Dienstag, der 19. April 1977

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Dienstag, 19. April 1977

Bei der Eröffnung des Kongress der Grosskraftwerksbetreiber Süd
setzte ich mich mit aktuellen energiepolitischen Fragen ausein-
ander. Der Vorsitzende, der deutscher Professor, gab mir das Stich-
wort: Vorsicht und Voraussicht. Für die Vorsicht sind die Techniker
in meinen Augen verantwortlich, da ich mich ausserstande erklärte,
die notwendigen Sicherheitsbestimmungen zu erlassen, geschweige denn
zu kontrollieren. Für die Voraussicht aber fühlte ich mich als
Energiepolitisch der verantwortliche Minister absolut zuständig. Wie
richtig dargestellt wurde, benötigt ein Kraftwerk 5 – 10 Jahre, vom
Baubeschluss bis zur endgültigen Inbetriebnahme. Würde ich jetzt
nicht entscheiden sondern alles nicht zuletzt im Hinblick auf die
nächsten Wahlen hinausschieben, würde momentan gar nichts sich
ändern, aber die nötige Voraussicht fehlen und damit die Energie-
zukunft äusserst gefährden. Tritt man für die Kernenergie ein, so
ist man ein Söldling des westeuropäischen Kapitals, welches über
diese Kraftwerke Profit machen will. Tritt man für die Ölheizung ein,
so ist man Söldling der Scheichs in den arabischen Staaten. Tritt
man gar für Kohle ein, dann ist man ein kommunistischer Söldling
für die Interessen Polens, Russlands der CSSR usw. Interessanterweise
hatte ich am Abend im Wels mit dem Freien Wirtschaftsverband, aber
ganz besonders durch die Einladung einzelner Wirtschaftstreibender
durch Landesrat Neuhauser eine nur teilweise politisch gefärbte Ver-
anstaltung. Zwei Drittel der Teilnehmer waren keinesfalls SPÖ-Mitglieder
wie mir Bürgermeister Spitzer und insbesondere Neuhauser versicherten.
Auch dort gab es auf Grund meiner Erklärung über die Energie dieselbe
Diskussion. Freimütig bekannte eine Frau, dass sie sich vor der Atom-
energie fürchtet, also wegen der Atomkraftwerke Angst hat. Dabei handelt
es sich wie sie selbst sagte um eine Akademikerin, einige schlossen sich
dieser Meinung an. Die Urangst, wie ich sie bezeichne, ist sicherlich
auf der einen Seite darauf zurückzuführen, weil die Atomenergie mit
der Atombombe in das Bewusstsein der Menschen eingetreten ist. An-
dererseits ergibt die Diskussion der Fachleute über das Problem der
Sicherheit eine sehr getrennte Meinung der Experten der Wissenschaftler
usw. Niemand kann sich ein wirklich befriedigendes Bild über diese
Frage machen. Auch ich nicht, wie ich ganz freimütig überall gestehe.
Hier wird wahrscheinlich die beste Aufklärung nicht viel nützen, sondern
erst die jahrzehntelange Erfahrung mit dem Betreiben von Atomkraft-
werken. Erst diese Erfahrung wird beweisen, dass es möglich ist,
ohne den grossen Unfall, der jetzt von den Atomgegnern immer wieder


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prognostiziert wird, auszukommen oder wenn er eintritt, dann
doch entsprechend beherrscht wird. Interessant ist, dass sich
die Menschheit nicht so sehr momentan zumindestens in Westeuropa
über die Gefahr der Atombomben, die ebenfalls durch menschliche Unzu-
länglichkeiten sehr wohl gezündet werden könnten, aufregt. Mit
Atombomben leben ist scheinbar jetzt schon selbstverständlich, weil
seit 30 Jahren diese bekannt sind, auch in Westeuropa verteilt
und eben bis jetzt nicht gezündet wurden. Weder beabsichtigt, noch
durch einen Irrtum. Ein beunruhigendes Problem und eine unruhige
Zeit.

Im Ministerrat ist interessant, dass der Finanzminister jetzt bei
jedem neuen Vertrag z.B. diesmal bei einem Kulturabkommen mit Polen
darauf hinweist, dass dies nur im Rahmen der vorgesehenen Kredite
vom Wissenschaftsministerium und Unterrichtsministerium geschehen
darf. Der Finanzminister besser das Finanzministerium will sich
jetzt auch durch diese formellen Beschlüsse absichern, nicht
durch weitere Ausgaben präjudiziert zu sein.

Der Besuch der Welser Messe, diesmal für Fremdenverkehr, geschieht
dort immer mit dem üblichen Trara. Eine Musikkapelle wird angefordert
und hat die feierliche Begrüssung durchzuführen. Trotz des Schlecht-
wetters bleiben einige Leute bei dieser Zeremonie stehen. Ausser
dem Handelsminister konnte der Präsident der Welser Messe noch
den LH-Stv. Wegart von der Steiermark und LR Brunnenfeld-Ferrari
aus Kärnten begrüssen. Wir diskutierten dann auch im ORF-Studio
im VÖEST-Pavillon eine Stunde lang über österreichischen Fremden-
verkehr - Stagnation oder Wiederaufschwung. Eine so flaue Diskussion
wie diese habe ich schon lange nicht mitgemacht. Keiner griff an,
weder der ÖVP-NR aus Oberösterreich Landgraf noch die beiden
Landesräte. Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine flaue, matte
Sache. Selbstverständlich strich ich die Leistungen der Bundesregierung,
ganz besonders des Handelsministeriums heraus, erklärte auch, dass
ich als Optimist auf Grund der Winterergebnisse 11 % Deviseneinnah-
men mehr, 4 % Übernachtungssteigerungen mit ruhigem Gewissen sagen
kann, die Stagnation ist überwunden. Ich wäre fast versucht gewesen,
provokanter zu diskutieren, doch hielt ich mich dann zurück.
Als Regierung und insbesondere als verantwortlicher Minister
kann einem doch nicht Besseres passieren, als wenn die Opposition
und die politischen Gegner nicht angreifen sondern mehr oder
minder auch positiv zum Fremdenverkehr Stellung nehmen. Ein einziger
schwacher Ansatz war die Belastung, welche die Fremdenverkehrswirtschaft


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zu tragen hat. Hier verwies ich darauf, dass letzten Endes
insbesondere die Gemeinden Getränkesteuer, Grundsteuer usw.
entsprechende Einnahmen sich sichern und auch brauchen und die
Infrastruktur verbessern. Brunnenfeld-Ferrari, ein Freiheit-
licher, ging sogar so weit zu sagen, man dürfe den Fremdenver-
kehr nicht unter einem solchen Gesichtspunkt sehen wie ihn die ÖVP-
Diskutanten andeuteten. Wenn ich mich da erinnere, wie ich in
der Oppositionszeit selbstverständlich bei jeder Gelegenheit
hart attackierte, so kann ich wirklich nur sagen, lauter
Waserln.

Im Wifi auf der Messe werden Berufswettbewerbe für Köche und Kell-
ner durchgeführt. Die Leute drängen sich dort für 95.- S ein
ganz gutes Menü von den Lehrlingen gekocht und von den Kellner-
lehrlingen serviert zu bekommen. Die Ausgezeichneten konnte ich
mit Dekret und Medaillen dekorieren. Für das oö. Wifi, aber
angeblich auch für die Lehrer, die bei dieser Gelegenheit auch
gleich die Medaille bekommen ja selbst sogar für die Lehrlinge
soll dies eine besondere Anerkennung sein, wenn der Minister
ihnen die Auszeichnungen überreicht. Sicher bin ich zwar nicht,
möglich ist es, es soll auch gar nicht meine Sorge sein.

Der Fa. Isar-Rakoll überreichte ich das Dekret zur Führung des
Staatswappens. Die Fa. hat nach dem zweiten Weltkrieg in einer
kleinen Baracke mit drei Beschäftigten begonnen und hat jetzt immerhin
150 Beschäftigte, die Kleber erzeugen. Die sozialen Einrichtungen
sind sehr gut, als Gag habe ich sie alle aufgezählt und die
Belegschaft, die dort angetreten war, aufgefordert, genau zu kontrol-
lieren, ob sie tatsächlich alles kriegen. Wenn dies der Fall ist,
dann kann ich verstehen, dass selbst in einer chemischen Fabrik
wo pro Mann 1 Mill. kg Kleber pro Jahr erzeugt werden, man kleben
bleibt. Die Fa. ist eine Tochtergesellschaft über drei Ecken
von Schering, Deutschland, und hat jetzt im Industriegelände von
Wels eine wirklich beachtliche Expansion durchgeführt.

Die letzte Veranstaltung war dann eine Sektionssitzung der soz.
Partei VÖEST-ALPINE. Diese Sektion hat 7.000 Mitglieder, der
Saal im Bindermichl war so voll, dass sogar auf dem Gang die Leute
standen. NR Brauneis, der BRO, erwartete mich und meinte, ich
sollte schon in meinem Referat insbesondere auf die politische
Situation eingehen. Natürlich setzte ich mich in meiner Art


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mit der ÖVP auseinander und brachte wieder meine guten alten
Schmäh. Ich kann sie schon selbst fast nicht mehr hören, bei
solchen Versammlungen kommen sie aber so gut an, dass ich wirklich
fast von einer Show reden kann. Der Gegner wird ganz hart
attackiert, aber in einer so verbindlichen, ja sogar lustigen
Art vorgetragen, dass er wirklich nicht beleidigt sein kann.
Die Wirtschaftsprobleme können damit aufgelockert werden, die
Versammlung ist nicht stocksteif sondern ganz im Gegenteil sehr
amüsiert.

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Tagesprogramm, 19.4.1977

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hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)

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Tagesordnung 70. Ministerratssitzung, 19.4.1977

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hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)


Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg., GD-Stv. ÖIAG


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Landesrat Ktn., FPÖ


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: steir. LH-Stv., ÖVP


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: oö. LR (SPÖ), Präs. Welser Messe


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Bgm. Wels (OÖ), SPÖ
          GND ID: 129447706


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.


            Einträge mit Erwähnung: