Samstag, der 23. Mai 1970

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Samstag, den 23. Mai

Mit mehr als 11.000 Mitgliedern hat er mehr als der Akademiker-
bund. Als Vorfeldorganisation ist der BSA sicher von einiger Be-
deutung und es ist selbstverständlich, daß ein sozialistischer
Minister diesem angehören sollte. Ich habe mich deshalb bereit-
erklärt beizutreten – früher ist ja niemand an mich herangetreten –
aber gleichzeitig am Eintrittsformular festgehalten, daß ich nicht
beabsichtige, mich aktiv zu betätigen.
Am Nachmittag hatte mich Androsch zu sich geladen, damit wir über
die Budgetsituation sprechen. Ich traf bei ihm alle unsere bekannten
Genossen, die sich mit diesen Problemen beschäftigten, aber auch
zum ersten Mal den Sektionsrat Blaha vom Finanzministerium. Dieser
Mann ist zweifelsohne einer seiner tüchtigsten Beamten, gehört
allerdings nicht unserer Partei an - ich glaube sogar, daß er ein
ÖVP-Mann ist. Ich halte die Vorgangsweise fachlich hochqualifizierte
Beamte – auch wenn sie der Gegenseite angehören – in unsere internen
Besprechungskreise einzubeziehen – für zielführend und zweckmäßig,
allerdings muß man sich darüber klar werden, daß dies nur in einem
bestimmten Rahmen erfolgen kann. Zu unserem Mittagstisch, habe ich
entschieden, sollte – zumindesten vorläufig – kein anderer Mann
als wie ein sozialistischer Funktionär und Mitarbeiter herange-
zogen werden.
Die Besprechung ergab ein an und für sich sehr düsteres Bild. Das Finanz-
ministerium hat in einer Budgetvorschau, die auch zwischen Blaha
und Reithofer von der Arbeiterkammer abgestimmt wurde, ein Budget-
defizit von 47 Mia. S. für das Jahr 1971 ergeben. In diesem Budget-
defizit waren für die Forschung Mehrausgaben von 400 Mio.,ebenso
für die Schulen Mehrausgaben von 400 Mio., für den Schutzwasserbau
250 Mio. Mehrausgaben, für die Inntalautobahn 300 Mio. eingesetzt
(die Inntalautobahnrate wird allerdings im Jahre 1971 fällig, da
es sich nur um eine Vorleistung für bereits abgeschlossene Verträge
handelt) und aus der restlichen Wehrmilliarde wären noch 460 Mio.
aufzubringen. Dies ergäbe einen Mehraufwand von 940 Mio. gegenüber
dem jetzigen rechlichen Stand. Wenn man dazu noch die 800 Mio., die
die 4 %ige Preissteigerung im Sachaufwand dazurechnet, so könnten
ungefähr von den 47 Milliarden 1,7 Mia. eingespart werden, das
heißt, es würden ca. 45 Mia. Defizit echt verbleiben. Dazu käme,
daß ca. 3 Mia. Androsch für Investitionen, von denen er glaubt sie müßten
unbedingt gemacht werden und die entsprechende Progressionsmilderung
bei der Steuer, in Vorschlag gebracht werden, sodaß ein Gesamtdefizit
neuerdings von 48 Mia. S. zu bedecken wäre. Wenn die Sonderausgaben,


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die mit Jahresende 1970 auslaufen, verlängert werden ergibt das
ca. 2,7 Mia. S. 10 %iger Zuschlag von der Einkommensteuer und der
Lohnsteuer bringt im Jahr 1970 2,040 Mia.,die Vermögenssteuer
460 Mio. insgesamt also im Jahre 1970 2,5 Mia.,mit der Aufwertung
würden das 1971 2,7 Mia. S. sein. Für die Sozialversicherungsträger
müßten, wenn die Gesetze auslaufen, 1,2 Mia.S. bezahlt werden zur
Bildung eines Reservefonds, das könnte allerdings bei Verlängerung
ebenfalls eingespart werden. Ebenso könnte beim Familienlasten-
ausgleich, der ca. 1,1 Mia.S. akkumulieren würde, 500 Mia.S. einge-
setzt werden, 600 Mio.S. muß man rechnen, daß die Kinderbeihilfe
erhöht wird. So könnten noch 100 Mio. erspart werden, daß der
Wohnungsbeihilfebeitrag für die Sozialrentner in der Höhe von
30 S die der Bund an die Sozialversicherungsträger zu zahlen hätte,
nicht bezahlt wird und neuerdings 200 Mio. von der Unfallversicherung
inkameriert werden. Durch Abzug dieser 4,7 Mia.S. würde sich das
Defizit auf 13,3 Mia.S. verringern. Wenn man die Finanzschuld
hinausschiebt um eine Milliarde Schilinge, das heißt wenn man die
vorgesehene Tilgung von 6 Mia. auf dem selben Ausmaß beläßt wie
heuer – nämlich 4,8 Mia.S. – so könnten auch hier ca. 1 Mia. erspart
werden. Ebenso müßte durch Personaleinsparung eine Möglichkeit
bestehen 300 Mio. zu ersparen, das entspricht einer Personaleinsparung
von 1 %. Ebenso will er die Treibstoffverbilligung von 220 Mio.
und die Düngemittelstützung von 160 Mio. auflassen. Dies würde
wieder eine Abzugspost von ca. 1,780 Mia. ergeben, sodaß ca. noch
11,5 Mia.S. finanzierbares Defizit übrigbleiben. Auch dieser Betrag
ist noch zu hoch. Wenn man auch die Getreidestützung als ganzes
einsparen will, inklusive der Silo- u. Mühlenlagerzuschüsse, so
ergibt das eine weitere Einsparungsmöglichkeit von 400 Mio. Schil-
lingen. Sodaß noch immer ein Defizit von ca. 11 Mia.S. verbleibt.
Er hat seinerzeit beschlossen,daß die Erhöhung eines Defizites
in der Höhe des Bruttonationalproduktzuwachses nominell ungefährlich
wäre. Dies hieße von 9 Mia. ca 8 % erhöhen, das heißt eine Erhöhung
um 720 Mio. für ca. 9,8 Mia. wären möglich. Wenn Androsch also seine
3 Mia.S., die er für Maßnahmen bereitstellen will, tatsächlich
bereitstellt, dann ist es für ihn unmöglich das Defizit auf diese
9,8 Mia.S. herabzudrücken. Er wird sich deshalb noch sehr genau
überlegen müssen, ob er die Ausgaben auch tatsächlich alle in
Angriff nehmen kann, die er plant. Die Kirchensteuerabsetzung ist
allerdings, glaube ich, schon eine fest beschlossene Sache zwischen
Kreisky und Androsch. Die technische Durchführung wird nur auf
große Schwierigkeiten stoßen. Ich persönlich glaube nämlich, daß


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ziemlich viele Leute diese Kirchensteuer absetzen werden, auch
dann wenn sie sich zum Finanzamt begeben müssen, zu einem amtswegigen
Jahresausgleich wie es derzeit beabsichtigt ist. Da diese Arbeiten
hauptsächlich von den Lohnbüros durchgeführt werden müssen, habe ich
größte Bedenken gegen diese Art der Abrechnung der Kirchensteuer.
Mir gefiel deshalb ein Vorschlag von Julian Uher sehr gut, der
meinte, man sollte den Kirchen es überlassen, daß sie steuerlich
eben die Kirchensteuer absetzen, die Berechnung durchführen, und
dann vom Finanzamt den entsprechenden Betrag vergolten bekommen.
Wenn die Kirchensteuer derzeit 600 mio.S. ausmacht ist mit einem
Ausfall von ca. 140 Mio.S. zu rechnen wovon den Bund 70 Mio treffen.
Bei dieser Aussprache habe ich Androsch aufmerksam gemacht, daß die
Dienstreisen in immer größerem Umfang von seinem Ressort zunehmen,
mir wurde das von unseren "Auslandsreisenden" mitgeteilt, da sie
immer wieder feststellen können, daß ein Vertreter des Finanzministe-
riums anwesend ist, der sachlich dort überhaupt nichts zu sagen hat.
Diese Angriffe wurden von Blaha bestätigt und Androsch wird sich
also den Kopf zerbrechen wie wir generell eine Einschränkung der
Dienstreisen erzielen könnten. Gleichzeitig wurden auch Überlegungen
angestellt wie wir die Dienstkraftfahrzeuge die im Systematisieru-
ngsplan mit ca. 570 Personenkraftwagen verankert sind, wie wir die
entsprechend reduzieren können. Diesbezügliche Vorschläge wird der
Finanzminister ebenfalls noch ausarbeiten. Da diese Maßnahmen aber
nicht ausreichen das Defizit von 1,5 bis 2 Mia., das sicher noch
verbleibt, zu decken, steht allerdings außer Diskussion. Ich werde
zwar selbstverständlich Androsch unterstützen und mithelfen, daß er
irgendwelche Lösungen findet, die ihn über die Runden des Herbstes
bringen werden. Wir werden eine generelle Debatte in der Regierung
einmal führen und dann, frühzeitig schon, diese Grundsätze einer
Budgeterstellung festlegen. Zum Abschluß möchte ich doch aber noch
einmal festhalten, daß es ja bekanntlicherweise entweder Androsch
oder mich getroffen hätte das Finanzministerium zu verwalten und
ich wirklich sehr glücklich bin, daß es ihn getroffen hat.

Tätigkeit: Bundeskanzler
GND ID: 118566512


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    Tätigkeit: Finanzminister
    GND ID: 118503049


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