Montag, der 19. Oktober 1970

03-0658

In der Ministerratsvorbesprechung teilte Kreisky mit, dass Freihsler
nun auch noch eine Venenentzündung dazu bekommen hat und längere Zeit
wahrscheinlich die Geschäfte von zu Hause aus führen muss. Freihsler
hat vom Generaltruppeninspekteur Fussenegger einen Bericht bekommen,
wonach er der Bundesheerkommission seine Meinung zur jetztigen Gesetzes-
novelle und zur Bundesheerreform darlegen wird. In diesem Schreiben hat
er seinen damaligen Standpunkt wesentlich geändert. Noch unter Schleinzer
war – wie Rösch mitteilte – Fussenegger ein Mann, der für die Verkürzung
des Wehrdienstes eingetreten ist, Schleinzer soll damals ihm gesagt haben,
dass seine Vorschläge Hochverrat am Militär bedeuten würden. Jetzt
muss man annehmen, dass Fussenegger, der mit Jahresende in Pension geht,
seinen Offizierskollegen einen letzten Dienst erweisen will. Die Aus-
einandersetzungen über die Bundesheerreform werden nun leider nicht mehr
von den politischen Parteien getragen, sondern in immer stärkerem Masse
mischen sich auch Beamte in diese Auseinandersetzung ein unter Hinweis
auf die verfassungsmässigen Verpflichtungen wird hier von der Beamten-
schaft des Heeresministeriums und Offiziere sind nun auch einmal Beamte
so agiert, dass sie sich zum Hüter der Verfassung aufschwingen wollten.
Die Offiziere hatten wahrscheinlich das Gefühl, jetzt wäre der Zeit-
punkt gekommen – Urbanek von der Presse hat es ja auch so geschrieben -
wo sie endlich ihre Meinung sagen dürften und sollten. Urbanek meinte
in der Presse einmal, dass sie sowieso zu lange geschwiegen hätten. Als
organisatorisch die grössten Umstellungen in der ÖVP-Alleinregierung
oder auch teilweise in der Koalition von Schleinzer durchgeführt wurden
und von Fachleuten als ein Unsinn bezeichnet wurden, haben sie dazu ge-
schwiegen. Jetzt, wo es darum geht, die Wehrdienstzeit herabzusetzen,
oder z.B. einen Ersatzwehrdienst zu finden, sprechen sie sich in aller
Öffentlichkeit gegen eine solche politische Forderung aus. Für mich war
die ganze Reaktion eine heilsame Lehre, dass man die Beamten oder Fach-
leute natürlich befragen sollte, dass man mit ihnen diskutieren soll,
dass man aber dies in einem wesentlich kleineren Kreis und nicht mit
so grosser Publicity beginnen dürfte, wie die Bundesheerreform gestartet
wurde. Ausserdem muss man natürlich auf die Zusammensetzung einer solchen
Kommission sehr achten, denn sonst kommen die wirklich fortschrittlichen
Kräfte dabei in eine so verschwindende Minderheit, dass letzten Endes
eine ganz andere Politik gemacht wird als die Regierung und vor allem
die Öffentlichkeit auch tatsächlich auf diesem Sektor erwartet.



03-0659

Kreisky kam dann auf seine Regierungs-ergänzende Erklärung zur Budget-
rede des Finanzministers zu sprechen. Über die Bundesheermassnahmen wird
er insbesonders auf die Tradition der sozialdemokratischen Partei unter
Führung von General Körner in der ersten Republik, der Abwehrkämpfer
Wedenig und Jonas zu sprechen kommen. Ausserdem wird er daran erinnern,
dass Mussolini, als er die Trikolore über den Brenner tragen wollte,
die Sozialdemokratische Partei zum dem Aufruf und das Angebot veranlasst
hat, die Arbeiterschaft zur Verteidigung heranzuziehen und sie dem
Heer, damals Heeresminister Vaugoin, zu unterstellen. Weiters wird ins-
besondere der Figl-Aufruf von 1950, worin er der soz. Arbeiterschaft
den Dank ausspricht für ihr standhaftes Verhalten im Kommunisten-Putsch
darlegen.
Die Preisgesetze wird er begründen, dass die Regierung entsprechende
Massnahmen und Möglichkeiten in die Hand kriegen muss. Er wollte ins-
besondere auf die Wirkungen, die die Werbetariferhöhungen auf viele
Preissteigerungen ausgelöst hat und nur der Disziplinlosigkeit des ORF
zuzuschreiben ist. Ich legte ihm folgendes Konzept dar: Die Preisrege-
lungs- und Preistreibereigesetznovelle soll ausschliesslich dazu dienen,
disziplinlose Unternehmer wieder an de Spielregeln der Paritätischen
Kommission zu binden. Nicht um die Errichtung eines Preisstopps – ein
solcher ist ja gar nicht möglich – noch um ein Zurückstauen geht es,
sondern um das Bestreben, dass Unternehmen, die derzeit die Spielregeln
der PK verletzen, zur Preisregelung für ein halbes Jahr verhalten werden
können. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass dies nur für marktbeherr-
schende Unternehmungen oder für ganze Branchen gilt. Deshalb sind die
kleineren Unternehmungen auf alle Fälle ausgenommen. Auch Rösch teilte
mit, dass die Preisländerrefrenten bei ihrer letzten Tagung alle, auch
dann, wenn die Landesregierungen anderer Meinung gewesen sind, laut
Mitteilung von Dr. Singer die Novellen begrüsst haben. Broda teilte mit,
dass im Begutachtungsverfahren alle davon betroffenen Gerichtshöfe
die Verschärfung des Preistreibereigesetzes ebenfalls begrüssten. Der
Verfassungsdienst allerdings hat eine negative Stellungnahme abgeben
und Kreisky wird in Zukunft mit dem Verfassungsdienst in dieser Bezie-
hung engeren Kontakt halten. Es stellt sich überhaupt heraus, dass
Vorschläge, sei es das Gesetz über die Ausschreibungen vom Verfassungs-
dienst und anderen Stellen sehr negativ aufgenommen wurden, Ebenso war
die Anwaltschaft der öffentliches Rechts von dem Verfassungsgerichtshof
kurzerhand abgelehnt worden und der Verwaltungsgerichtshof hat eine
lange aber sehr negative Stellungnahme abgegeben.



03-0660

Frühbauer teilte mit, dass die Donaukraftwerke AG ergänzt werden sollte,
durch Augustin, einen Sozialistischen Vertreter der NEWAG. Dass aber
dieser gleichzeitig der Direktor vom Kraftwerk Amstetten ist, das
sich seinerzeit der Verstaatlichung widersetzt hat und der NEWAG bis
jetzt nicht übergeben, hat Gruber, der Generaldirektor der NEWAG ent-
schieden, dass Augustin nicht in die Donaukraftwerke AG entsandt wird.
Frühbauer wird deshalb zum nächstmöglichen Zeitpunkt Malek von der ÖVP
aus der Donaukraftwerks AG Aufsichtsrat abberufen.

Brown Boveri, Elin und Siemens haben sich gegen den Plan ausgesprochen,
von der ASEA Elektromaschinen zu kaufen. Sie selbst werden allerdings
um 1 1/2 Jahre zu spät mit einer neuen Maschinentype beginnen. Derzeit
allerdings haben sie noch nichts als ein Konzept, eine solche Maschine
zu bauen. Brown Boveri hat angeblich in der Schweiz einige Exemplare
bereits erzeugt. Derzeit erzeugen die österreichischen Firmen
durchschnittlich 14 Stück Elektroloks pro Jahr. Die Idee von der ASEA
jetzt 8 Stück zu mieten oder zu kaufen, ist von ASEA aus gegangen,
weil sie dadurch einen weiteren Markt erobern will. Dagegen wehren sich
die Betriebsräte insbesondere der genannten österreichischen Firmen. ASEA
wollte zuerst mit der Donau-Finanz einen entsprechenden Kreditvertrag,
wonach ASEA im Leasing der ÖBB die Maschinen zur Verfügung gestellt
hätte. Frühbauer will nun eine Maschine auf alle Fälle von der Bern-
Lötschberg-Bahn, die noch eine Privatbahn ist und jetzt erst der
Schweizerischen Bundesbahn heimfallen wird, erwerben, um zu sehen,
ob die Brown Boveri-Konstruktion so günstig ist wie die ASEA.
Von der schwedischen Botschaft wurde im Handelsministerium interveniert,
dass auf Grund des EFTA-Vertrages auch die ausländischen Firmen in
der EFTA den inländischen Firmen gleichgestellt werden müssten. Pittermann
meinte dazu, auch die Norweger hätten bei der Starkstromausrüstung
ausländischen Firmen ausgeschaltet, wenn die inländischen Preise in
Notwegen nicht höher als 10 % über dem ausländischen Angebot lagen.
Dagegen erwiderte Kreisky mit Recht, dass man den Schweden nur vorwerfen
könnte, dass der EFTA-Vertrag auch von ihnen nicht gehalten wird, wenn
sie eine solche Politik praktizieren. Auf Grund des Art. 14 ist Österreich
verpflichtet, ausländischen Firmen den inländischen gleich zu behandeln.
Abgesehen von dieser handelspolitischen Seite ist die Tatsache zu vermerken,
dass die österreichischen Firmen durchschnittlich nur 14 Stück im Jahr
bis jetzt erzeugt haben und in Zukunft 20 Stück pro Jahr, insgesamt 100
Stück Elektroloks in den nächsten 5 Jahren bestellt werden müssen. Derzeit
können sie aber die neuen Loks noch gar nicht bauen und jede Lok, die


03-0661
die ÖBB frühezeitig bekommen, werden das Defizit wesentlich herab-
setzen. Insbesondere muss über die Tauernstrecke eine schnellere
und bessere Lok gefunden werden, weil ansonsten Güterzüger die
wesentlich längere Strecke des Selztales umgeleitet werden. Die
Regierung kam deshalb überein, dass 3 Stück von der ASEA unverzüg-
lichst zu bestelllen seien, da sie 1971 dringendst benötigt werden.

Gratz schlug vor, dass die Bundesregierung auf Weihnachtsgrüsse
verzichten sollte und dies auch der Öffentlichkeit mitteilen.
Kreisky hat leider schon seine Weihnachtskarten bestellt und
deshalb wird nur grundsätzlich gesagt, dass aus Verwaltungser-
spranissen die Bundesregierung selbst auf Weihnachtsgrüsse ver-
zichten wird.

Weihs versuchte, die Regierung davon zu überzeugen, dass er mit
1.12.1970 die Krisengroschenerhöhung rückgängig machen könnte.
Seiner Berechnung hat er, zum Unterschied von dem seinerzeit
erwarteten-Defizit von 55 Mill. S jetzt einen Überschuss am Jahres-
ende von 10 Mill. S zu erwarten. Ausserdem will er den Siloverzichts-
zuschlag von 18 Groschen auf 30 Groschen erhöhen, wodurch eine
Emmentalerpreiserhöhung von 2.- S ab 1.1.1971 Platz greifen müsste.
Er hätte diese Preiserhöhung mit Benya besprochen und der hätte
Verständnis dafür gezeigt. Insgesamt wird der Siloverzichtszuschlag
32 Mill. S für die Bauern Mehrerlös bringen. Androsch sprach sich
gegen diese sofortige Rückführung des Krisengroschens aus. Er wies
darauf hin, dass in dieser kurzen Zeit noch keinesfalls Umstellungs-
massnahmen ergriffen sein können und er glaubt, dass es nächstes
Jahr nicht mehr möglich sein wird, sofort wieder bei einer stärkeren
Milchanlieferung eine neuerliche Erhöhung des Krisengroschens durch-
zusetzen. Aus der Diskussion zeigte sich, dass Androsch sehr gut in-
formiert ist über Agrarprobleme, ich glaube dies ist insbesondere
auf sein gutes Büro im Ministerium zurückzuführen. Häuser meinte,
dass wir den Bauern versprochen hätten, dass wir den Krisengroschen
reduzieren werden, wenn budgetär die Möglichkeht hiezu gegeben ist.
Ich gab folgendes betreffend der Preiserhöhung zu bedenken. Die
Molkereiarbeiter haben mit Anfang des nächsten Jahres wesentliche
und neuerliche Lohnforderungen. Daraus wird sich eine Preiserhöhung
auf alle Fälle ergeben. Da weder der Staat noch die Molkereiwirtschaft
imstande sein würde, diese Beträge aufzubringen Ich glaube deshalb,
dass eine Preiserhöhung als erster Schritt auf Grund von Silozu-
schlagsverzichtszuschlagserhöhung nicht gerade sehr zielführend ist.



03-0662

Kreisky sprach sich überhaupt gegen die Preiserhöhung bei Emmentaler
aus, weil er meinte, dies sei di-e erste Massnahmen, die die
Regierung getroffen hat, um Preise zu erhöhen. Wenn auch. wie Weihs,
behauptet, der Index nur mit 90 Groschen belastet wird, so ergibt
sich doch die unangenehme Situation, dass die Bundesregierung als
erstes den Bauern einen höheren Milchpreis bringt und damit die
Konsumenten belastet. Obwohl mir Kreisky bei einer anderen Stelle
versicherte, dass er meine Meinung teilte, daß Wachstum vor Stabilität
zu gehen hätte, habe ich den Eindruck, dass er auf die Preisentwicklung
sehr genau achtet und sehr empfindlich darauf reagiert. Das Milch-
problem wird deshalb in einem kleineren Komitee, das aus Kreisky,
Häuser, Weihs, Androsch, Rösch und mir besteht, weiter behandelt
werden.



03-0663

Tagebuchnotiz 19. Oktober 1970

Dr. Staribacher eröffnet eine neue Werksanlage der Leitl-
werke in Efferding. 1/2 Stunde Vorbereitung im Auto
auf Grund von Unterlagen der Firma reicht aus, daß der
Minister im Werk als alter Kenner dieser Spezialform
der Mitbestimmung auftreten kann. Nach einigen Minuten
weiß ich selbst nicht mehr Bescheid, ob er nur blufft
oder tatsächlich seit vielen Jahren mit dem Problem
vertraut ist.

Wir sind eine 3/4 Stunde zu früh im Werk. Zum Schrecken
der Veranstalter die eine feierliche Auffahrt durch den
Ort organisiert haben. Der Rundgang mit dem Firmen-
leiter Ing. Leitl vor der offiziellen Eröffnungsfeier
bringt wertvolle Informationen. Dann wird der Minister
im Firmenwagen wieder zur Ortstafel gebracht, um von
dort feierlich eingeholt zu werden.

Es handelt sich um eine Werkseröffnung wie sie im Lese-
buch steht. Die gesamte Belegschaft hat einheitliche
orangefarbene Kleidung bekommen, eine Kolonne von Werks-
Citroenfahrzeugen ist in der gleichen Farbe gestrichen.
An der Spitze der Wagenkolonne ein Rennwagen und ein
Landrover ebenfalls in Werksfarben gestrichen und mit
einer Werksstandarte. Im offenen Wagen werden der
Minister und der Weihbischof gemeinsam durch den Ort
gefahren. Die diesbezüglichen Fernsehaufnahmen erweisen
sich als außerordentlich werbewirksam.

Die Veranstalter wollten ursprünglich ein Ganz-
Tagesprogramm und haben – wie erwartet – unsere Hinweise
auf die Notwendigkeit einer Straffung des Programmes
nicht genügend ernst genommen. Daraus ergibt sich die
Notwendigkeit einer Umstellung und Improvisation.



03-0664

– 2 –

Nach der feierlichen Werkseröffnung findet in einem
eisig-kalten Bierzelt, in dem gleichzeitig die Werks-
kapelle konzertiert, eine Pressekonferenz statt. Be-
merkenswertestes Detail: Redakteur des Linzer Kirchen-
blattes versucht Dr. Staribacher als marxistischen
Handelsminister und damit als Gefahr für Österreich
festzunageln. Dr. Staribacher erklärt: "Sozialist
werden kann man auf Grund theoretischer, beispiels-
weise marxistischer Überlegungen, kann man es aber auch
auf Grund der Bergpredigt, was der Herr Weih-Bischof
sicher bestätigen kann." Und der Herr Weih-Bischof
bestätigt dies vor der versammelten Pressekonferenz
und sekundiert auch sonst sehr eifrig dem Minister.

21. Oktober 1970

03_0657_05

Tagesprogramm, 19.10.1970


Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
GND ID: 119083906


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        GND ID: 118532987


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          GND ID: 118761595


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            Tätigkeit: Finanzminister
            GND ID: 118503049


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              Tätigkeit: Innenminister bis 1977, danach Verteidigungsminister


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                Tätigkeit: Justizminister


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                  Tätigkeit: Bundespräsident bis 1974


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                    Tätigkeit: Beamter HM


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                      GND ID: 125942052


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                        Tätigkeit: Verkehrsminister, LH-Stv. Ktn.
                        GND ID: 12053536X


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
                          GND ID: 130620351


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                              Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


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                                Tätigkeit: Unterrichtsminister, Bgm. Wien


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                                  Tätigkeit: Bundeskanzler
                                  GND ID: 118566512


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