Montag, 23. Juni 1980
Beim Journalistenfrühstück berichteten die beiden Geschäfts-
führer der Verbund für das Kohlekraftwerk Tullnerfeld
Moraw und Sommerbauer für den 380-MW-Block, die beiden NEWAG-
Direktoren Schmied und Zehetbauer für den 320-MW-Block.
Grund dafür war, dass jetzt sich beide entschlossen haben,
eine Rauchentschwefelungsanlage einzubauen. Dies bedeutet,
dass der Kostenpunkt um 7–10 % teurer sein wird. Die kWh
wird sich auf 70–80 Groschen stellen, bei einem Verbunderlös
vom Strom von 43 Groschen. Die Investitionen werden 500 Mio. S
zusätzlich sein. Insgesamt werden die Kraftwerke sicherlich
letzten Endes 8 Mia. S kosten. Das in Deutschland angewendete
Nassverfahren geht nicht, weil dadurch der anfallende Gips
wieder irgendwo gelagert werden müsste. Ausserdem müssen die Rauch-
gase wieder aufgewärmt werden. Das zur Anwendung kommende Trocken-
verfahren mit Aktivkoks bedeutet andererseits, dass es zwar
jetzt auch in Deutschland bei einigen Kraftwerken zur Anwendung
kommen wird, eine grosstechnische Erfahrung liegt aber nicht
vor. Wir werden, wenn man so sagen darf, selbst unsere eigenen
Kinderkrankheiten damit mitmachen. Der Aktivkoks wird nachher
wieder regeneriert, sodass wir eigentlich 1.600 t pro Jahr selbst
verbrauchen werden. Es wird überlegt, ob man nicht eine eigene
Kokserzeugung dafür einrichtet. Die Investition würde 80–90
Mill. S betragen.
ANMERKUNG FÜR SATZINGER: Bitte dieses Projekt unbedingt positiv ver-
folgen.
Die Luft wird nach den Richtwerten der Akademie der Wissen-
schaften Zone II entsprechen. Österreich ist in drei Zonen
eingeteilt, die erste reine Kurzone, die dritte Industriezone,
die zweite eben das übrige Österreich. Diese Zone-Zwei-Klassifi-
kation wird bei allen Wetterlagen garantiert. Bei schlechtestem
Inversionswetter wird eine Gas-Zusatzheizung vorgesehen. Auch
bezüglich der Staubentwicklung wird nur 20 Milligramm Reststaub
bleiben, obwohl die Akademie der Wissenschaften 150 mg zulässt.
Der Lärm und der Schall wird minimal sein, da sowohl die Turbinen
als auch die Kohlenmühle als auch die Polen-Kohle-Entlagerung
eingehaust werden. Nachts wird überhaupt nicht entladen und
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gemahlen, sondern nur Bunkerkohle verwendet.
Die Gesellschaft hofft, dass jetzt, nachdem das energiewirt-
schaftliche Verfahren abgeschlossen ist, im Juni noch das
baurechtliche Verfahren in Angriff genommen werden kann, sodass
im September endlich der Baubeschluss erfolgen könnte. Es wird
nämlich ab 1984 mit dem Engpass gerechnet und selbst wenn das
Kernkraftwerk Zwentendorf in Betrieb gehen sollte, was sicherlich
auch nicht vor 1984 sein wird, muss wenigstens das Kohlekraftwerk
dann Strom liefern können. Ich erklärte, dass wir jetzt überall
bei fast allen Elektrizitätsprojekten auf Schwierigkeiten
stossen. Der Betrieb des Kernkraftwerkes ist verboten, wenn
genehmigt, würde es noch zwei Jahre mindestens dauern, bis die
entsprechenden Bescheide und die Abschlussarbeiten erledigt sind,
die Wasserkraft wird immer wieder von Naturschützern und Land-
schaftsschützern abgelehnt, Kohle wird, selbst wenn wir jetzt
die Rauchgas-Entschwefelungsanlage überall einbauen, trotzdem
auf Widerstand der Anrainer stossen und Öl- und Gaskraftwerke
können nicht gebaut werden, weil wir den Rohstoff nicht garan-
tieren können. Da wir jetzt in allen Kraftwerken die Rauchgas-
entschwefelung einbauen, habe ich Sommerbauer zu überlegen
gegeben, ob wir nicht doch lieber in Rechnitz das Kraftwerk an der
burgenländischen-ungarischen Grenze errichten sollten. Dort ist
die Bevölkerung zu 90 % dafür, in Bildein gibt es den Widerstand
vom Handelskammerpräsidenten Graf und dem Landesrat Wiesler.
Diese haben insbesondere die Weinbauern dort unten gegen dieses
Kraftwerk aufgebracht. Sommerbauer meint, es hätte jetzt von
Seiten der Landesregierung alle Abteilungen und selbst der
Landeshauptmann ihm gesagt, er ist mit Bildein einverstanden.
Die Relation Bildein – Rechnitz liegt ungefähr 1:6. Bildein
ist deshalb optimal. LH Kery soll angeblich, wie mir
Sommerbauer berichtet hat, zu ihm gesagt haben, er ist sehr ein-
verstanden, wenn es jetzt in Bildein gebaut wird, denn dann
würde endlich diese Gemeinde auch rot werden. Es fehlen ihm nur
noch einige Stimmen und die – ist er überzeugt – wir er dann
mit den Arbeitern, die dann nach Bildein kommen, garantiert.
Ich weiss nicht, ob Kery weiss, dass Sommerbauer ein sehr
loyaler Verbund-Mann, aber natürlich ein prononcierter ÖVP-Mann
ist.
ANMERKUNG FÜR SATZINGER: Versuch, ohne direkt zu fragen, herauszu-
bekommen, ob dies tatsächlich stimmt.
Ich berichtete über den Energieverbrauch im April, signifikant
ein starkes Ansteigen von Normalbenzin – 40 % – und ein
starker Rückgang Superbenzin – minus 9 % – weiters eine starke
Auslieferung von Gasöl für Heizzwecke – 8 %, Heizöl leicht 23 %
und Heizöl schwer 17 %, ein typisches Zeichen, dass jetzt die
Einlagerungszeit bereits wieder für diese Heizzwecköle läuft.
Da die Lager bei den Verbrauchern aber nicht leer waren, wird
in kürzester Zeit alles wieder bummvoll sein, vom Standpunkt aus
der Versorgungssicherung sehr zu begrüssen. Eine weitere starke
Steigerung des Elektrizitätsverbrauches 5,3 %. Nur Naturgas hat
mit minus 5 einen Negativwert, dies ist aber auch die geringe
Anlieferung zurückzuführen.
Natürlich gab es die übliche Frage und Diskussion, was geschieht
mit den Benzinpreisen, wie wird die Versorgung gesichert usw.
Vom Standpunkt des aktuellen Geschehens und des in den Zeitungen
und Medien erwähnt zu werden, dürfte ich wirklich die Preis-
regelung in keinem Produkt aufgeben, sondern ganz im Gegenteil
versuchen, alles wieder und nicht nur den Dieselkraftstoff
in die Preisregelung einzubeziehen. Dies würde die Beamten
freuen, weil sie mehr Kompetenz hätten, mir eine grössere Publicity
verschaffen, volkswirtschaftlich aber falsch sein. Die Preis-
regelung bringt nichts.
Min.Rat Würzl berichtete über die erwartete Sommer-Saison im
Fremdenverkehr, im Wirtschaftsforschungsinstitut hat jetzt
ein Magister Haase die FV-Arbeiten übernommen. Die Befragung
des Handelsministeriums ergab 2 % Steigerung, das ökonomische Modell
des Wirtschaftsforschungsinstituts 3,5 bis 4 %. Ich bin fest
davon überzeugt, dass wenn es nicht exorbitant schlechte Witterungs-
verhältnisse gibt, die letztere Prognose dann hoffentlich
in der Wirklichkeit kommen wird. Die problematischste Reise-
gruppe werden die Holländer sein, dort kam es im Vorjahr zu
einem Reallohnverlust, ich bin sehr gespannt, wie weit sich
dies auf die Ausgaben der Holländer für den Urlaub auswirken
wird.
Natürlich gab es eine Diskussion und dann sogar ein Rundfunk-Inter-
view, was ich zur Erhöhung der Mehrwertsteuer für Energie
und was ich zur weiteren Preisbildung auf dem Energiesektor sage.
Da ich innerlich fest überzeugt bin, wir müssen beides machen,
sowohl die Quellensteuer als auch die Mehrwertsteuer anheben,
habe ich nur über die formale Erhöhung der Mehrwertsteuer
gesprochen. Dies sei eine Entscheidung des Finanzministers,
für mich ist es nur eine Durchlaufpost, denn die Mehrwert-
steuer wird im Preis nicht einzeln festgesetzt, sondern im
Gegenteil, es wird der Preis für elektrischen Strom amtlich
preisgeregelt und dann wird die Mehrwertsteuer automatisch
draufgerechnet.
GD Kienzl von der OeNB ist übrigens derselben Meinung, dass
wie immer sich dann auch der ÖGB entscheidet, früher oder
später beides, die Quellensteuer und die Mehrwertsteuer auf
Energie, gebraucht wird. Kienzl hat mit Präs. des ÖGB Benya
die weitere Vorgangsweise für das Volksbegehren zur Inbetrieb-
nahme von Zwentendorf durchbesprochen. Die Agitation und Propa-
ganda, in der illegalen Zeit immer "AGIPROP" genannt, soll
dahin gehen, dass die mehr als 20.000 Unterschreiber als aktive
für das Volksbegehren mobilisiert werden. Dafür werden jetzt
Leserbriefe veröffentlicht oder geschrieben, Zielgruppen wie
Frauen, Fahrer, Betriebsräte insbesondere angeschrieben und
bearbeitet werden. Der Obmann der Pensionisten Slavik hat
bereits erklärt, die Aktion wird unterstützt. Getragen wird diese
Aktion sicherlich von den Gewerkschaften und eventuell den
Pensionisten. Die Partei, habe ich Kienzl sofort gesagt, wird
keine einheitliche Stellungnahme entwickeln. Kienzl möchte,
dass es insbesondere ihm mit der Propaganda gelingt, ein
Eigeninteresse bei den Pensionisten, aber bei allen, die Strom
beziehen, zu erwecken. Am liebsten wäre ihm, wenn angenommen wird,
wer nicht unterschreibt, muss die Gefahr einer Abschaltung in
Kauf nehmen. Im Extremfall vielleicht sogar das Elektro-
Öferl ihm weggenommen wird. Kienzl befürchtet nämlich, dass
die Kernkraftwerksgegner wieder die auch nicht sehr faire
Propaganda, wer unterschreibt, trägt die Verantwortung und es
wird etwas passieren, die Bevölkerung und insbesondere ältere
Leute einschüchtern wird. Für mich ist es ganz klar, dies wird
eine Schlammschlacht. Nach Meinungsumfragen sind jetzt bereits
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59 % für die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes, nach
Three Mile Island in Harrisburg, USA, waren es nur noch 40 %.
Noch immer sind aber 43 % dafür, dass das Kraftwerk umgebaut
wird, obwohl dies ein wirtschaftlicher Wahnsinn wäre. Um eine
sachliche Aufklärung zu ermöglichen, wird es ausser dem
Geologen-Gutachten, welches ja sehr positiv ausgefallen ist
und wo man jetzt sogar auf die Replik von Tollmann eine Gegenre-
plik ausarbeiten liess, die ich Kienzl, nachdem er sie nicht
gekannt hat, sofort gegeben habe, wird jetzt Denk ein
Ärztegutachten und dann noch ein nationalökonomisches Gut-
achten erscheinen. Ich fürchte leider, dass all die sachliche
Diskussion in sehr geringem Masse eine Rolle spielen wird.
Ich selbst erklärte Kienzl sofort, ich werde – wie er übrigens
gar nicht anders von mir erwartet hatte – mich ausschliesslich
nach sachlichen Gesichtspunkten orientieren und diese Pro-
paganda unterstützen. Benya dürfte auch eine solche Entwick-
lung befürchten, denn er hat Kienzl empfohlen, es sollen
keine Diskussionen mehr mit Atomgegnern abgehalten werden.
Diese geben ihnen nur ein entsprechendes Diskussionsforum,
eine wirkliche sachlich objektive Meinungsbildung ist
auch nach Meinung Benyas gar nicht mehr zu erwarten.
Für mich ist anerkennenswert aber, dass NR Heindl jetzt
sogar versucht, mit der SJ, Obmann Cap, zu einer vernünftigen
Aussprache zu gelangen.
Der irakische Botschafter in Österreich Al-Mashat hatte erwar-
tungsgemäss die Einladung zur Eröffnung der Irak-Messe
in Bagdad gebracht. Ich habe sofort Staatssekr. Albrecht
zugezogen und diese hat ihm zugesagt, dass sie sehr gerne
nach Bagdad fahren wird. Zu meiner grössten Überraschung
war der Botschafter auch darüber sehr erfreut. Er hat mit
Sicherheit angenommen, dass ich sowieso nicht fahren werde.
Da die Iraker jetzt erstmals in ihrem Land eine Wahl
durchgeführt haben, wo zwar von 800 Abgeordneten, die gewählt
werden konnten, nur 20 Frauen waren, dürfte tatsächlich jetzt
dort die Frau ihre seinerzeitige inferiore Stellung schön
langsam durch erste Schritte der Gleichberechtigung ändern.
Dies bedeutet andererseits, dass man wahrscheinlich in Zukunft
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Frauen ohne weiteres in arabische Länder, zumindestens
in einzelne, schicken kann. Albrecht hat mir nachher mit-
geteilt, dass die soz. Frauen Österreichs auch von der
arabischen Frauenorganisation in Irak einen Kontaktwunsch
haben.
ANMERKUNG FÜR ALBRECHT: Das kannst Du sicherlich sehr gut
kombinieren.
Der neue italienische Botschafter Bacchetti hat nicht nur einen
formellen Antrittsbesuch gemacht, sondern gleich interveniert,
ob man nicht aus der Importkontingent, welches seinerzeit mit
1 Mio. S für Fleisch festgelegt wurde, endlich aufwerten
könnte. Seit Jahrzehnten gibt es nur dies 1 Mill. Ich kenne
das Problem aus dem ehemaligen Viehverkehrsfonds und weiss,
dass eine solche Aufwertung dort auf den heftigsten Widerstand
stösst. Der Botschafter erwähnte mit Recht, dass jetzt Italien
einer der grössten Abnehmer von österreichischem Vieh ist und dass
dieses Fleischkontingent wirklich vollkommen unzulänglich
eine Art Gegenkompensation darstellt. Ich versprach ihm, dieses
Problem mit Landwirtschaftsminister Haiden, dem die Viehkommis-
sion untersteht, zu besprechen.
ANMERKUNG FÜR HAFFNER: Willenpart soll einen diesbezüglichen
Briefentwurf ausarbeiten.
Bacchetti beschwerte sich auch darüber, dass jetzt von den
Österreichern verlangt wird, es müsste Spaghetti in der Be-
zeichnung bei Importwaren übersetzt werden. Spaghetti ist
sicherlich ein Sortenbegriff, den man wahrlich nicht über-
setzen muss. Min.Rat Willenpart glaubte, das sei unmöglich,
dass so etwas verlangt wird. Ich kann mir dies sehr gut vor-
stellen, wenn die italienischen Teigwaren nicht Spaghetti
bezeichnet werden können, verlieren sie sofort einen Grossteil
ihres Marktwertes. Italienische Nudeln ist wohl das letzte,
was man zu Spaghetti sagen kann. Da dies in meiner Kompetenz
liegt, gewerblicher Rechtsschutz, habe ich zugesagt, dass
ich dies sofort prüfen lassen werde und dann entsprechend
Bescheid sage.
ANMERKUNG FÜR BURIAN: Was weiss das Patentamt davon?
Ich schlug dem italienischen Botschafter vor, er sollte jetzt
in Rom intervenieren, damit endlich für die Zollabfertigung bes-
sere Lösungen gefunden werden. Dies gilt insbesondere für den
Textilwarenverkehr. Da er jetzt unmittelbar nach Rom fahren
wird, wird er die entsprechenden Schritte dort vornehmen.
GD Koning von Philips beschwerte sich bei mir, dass die Japaner
jetzt auf Videorecorder eine ungeheure Dumpingwelle starten.
1977 wurden 734 Stück importiert mit 15 Mio. S, voriges Jahr
waren es bereits 4.500 und der Importwert ist auf 10 Mio. S zu-
rückgegangen. Nach Vorschlag Konings und des Fachverbandes
sollen die Videorecorder auf die japanische Kontingent-Liste ge-
setzt werden, eventuell könnte man dafür die elektrischen Batte-
rien aus dieser Liste herausnehmen. Ich sagte Koning zu,
dass das Handelsministerium ihn genauso unterstützen wird, wie
wir dies seinerzeit, als Philips das Farbfernseh-Röhren-Werk in
der Steiermark errichtete, getan haben. Damals war ich der einzige
Minister, der bei Aussprachen, sei es mit der Schweiz, aber
ganz besonders mit Deutschland, Graf Lambsdorff, für einen Schutz
eingetreten bin, während insbesondere Lambsdorff nach wie vor
auf dem Standpunkt stand, die Deutschen müssen die japanische
Konkurrenz ertragen. Lambsdorffs Meinung soll sich bereits ge-
wandelt haben, Philips hat auch dort entsprechend interveniert.
Koning versprach mir für die Aussprache in Lübeck entsprechendes
Material zur Verfügung zu stellen. Philips hat für das Videorecorder-
Werk 4,6 Mia. S alles in allem investiert.
Auch Grundig hat mir einen Brief geschrieben, wo sie gegen die
japanische Konkurrenz Massnahmen wünschen. Um auf dem Weltmarkt
existieren zu können, müsste der Staat eine Kursrisiko-Garantie
abgeben. Dieses Problem trifft aber hauptsächlich den Finanz-
minister, ich bin davon nur sekundär betroffen. Koning teilte
mit auch mit, dass Grundig nach wie vor finanziell selb-
ständig bleibt, für die Forschung und Entwicklung, die gemeinsam
abgehandelt und abgestimmt wird, eine 25 %-ige Beteiligung er-
folgte. Der Besitzer Grundig hat Angst, dass nachdem er keine
Nachfolger hat, dass seine Grundig-Stiftung allein diesen harten
Wettbewerb, der letzten Endes insbesondere von den Amerikanern
allen aufgezwungen wird, überstehen würde.
ANMERKUNG FÜR HAFFNER: Lass das Videorecorder-Problem sofort
von unseren Abteilungen prüfen.
Die montenegrinische Wirtschaftsdelegation war die grösste,
die jemals aus einer Teilrepublik nach Österreich gekommen ist.
Je kleiner das Land, umso grösser die Delegation, könnte man
fast sagen. Der Präsident der Wirtschaftskammer, der die Dele-
gation führt, war sicherlich sehr überrascht, dass ich mich
eine halbe Stunde mit ihnen unterhalten habe.
Sekt.Chef Kazda und Jagoda, der Rest der Ausschreibungskommission
für die Besetzung des Industriesektionschef-Postens, besprachen
mit mir die weitere Vorgangsweise. Da die Arbeitnehmervertreter
sich weigern, an den Kommissionssitzungen teilzunehmen, werde
ich wieder versuchen, die Vorausschreibungszeit-Lösung auch im
Handelsministerium auch in diesem Fall wieder einzuführen. Ich
bin fest entschlossen, mehrere Stellen, wie Industriesektion,
Industriellenvereinigung und wenn mir andere einfallen, die
mit der Industriesektion viel zu tun haben, auch diese zu
konsultieren. Niemand soll sagen und niemand kann sagen, dass
ich jemals autoritär in Personalfragen entschieden habe. Selbst-
verständlich war ich stets bestrebt, nur einen Gesinnungsfreund,
der aber fachlich absolut einwandfreie Spitze sein musste, für
Spitzenposten zu gewinnen. Ich habe dies auch immer freimütig,
wenn auch nicht in der Öffentlichkeit, der Handelskammer und
allen anderen, die es hören wollten, gesagt, wenn mir zwei
gleichwertige Leute zur Verfügung stehen, dann greife ich
selbstverständlich auf meinen Gesinnungsfreund . Da bedeutet
aber oft, dass man sich nachher, und das wusste ich im voraus,
oft sehr schwer in der Durchführung dann der einzelnen Mass-
nahmen tut, als dies oft bei anderen Lösungen der Fall wäre.
Das Beispiel im Finanzministerium und insbesondere im BKA beweist
dies eindeutig.
Die 60-Jahrfeier des Präsidenten des Wiener Landtages Pfoch,
wozu der Ottakringer Vorstand alle seine Spitzenfunktionäre mit
Frauen und den Wiener Vorstand ebenfalls eingeladen hatte, war
für Pfoch und mich reine Nostalgie. Pfoch ist nicht nur
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ein hochanständiger, sondern wirklich auch in der ersten
Republik als Falke so wie ich geprägter Sozialist gewesen
und auch geblieben. Jetzt als Grossvater besonders stolz,
haben wir dann von unserer Jugend geschwärmt. Pfoch hat noch
immer, glaube ich, gewisse Bedenken, weil er seinerzeit mich
als Obmann der Soz. Jugend Ende der Vierzigerjahre gestürzt hat.
Damals war die Begründung der Pauli Blaus, Hindels, Strassers,
Mayerhofers und vieler anderer, ich stehe zu weit rechts.
Mein Erklärung damals war, ja, ja, wenn ich mich umdrehe, stehe
ich schon neben dem christlichen Arbeiterführer Kunschak.
Hätte man mich aber damals diese Gruppe nicht gestürzt,
hätte ich sicherlich mein Studium mit Doktorat nicht abge-
schlossen. Allerdings wäre ich sicherlich dann bereits 1949
in den Nationalrat gewählt worden. Mit genau derselben Sicher-
heit kann ich aber sagen, dass ich dann meine solide fachliche
Ausbildung und auch Arbeit in der Arbeiterkammer nicht in
dem Umfang hätte betreiben können, als ich dies nach dem Sturz
aus der SJ dann tatsächlich getan habe. Für mich ist das einmal
mehr ein Beweis aus meinem Leben, dass alles zwei Seiten hat.
Meine Maxime war und bleibt: Erfülle deine Arbeit und Pflicht,
wo man dich hinstellt, kränke dich aber nie, wenn man dir eine
Arbeit direkt oder indirekt abnimmt. Renne nie einem ehrgeizigen
Ziel nach, dann erreichst du es bestimmt nicht. Warte ab,
es kommt sowieso alles, wie es kommen muss und wenn es nicht
kommt, dann versäumt du garantiert auch nichts.
Tagesprogramm, 23.6.1980
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)