Samstag, den 5. April 1975
Die sozialistische Fraktion der Krankenkasse Wien hat mich zu
einem Referat eingeladen, da die Betriebsratswahlen jetzt wieder
beginnen. Ebenso hat mich dann Nachmittag die Bezirksorgani-
sation Alsergrund zu ihrer Bezirkskonferenz eingeladen. In beiden
Fällen gab es, weil ich es ausdrücklich wünschte, nach meinem
Referat eine Diskussion, doch war sie im wahrsten Sinne des
Wortes harmlos. Nachmittags meinte ein Eisenbahner wir sollten
bei der Kernkraftwerkausbau äußert vorsichtig vorgehen. Alle
anderen Anfrage und Diskussionsbeiträge und es waren doch ein
Dutzend, waren weder kritisch noch gar aggressiv. Nicht beängsti-
gend die Ruhe in den Gewerkschaften, aber auch in der Partei.
Natürlich ist es wesentlich besser es gibt eine solche ruhige Ent-
wicklung, als es brodelt in einer Organisation, doch bin ich mir
nie ganz sicher ob dies nicht eine Ruhe aus Resignation ist und
dies wäre das schlechteste.
Bei den polnischen Essen der Botschaft für die Parlamentsdelegation
traf ich wie könnte es auch anders sein, S.Chef Römer und MR Fälbl.
Da ich neben den Botschafter zu sitzen kam, habe ich sofort auf
die zögernde Verhandlungstaktik der Polen, bzw. des Stromliefer-
vertrages ihm angesprochen. Karski meinte es käme jetzt eine
polnische Delegation nach Wien und er ist davon überzeugt, daß
noch vor dem Besuch Kirchschlägers, spätestens aber bei seinem
Besuch die Unterschrift unter den Vertrag gegeben werden kann.
Auch das Leitungsproblem, d.h. der Übernahmepunkt der sowjetischen
und insbesondere aber der polnischen Stromlieferung könnte in
Kürze festgelegt werden. Dies erscheint wirklich dringendst not-
wendig, da ich ihm neuerdings auseinandersetzte, daß nur ein Über-
nahmepunkt wegen AGÜ möglich ist. Ich glaube dies sehen jetzt
alle bereits ein. Karski ist ein ehrgeiziger Botschafter und
versucht deshalb soviel als möglich zwischen den beiden Staaten-
minister Austausche zu organisieren. Er hat großes Interesse
gezeigt die Kapruner Kraftwerke zu sehen. Ich versprach ihm, wenn
ein polnischer Minister kommt und dies wünscht, wird es mir eine
große Freude sein, sie beide nach Kaprun zu begleiten.
ANMERKUNG FÜR BUKOWSKI: Bitte mit Fälbl diesen polnischen Wunsch
besprechen.
Abends sah ich nach längerer Zeit wieder einmal im Volkstheater
Sonderabonnement das Stück "Ein Hof voll Sonne". Dies handelt von
der unmittelbaren Nachkriegszeit in Italien. Eine Familie war
zerrissen, der eine Faschist, der andere Widerstandskämpfer,
Themen die lange zurückliegen. Wenn man da nicht ein ganz großer
Dichter ist, so verliert ein solches aktuelles Problem an Aussage-
wert je länger der Zeitpunkt zurückliegt. Erlebniswert dieser
Periode geht Gott sei Dank verloren und es kann deshalb nur ein
Künstlerwert dann solches Stück retten. Wenn dann noch ein Eng-
länder über Italiener schreibt und Wiener Italiener spielen, dann
ist es meiner Meinung nach fach unmöglich eine italienische
Atmosphäre wirklich einzufangen.
Tagesprogramm, 5.4.1975
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)