Sonntag, der 30. April 1978 bis Montag, der 1. Mai 1978

Sonntag, 30. April 1978
und Montag, 1. Mai 1978

Die Mai-Veranstaltungen in NÖ finden nun meistens, ausser natürlich
es regnet sehr stark, auf den Hauptplätzen statt. Die Niederöster-
reicher wollen, dass durch die Übertragung in den Häusern die
Reden auch gehört werden. Dies hat sicherlich grossen Vorteil,
der Nachteil ist nur, dass man nicht so engen Kontakt mit den
Zuhörern bekommt. In Ravelsbach war tatsächlich eine sehr grosse
Menge am Hauptplatz versammelt. Natürlich ging ich auf die
Agrarprobleme ein, denn dort handelt es sich primär um eine Land-
gemeinde. Bauernvertreter, sicherlich aber Sozialisten, mit denen
ich nachher noch diskutierte, versicherten mir, dass unsere
Agrarpolitik schon besser sei als die zwischen 1966 und 1970.
Selbstverständlich habe ich bei meinen Ausführungen auf diese Zeit
bezuggenommen.

Bgm. Gratz lädt vor dem Fackelzug der Wiener SJ stets ins Rathaus
zu einem Treffen der alten Jugendlichen ein. Niemand weiss genau,
nach welchen Gesichtspunkten die Einladungen erfolgen. Ich bin
überzeugt, dass am meisten die Treffen und Anschriften von ehemaligen
SAJ-Funktionären verlorengegangen sind. Deshalb kommt es vor,
dass manche Bezirke gut vertreten sind, manche dagegen sehr
schlecht. Dies gilt für meine Heimatbezirk genauso wie für die
Landstrasse. Für mich ist es teilweise erfreulich, alte Genossinnen
und Genossen wieder zu treffen. Ausserdem gibt es eine Gelegenheit,
sich nicht nur zu informieren, sondern auch manche Gespräche, die
man sonst nicht führen könnte, abzuwickeln. Andererseits ist es
auch verwunderlich, die alten SAJ-ler schon als Pensionisten zu
erleben.

ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Bitte auch nächstes Jahr diesen Termin
vormerken.

Bei der Kundgebung in Grossenzersdorf ist, was ich eigentlich er-
wartet habe, dann aber doch angenehm überrascht wurde, auch Muliar
mitgegangen. Dieser ist wirklich bereit, sich als Sozialist in
jeder Beziehung zu deklarieren. Bei Künstlern wahrlich nicht üblich
für mich ein sehr erfreulicher Freund.

Die Mai-Veranstaltung in Wien durch die zwei Toten infolge
Einsturz der Tribüne wurde diesmal nicht durch Vorbeiziehen
der einzelnen Bezirke an der Tribüne, sondern durch eine
grosse Kundgebung auf dem Rathausplatz gefeiert. Da alle
Bezirke ausser der Landstrasse doch ziemlich geschlossen
zum Rathausplatz hinmarschierten, war dieser bummvoll, ja
sogar auf der Ringstrasse stauten sich die Massen. Da die
Landstrasse sehr zeitig als erster Bezirk hätte marschieren
müssen, hatte irgendjemand die Idee, dass wir nicht ge-
schlossen hinmarschieren. In der AZ, wo die einzelnen Bezirke
ihre Abmarschzeiten mitteilten, fehlte deshalb die Landstrasse.
Dies hat sicherlich einigen Unwillen ausgelöst. Ich wurde
zumindestens diesbezüglich einige Male gefragt. Die Kund-
gebung war für mich überwältigend. Gratz hatte einige gute
Gags, welche die Zuhörer sofort begeisterten, Kreisky wieder
analysierte die derzeitige politische Lage, verglich die
Verbindung Taus-Götz mit der ersten Republik und entwickelte,
glaube ich, ein allgemein verständliches, doch sehr inter-
essantes politisches Referat. Dies machte er ohne die
geringste Aufzeichung und begeisterte seine Zuhörer. So
wie er in der wirtschaftlichen Entwicklung immer Parallelen
mit den ersten Republik zieht, bekanntlich ist er auch sehr
pessimistisch und erwartet aus dieser Rezession eine Krise
wie in den Dreissiger-Jahren, so hat er auch politisch über
die Christlichsozialen und Nationalen Koalition in der
ersten Republik pessimistisch die politische Lage Österreichs
beurteilt, wenn die Bevölkerung bei der nächsten Wahl diese
beiden Gruppen stärker machen sollte. Nicht gehässig, sondern
wirklich als grosser Staatsmann, der diese politische Ver-
anstaltung dazu benützt, um die Bevölkerung, insbesondere
aber den Genossen seine Meinung darzulegen.

Meine Veranstaltung in NÖ war dagegen eine meiner üblichen.