Sonntag, 26. Oktober 1975
Im Hotel Imperial traf ich de Hoffmann und wir diskutierten weiter
über dieses Symposium des Vortages. Hoffmann erzählte mir, dass
er eigentlich, was ich übrigens vermutete, der Urheber dieser
Symposien-Ideen war. Hoffmann ist ein Professor, der derzeit in
Amerika als Präsident des Salk-Institutes in Kalifornien wirkt.
Er traf Kreisky vor vier Jahren, und erzählte ihm, wie die Schweizer
und auch andere Nationen ständig ihre Auslandskapazitäten wieder
einschalten, indem sie sie zu für das Land interessante Probleme
einschalten. Kaum war er nach Kalifornien zurückgekehrt, erreichte
ihn schon die Botschaft von Kreisky, man werde für einen Staats-
feiertag bedeutende Ausländer zurückrufen und mit ihnen über wich-
tige Probleme diskutieren. Die Symposien waren geboren und man
organisierte sie. Meine Meinung dazu war, dass es sicherlich zweck-
mässiger ist als die wesentlich aufwendigeren Spektakel, die die
Regierung Klaus früher veranstaltete. Trotzdem bin ich überzeugt,
dass wir eine ideale Lösung noch nicht gefunden haben. Das Ganze
ist verhältnismässig doch noch sehr aufwendig und bringt ja kaum
konkrete Ergebnisse, die man verwerten kann. Grosse Pläne gibt es
aber in Welt sowieso genug Gelegenheit sie zu deponieren, darzulegen
und vielleicht sogar auch zu diskutieren. Ob wir in Österreich da-
für Aufwendungen machen sollen, möchte ich bezweifeln. Da ich
eigentlich noch niemals diese grossen zündenden Ideen bei uns
gehört habe.
Als Ergänzung dieser geistigen Besinnung am Nationalfeiertag
gingen dann die Fit-Märsche und sonstigen Veranstaltungen vor sich.
Ich mache bei den Fitmärschen deshalb sehr gerne mit, weil ich
dabei die Gelegenheit habe, endlich wieder in den Wienerwald zu
kommen. Diesmal war die Organisation nicht besonders. Der Weg
war verhältnismässig schlecht markiert, nicht nur Heinzi Kienzl
und Heinz Fischer, die vorangingen, haben sich vergangen, es war
auch der Andrang so gross, dass die Organisatoren damit nicht ge-
rechnet haben. Blecha, der dann beim Ziel erkannt wurde, ist wegen
der schlechten Organisation dort bestürmt worden. Für 6.500 hat
es Teilnehmerkarten gegeben und wesentlich mehr sind marschiert.
Für die, die zeitgerecht ankamen, und sich nicht verirrten, hätten
Medaillen zur Verfügung stehen müssen. Insgesamt aber gab es
bereits beim Abmarsch bei uns, nachdem wir zu spät gekommen sind,
schon einen grösseren Andrang wegen der Medaillen. Blecha hat dann
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in Erfahrung gebracht, dass angeblich nur 200 zur Verfügung
standen. Das ganze ist nämlich ein kommerzielles Geschäft und
der rechnet nicht an so grosse Teilnehmeranzahl, wenn es insbeson-
dere Schlechtwetter gibt. Dann bleibt er auf seinen Medaillen
sitzen, die ja jeder kaufen muss. Ich glaube deshalb, man
müsste hier eine andere Organisationsform finden. Ich habe dies
auch Heinz Fischer, Obmann der Naturfreunde, die Mitveranstalter wa-
ren klar und deutlich am Abend beim Empfang gesagt.
Beim Empfang hatte Minister Pai dann Gelegenheit, längere Zeit
zu reden und auch mit dem Bundespräsidenten, der sich ebenfalls
an unseren Tisch setzte. Kreisky selbst hatte sich vorgenommen,
mit Pai in aller Deutlichkeit zusagen, dass der Sozialistenführer
in Indien derzeit verhaftet ist. Pai reagierte darauf, dass er
Kreisky dann in längerem die wirtschaftliche Lage auseinandersetz-
te und damit eben erklären wollte, dass sie jetzt mehr aus Disziplin
achten müssen. Pai interessierte sich auch bei mir ganz besonders,
wie die Paritätische Kommission funktioniert Bielka, der ebenfalls
am Tisch sass, bestätigte meine Meinung, dass sie jetzt versuchen,
mit weniger Demokratie ihre Wirtschaftsprobleme besser zu lösen
als in der Vergangenheit. Pai hat nämlich so berichtete unser
Botschafter, die verstaatlichte Industrie derartig reorganisiert,
dass sie aus den jahrelangen roten Zahlen herausgekommen ist
und endlich positiver gebart. Die Inflationsrate, die in dem
vergangenen Jahr über 20 % betragen hat, soll heuer auf Null
sein. Nach Auffassung von Pai und dessen Darlegung ist dies der
einzige Weg, nämlich mehr Disziplin, mehr Ordnung um aus dem
wirtschaftliche Dilemma herauszukommen. Das Problem für mich ist
auch hier wieder die Sprachschwierigkeit gewesen. Der einzige
Trost ist, dass Frau Bielka, die phantastisch Englisch spricht,
meiner Frau sagte, sie versteht ihn auch nur sehr sehr schwer.
Androsch war mit dem deutschen ehemaligen Finanzminister beim
Staatsempfang und an seinem Tisch sass auch Prof. Kamitz. Ich
habe Kamitz jahrelang nicht gesehen, nachdem er ja einen Schlag-
anfall hatte und eine Zeit lang sich überhaupt nicht bewegen
konnte. Ich begrüsste ihn natürlich als Ziffernspion und
beglückwünschte ihn, dass es ihm jetzt so gut geht. Er geht
zwar noch immer am Stock, ist also teilweise gelähmt, aber seine
Sprache und ich hoffe auch sein Denken ist nicht geschädigt. Es
ist eigentlich sehr bitter, wenn man denkt, wie es Pittermann
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hier noch schlechter gegangen ist, der je leider fast erblindet ist.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Seinerzeit hat man mir gesagt, man solle Pit-
termann nicht besuchen. Denken Sie bitte nach, bei einer günstigen Ge-
legenheit möchte ich auf alle Fälle ihm einmal einen Besuch abstatten.
Was mich bei der Ministerratssitzung am Morgen besonders überraschte
war, dass Kreisky eine handschriftlich aufgesetzte Rede, die mich
sehr beeindruckte, gehalten hat. Ich weiss, dass er keine Ghostwriter
hat, dass er aber sich hinsetzte, um sich die Rede selbst zu schreiben
zumindestens also die wichtigsten Skizzen, sie umfasste fast 10 Seiten,
war für mich eine Überraschung. Beeindruckt hat mich insbesondere
dann ein Zitat von Rosegger, das er zum Schluss sagte, wobei
Bielka dann noch sagte, es ist unwahrscheinlich, was er alles
herausfindet. Rosegger schrieb sehr treffend über den richtigen
Patriotismus und dies passt zweifelsohne auch für unseren National-
feiertag. Es sollte nicht die Aufgabe sein, die jungen Menschen zu
Helden auf Schlachtfeldern zu erziehen und zu führen, sondern sie
zum Leben zu erziehen.
Tagesprogramm, 26.10.1975
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)