Dienstag, 4. Juli 1978
In der Ministerratsvorbesprechung, die unter Vorsitz von Vize-
kanzler Androsch stattfand, berichteten er und Lausecker sowie
Lanc über die Protestaktion und den Boykott der Grenzen und Strassen
durch die Frächter. Lanc stellte fest, dass der Bundesverband
österr. Fernfrächter, wie ich später feststellte, ein erst in
Gründung befindlicher Verein, Proponentenkomitee wie Posch als
Obmann, von NÖ Hirschhofer, von Wien Wagner, Freier Wirtschafts-
verbändler, und von Tirol Troll hinter dieser Aktion stehen.
Angeblich hat sie spontan begonnen, ausgelöst durch die lange
Abfertigung an der Grenze durch Ausfüllung von zusätzlichen
Formularen und Dieseltreibstoffkontrolle. Die Gewerkschaft Handel
und Transport hat sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen und gibt
den Betroffenen, soweit sie überhaupt Gewerkschaftsmitglieder sind,
keinen gewerkschaftlichen Schutz. Da es sich hier aber wahrscheinlich
kaum um ein Gewerkschaftsmitglied handelt, ist diese Erklärung
mehr deklaratorisch. Tatsache ist, dass die Grenze weitestgehend
blockiert wird. Wie anschliessend bei einer Aussprache mit der
Handelskammer, d.h. der offiziellen Vertretung unter Sallinger
und Mussil festgestellt wurde, hat Kreisky und Androsch angeb-
lich bei den Verhandlungen zugesagt, wenn Retorsionsmassnahmen
von ausländischen Staaten kommen sollten, dann wird den Frächtern
eine entsprechende Entschädigung gegeben werden. Androsch legt
dies allerdings so aus, dass Kreisky nur gemeint hat, dann müsse
man über dieses Problem sprechen, wenn es sich um eine Existenz-
vernichtung handelt. Dieser Zustand ist jetzt nach Meinung der
Frächter und auch der Handelskammer eingetreten. Die Tschechen
verlangen 700 Kronen, d.h. fast 3,500 S, darüber wird aber jetzt
mit ihnen verhandelt und man nimmt an, dass sie auf 350 Kronen
ab 5 t zurückgehen. Die Ungarn verlangen 20 Filler pro t und km,
vom Gesamtgewicht kein Plafond, also eine sehr starke Belastung,
sind aber ebenfalls bereit zurückzugehen. Die Italiener werden
auf alle Fälle die entsprechenden Erhöhungen noch überlegen,
genauso wie die Jugoslawen, die von 0,13 Dinar pro t/km jetzt
auf 0,39 erhöhen möchten. Die Türken haben 25 Kurus pro t/km.
Alle diese Ziffern habe ich bei der Besprechung von einer Unter-
lage Androsch abgelesen. Auch die DDR, Polen, Portugal und
Rumänien überlegen Massnahmen. Das Hauptproblem für die österr.
Frächter besteht darin, dass es für sie ganz uninteressant ist,
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wieviel sie in Wien durch die Pauschale bezahlen müssen,
die wirklich schwere Belastung kommt dadurch, dass sie ja
ein Streckenverhältnis 1:6, d.h. sechsmal so viel im Ausland
fahren. Dadurch kommt jedwede auch noch so geringfügige Belastung
in der Auslandsstrecke für sie wesentlich schwerer zu verdauen,
als man eben landläufig bei den inländischen Belastungen er-
rechnet hat. Ein Frächter Müller hat als Beispiel mitgeteilt,
er hat bis jetzt von Bukarest Container für deutsche Firma
nach Hamburg gebracht. In Wien hat er sie auf die Bahn verladen
und hat damit noch ganz gut verdient. Er bekommt für die Tour
13.500 S, 4.500 S müsste er aber jetzt zusätzliche Abgabe in
Ungarn bezahlen. Damit wird er konnkurrenzunfähig. Ein zweites
Beispiel war, dass er 4 Autozüge von Ungarn nach Hamburg trans-
portierte, dafür bekam er 30.000 S, jetzt müsste er um 1.725 S
mehr Steuer bezahlen und verliert dadurch 200 Frachten pro Jahr.
An Dienstleistungsdevisen wollen die Frächter 6 Mia S pro Jahr
auf diese Art und Weise erbracht haben, die jetzt ihrer Meinung
fast alle verlorengehen werden. Mussil hat bei dieser Aussprache
wieder den starken Mann gespielt und erklärt, sie werden nach-
mittags bei den Steuersenkungsverhandlungen sofort verlangen,
man müsse diese Strassenverkehrsabgabe, die 2 Mia erbringen soll,
primär jetzt wieder rückgängig machen. Sie verzichten dafür
auf andere Massnahmen, die nicht die wichtige Priorität haben
wie diese existenzbedrohende Lösung. Alle waren sich klar darüber,
dass eine Sistierung des Gesetzes, wie die Frächter es wollen,
nicht möglich ist. Dazu müsste der Nationalrat das Gesetz
durch ein neues Gesetz sistieren. Daran ist nicht zu denken.
Interessant für mich war bei dieser Auseinandersetzung, dass
die Frächter sich immer wieder darauf berufen, von Kreisky eine
Zusage zu haben, die Androsch so interpretiert, dass Kreisky
meinte, wenn erwiesen ist, dass ihre Existenz bedroht wird,
dann könne man darüber reden. Sie legen es aber so aus, dass
man erklärt hatte, dass wenn Retorsionsmassnahmen ergriffen
werden, scheinbar hat man ihnen diesbezügliche Andeutungen
zumindestens gemacht, dass man dann über Massnahmen reden
wird. Der zweite wichtige Punkt war für mich, dass sie erklären,
mit der ganzen Aktion nichts zu tun zu haben, wohl aber hinter
ihren Chauffeuren stehen. Der Hinweis, dass der Fremdenverkehr
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geschädigt wird, was sicherlich zutrifft, insbesondere wenn es
noch länger andauert, hat keinerlei Wirkung gezeigt.
Androsch berichtete auch, dass er jetzt zwei Beiratsgutachten
angefordert hat und auch bekommen hat. Danach sieht er eindeutig
seine Theorie bestätigt, eine Steuersenkung ist nicht möglich.
Im nächsten Jahr wird der Pensionszuschuss des Bundes von 15,8
Mia auf 21 Mia steigen. Auch für die Beamten muss er für bescheidenste
Gehaltserhöhung 3 Mia bereitstellen. Dadurch würde das Netto-Defizit
um 7–8 Mia S zunehmen und 37 Mia im nächsten Jahr betragen.
Im heurigen Jahr waren 24 Mia präliminiert, werden aber durch
die geringeren Einnahmen und vor allem einmal durch zusätzliche
Ausgaben auf 29 Mia Netto-Defizit anwachsen. Bei den Steuerverhand-
lungen will er eine Formel finden, die sagt, mit 1. Jänner 1979
soll etwas gemacht werden, aber keinerlei negativen Folgen für die
Aussenwirtschaft haben. Details hat er nicht gesagt. Er meinte nur,
die Regierung wird dann als Gesamtes diese Politik zu decken
haben.
Für den Polen-Kanzlerbesuch hat er jetzt mit der polnischen Seite
wegen zusätzlicher Finanzierung Verhandlungen geführt. Die Polen
wollen von 3 Mia den Kredit für die diversen Lieferungen auf
6,5 Mia S aufgestockt. Ebenso sollte die Laufzeit von 3 auf 5 Jahre
noch zusätzlich verlängert werden. Für das LKW-Projekt möchten
sie für Steyr und Polmot weitere 2 Mia S. Sie haben ihm neue
Projektlisten von 10 Mia S überreicht, wovon 7 Mia für Österreich
plus 15 % lokale Kosten beinhaltet waren. Insgesamt möchten sie
um 14–15 Mia Kreditvolumen bekommen. Die einzig mögliche
Deckung sehen sie in Drittländergeschäften z.B. in Libyen und
natürlich Zusagen, welche große Lieferungen sie nach Österreich
tätigen werden. Min.Rat Fälbl hat von diesen Gesprächen gehört und
sich bei Haffner bitter beschwert, dass jetzt das Finanzministerium
Agenden wahrnimmt, die eigentlich uns im Handelsministerium zustehen.
Eine saubere Trennung hätte nämlich ergeben müssen, dass das
Finanzministerium nur über die Kreditgewährung verhandelt, wir
dagegen über die Leistungs- und Liefermöglichkeit. Bei Polen
muss ich aber ehrlich gestehen, bin ich sehr froh, dass Androsch
hier in ähnlicher Kreisky-Manier glaubt, das ganze Problem lösen
zu müssen. Er hat den Polen diesen sehr grossen Kreditrahmen schon
seinerzeit eingeräumt, wahrscheinlich sogar auf Druck von Kreisky,
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der insbesondere die guten Beziehungen mit Polen durch finan-
zielle Unterstützung ausbauen möchte. Da ich überzeugt bin, dass
die Polen in absehbarer Zeit gar nicht imstande sind, ihren
Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, bin ich sehr froh, dass
nicht ich ihnen alle zusätzliche Kredite ablehnen müsste, sondern
dass vielleicht sogar Androsch wirklich bereit ist, noch zusätzliche
Kreditlinien zu eröffnen.
Zur Papierregelung, d.h. die Richtlinien, die dann im Ministerrat ge-
nehmigt wurden, machte Androsch dann die Bemerkung, damit werden
nicht nur Investitionsfinanzierungen ermöglicht, sondern auch
für den Transport wird, wenn er auf der Schiene erfolgt, ent-
sprechende Refaktie gegeben.
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Bitte lass feststellen, was mit dieser
Bemerkung gemeint sein könnte.
Im Ministerrat berichtete Haiden dann ausserhalb der Tagesordnung
von seiner Tunesienreise. Als Entwicklungshilfe hat Sekt.Chef
Gatscha, der mit war, scheinbar auch dort entsprechende Zusagen
gemacht. Weissenberg berichtete über die Arbeitslosensituation,
mit 1,3 % Arbeitslosenrate, 35.310, bei offenen Stellen von
35.500, liegen wird zwar ein bisschen schlechter als im Vorjahr,
6.000 mehr, aber 10.000 weniger als im Vormonat. Die Arbeitslosen-
rate im ersten Halbjahr beträgt heuer 2,3 %, im Vorjahr war dies
2 % und 1976 2,4 %. Meiner Meinung nach spielt es überhaupt gar
keine Rolle, wenn diese Zehntelprozente variieren, in Wirklichkeit
ist es mir vollkommen unerklärlich, wieso bei so einer schlechten
Wirtschaftssituation, wie die Unternehmer sie sehen und darstellen
und sie wahrscheinlich auch wirklich ist, eine so günstige Be-
schäftigungslage festzustellen ist.
Die Vertreter der Ölindustrie, Hirsch, Obmann der Arbeitsgemein-
schaft, und Seefranz für die Unilever waren bereit, bei Ver-
handlungen mit Präs. Lehner und LWM Haiden den von mir seinerzeit
vorgeschlagenen Weg der kleinen Schritte zu gehen. Das grosse Öl-
saatenprojekt, glaube ich, ist endgültig tot, dies sagen alle,
oder zumindestens wissen es, ohne es zu sagen. Im vergangenem Jahr
wurden 3.000 t Raps zu 5.86 S abgeliefert. Heuer werden es 3.600 t
sein und die Bauern werden, da sie das 1,7-fache des Qualitäts-
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weizenpreises bekommen sollten, 6.03 erreichen. Ich sage des-
halb, sie würden es bekommen, denn nach Meinung der Fett-
industrie besteht gar kein Vertrag mehr zwischen den beiden
Gruppen. Lehner war darüber sehr erstaunt und überrascht.
Ich erklärte aber sofort, die Fettindustrie hat sich mit gegen-
über bereiterklärt, die bisherige Politik fortzusetzen. Unter
diesen Umständen könnten sie auch im nächsten Jahr mit einer
ca. Rapspreisregelung von 6.20 S rechnen. Ich nehme an, dass
der Qualitätsweizenpreis im nächsten Jahr wieder um maximal
10 Groschen erhöht wird. Lehner, aber auch Haiden waren über eine
solche Lösung gar nicht erfreut. Sie schlugen vor, es müsste der
Rapspreis 7.00 S und minimalst 6.80 S sein. Dazu sehe ich
gar keine Möglichkeit, weil die dafür notwendigen Dutzend
Million Schilling zur Stützung nicht vorhanden sind und sicherlich
auch nicht aufgetrieben werden können. Gen.Dir. Seefranz hatte
zwar die Idee, man sollte die Mehrwertsteuer für Margarine und
Öl von derzeit 8 % auf 18 % anheben, dadurch würde man 180 Mio S
Einnahmen haben, die der Finanzminister dann der Ölproduktion
zur Verfügung stellen könne. Dies würde auch keinen diskrimi-
natorischen Effekt haben und die Amerikaner kaum veranlassen,
Gegenmassnahmen zu setzen. Abgesehen davon, dass ich gar nicht
überzeugt bin, ob dies nicht dann trotzdem geschehen würde,
sehe ich in der derzeitigen Situation keine Möglichkeit, diese
Steuererhöhung durchzuführen. Ein eventuelles neues Konzept
kann erst nach den nächsten NR-Wahlen entwickelt werden. Bis
dahin hoffe ich auch, dass man mit den Amerikanern die Fronten
geklärt hat und GATT-konforme Massnahmen mit Zustimmung der
Amerikaner durchgesetzt hat.
ANMERKUNG FÜR PLESCH UND HAFFNER: Bitte GATT-Verhandlungen inter-
ministeriell weitertreiben.
Die Kranzniederlegung für 40 Jahre Todestag Otto Bauer war
nach meinen Begriffen gut besucht. Eine Gruppe Jugendlicher,
zuerst wesentlich weniger, die sich verspätet, aber dann dann
doch verstärkte, als Fahnenträger an der Spitze. Die Organisation
hat vorgesehen, dass wir bei der Präsidentengruft vorübergehen
sollten. Da diese aber jetzt renoviert wird, wollten man allen
Ernstes den Zug gar nicht vorübergehen lassen. Obwohl man dann
von der Renovierung gar nichts bemerkte, aus Pietätsgründen
scheinbar hat die Friedhofsverwaltung resp. die städtische
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Leichenbestattung ganz einfach irgendeinen Beschluss gefasst,
dass niemand dort vorübergehen soll. Bei den Opfern wurde dann
von den Freiheitskämpfern ein Kranz niedergelegt. Am Grabe Otto
Bauers in der Nähe der Märzgefallenen 1848, also beim dritten Tor,
hielt dann Firnberg ihre Gedenkrede. Interessant und für mich
beeindruckend war, wie viele alte Genossen, die ich oft Jahre
lang nicht mehr gesehen habe, doch zu diesen Veranstaltungen
kommen. Otto Bauer, so erzählte mir der ehemalige Staatssekretär
Franz Rauscher, war in der Arbeiter-Hochschule ein sehr sehr
strenger Lehrer. Bei dieser Gelegenheit ist mir eigentlich aufge-
fallen, dass ich heuer gar nicht noch zum Vortrag in die
Sozialakademie nach Mödling eingeladen wurde. Die neue Leitung
Prof. Weissel hat scheinbar ein anderes Lehrprogramm, ein
anderes Unterrichtssystem und verzichtet auf meine Mitwirkung.
Darüber bin ich gar nicht verärgert, wohl aber ein wenig er-
staunt. Ich erspare mir nur Zeit, die ich mir selbst während meiner
achtjährigen Ministerschaft immer nehmen musste und auch ge-
nommen habe. Immerhin habe ich doch seit Gründung der Sozial-
akademie in Mödling immer dort vorgetragen und dadurch auch guten
Kontakt mit allen Schülern gehabt. Da diese früher oder später
irgendwo in der Partei oder zumindestens Gewerkschaftsbewegung
als Angestellte auftauchen, war es für mich auch immer sehr inter-
essant, die Leute dort während ihres Studiums kennenzulernen.
Allerdings muss ich zugeben, dass dies so viele waren, dass
ich mich dann eigentlich kaum mehr im einzelnen an sie erinnerte,
sondern dann meistens von diesen angesprochen wurde, dass ich
sie ja bereits als Sozialakademiker kennengelernt habe. Wie
wichtig aber eine solche Schulung ist, hat sicherich Otto
Bauer als einer der besten Lehrer in der alten Arbeiter-Hochschule
erkannt, wie mir Rauscher und andere bestätigten.
Tagesprogramm, 4.7.1978
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)
Tagesordnung 125. Ministerratssitzung, 4.7.1978
43_0784_03hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)