Bundesregierung von der ÖVP-Gewerkschafts-
vertretung Gasperschitz ausgeschlachtet werden.

Im Ministerrat berichtete der Bundeskanzler, dass ein Telegramm von
Nenning eingetroffen ist, der gegen seine Verbreitungsbeschränkung
protestiert und erklärt, den Verfassungsgerichtshof anzurufen. Die
Bundesregierung wird sich mit diesem Problem eingehend noch be-
schäftigen, es wird Broda eine Enquete über Schmutz und Schund und
Pornographie jetzt bei sich im Ministerium beginnen um endlich eine
mal klarzustellen, in welchem Rahmen die österreichische Verwaltung
gegen Schmutz und Schund wirklich vorgehen sollte und dieser
Gesetze nicht auf einen moderneren Stand gebracht werden müssten.
Es ist zweifelsohne richtig, dass seinerzeit die ÖVP-Alleinregierung,
einen Spiegel, indem sie durch einen Reporter angegriffen wurde, der
Verbreitungsbeschränkung unterworfen hat, weil innerhalb der Ausgabe
eine nackte Frauenfigur zu finden war. Ich nehme nicht an, dass


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seinerzeit die Bundesregierung wirklich auf Grund des Spiegel-
artikels die Verbreitungsbeschränkung aussprechen wollte, sondern
dass ein übereifriger Beamter durch eine Anzeige oder einen Hin-
weis bedingt, auf Grund des Nacktbildes die Verbreitungsbeschrän-
kung ausgesprochen hat. Das Zusammentreffen aber dieser beiden
Umstände lässt den Eindruck entstehen oder liess den Eindruck ent-
stehen, dass hier Schmutz und Schund vorgeschützt wird, um eine
Zensur oder Verbreitungsbeschränkung zu erreichen. Kreisky teilte
auch mit, dass er die Gesellschafterversammlung des ORF für
3. Dezember einzuberufen gedenkt. Dies muss die Bundesregierung be-
schliessen. Die Gesellschafterversammlung müsste die Entlastung
des Geschäftsführers aussprechen, doch Kreisky wird das erst
dann tun, wenn wesentliche Teile des § 14 Rundfunkgesetzes vor-
gesehenen Wirtschaftlichkeitsberichtes vorliegt. Derzeit erklären
die Mitglieder der Prüfungskommission, Böck ein Partner Prethalers
der den Landeshauptmannstellvertreter Müllner verwickelt war, oder
Falkenberg, der bereits über 80 Jahre ist und Loitlsberger, dass
sie dies nicht so schnell machen können. Für das Jahr l967 wurde
von diesen Prüfungskommissären überhaupt kein Wirtschaftlichkeits-
und Zweckmässigkeitsbericht nach dem Rundfunkgesetz durchgeführt.

Meinen Bericht über die Aufnahme von Verhandlungen Interimsabkommen
mit der EWG hatte ich noch ergänzt, indem ich um Verhandlungsvollmacht
beim Bundespräsidenten ansuchen werde. Diese Vorgangsweise erscheint
deshalb zweckmässig, da ich vom Verfassungsdienst ein Gutachten
von Kirchschläger bekommen habe, der sehr zurückhaltend über unsere
bisherige Vorgangsweise in der Vertretung gegenüber der EWG aber auch
in der Verhandlungsvollmachtsermächtigung vorgehen will. Ich muss
mich deshalb wesentlich mehr diesen Fragen auch offiziell widmen
und Koppe wünscht unbedingt, dass wir über die weitere Vorgangs-
weise eine Pressekonferenz sogar veranstalten.

Der rumänischen Aussenhandelsminister BURTICA hatte seinen Vize-
minister NIKOLAE nach Wien geschickt, damit er mir eine persön-
liche Botschaft von ihm überbringt. Ich hatte noch nie in der
rumänischen Botschaft einen Besuch abgestattet, wusste auch
nicht, wann ich endlich zu dieser Besprechung kommen könnte und
schlug deshalb vor, dass er nicht zu mir kommen sollte, sonder
ich zu ihm. Zuerst war beabsichtigt, diese Besprechung in der
Handelsvertetung zu führen, doch wurde ich dann verständigt,

dass die Botschaft dafür besser geeignet sei. Da der Chauffeur


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Leschner dies nicht wusste, führte er mich in die Handelsvertretung
und ich hatte dort wieder die übliche gute Erfährung, unbekannt ein-
dringen zu können. Die Fräuleins, die mich zuerst empfingen, konnten
natürlich mit mir überhaupt nichts anfangen, mein Name sagte ihnen
gar nichts und dann stürzten gleich etliche heraus: Oh, Herr Minister,
bitte vielmals um Entschuldigung, wir sind aber hier nicht vorbereit-
et auf Besprechungen, dass.Sie kommen, das findet doch alles in der
Botschaft statt. Da der Wagen weggeschickt war, ging ich das Stück-
chen zu Fuss und bei der Botschaft standen bereits die Botschafts-
angehörigen, um mich gebührend zu empfangen. Ich finde, wenn man
sich normal benimmt, erregt man als Minister derart viel Aufsehen
dass es fast schon unglaublich klingt. Dennoch bin ich der Meinung,
dass je natürlicher man sich gibt und je weniger man von seiner
Eigenart, die man bisher gehabt hat, ablegt, umso besser ist es,
nicht nur für das Image der Partei sondern sicher auch für sein
eigenes. Die Botschaft beinhaltet nur, dass Rumänien jetzt mit
der UNCTAD als Entwicklungsland behandelt werden will, damit es
ebenfalls in die Zollbegünstigung der Entwicklungsländer gelangen
kann. Österreich wird selbstverständlich Rumänien als Entwicklungs-
land anerkenne, allerdings erwarten die Rumänien, dass wir sie auch
unterstützen bei ihren Wünschen gegenüber anderen Staaten. Ich sagte,
ohne dass ich den Brief gelesen hatte, gleich die Unterstützung
Österreichs zu. Beim Besuch Ceausecsus hatte in einem kleinen Ge-
spräch der Bundeskanzler und der Aussenminister dem Präsidenten ver-
sichert, dass Österreich alles unternehmen wird, um Rumänien in
jeder Beziehung in den internationalen Organisationen ebenfalls
zu unterstützen.

Da sich die Fronten zwischen den Sozialpartnern über die preisdämpfen-
den Massnahmen derartig verhärtet hatten, beide Gruppe, sowohl die
Handelskammer legte eine 50 %-ige allgemeine Zollsenkung vor, die
750 Mill. S gekostet hätte, und die Arbeiterkammer und der ÖGB legten
ebenfalls Listen vor, die ca. 750 Mill. S mit dem Vormaterial
Zollentlastungen ausgemacht hätten, sodass vom Finanzminister beide
nicht akzeptiert werden konnten, sodass ich diese bei den Streithähne
versuchen musste, auf eine vernünftige Linie zu bringen. Ich hatte
eine Aussprache deshalb mit den Interessensvertretungen und konnte
folgendes nach längerer Debatte erreichen: Es wird eine Zollsenkung
in Aussicht genommen, die ohne Vormaterial für die Konsumgüter


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wie die Handelskammer sagte, maximal 75 Mill. S und wie die
AK und der ÖGB sagte, minimal 85 Mill. S betragen soll. Ausserdem
wird man versuchen, dass nur die Hochzollpositionen gesenkt
werden, wobei die Produkte, die bereits im Juni ds.J. auf die
Scherbank gekommen sind, womöglich ausgegliedert werden sollen.
Zöllner war, wie ich nachher erfahren konnte, mit dieser Lösung
nicht sehr einverstanden, weil er das Gefühl hatte, ich drücke
wesentlich mehr zur Handelskammer als zur Arbeiterkammer. Da er schein-
bar die innerpolitischen Verhältnisse und vor allem die Spannungs-
verhältnisse zwischen ÖGB und der Arbeiterkammer in diesem Punkt
nicht überblicken kann oder will, kann er nur zu einer solchen
Auffassung kommen. Sie stört mich an und für sich gar nicht,
da ich letzten Endes ja wirklich die Interesse von Handel, Gewerbe
und Industrie in diesem Fall zu vertreten habe. Androsch, mit dem
ich vorher geredet habe, meinte, er könnte überhaupt nur maximal
120 Mill. für Zollsenkungen in Aussicht nehmen.

Anschliessend an diese Besprechung wollten mir Mussil und Dr. Gleihs-
ner
noch einreden, dass es zielführender ist, wenn ich bezüglich
der Kooperationen, die Ungarn haben bekanntlicherweise ein Sekreta-
riat verlangt, nicht im Ministerium eine besondere Stelle errichte
Ich erklärte sofort, dass dies wahrscheinlich nicht möglich ist,
ich müsste auf alle Fälle ohne die Tätigkeit der Handelskammer
beschränken zu wollen, eine solche zentrale Stelle bei mit im
Ministerium errichten. Ich hatte für diese Tätigkeit Min.Rat Peschke
vorgesehen, aber war gerne bereit über andere Konstruktionen mit
Mussil noch zu sprechen. Mussil wird sich dieses Problem noch
einmal überdenken und mir Bescheid sagen. Auf alle Fälle hat am
Abend bei einem Empfang für die ung. Delegation der Minister Negrosi
mich gefragt, ob ich jetzt im Ministerium eine diesbezügliche Stelle
errichten werde, ich habe ihm sofort zugesagt, in der Meinung,
dass wir auch tatsächlich dieses wichtige Gebiet bei uns zentral
bearbeiten müssen. Ich bin mir allerdings vollkommen klar, dass
die hauptsächliche Tätigkeit auf diesem Sektor nach wie vor bei
den privaten oder vestaatlichten Firmen in Österreich wird geleistet
werden. Ich glaube auch, dass wir kaum alle Informationen von den
Firmen erhalten werden. Die Mitteilungen über Kooperationen, die
oft im Südost-Journal stehen, dürften auf Informationen von der
Ostseite her zurückzuführen sein. Die österreichischen Firmen sind
ausser wenn sie vom Staat etwas brauchen sehr zurückhaltend

mit Informationen an die Bundesstellen. Ich glaube aber, dass es


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der Handelskammer nicht viel besser ergeht.

Androsch hat mich ersucht, für ihn im Parlament im Finanzausschuss
des Bundesrates seine Stelle einzunehmen. da er bei Verhandlungen
mit der FPÖ gebunden war. Ich habe dies gerne übernommen und konnte
bei dieser Gelegenheit feststellen, dass auch der Bundesrat fast
diskussionslos alle diese Gesetze und es waren glaube ich an die 10,
über die Bühne gehen liess. Wäre es zu einer Diskussion gekommen,
hätte ich erstens die Beamten des Ministeriums dort gehabt aber
zweitens glaube ich in keinem einzigen Fall hätte ich nicht irgendwie
auf Anfragen oder Diskussionen antworten können.

Bei einer Besprechung mit den Sektionsleitern im Bezirk wurde die
grosse Sorge ausgedrückt, dass wenn jetzt die FPÖ ihre Wahlreform-
programm mit der SPÖ gemeinsam durchziehen kann und sie dann die
Sicherheit bekommt, auf Kosten der ÖVP mehrere Mandate zu bekommen,
dann nicht mehr bereit sein wird, z.B. das Budget mit uns zu be-
schliessen. Ich erklärte sofort, dass ich diese Gefahr nicht sehe,
denn wenn auch jetzt das Wahlreformprogramm beschlossen wird, d.h.
die Wahlrechtsgesetze novelliert werden, und die FPÖ dann beim
Budgetbeschluss Schwierigkeiten macht, würde dann noch immer die
Möglichkeit bestehen, im Bundesrat mit der Mehrheit dieses Gesetz
nicht zu beschliessen, zurückzuverweisen an den Nationalrat und
dann selbstverständlich ja dort nicht mehr beschlossen würde.
Dadurch müsste die FPÖ Wahlen im nächsten Jahr unter dem alten Wahl-
gesetz machen und dies kann und will sie sich natürlich nicht leisten.

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Tagesprogramm, 17.11.1970

03_0808_01

Tagesordnung 30. Ministerratssitzung, 17.11.1970 (Entwurf 12.11.)

03_0808_02
03_0808_03
03_0808_04

Tagesordnung 30. Ministerratssitzung, 17.11.1970


Tätigkeit: Finanzminister
GND ID: 118503049


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Justizminister


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Journalist
      GND ID: 119318245


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Vizepräs. Kammer d. Wirtschaftstreuhänder


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Wirtschaftsprüfer


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: rumän. Handelsrat, Bruder von Nicolae C.


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: LH-Stv. NÖ, ÖVP


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: Bundeskanzler
                        GND ID: 118566512


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
                          GND ID: 118723189


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: rumänischer Vizeminpräs. und Außenhandelsminister


                            Einträge mit Erwähnung: