Samstag, den 30. Mai
Als ich in der Früh in mein Büro wollte, konnte ich mit dem
Schlüssel nicht aufsperren. Ich ging deshalb zum Portier und
ersuchte ihn, er sollte mir einen anderen Schlüssel geben. Bei
der Gelegenheit kam ich drauf, daß wir einen Schlüssel von meinem
Zimmer für die Bedienerin beim Portier deponieren – der wird aber
in einem Kouvert verschlossen übergeben. Ich weiß zwar nicht wozu
dies gut ist, aber finde diese Vorsichtsmaßnahme als übertrieben.
Ich weiß, daß sowohl Koppe als auch Wanke und Heindl auf dem
Standpunkt stehen, daß man nicht genug vorsichtig sein kann –
sie glauben ja sogar, daß die Hausverwaltung noch einen Schlüssel
von unserem Tresor hat – und sie deshalb nicht genug vorsichtig
sein können. Wenn sie erfahren, daß ich nicht in mein Zimmer
hineingekonnt habe, werden sie sofort wieder irgendetwas dahinter
vermuten. Vielleicht bin ich zu leichtgläubig, vielleicht sind
sie aber zu mißtrauisch.
Bei der Wiener Konferenz hatten sowohl Gratz, als auch Androsch
und ich den Auftrag, in jeweils einem 20-minütigen Kurzreferat
über unsere Ressorts zu berichten. Als erster sprach Gratz, und
er legte auch ein phantastisches Referat hin – er wurde einigemale
mit dröhnendem Applaus bedankt – und zum Schluß war die Stadthalle
wirklich begeistert von seinem Referat. Mir selbst hat der Aufbau
und vor allem die Art wie er es gebracht hat auch sehr imponiert.
Er spricht genauso frei wie im Parlament und er hatte sich wirk-
lich sehr gut darauf vorbereitet. Koppe hatte mir vorher schon
mitgeteilt, daß es sich um eine undankbare Aufgabe handelt. Denn
kritische Aussagen werden beachtet – er schrieb mir "stell' Dir
vor – je ein Vertreter der Beamten und der Bundeskammer säßen
unter den Zuhörern, dann kommt das richtige Ausmaß an Vorsicht
zustande; aber Publizität ist gering. Kein Fachvortrag – je
gescheiter das Referat, desto mehr Delegierte schwätzen. Plauderei
mit ernstem Hintergrund. Episoden erzählen." Diese Episoden
kamen besonders gut an. Die eine wo ich über die Telefonverbindung
erzählte – wie kompliziert der Minister über den Sekretär zur
Sekretärin zu den Beamten – die Beamten dann wieder über die
Sekretärin zum Sekretär und zum Minister – bisher verbunden
waren und wo ich jetzt feststellen konnte, daß ich eine direkte
Leitung zu den Sektionen habe und die Sektionen auch mit mir
direkt sprechen dürften. Als ich einen Sektionschef darauf auf-
merksam machte, daß er mich doch gleich mit der direkten Leitung
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anrufen solle, so fragte er ganz verwundert, ob er denn dies
dürfe. Die zweite Episode kam besonders gut bei den Delegierten
an, weil sie die optimistische Einstellung unserer Regierung
dokumentierte. Bekanntlich hatte ja Sallinger und Musil bei mir
sich erkundigt, auf wie lange Zeit ich denn meine Tätigkeit
gedenke aufzubauen. Ich überlegte und sagte, nächstes Jahr werde
ich 50. worauf sie – nachdem sie erfuhren, daß dies ungefähr
März ist – mir mitteilten, da könnten wir noch eine gemeinsame
Feier im Ministerium veranstalten. Ich erwiderte, daß ich mit
ihnen nicht feiern würde. Die zweite Frage,wie ich denn über-
haupt in meine frühere Tätigkeit wieder zurückfinden würde,
beantwortete ich mit folgender Überlegung: Im Jahre 1990 werde
ich 70 Jahre sein, dann gehe ich bestimmt schon in Pension und
bis dorthin bleibe ich Handelsminister. Die Reaktion der beiden
war: "aber sonst sind sie gesund!?" – was mcih veranlaßte zu
sagen: "natürlich, denn sonst könnte ich ja nicht bis zum Jahre
1990 Handelsminister bleiben!" Nach den Episoden – ich habe
natürlich noch auch andere zum besten gegeben – konnte ich,wie
Koppe mir das auch vorgeschlagen hat, die sachlichen Probleme
erörtern und die Zuhörer haben sich nicht gelangweilt, sondern
im Gegenteil, ich erntete auch ganz schönen Applaus zwischen
meiner Rede. Nach der Sitzung kam Windisch zu mir und sagte, er
wollte mir zuerst sogar noch einen Brief schreiben, da er es so
phantastisch empfunden hat, daß ich nach so einer guten Rede von
Gratz überhaupt habe bestehen können und auch so gut bgeschnitten
hatte. Ich weiß natürlich nicht, wieweit dies ehrlcih gemeint
war, ich habe aber wirklich versucht, mein bestes zu tun. Ich
glaube aber auch, daß Androsch, der über Sachprobleme berichtete,
sehr gut abgeschnitten hat, denn Waldbrunner sagte zum Schluß
uns inoffiziell, daß wir alle drei sehr gut abgeschnitten haben
und daß er sehr,sehr froh ist, daß wir so tüchtige Leute in der
Regierung haben. Er meinte noch "hoffentlich wird das bedankt",
was mich allerdings zu der Aussage veranlaßte, daß ich keinerlei
Dank erwartet habe und erwarte.
Nach der Konferenz hatte ich noch eine Besprechung mit Androsch
wegen des Ausfuhrförderungsgesetzes und konnte feststellen, daß
er sich von seinen Beamten hineingelegt fühlt. Ich glaube auch,
daß es richtig ist, denn sie decken ihn auf der einen Seite mit
riesig vielen Akten und mit riesig viel Erklärungen ein ohne ihm
aber in Wirklichkeit die wichtigsten Probleme ganz kurz gefaßt
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vorzutragen. Scheinbar ist es ihm auch noch nicht geglückt,
Zeilinger und Manhardt in einem Team so einzubauen, wie es bei
uns der Fall ist und er hat deshalb zugesagt, wir sollten uns
Montag um 4 Uhr bei ihm wegen dieses Ausfuhrförderungsgesetzes
neuerlich treffen. Bei dieser Gelegenheit kam ich drauf, daß
auch das Ausfuhrfinanzierungsgesetz abgeändert werden soll, diesen
Entwurf hatten sie uns überhaupt noch nicht geschickt. Die Absicht
war ja, daß ein Entwurf mit Haschek, Kasteletz und Staringer, der
letztere ist der Beamte in seinem Ministerium, ausgearbeitet
hatten – als Initiativantrag Montag bereits Koren übergeben
werden sollte. Ich bewundere bei Androsch seine schnelle Auf-
fassungsgabe und seine systematische Arbeitsweise. Ich hoffe nur,
daß es ihm gelingen wird, ein Ministerbüro zu erstellen, denn
ansonsten muß er die Unzahl der Entscheidungen früher oder später
Fehlentscheidungen treffen.
Da wir die letzten waren, die in dem Kongreßsaal noch sitzenge-
blieben sind, kam auch Slavik dazu, mit dem Androsch über die
Wien-Film einige Besprechungen führen mußte. Bei der Gelegenheit
kam auch die ganze Filmpolitik zur Sprache und ich erklärte rund-
heraus, daß ich von dieser ganzen Angelegenheit nichts halt.
Filmförderung – wo etliche Dutzende Millionen reingehen – wo wir
nicht einmal genug Geld für entsprechende Industrieförderung
haben, lehnte ich im Prinzipiellen ab. Slavik, der bekanntlicher-
weise immer für diese Branche etwas übriggehabt hat, teilte diese
Meinung keinesfalls, sondern meinte, es käme da so viel Geld
herein, wenn man entsprechende Ateliers unterstützte, daß sie
gegenüber den ausländischen Ateliers in irgendeiner Weise konkur-
renzfähig wären. Da Androsch scheinbar auch bereit war hier
nachzugeben, erklärte ich, daß halt ein entsprechender Betrag
im Ministerium von uns eingesetzt wird, (die Beamten hatten mir
ja vorgeschlagen 40 Mio Schilling sowie alljährlich einzusetzen)
und wir werden ja sehen was Androsch dann bereit ist auch anzu-
erkennen. (Bis jetzt wurde nämlich dieser Betrag immer auf eine
Erinnerungspost von 4000 Schilling zurückgestutzt.) Bei dieser
Gelegenheit konnte ich feststellen, daß Androsch Slavik sagte,
daß nun einige Wünsche der Wiener erfüllt werden können u.a. die
450 Mio Schilling U-Bahn, die 40 Mio S. Hochwasserschutz und
letzten Endes noch etliche Grundstückswünsche, die die Stadt Wien
hat. Slavik, daß hier mehrere Ministerien u.a. auch das Handels-
ministerium zuständig sei und bezüglich der dritten Hochwasser-
leitung acuh das Landwirtschaftsministerium. Ich glaube aber, daß
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hier keinerlei Schwierigkeiten von seiten der Regierung in diesen
Forderungspunkten gemacht werden. Sicher ist mir auf alle Fälle
eines, daß Androsch sich sehr als Exponent für Wien betrachtet
und das auch in meinen Augen erklärlich ist, da ja gerade Slavik
es gewesen ist, der darauf gedrängt hat, daß Androsch Finanz-
minister – zu meinem Glück – geworden ist. Andererseits erklärte
sich Slavik sofort bereit eine Vorfinanzierung mit Frühbauer zu
besprechen um die Telefonanschlüsse in Wien zu vermehren. (derzeit
sind ja 47.000 Anmeldungen und die könnten erst nachdem die Automati-
sierung in ganz Österreich abgeschlossen ist zum Zuge kommen).
Androsch hatte Slavik vorgeschlagen, jeweils zweimal 50 Mio Schil-
linge dafür bereitzustellen. Auch bezüglich der Filmindustrie-
förderung erklärte sich Slavik auf mein Verlangen bereit, daß wenn
das Handelsministerium entsprechende Mittel dafür bereitstellt,
er auch bereits ist von Wien dafür entsprechende Mittel freizu-
machen.
Bei der Debatte über die Wien-Film-Abwicklung konnte ich wieder ein-
mal feststellen, wie sehr Slavik ein geschickter Politiker ist
und alle Details von anderen womöglich erfahren will und sich dann
auch merkt. So hatte ihm Androsch einen Brief von Schneider, dem
derzeitigen Direktor der ÖCI bekommen, wo dieser darauf hinwies,
daß es zweckmäßig wäre den zweiten Direktor des serapeuthischen
Institutes, das die Gemeinde Wien jetzt erworben hat, als zweiten
Direktor zur Wien-Film zu transferieren (derzeit ist die Wien-Film
von Direktor Scheidl, der ÖVP, geleitet, der sich allerdings kaum
schert was dort geschieht; die Wien-Film ist übrigens derzeit an
den ORF verpachtet). Slavik sagte nun, er sei einverstanden, daß
Direktor Wildner zur Wien-Film kommt. Dir.Wildner selbst ist
einer – wie er sagt – seiner 149 Direktoren und er hält keinen
einzigen der weggehen will. Tatsächlich ist der Hintergrund aber wie
uns Slavik dann mitteilte, ein ganz anderer. Schneider ist in
zweiter Ehe mit einer Frau verheiratet, die in dem serapeuthischen
Institut beschäftigt ist und deshalb dort Geschäftsführerin werden
will. Deshalb hat Schneider ein großes Interesse daran, Wildner von
dort wegzubringen. Der Hinweis, daß Wildner fast nie in seinem
Büro ist wurde von Slavik insoferne entkräftet, als er sagt er
hätte bereits einigemale und ihn immer wieder dort angetroffen. Es
werden eben personell große Intrigen überall gespielt um persönliche
Wünsche durchzusetzen. Diese Art der Politik behagt mir persönlich
garnicht und ich werde mich sicher auch in meiner neuen Funktion
davon heraushalten.
"Tagebuch-Fragment" betr. EFTA, 15.5.1970
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