Donnerstag, der 17. September 1970

02-0533

Generaldirektor Reisinger von den Stadtwerken musste unbedingt mit mir
sprechen, da er fürchtete, dass das Pipeline-Gesetz für die Gas-
versorgung von grösstem Nachteil sein könnte, während für die Ölleitungen
nach seiner Meinung die Transportabgabe die einzige ist und deshalb
Staatseingriffe jederzeit berechtigt sind, handelt es sich bei den
Gasleitungen, die ebenfalls unter das Gesetz fallen sollen, nicht
nur um Transportfragen, sondern auch um die Frage der Erzeugung und
Versorgung. Er befürchtet, dass die ÖMV in das Gebiet mit Gasleistungen
eindringen kann und dort den Grossabnehmer direkte beliefert, sodass die
Stadtwerke von diesen nicht mehr Kunden benötigt werden. Ausserdem wies
er darauf hin, dass auf Grund des derzeitigen deutschen Nazi-Energiegesetzes
die Verfahrensfrage bezüglich Beschlagnahme von Grund wesentlich leichter
möglich ist. Ich versicherte ihm, dass ich auf den ersten Punkt sehr
genau eingehen würde und Verständnis für seine Forderungen hätte, dass
aber bezüglich der Enteignung für uns nur – auch dann wenn es umständlich
ist – das alte österreichische Eisenbahn-Enteignungsgesetz inFrage kommt
welches insbesondere erst dann einen Durchzug von Gasleistungen oder
Ölleitungen erlaubt, wenn das Entschädigungsverfahren bereits abge-
schlossen ist. Man wird unverzüglich einen Entwurf für ein Gaslei-
tungsgesetz vom Gasfachverband ausarbeiten lassen und mir zuschicken.
Ich weiss, dass Habel selbst schon einmal die Andeutung gemacht hat,
dass gegebenenfalls ein eigenes Gasleistungsgesetz zweckmässig wäre.
Im übrigen verwies ich darauf, dass ja bereits der Ölindustrie zuge-
sichert hatte, da auch dort verschiedene Bedenken gegen das Pipeline-
gesetz vorgebracht wurden, eine Enquete zu machen, wo ich über dieses
Problem sehr eingehend mit den Interessensvertretungen und den Firmen
diskutieren würde.

Bei der Industriellenvereinigung hatte ich endlich Gelegenheit, an
einer Vorstandssitzung teilzunehmen. Ich war wirklich erstaunt, dass
sich in diesem Saal ca. 100 Personen eingefunden hatten, ich kann mir
nicht vorstellen, dass dies allein der Vorstand war, sondern ich bin
überzeugt, dass auch andere grosse Industrielle dazugezogen wurden.
Präsident Mayer-Gunthof begrüsste mich sehr herzlich und begann sofort
die Wünsche der Industrie zu konkretisieren. Erstens dass die Kosten-


02-0534
situation für sie sehr ungünstig wird, da die Konjunktur sich nicht
mehr wesentlich vergrössern kann und zweitens, dass die Lohnrunde
für sie eine unverträgliche Belastung darstellen würde. Sie bräuchten
ausserdem eine Möglichkeit ihr Kapital zu vergrössern und deshalb
seien die Steuern auch ein Problem ,das für sie auch unerträglich
wird. Drittens müsste sie darauf drängen, dass der ERP-Fonds und auch
vom Budget alle Mitteln ausgeschüttet werden, damit sie ihre Maschinen
kaufen und bezahlen können und letztlich seien Fremdarbeiter dringend
notwendig. Ich konnte auf die Forderungen deshalb leicht reagieren,
weil ich erstens darauf hinwies, dass wir das Kapitalbereinigungsgesetz
und das Strukturverbesserungsgesetz verlängert hätten und dass wir im
ERP sowieso einstimmige Beschlüsse gefasst haben und auch wieder
fassen werden und bezüglich der Sozialpolitik dürfte halt die ÖVP
nicht glauben, dass sie uns links überholen kann, ansonsten ist doch
der soziale Friede, den wir haben, viel wichtiger als die Frage ob
ein oder mehr Prozente über das Mass hinausgehen, was die Industrie
als noch tragbar betrachtet. An der Diskussion beteiligten sich mindestens
zwei Dutzende Redner, manche von ihnen sogar 3 oder viermal und ich glaube
ich konnte mich einigermassen behaupten, insbesondere bewährt sich halt
immer wieder, dass auch in solchen Kreisen ein Schmäh ganz gut ankommt
und auch dort zu Heiterkeitsstürmen führt. Da ich viele aus meiner
früheren Tätigkeit kenne und mit vielen sei es des Büros der Industriel-
lenvereinigung oder mit Funktionären zusammengearbeitet hatte, konnte
ich auch jeden persönlich ansprechen und doch auf einige Beziehungspunkte, die
wir in der Vergangenheit gehabt haben, anspielen. Generaldirektor
Popovic war bezüglich der ERP-Kommission besorgt, weil er glaubt, daß
der neue Vorsitzende, Wirlandner, ein neues Verfahren einführen will,
wo eine Vorsichtung erfolgt, die in irgendeiner Weise eine dirigisti-
sche oder vielleicht sogar planwirtschaftliche Absicht erkennen läßt.
Ich konnte ihn beruhigen und habe anschließend noch mit Wirlandner
darüber gesprochen, der ihn unverzüglich anrufen wird um diese Frage
zu klären. Mein Hinweis, daß die Bundesregierung außer der 1 Mia. S
die sie aus dem Budget zurückstellt, auch wünscht daß die ERP-Mittel
in der Höhe von 650 Mio zum größten Teil doch erst in der zweiten
Hälfte des ERP-Jahres, nämlich 1971, verteilt werden, erwiderte er,
daß diese keinen Einfluß haben könnten, da sie nur 5 % von der insge-
samt 15 Mia-Investitionssume ausmachen. Auch andere Redner – wie
Dr. Weinberger kamen auf dieses Problem und meinten, die Lohn- und
Lieferfristen müßten eine Finanzierung schon noch jetzt ermöglichen.



02-0535

Auch Kommerzialrat Pöschl verlangte, daß man die Promessen bereits
finanzieren sollte. Dies ist aber, wie ich sofort erwidern konnte,
erstens nach Gesetzlage unmöglich und zweitens ist es ja nicht so,
daß ERP eine volle Finanzierung aller Investitionen macht, sodaß
eben mit Hilfe von Bank-Krediten ein Teil zuerst finanziert wird und
die Restfinanzierung halt dem ERP-Fond überlassen bleibt. Direktor
Elke von Sigmund sagte,dann müßte allerdings ja der Effekt wegbleiben,
denn wenn die Bank das Geld leiht, dann würde ja keine Dämpfung
mehr eintreten. Darauf konnte ich sofort antworten, daß dies nicht
der Fall ist, denn wenn die Bank Geld für die Industrie zur Verfügung
stellt, dann ergibt es insofern eine Dämpfung als ja andere Kredit-
werber dann nicht mehr zum Zuge kommen könnten, und makroökonomisch
oder global gesehen dadurch selbstverständlich eine Nachfragedämpfung
nach Investitionskrediten erreicht wird. Das heißt die Summe, die eben
die Banken zur Verfügung stellen, nicht vergrößert werden könnte.
Betreffend die Importbeschränkungen von USA, die sogenannten "invisible-
"Anträge im Repräsentantenhaus wurden ebenfalls zur Sprache gebracht
und hier insbesondere auf die zu erwartende japanische Konkurrenz
aufmerksam gemacht. Die Papierindustrie wies auf die EWG-Verhandlungen hin,
wo insbesondere derzeit beabsichtigt ist, von Seiten Italiens das
von der 30 %igen Zollsenkung Papier ausgenommen werden soll, im
Hinblick auf unsere Kartellsituation. Popovic sprach sich ganz ent-
schieden dagegen aus und meinte, es dürfte nicht eine Industrie
hängengelassen werden. Der Hinweis, daß man dann auch die Importe
nicht zollsenken wird auf diesem Sektor sei unzutreffend, da die
Importe aus EFTA-Staaten kommen. Die Frage der Mehrwertsteuer wurde
ebenfalls angeschnitten und von mir der Standpunkt erörtert, daß wir
dazu insbesondere die Vorarbeit erst treffen müßten, die die alte
Bundesregierung nicht getroffen hat, und zweitens den konjunkturell
richtigen Zeitpunkt abwarten müßten. Der Industrielle Wild sagte, daß
ihm die Gewerkschaftssekretäre und Betriebsräte gesagt hätten, daß
eine Lohnwelle von 18 % kommen werde, weil es eine monochrome sozia-
listische Regierung gäbe und er fragte, was ich dagegen unternehmen
würde. Ich erwiderte sofort, daß in der internationalen Entwicklung
genau das Gegenteil der Fall ist, daß wo sozialistische Regierungen
waren, wie z.B. in England, die Gewerkschaften sehr zurückhaltend
gewesen sind und in der BRD war das auch der Fall. Ich sagte aller-
dings, daß das die internationale Erfahrung sei, die für Österreich
aber deshalb nicht zutreffend ist, weil wir ja hier seit 25 Jahren, ob
Koalition oder monochrom schwarz – oder jetzt monochrom rot – doch


02-0536
in Wirklichkeit bei dem sozialen Klima immer die Sozialpartnerschaft
aufrecht erhalten haben und sich dieser Zustand auch in Zukunft
nicht ändern wird. Unternehmer Blas wollte insbesondere darauf hin-
weisen, daß mit Preisregelung und Preistreiberei der Kostenauftrieb
nicht gestoppt werden kann und deshalb jede administrative Preis-
politik sinnlos ist. Ich konnte ihn beruhigen und sagen, daß ich es
tiefst bedaure, daß wir keinen Akkord erzielt haben in der Verhand-
lung mit den Interessensvertretungen, wo ich mich doch sehr bemüht
hätte und natürlich jetzt die Regierung die entsprechenden Vor-
schläge im Parlament einbringen wird, daß sich aber der § 3a doch
nur gegen die Firmen richtet die an dem österreichischen sozialen
Klima und den Verhandlungsergebnissen das von den Sozialpartnern
erzielt wird sich nicht halten wollen und verwies insbesondere auf
ein öffentliches Unternehmen – ohne den ORF namentlich zu nennen.
Frau Dr. Mussil wies darauf hin, da wir doch gemeinsam in der
Arbeitszeitverkürzungsstudie festgelegt hatten, daß dadurch eine
ca. 4,3 %ige Kostenbelastung eintreten wird und dadurch der ein-
kommenspolitische Spielraum sich verringern wird. Ich strich sofort
heraus, wie gut wir dort in der Studie zusammengearbeitet hatten –
damals noch auf der Gegenseite, jetzt sei ich ja ihr Verbündeter,
und daß wir sicherlich bemerken werden, daß die Gewerkschaften hier
trotzdem nicht,wie befürchtet, irrsinnige Forderungen stellen und
zu Mautner-Markhof gewendet sagte ich, daß doch z.B. auch die Bau-
arbeiter einen ganz vernünftigen Abschluß jetzt getätigt hatten.
Ich war sehr froh, daß insbesondere die Dr. Mussil anwesend war, denn
sie wird natürlich am Abend sofort über diese Aussprache berichten
und ich hatte nicht verabsäumt immer wieder darauf hinzuweisen, daß
ich ja hoffe, daß auch in der Bundeskammer ich bei den Vorstandssitzun-
gen meine Stellungnahmen abgeben könnte. Generaldirektor Hueger von
der Semperit meinte es müßte neben dem Preistreieberei- auch noch
ein Lohntreibereigesetz geben, denn wenn man sich die Entwicklung
ansieht – so sind die Löhne wesentlich mehr gestiegen als die Preise.
Die Industriellen-vereinigung hatte nämlich vorsorglich eine große
Graphik über diese Ziffern auch gemacht. Ich konnte dieses Argument
sofort mit dem Hinweis auf den Verein für Sozialpolitik, der im
vorigen Jahrhundert schon festgestellt hatte, daß die Löhne etwas
anderes seien als die Preise und daß man hier eben aus sozialpoliti-
schen Gesichtspunkten andere Maßstäbe anlegen müßte. Bezüglich der
Preistreieberei und der Wirksamkeit der Paritätischen Kommission
konnte ich mich auf eine Aktion, die er bei mir gestartet hatte,
damals hatte ich Zöllner eben bei mir in der Paritätischen Kommission,
nicht einmal Rohstoffkosten anerkennen wollen, daß ich in dieser


02-0537
Aktion als ehrlicher Makler doch seine Interessen gut vertreten
hatte, was er sofort bestätigte. Die einzige gefährliche Anfrage
kam von Dr. Duschka, dem sozialpolitischen Referenten, der erstens
auf die Gastarbeiterproblematik hinwies, wo ich allerdings sofort
antwortete, daß hier ja jetzt Besprechungen zwischen den Sozial-
partnern stattfinden, der aber zweitens doch von mir verlangte, ich
sollte meinen Einfluß dahin geltend machen, daß die jetzt einge-
brachten Gesetze – die vielleicht, weil die ÖVP dezitiert auf meinem
Sektor, jetzt aber auf Kosten der Unternehmer eingebracht und von
der Regierung verabschiedet wird. Er bezog sich auf den Überstunden-
zuschlag, der in Zukunft laut Gesetz 50 % betragen soll, und auf die
Abfertigungsansprüche, und er erwartet von mir, daß ich die einschrän-
kende Haltung der Industrie und des Gewerbes in meinem Gutachten
auch tatsächlich zum Ausdruck bringe – denn, so meinte er, man müßte
die Krankenscheingebühr in der 25. ASVG-Novelle, die derzeit in
Bearbeitung ist, ebenfalls vom Handelsminister verlangen. Ich erwiderte
auf dieses Forderungspaket, daß ich eigentlich vor der Sozialpolitik
einen Horror habe – ich bin ja bekannt dafür, daß ich diese Probleme.
als "Nichtspezialist" ausklammere, denn ich glaube, daß es hier
zweckmäßiger ist wenn die Fachleute – sei es der Industriellen-
vereinigung, der Handelskammer oder in einem Ministerium doch Grund-
satzüberlegungen einmal anstellen und sich insbesondere mit dem
Sozialminister einmal auseinandersetzen. Ich schlug der Industriel-
lenvereinigung vor Häuser einzuladen, den sie ja viel schlechter
behandeln können, denn der ist auf alle Fälle ihr Gegner, während
ich ja die Gastfreundschaft genieße und noch dazu an ihrer Seite –
der Seite der Industriellenvereinigung – zu kämpfen habe. Bezüglich
der Reorganisation in meinem Ministerium konnte ich allgemeine Zustim-
mung feststellen, da ich ja eben herausstrich, daß ich dieses wie
einen Industriebetrieb führen möchte, mit der Grundsatzabteilung
als Stabsabteilung neben dem derzeitigen hierarchischen Prinzip der
Sektionen oder wie es in der modernen Management-Sprache heißt
management by objectivs.

Generalsekretär Popovic und Vizepräsident Seidl hatten beim Bundes-
kanzler eine Aussprache an der auch ich teilnahm. Es handelt sich um
das große Projekt der Errichtung einer Zellstoffanlage an der Donau.
Karl Landecker, ein sehr großer Industrieller, der allerdings mit
Geld von anderen in Asien und in Kanada große Zellstoff-Fabriken
errichtet hat, beabsichtigt auch in Österreich eine solche aufzu-
bauen. Sein Projekt würde mindesten 250.000 t betragen und damit die
derzeit 676.000 t zu einem Drittel mindestens umfassen. Für ein


02-0538
solches Projekt ist aber der Rohstoff nicht vorhanden und es müßten
dann mindestens 6 oder noch mehr Betriebe stillgeleget werden.
Kreisky sprach sich eigentlich gegen dieses Projekt aus obwohl
Landecker ein sehr guter Bekannter von ihm ist.

Breucher, Hauptgeschäftsführer von Handel, Industrie und Handelstag
in Bonn will sich bei mir erkundigen, wie die "Arbeitskammern" wie
er es betitelte arbeiten, denn er sei auch dafür in Deutschland
solche einzuführen. Ich erklärte ihm sofort, daß ich aus dieser
Organisation kam, was ihm ungeheuer überraschte aber sofort positiv
stimmte, da ich ihn ja nicht im Unklaren gelassen hatte.

Anschließend hatte ich im AEZ meine erste Diskussion, wovon er ganz
begeistert war und erklärte, er würde dort ebenfalls hinüberkommen,
da er sich nicht vorstellt, daß ein Minister so etwas bei uns tat-
sächlich macht. Die Diskussion verlief ganz normal und ich wurde
bei der Wiener Konferenz am Abend immer wieder von den Genossen von
der Jungen Generation gefragt, ob sich etwas wesentlich ändere, da
ich ja mit ihnen sehr viele bereits vor der Wahl – wo ich noch nicht
Minister gewesen bin – durchgeführt hatte. Sie haben scheinbar eine
große Angst, daß jetzt die Regierungsmitglieder natürlich härter
attackiert werden als dies früher der Fall war. Ich konnte dies
nicht feststellen, sondern daß sich in Wirklichkeit nichts wesentliches
geändert hatte. Die Bahnhöfe waren früher auch nicht gerade leicht.

02_0532_01

Tagesprogramm, 17.9.1970

02_0532_02

hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)


Tätigkeit: GD Lenzing AG, Vizepräs. HK, AR-Präs. OÖ. Ferngas


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: u.a. Präs. ÖAMTC, Wr. Messe, bis 1972 Vizepräs. IV


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: AR-Präs. Chemie Linz; evtl. Falschidentifikation


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: GD Bunzl & Biach, Präs. Zentralorganisation der österr. Papierindustrie


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: AK


              Einträge mit Erwähnung:


                Einträge mit Erwähnung:
                  GND ID: 13892421X


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: Bundeskanzler
                    GND ID: 118566512


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: GD Wr. Stadtwerke


                      Einträge mit Erwähnung: