Mittwoch, der 28. Oktober 1970

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Bei meiner Begrüssungsansprache des 3. internationalen Produktivi-
tätskongresses konnte ich wieder einige Erfahrungen sammeln. Sekt.Rat
Gröger hatte mir eine sehr inhaltsreiche Rede aufgesetzt, die wirklich
das Problem genau erfasst hat, das bei dem Kongress zur Diskussion steht.
Da ich aber in Wirklichkeit ausserstande bin, eine Rede herunterzulesen,
versuchte ich, aus diesen Unterlagen mit eigenen Worten die Gedanken
wiederzugeben. Dies könnte in Zukunft am besten so geschehen, dass
mit den grossen Typen der Schreibmaschine Schlagworte zusammengefasst
werden. Ich habe mir aus dem beiliegenden Text die wichtigsten Stellen
unterstrichen und sie dann mit eigenen Worten wiedergegeben. Sicherlich
werden vielleicht dadurch in der Satzbildung und grammatikalische Fehler ge-
macht, aber dies ist nicht so wichtig, glaube ich, da die freie Rede
doch besser ankommt. Eine indirekte Bestätigung meiner Auffassung
erzielte ich damit, dass ein ausländischer Delegierter nachher zu mir
kam und sagte, ich hätte nicht nur sehr lieb sondern auch einige doch
neue Gesichtspunkte in diese Begrüssungsansprache gebracht. Ausserdem
liess mich Hofstetter wissen, dass ich angeblich sehr ruhig und über-
legen und nicht so g'schusslert wie sonst diese Ansprache gehalten hatte.
Da beide Kritiker von mir nichts wollen, kann ich ihre Aussage vielleicht
wirklich als eine objektive Wertung betrachten. Ich glaube wir müssten
deshalb dieses System der Ansprachen und Reden weiter ausbauen.

Wanke behauptet, dass Kreisky es vollkommen versteht, Reden, die er
sich aufsetzen lässt oder vielleicht auch selbst abdiktiert, hervorragend
zu bringen, ohne dass der Eindruck entsteht, dass er tatsächlich her-
unterliest. Ich habe dies auch schon einige Male bemerkt. Bei der ersten
Lesung des Finanzgesetzes aber, hat er seine Rede fast vollkommen nur
heruntergelesen und ich glaube, es war ein sehr ungünstiger Eindruck
wie er letzten Endes entstanden ist. Ich persönlich versuchte ja
immer auch im Parlament niemals irgendwelche Unterlagen zum Herunter-
lesen zu verwenden, sondern habe mir nur immer Notizen gemacht. Auch
bei der Fragestunde, wo ich jetzt als Minister Antwort geben muss, ver-
wende ich die Unterlagen nur, um das Problem zu beherrschen, niemals
aber, um die Auskünfte der Abteilungen auch tatsächlich herunterzule-
sen. Die Stenographen haben deshalb in den vergangenen Jahren schon
immer viel Arbeit gehabt, meine unvollständigen Sätze letzten Endes


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einigermassen stilgerecht zu beenden. Bei meinen Antwort in der
Fragestunde haben sie sicher genau dieselben Probleme.

Der ÖVP-Abgeordnete Ing. Helbich wollte mit der Anfrage, wie gross
war die Auflage des von ihrem Ressort herausgegebenen Tätigkeitsbe-
richtes 1969/70 auf eine Regierungsprogaganda schliessen, die die SPÖ
ja ablehnt. Er wollte deshalb mit Zusatzfragen erreichen, dass ich
diese Beträge, die 4.400 S ausgemacht haben, für das Wissenschafts-
ressorts zur Verfügung stellen sollte. Bei dieser Gelegenheit konnte
ich ihm deshalb mitteilen, dass ich ihm ja den Tätigkeitsbericht
meines Amtsvorgängers vorgelegt habe und deshalb auch Mitterer ersuchte
oder aufforderte, dass er die Pressekonferenz abhalten könnte. Da
dieser Tätigkeitsbericht in Wirklichkeit sehr unsystematisch und gar
nichtssagend ist, wollte ich ihn mit heurigem Jahr bereits einstellen.
Nun habe ich eine gute Gelegenheit, da ich Ing. Helbich zusagte, die
4.400 S dem Wissenschaftsministerium zur Verfügung zu stellen, den
Tätigektisbericht für die Zukunft zu unterlassen. Ich werde deshalb
in einem Rundschreiben im Ministerium feststellen, dass ich auf
Wunsch der ÖVP-Fraktion des Nationalrates in Zukunft den Tätigkeits-
bericht nicht mehr von den Abteilungen verlangen werde, weil kein Tä-
tigkeitsbericht mehr im bisherigem Sinne gegeben wird.

Heinzi Kienzl wollte mit Androsch und mir über die Aktion 250 Mill. S
Kredite der Investitionskredit AG bei der ÖNB zur Refinanzierung ein-
zureichen, besprechen. Bekanntlich hat sich Mussil sehr dagegen ausge-
sprochen, weil der Beamtenapparate gegen diese inflationistische Mepo-
-Wechselfinanzierung ganz entschieden Stellung genommen hat. Ich konnte
aber in Erfahrung bringen, dass Taus, bei der Betriebswirtschaftlichen
Woche hatte ich ja mit ihm anschliessend eine längere Besprechung, in
Wirklichkeit nur gegen die Investitionskredit AG nicht aber gegen die
Aktion eingenommen ist. Kienzl wollte von Androsch die Erklärung, dass
er oder womöglich die ganze Bundesregierung für diese Aktion sei und
darauf die ÖNB eben im Sinne des Nationalbankgesetzes positiv reagieren
müsste. Ich warnte vor einem solchen Vorgehen und erklärte ihm , dass
ich jetzt neuerdings mit Mussil gesprochen hätte und Mussil erst versu-
chen würde, seine Denker davon zu überzeugen, dass sie einer solchen
Aktion im Sinne der Schlussfinanzierung der Investitionen der Industrie
zustimmen sollten. Solange dies nicht der Fall ist, könnte die Bundes-
regierung diesen Plan nicht als den ihren bezeichnen, denn dies würde,


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wenn er abgelehnt würde von Seiten der ÖVP nur die Kampagne verstärken,
dass die Soz. Regierung inflationistische Finanzierungen durchführen will.
Wir einigten uns auf den Sprachbebrauch, dass Kienzl dem ERP-Büro und in
der Nationalbank sagen könnte, dass gegen diese Idee von Seiten des Finanz-
ministers und meiner Wenigkeit keine Bedenken bestehen würden, wenn sie
tatsächlich durchgeführt wird.

Der Freie Wirtschaftsverband hat eine Funktionärekonferenz im Haus der
Begegnung in der Königsgasse einberufen. Der Saal war gut gefüllt und
bei dem Eintritt sagte mir bereits ein Spitzenfunktionär des FWV und Vo-
rstandsmitglied Balasz, der am Fremdenverkehrskonzept bei uns mitgearbei-
tet hatte, dass die Kaffeesieder sehr schlecht auf mich zu sprechen seien.
Sie sind über das Annocenausmass von Tchibo sehr erschüttert und empört.
Er glaubt allerdings, dass es nicht zweckmässig ist, wenn ich auf dieses
Problem zu sprechen käme. Ich hielt also mein Referat und kam aber natürlich
am Ende meines Referates ganz genau noch auf dieses Problem Tchibo
zu sprechen und erörterte die Vorgangsweise. Insbesondere wies ich darauf
hin, dass letzten Endes, bevor ich diese Entscheidung auf Grund des Ge-
setzes zu treffen hatte, ich die Organisationen des Freien Wirtschaftsverbandes
aber auch des Wirtschaftsbundes und letzten Endes die offizielle Handels-
kammer nicht nur gefragt hatte, sondern sogar mit ihnen Verhandlungen ge-
führt hatte. Da sie auch keine bessere Lösung wussten, als zu warten,
konnte ich dieser Verschleppungstaktik, die bis jetzt im Ministerium ge-
pflogen wurde, leider nicht zustimmen. Der Kafetier Waltersam kam dann
in der Diskussion selbstverständlich auf dieses Problem zu sprechen. Bei
meinem Schlusswort entdeckte ich auf dem Rednerpult einen Brief: Sehr
geehrter Herr Minister. Ich fragte deshalb sofort, ob jemand diesen Brief
bei der Diskussion vielleicht absichtlich liegen liess, um ihn mir zu über-
geben. Den Inhalt kannte ich ja noch nicht. Waltersam erklärte, dass dies
sein Konzept gewesen ist und er es mir gerne zur Verfügung stellt. Ich
dankte ihm dafür und werde diesen Brief resp. dieses Redekonzept sehr
genau beantworten. Ich ging aber auch bei dieser Versammlung von unserer
generellen Linie nicht ab und habe sogar dort die Industriepolitik an
die Spitze gestellt und die Gewerbeordnugsreform verlangt. Ich teilte
mit, dass ich für alle Funktionäre des Freien Wirtschaftsverbandes u d
für alle Probleme zu sprechen bin, dass ich nur eines nicht zu akzeptie-
ren bereit bin, einem Problem durch Nichtentscheidung aus dem Wege zu
gehen. Ich habe auf Grund der Gesetze zu entscheiden und werde auf Grund
der derzeitigen Gesetze solche Entscheidungen fällen. Ich werde mich be-
mühen, andere Gesetze zu erreichen, aber auch dort werde ich dem


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modernen fortschrittlichen Geist zum Durchbruch zu verhelfen versuchen.
Ich wies bei dieser Gelegenheit darauf hin, dass wir unabhängig, ob die
ÖVP jetzt momentan die Gewerbefreiheit entdeckt hat, unser Wirtschafts-
programm und auch das Zielprogramm des Freien Wirtschaftsverbandes zum
Durchbruch verhelfen müssten. Ich glaube deshalb, dass es notwendig sein
wird, dass wir in dem Konsumentenrat in Arbeitsgruppen aufgeteilt, die
Forderungen des Handels und insbesondere der Kleinhändler genau unter-
suchen. Ich liess die Diskussionsteilnehmer in meinem Schlusswort nicht
im Unklaren, dass ich von einem sogenannten Antischleuderergesetz über-
haupt nichts halte. Ich konnte ihnen beweisen, dass in dem Ministerium
bei mir überhaupt keine Vorarbeiten für ein solches Gesetz geleistet
wurden, die ein brauchbares Ergebnis zeitigen würden. Ich hatte ihnen
auch mitgeteilt, dass ich bei dem internationalen Kleinhandelskongress,
die von Kom.Rat Zach angeregte Diskussion mit den ausländischen Dele-
gierten geführt hatte. Bei dieser Diskussion konnte ich ja damals fest-
stellen, dass man in Deutschland ja viel weiter sei und man uns prophe-
zeite, dass auch in Österreich der Diskonter dann noch wesentlich stärker er-
höht werden wird . Die Kleinhandelsbetriebe haben nur eine Chance, dass
sie überleben, wenn sie sich spezialisieren. Ich glaube, dass es zweckmäs-
sig und zielführend wäre, eine Untersuchung über die Diskriminierung des
Handels durch die Produktionsbetriebe und vor allem durch die Grosshänd-
ler anzustellen. Noch immer geistert in diesen Reihen die Meinung, dass-
die Brauereien z.B. das Bier dem Diskonter, der die Flasche um 2.10
also unter dem Einstandspreis des Kleinhändlers verkauft, diese Flasche
entsprechend billig von den Brauereien geliefert bekommt. Ausser der
Mittelstandsuntersuchung, die jetzt der Wirtschafts- und Sozialbeirat
in Angriff nimmt, wäre es meiner Meinung nach höchste Zeit, dass wir
auch im Konsumentenforum Arbeitsgruppe festsetzen, um die tatsächlichen
Verhältnisse auf dem Verteilungs- und Distributionssektor endlich zu
erfassen.

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TAgesprogramm, 28.10.1970

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Besuchsplan Parlament, 28./29.10.1970

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hs. Notizen

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Tätigkeit: MR HM


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: KR, Bundesgremialvorsteher Lebensmittelkleinhandel


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Bundesrat OÖ, ÖVP


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


        Einträge mit Erwähnung:
          GND ID: 118756265


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Handelsminister, ÖVP, Präs. HK Wien


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Bundeskanzler
              GND ID: 118566512


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Leitender Sekretär ÖGB, SPÖ-NR-Abg.
                GND ID: 136895662


                Einträge mit Erwähnung:
                  GND ID: 119100339


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: Finanzminister
                    GND ID: 118503049


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