Montag, der 8. Juni 1970

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Bei der erste Budgetbesprechung im Haus, wo Sekt.Chef Schipper,
Sektionsrat Marhold und Amtsrat Schütz sowie Dr. Heindl,
Dr. Koppe, Dr. Wanke und ich anwesend ware, hat sich genau dieselbe
Taktik abgespielt, wie das wahrscheinlich in den vergangenen Jahren
zehnten immer der Fall gewesen ist. Die Sektionen hatten den Minister
vorgelegt, was sie an einzelnen Wünschen hätten und der Minister,
wenn er überhaupt eine solche Vorbesprechung mit den Sektionen ge-
führt hat, diese Wünsche zur Beamtenbesprechung freigegeben. Ich
erklärte sofort, dass ich eine solche Politik nicht machen würde.
Auf den Einwand, dass sich bis jetzt noch kein Minister bereit erklärt
hat, z.B. als bildungsfeindlich zu gelten, wenn er die Forderungen be-
züglich Forschung nicht akzeptiert hat, erwiderte ich, dass ich dies
schon machen würde. Ich kann ohne weiteres auf Grund der derzeitigen
wirtschaftspolitischen und Budget-Situation erklären, dass mir die
Forderung von 300 Mio für den gewerblichen Forschungsfonds zwar im
Prinzip als richtig erscheinen kann, aber infolge der schlechten
budgetären Situation 100 Mio S, die wir bereits bei einer Vorbe-
sprechung in der Regierungsfraktion beschlossen hatten, akzeptieren
würde. Selbstverständlich würde ich mich, so wie ich das bis jetzt
auch getan habe, da bei,der nächsten Sitzung des Forschungsförderungs-
fonds zur Diskussion stellen, um den Herren dort zu erklären, warum
die Bundesregierung nur 100 Mio S eingesetzt hat. Nebenbei bemerkt
kam zur Sprache, dass ja auch der Nachtragsantrag für den Forschungs-
förderungsfonds nicht von uns gekommen ist.Dies ist zweifelsohne ein
grosser Fehler gewesen, denn die Finanzbürokratie hatte unserem
Hause mitgeteilt, dass die 30 Mio S für den Forschungsförderungsfonds 2
zur Verfügun-g gestellt würden. Die Entwicklung hat allerdings uns dann
recht gegeben, dass Min.Rat Waltersdorfer vom Finanzministerium
zwar 30 Mio S angekündigt hat, dann aber nur 15 Mio S dafür bereit-

gestellt werden konnten. 30 Mio S wurden nämlich für den Forschungs-
fonds für die wissenschaftliche als auch für die gewerbliche Forschung
zusammen bereitgestellt, wovon ja 13 Mio aus Budgetmitteln stammen,
die für die Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen sind und von der
Bundesregierung jetzt der Forschung überantwortet werden. Im Prinzip
wurde also dasselbe erreicht, was die Regierung beabsichtigt hatte,
aber es war deutlich sichtbar, dass wir viel zu wenig Wert darauf


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legen,den formeller Gang der Dinge, den die Bürokratie bei uns
im Hause einiermassen verärgert, dass der Antrag auf Erhöhung des
Forschungsförderungsfonds auch um die 15 Mill. S nicht von uns
ausgegangen ist, sondern eben das Finanzministerium einen solchen
Antrag im Budgetüberschreitungsgesetz aufgenommen hat„ohne vom
Handelsministerium einen diesbezüglichen Antrag zu haben. Zur grössten
Verwunderung gingen wir jetzt Post für Post durch und ich erklärte mein
Interesse, dass ich erstens im Parlament bei der Budgetdebatte Rede
und Antwort stehen müsste, und zweitens mir ein vollkommenes Bild über
unsere finanzielle Lage geben müsste. Da wir die Verhandlungen nicht
bis zu Ende führen konnten und die Abteilung für nächste Woche Montag das
endgültige Budget auf Beamtenebene vorlegen muss, so erklärte ich,
dass im Prinzip die Abteilungen nach dem Beschluss der Bundesregierung
so vorgehen müssen, dass sie die Ansätze des Vorjahres erhöht um
die gesetzlichen Verpflichtungen in ihren Entwurf aufnehmen sollten.
Nur bezüglich Bergbauförderung und Bürges-Altaktion war ich bereit
mit dem Finanzminister zu verhandeln, dass hier höhere Ansätze als
im Voranschlag 1970 aufgenommen werden. Dies vor allem deshalb, weil
wir gerade in diesen zwei Positionen Nachtragskredite, das heißt
Budgetüberschreitungen beantragen werden.
Bei Knapp in der Wirtschaftsredaktion hat das background-Gespräch,
glaube ich, dazu beigetragen um Mißtrauen gegenüber meiner Politik
im Handelsministerium abzubauen, da ich dezitiert erklärte, wir
würden nicht irgendwelche planwirtschaftliche Maßnahmen ergreifen.
Insbesondere Romé von der Arbeiter-Zeitung hätte allerdings gerne
herausgearbeitet, daß die sozialistische Regierung entsprechende
progressive Schritte unternehmen wird. Ich achte bei Antworten
immer, daß wir überhaupt keine Möglichkeit haben im Parlament solche
Gesetze durchzubringen und daß es daher garkeinen Sinn hat, wenn
man so etwas beabsichtigt, dies in der jetzigen parlamentarischen
Zusammensetzung tatsächlich anzustreben. Über die Zweckmäßigkeit
eines solchen Schrittes müßte ich mich allerdings erst selbst
überzeugen.
Besprechungen mit Sallinger und Musil, die ich – wie ich ihnen
selbst sagte – in Zukunft nur in S.M. (in Preußen ist das "Seine
Majestät" – bei mir wird es Sallinger-Musil heißen) hatte, kam ich
neuerdings auf die Verärgerung wegen der Gewerbeordnung sofort zu
sprechen und erklärte, daß sie mir jetzt sagen müßten wie ich auf


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diesem Sektor weiterkommen könnte, nachdem sie ja so gegen eine
Kontaktnahme mit den Landwirten gewesen wären. Sie erklärten mir
sofort – nein, nein, das sei ein Mißverständnis meinerseits.
Natürlich sollte und könnte ich auch mit der Landwirtschaft über
dieses äußerst schwierige Problem verhandeln, aber sie würden
doch vorschlagen, daß wir uns einen ganzen oder zumindest einen
halben Tag einmal zusammensetzen und im kleinen Kreise außerhalb
Wiens dieses Problem besprechen. Wir kamen überein, daß unmittelbar
nach Ende des Nationalrates im Juli eine solche Besprechung statt-
finden wird. Bezüglich der Eier-Kennzeichnungs-Ordnung teilte mir
Musil mit, daß der Großhandel von ihm verlangt, daß auch jedweder
Direktverkehr zwischen Kleinhändlern und Erzeugern verboten
werden soll und alles nur über den Großhandel abgewickelt werden müßte
und er eine diesbezügliche Sitzung noch Freitag hätte, weil er
unseren Standpunkt vollkommen einsieht, daß ein Direktbezug not-
wendig sein müßte. Der Hinweis, daß die Bürges einen dringenden
Nachtragskredit braucht und deshalb die ÖVP gegebenenfalls einen
Initiativantrag (respective Budgetüberschreitungsgesetz – einen
Abänderungsantrag)stellen wird, hatte ich als Grund genommen um
ihn darauf hinzuweisen, daß unter diesen Umständen Androsch
gezwungen ist eine rigorosere Steuereintreibung bei den Unter-
nehmungen herbeizuführen, um die Ausfälle – sei es jetzt durch
die Überstundenvorschläge, die die FPÖ im letzten Nationalrat
eingebracht hat und die insbesondere NR Graf, der gleichzeitig
Präsident der Burgenländischen Handelskammer ist, unterstützt
hat – hereinzubringen. Daß Androsch also entsprechende rigorosere
Maßnahmen bei den Unternehmern – sei es bei der Stundung der
Steuer, sei es bei der Pauschalierung usw. – einführen müßte.
Die ÖVP wird sich,so versicherte mir Musil, deshalb sehr über-
legen ob sie bei dem Budgetüberschreitungsgesetzen wirklich
Abänderungsanträge stellt. Er wird dafür plädieren, daß nur Ent-
schließungen zu dem Budgetüberschreitungsgesetz eingebracht
werden. Diese Entschließungen hat es auch schon in der Oppositions-
zeit der SPÖ gegeben und dagegen ist, glaube ich, garnichts ein-
zuwenden.
Über einen Punkt konnten wir keine Einigung erzielen. Ich habe
ihnen mitgeteilt, daß verfassungsrechtliche Bedenken bestehen,
daß wenn ich nicht die Kommerzialratstitel übertrage – das heißt
dem Auserwählten selbst übergebe, dann müßte das, laut Verfassung,
der entsprechende Landeshauptmann tun. Ein solcher Wunsch war mir
von Sima mitgeteilt worden. Die Bundeskammer reagierte darauf


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äußerst aggressiv und sagte, wenn dies der Fall wäre würden
sie überhaupt nicht mehr zu den Verleihungen gehen, ja sie
würden sich überhaupt überlegen, ob sie dann Kommerzialrat-
Titel noch einreichen würden. Ich bemerkte also, daß diese
jahrzehntelange Tradition nicht leicht zu durchbrechen ist
und werde deshalb, ohne daß ich den Namen Sima ihnen gegenüber
gesagt habe, mit diesem am Parteitag verhandeln ob er nicht
von dieser Forderung zurücktreten könnte. Gegebenenfalls
müßte er halt, wie er ja beabsichtigt, die Landeshauptleute-
konferenz mit diesem Problem beschäftigen.
In der Ministerratsvorbesprechung kam ich auf den Wunsch von
Unternehmern zu sprechen, die gegebenenfalls in Österreich
eingebürgert werden wollen und habe sofort Zustimmung des
ganzen Kabinetts dafür gefunden. Ich werde deshalb dies als
ein weiteres Positivum für Unternehmungen – allerdings nicht
öffentlich – publik machen, daß wenn Unternehmer (Deutsche,
Amerikaner oder sonstige) nach Österreich kommen um sich hier
anzusiedeln, wir Ihnen die Staatsbürgerschaft auf § 10 des
Staatsbürgerschaftsgesetzes, wonach ein wirtschaftliches
Interesse von Österreich gegeben ist, verleihen werden.
Am Abend hatte ich Gelegenheit mit Staatssekretär Arndt vom
deutschen Wirtschaftsministerium, der bei einer parlamentarischen
Delegation in Wien weilt, zu sprechen. Ich verwies ihn insbe-
sondere auf unsere Kokssituation und machte ihn – auch in
einem Schreiben, das ich ihm für Schiller mitgab – daß angeb-
lich Ministerialdirektor Woratz vom Bonner Wirtschaftsministerium
der entscheidende Mann sei, der für Koksimporte für Österreich
zuständig sei. Nach Mitteilung von dem Vertreter der ......burger
Kohlengesellschaft in Deutschland, die derzeit als Mannesmann-
Konzernbetrieb in Österreich auch mit Heizölversorgung beschäf-
tigt ist, Baumgartner, hätte ausschließlich Woratz die Mög-
lichkeit der Ruhrkohlengewinnungs AG einen entsprechenden
Auftrag zu geben. Nach Meinung von Baumgartner ist dies darauf
zurückzuführen, daß von 560 Mio DMark Kapital, die Ruhrkohlen-
gewinnungs AG schon mehr als die Hälfte verloren hat und des-
halb vom deutschen Wirtschaftsministerium sehr abhängig ist.
Ich habe diese Details Arndt nicht gesagt, aber er hat mir
unverzüglich seine Meinung dahingehend geäußert, daß er außer-
stande ist - auch Woratz sei das – auf die Ruhrkohlengewinnungs AG
irgendwelchen Druck auszuüben. Es könnten nur die deutschen
Kohlenhändler, respective die Ruhrkohlengewinnungs AG versuchen


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unsere Importeure mit Exoten bekanntzumachen, die derzeit
über Koks verfügen. Dann könnte Österreich Koks noch dazu-
kaufen, aber zu eben entsprechend erhöhten Preisen. Nach Auf-
fassung von Arndt ist es ganz unmöglich, daß uns das Syndikat
– die Ruhrkohlengewinnungs AG – hier billigeren Koks liefert.
Mein weiterer Hinweis, daß die Deutschen in den letzten Tagen
wieder in eine schwierige währungspolitische Situation kommen,
weil entsprechend große Zuflüsse von heißem Geld ("hot money")
zu verzeichnen ist, erwiderte er, daß heute der Zufluß
ein bißchen nachgelassen hat. Richtig ist, daß die Europäer
und vor allem auch wieder überseeische Länder
Amerika und vielleicht auch Asiaten beginnen in DM zu speku-
lieren. Es ist aber seiner Meinung nach, mit einer neuerlichen
Aufwertung der DM in den nächsten Wochen nicht zu rechnen, da
die Bauern ihre Ausgleichszahlung, die sie aufgrund der letzten
Aufwertung zu bekommen haben, erst im Frühherbst August-September
zum Tragen kommen. Er hält es daher kaum für möglich, daß
zwischendurch eine neuerliche DM-Aufwertung erfolgen würde.

Als ich spätabends nach Hause kam erzählte mir meine Frau, daß
im Fernsehen doch über die Kokssituation berichtet wurde, und
daß – obwohl Veselsky mir erklärt hat, er würde unter garkeinen
Umständen im Fernsehen reden – er doch über einen Energieplan,
den es voranzutreieben gilt, gesprochen hat. Ich bin darüber
garnicht ungehalten, ich werde ihn allerdings fragen, warum
er mir gegenüber so dezitiert erklärt hat, er würde unter gar-
keinen Umständen ins Fernsehen gehen.

Tätigkeit: Beamter [Amtsdirektor HM; 1971 von JS als B-Beamter bezeichnet, der das Budget im Einzelnen ausarbeitet und im Detail kennt]


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                Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


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                  Tätigkeit: Bundesfinanzminister, BRD, SPD


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                    Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
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                          Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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