Mittwoch, der 28. Juni 1978

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Mittwoch, 28. Juni 1978

Die elfstündige Parlamentsdebatte über die Kernenergie war
teilweise sehr interessant, teilweise natürlich durch die Länge
sehr ermüdend. Die ÖVP versuchte einen ganz grossen Angriff zu
starten, deren Spitze der Mißtrauensantrag gegen die Regierung
war. ÖVP-Obmann Mock hat als Grundlage dafür den Cogema-Vertrag
gewählt. Nach ÖVP-Auffassung hat der Brief, den ich namens Kreiskys
an die GKT geschrieben habe und wo dieser Zweifel wegen der Kosten
und wegen der Nichtlösung der Lagerfrage noch einmal die Ver-
antwortung der GKT für diese Frage und damit auch für diesen Ver-
trag eindeutig feststellte, ein hinters Licht führen des Parla-
ments und der Öffentlichkeit bedeutet. Nach Auffassung von Mock
und der ÖVP wäre durch Genehmigung des Notenwechsels zwischen
der österreichischen und der französischen Regierung auf Grund
Artikel 23 des Vertrages auch der Vertrag genehmigt worden. Meine
zweimalig sehr kurze Wortmeldung, dass wir nur den Notenwechsel
zu beschliessen haben und keinesfalls damit der Vertrag von uns
genehmigt wird, konnte ja nicht von der ÖVP anerkannt werden. Mock
hat ja darauf sein Mißtrauensvotum aufgebaut. Der ÖVP-Sprecher Prof.
Ermacora stellte die Behauptung auf, dass der indirekte Gehalt
des Vertrages durch den Notenwechsel ebenfalls genehmigt wird, da
ich ja bereits im Unterausschuss der ÖVP die gewünschte Stellung-
nahme des Verfassungsdienstes zugeleitet hatte, griff er direkt
diesen an. Der Verfassungsdienst hat nämlich im Zuge der inter-
ministeriellen Besprechung mit zwei Schreiben dem Handelsministerium
mitgeteilt, dass dieser Notenwechsel auf Grund Artikel 50 der Bundes-
verfassung dem Parlament zuzuleiten ist. Ermacora sieht in der
Stellungnahme des Verfassungsdienstes einen grossen Mangel, er
hätte nämlich auf den indirekten Gehalt des Vertrages hinweisen
müssen. Hätten wir nicht eine so solide Mehrheit im Nationalrat,
dann wäre aus diesem juristischen Streit eine Regierung gestürzt
worden. Kreisky sagte bei seiner Wortmeldung nach den Ausführungen
Mocks, als man ihn sehr heftig mit Zwischenrufen attackierte,
die ÖVP soll durch nicht so nervös sein, er müsste dies sein, wenn
man gegen ihn und die Regierung einen Misstrauensantrag einbringt,
ist es aber auch nicht.

ANMERKUNG FÜR SATZINGER: Zluwa soll mit dem Verfassungsdienst die
Behauptung Ermacora prüfen und mir dann Bescheid sagen.



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Oppositionsparteiobmann Taus und Klubobmann Fischer leiteten
die Diskussion ein, die sich hauptsächlich mit der Frage der
Volksabstimmung befasste. Auf Intervention von Benya und Sallinger
waren nämlich die beiden Klubobmänner Mock und Fischer dann sogar
unter Zuziehung von Kreisky und Taus gestern bis spät in die Nacht
bemüht, doch noch ein Kompromiss zu finden. Morgens um 8 Uhr, wo
sich die Klubobmänner noch einmal treffen sollten, hat Mock
Fischer mitgeteilt, dass weitere Verhandlungen sinnlos seien.
Kreisky hat, glaube ich, mit recht verlangt, bei der Volksabstimmung
müsste klar und deutlich über die Frage Zwentendorf abgestimmt
werden. Die ÖVP wollte jedwede Volksabstimmung aber darüber
verhindern, sondern das Ganze in eine Frage positive Stellungnahme
zur Kernenergie oder nicht, umfunktionieren. Taus und Bergmann
wollen die Konfrontation in diesem Punkt mit der SPÖ. Ob tat-
sächlich er damit gut beraten ist, wird sich erst herausstellen.
Da er diese Konfrontation will, z.B. musste er die Partei auf
ein Nein zu den zu abstimmenden Gesetz festlegen. Der Wirtschafts-
bund und viele Landeshauptleute, die letzten Endes an Zwentendorf
beteiligt sind, können und wollen wahrscheinlich eine solche Politik
nicht mitmachen, vor allem aber sicherlich können sie sie nicht
verstehen. Mock hat aber mit seinen Äußerungen die Partei schon
präjudiziert. Der Streit resp. die Diskussion im Parlament, wer
jetzt letzten Endes die Verhandlungen abgebrochen hat oder wer
zu wenig dazu beigetragen hat, dass es nicht doch noch zu einem
gemeinsamen Gesetzestext gekommen ist, bringt dann gar nichts mehr.
Selbst der Versuch der ÖVP die beiden sozialistischen Abgeordneten
Heinz und Treichl aus Vorarlberg zur attackieren und zu versuchen,
dass sie sich gegen diese Regierungspolitik aussprechen sollten,
musste in diesem Fall scheitern. Heinz begründete – und dies sicher-
lich zu Recht – eine Volksabstimmung würde letzten Endes zeigen,
ob das Volk gegen Zwentendorf ist, weshalb er allen den Gesetzes-
entwürfen und Entschließungen im Parlament zustimmen könnte.
Einmal mehr zeigt es sich für mich, dass für eine Partei eine
eingeleitete Politik, besser gesagt Richtung in einer Politik,
kaum mehr zu ändern ist.

Da ich ja bei dieser Auseinandersetzung gar nicht attackiert wurde,
nur Mock machte einmal – wie er sicher glaubte eine gute Bemerkung,
ich sei als Laufbursche Kreiskys in der Angelegenheit Cogema aus-
getreten – wartete ich immer, wie es meiner Gepflogenheit entspricht,


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bis alle Redner gesprochen hatte. Leodolter, die von Wiesinger
unfair attackiert wurde, gab, wie ich glaube feststellen zu dürfen,
eine sehr gute Erklärung ab. Dass Wiesinger ständig nur sie selbst
auch sachlich ungerechtfertigt attackierte, war an dem Beispiel,
das er erwähnte zu ersehen. Er warf Leodolter vor, sie hätte sich
nicht um die Errichtung einer Zahnklinik auf der Universität
Salzburg interessiert, obwohl, wie Leodolter richtig replizierte,
dafür das Gesundheitsministerium gar nicht zuständig, sondern
das Wissenschaftsministerium kompetent ist. Wiesinger weiss dies,
er nützt nur jede Gelegenheit, um Leodolter eins auszuwischen.
Mir gegenüber hat er ja sogar in den Couloirs erklärt, er führe
eine getrennte Oppositionspolitik. Darunter versteht er sicher,
mich zu schonen und Leodolter anzugreifen. In den 65 Stunden Unter-
ausschuss Atomenergie konnte ich dies einige Male feststellen.
Leodolter sagte daher auch immer, aus dem Gesundheitsausschuss sei
sie diese Politik gewöhnt, während selbst der Vorsitzende ÖVP-
Abgeordnete Staudinger des Handelsausschusses mir gegenüber und
auch sonst jedermann versicherte, ein solches Klima gibt es in
unserem Ausschuss nicht. Schon allein dass ich mich stets im
Ausschuss aufgehalten habe, auch jetzt wieder – nebenbei bemerkt
genauso wie Leodolter – die ganze Zeit auf der Regierungsbank sass,
war scheinbar schon Befriedigung für die ÖVP genug, Kreisky und
Leodolter zu attackieren und mich eigentlich links liegen zu
lassen. Da nach 11 Stunden Debatten jedermann genug hatte, erwarb
ich mir dann die Sympathie des ganzen Hauses, als ich mich gar
nicht mehr zu Wort meldete. Wieder einmal konnte ich sagen, meine
besten Reden sind die, die ich nicht gehalten habe. Ob nicht meine
Beamten aber enttäuscht sind, weil letzten Endes sie vielleicht
ein stärkeres Eintreten für die Sache erwarteten, bin ich mir nicht
ganz sicher. Sachlich wurde allerdings von unseren Abgeordneten,
die in die Debatte eingriffen, wirklich alles gesagt und da ich
ja die ganze Debatte intensiv verfolgte, auch wirklich sehr gut
vorgetragen. Die ÖVP, aber auch die FPÖ beschwerten sich bitter,
dass der Rundfunk nicht eine Live-Übertragung von dieser, wie sie
sagten, sehr wichtigen Materie durchführt. Benya, der gerade während
des Angriffes Peter in dieser Frage in seiner Parlamentsbank sass,
also nicht vom Vorsitz her, erklärte ruhig, der ORF hat dies ge-
wünscht, er hat es aber als Präsident des Hauses abgelehnt. Wäre
eine Live-Fernsehübertragung gewesen, dann hätte es nicht nur sicher-
lich noch länger gedauert, sondern wäre die Diskussion noch emotio-


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neller geführt worden. An und für sich teile ich nämlich die
Meinung, dass, wenn man eine sachliche Arbeit will, das Fern-
sehen überhaupt aus dem Parlament weggehört. Die Engländer wissen
schon, warum sie das Fernsehen nicht zulassen. Die Galerie war
während der ganzen Debatte bis spät in die Nacht von Atomgegnern
besetzt. Die Präsidentin der Katastrophenhilfe österreichischer
Frauen, Schmitz, sass nicht nur die ganze Zeit oben, sondern hat
ununterbrochen geschrieben, d.h. sich Aufzeichnungen über die
Debatte gemacht, wie ich genau beobachten konnte. Ob sie sich
jetzt, die ja gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie
sich auf alle Fälle ausspricht, wieder mit ihrer ehemaligen Partei,
der ÖVP, wegen der Ablehnung der Inbetriebnahme Zwentendorf ver-
söhnen wird, wird für mich ein wichtiges Indiz sein, wie weit die
ÖVP-Politik wenigstens Kernkraftwerkgegner wieder zurückgewinnen
kann.

Landwirtschaftsminister Haiden informierte mich, dass die Erhöhung
des Abschöpfungsbetrages für Eier jetzt als Initiativantrag einge-
bracht wird. Haiden ist überzeugt, einen einstimmigen Beschluss
zustande zu bringen, da selbst die Arbeiterkammer und der Gewerk-
schaftsbund die notwendige Erhöhung einsieht. Die Erhöhung der
Stützung der Europäischen Gemeinschaft durch Erstattungserhöhung
um 6–8 Groschen muss aufgefangen werden.

ANMERKUNG FÜR PLESCH: Bitte AK und ÖGB verständigen.

Eine kurze Aussprache mit Androsch wegen der Zollermässigungen
für die Sowjetunion, insbesondere Auto, Maschinen und sonstige
Exportartikel, ergab nur einen Teilerfolg. Androsch ist nicht be-
reit den Autozoll neuerdings zu senken. Ich erinnerte ihn zwar auf
den seinerzeitigen Vorschlag von ihm, wo er bei der letzten Zoll-
senkung meinte, wir sollten gleich auf Null stelle, ich dies aber
damals aus verhandlungstaktischen Gründen ablehnte. Meine Argumen-
tation damals war, die Russen werden sicherlich später neuerdings
kommen und wir können ihnen dann wieder ein Zugeständnis machen.
Da sich in der Zwischenzeit die Autoeinfuhren so zu Ungunsten der
Zahlungsbilanzen entwickelt haben und da insbesondere jede Zoll-
senkung nach Meinung Androsch auch sofort den Japanern zugute kommt,
sieht er sich jetzt ausserstande, auf diesem Sektor entgegenzukommen.



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Mein Hinweis, dass durch die Bestimmungen über Radabstand usw.
die Japaner von der Zollsenkung ausgeschlossen werden, ist für
ihn nicht stichhaltig. Androsch rechnet scheinbar damit, dass die
Japaner, so wie dies auch in der Vergangenheit ja geschehen ist,
sich jedweder Bestimmung sofort mit ihrer Produktion anpassen.
Das einzige was Androsch zugestehen will – und dies hat er schon
Handelsrat Nikolaenko angedeutet – dass die Zollsätze für die
Ersatzteile geregelt werden sollen, d.h. wesentlich reduziert
werden. Ich glaube, dass ich mit diesem Teilzugeständnis zu
den sowj. Wünschen einigermassen in Moskau über die Runden kommen
werde.

ANMERKUNG FÜR HAFFNER: Bitte die Details sofort mit den Beamten des
Finanzministeriums schriftlich festlegen lassen.

Bei der Novelle zum Mühlengesetz hat Stix den angekündigten Abän-
derungsantrag auf 5-jährige Verlängerung eingebracht. Die ÖVP kam
dadurch in eine schwierige Situation. Gen.Sekr. Mussil beschwerte
sich bei mir, dass ich erklärt hätte, es gäbe ein Sozialpartner-
übereinkommen wegen der kurzfristigen Verlängerung und damit
Gleichziehung der anderen Wirtschaftsgesetze. Ich erinnerte ihn
daran, dass wohl ursprünglich beabsichtigt war eine 5 Jahreslaufzeit
vorzusehen. Auch in meinem Regierungsentwurf war dies ja der Fall,
dass aber bei den Sozialpartnerverhandlungen ich die AK und ÖGB
höchstens dafür gewinnen konnte, dass das Mühlengesetz in Hinkunft
wie die Marktordnung und die anderen Wirtschaftsgesetze behandelt
wird. Mussil anerkannte mein Bemühen, meinte nur – er könne und
hat auch in der Vergangenheit nichts anders gekonnt, infolge der
Attacken auf der Mühlen – auf die längere Laufzeit bestehen müssen.
Die Mühlen würden ansonsten den Eindruck haben, sie werden ausschliess-
lich von den Freiheitlichen richtig vertreten. Wegen des sozialpart-
nerschaftlichen Klimas hat er aber dann doch Abstand genommen, dass
Gorton womöglich auch einen eigenen Abänderungsantrag eingebracht
hätte. Dieser hat nur, obwohl schon der nächste Tag angebrochen war,
in seiner Wortmeldung auf die Unzulänglichkeit der kurzfristigen
Lösung hingewiesen. Stix hat dann trotzdem prompt seinen Antrag ein-
gebracht und sogar gemeint, die ÖVP beuge sich dem Diktat der Sozial-
partner. Mut sollte sie nach dem Zitat – Mut hat auch der Mameluck –
sozialpartnerschaftliche Pflicht, d.h. das Diktat dieser Sozialpart-
nerschaft verhindert eine andere Lösung. Meine kürzeste Replik, die


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zweckmässige Kopplung mit den Marktordnungsgesetz und Wirt-
schaftsgesetz und keine Möglichkeit auf der Sozialpartnerebene
eine längere Terminisierung zu erreichen. Was soll auch das Haus
um 1 Uhr nachts noch überhaupt diskutieren. Was die Abgeordneten
wollen, ist nach Hause kommen und dafür habe ich wirklich volles
Verständnis.

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Tagesprogramm, 28.6.1978


Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
    GND ID: 119083906


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: sowj. Handelsrat


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: FPÖ-NR-Abg.


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Finanzminister
          GND ID: 118503049


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Büro des Bundesministers


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Beamter HM


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Gesundheitsministerin


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: GF ÖVP


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: -obmann


                      Einträge mit Erwähnung:
                        GND ID: 118756265


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Obfrau Katastrophenhilfe öst. Frauen, Anti-AKW-Aktivistin


                          Einträge mit Erwähnung:


                            Einträge mit Erwähnung:
                              Tätigkeit: MR HM


                              Einträge mit Erwähnung:
                                Tätigkeit: Abg. z. NR, Klubobmann, ÖVP


                                Einträge mit Erwähnung:
                                  Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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                                    Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg.


                                    Einträge mit Erwähnung:
                                      Tätigkeit: SPÖ NR-Abg.


                                      Einträge mit Erwähnung:
                                        Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.; Bgm. Schwanenstadt, OÖ


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                                          Tätigkeit: Kabinett Staribacher


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                                            Tätigkeit: Dir. Bundesforste, später Sts., dann LWM


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                                              Tätigkeit: FPÖ-Obmann


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                                                Tätigkeit: Bundeskanzler
                                                GND ID: 118566512


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                                                  Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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