Freitag, den 28. Feber, bis Sonntag, 2. März 1975
In Frankfurt lernte ich kennen, was eine Partei zur Niederlage
führen muss und in Berlin habe ich es bestätigt bekommen: Bei
einem Mittagessen mit dem Oberbürgermeister von Frankfurt/Main,
Rudi Arndt, erzählte mir ein Ministerialrat aus dem Protokoll,
dass er jetzt zum Oberbürgermeister von Kehl gewählt wurde. Das
System ist bei uns vollkommen undenkbar, denn dieser Ministerial-
rat, ein Genosse, lebt ebenfalls in Frankfurt am Main und hat sich
entschieden vor acht Wochen um den Oberbürgermeisterposten dort
in einer Direktwahl zu kandidieren. Im ersten Wahlgang erhielt er
die relative Mehrheit von glaube ich 32 % und im zweiten Wahlgang
dann die notwendige absolute. Er ist in Kehl weder geboren, noch
kennt er dort oder ist Führer der dortigen Parteiorganisation. Er
war auch, wie sich sehr bald herausstellte, ein Mann des rechten
Flügels innerhalb der SPD. Als ich ihn fragte, wie er dies zustande-
brachte, meinte er, er könne Gott sei Dank den Dialekt der Kehler
und musste nur den dortigen Wählern klarmachen, dass er als Mini-
sterialrat nicht diesen Oberbürgermeisterposten als ein Sprungbrett
für eine weitere Karriere betrachtet. Der Oberbürgermeister hat
dort dasselbe Einkommen wie ein Ministerialrat, aber zusätzlich dann
eben noch die Funktionsgebühr. Dadurch ist es für ihn finanziell
auch sehr interessant. Er ist jetzt für 8 Jahre gewählt und hat mir
vertraulich mitgeteilt, er betrachtet dies nicht als Karriereposten,
sondern wird dort auf alle Fälle jetzt bleiben. Die Gemeinde selbst
wählt zu zwei Dritteln aber CDU. Er wird jetzt mit einem Gemeinderat
regieren müssen, der alle seine Wünsche und Vorschläge sabotieren
kann. Er meinte auch, er hätte diesen Posten nie erreicht, wenn
er dort als Parteimann aufgetreten wäre. Der Oberbürgermeister, der
später zum Essen kam, wir hatten das Essen nämlich gegeben, gratu-
lierte ihm so, dass ich schon eine frostige Atmosphäre feststellen
konnte. Arndt gilt nämlich als Linker und ist es wahrscheinlich auch.
Er dürfte in Deutschland aber sehr beliebt sein, denn er kam um
3 Uhr früh erst nach Hause, da er in Schleswig-Holstein bei den Wahl-
kämpfen eingesetzt war. Die Verhältnisse in der Partei schilderte
der Oberbürgermeister von Kehl mir gegenüber so, Feind – Todfeind –
Parteifreund. Natürlich war das Gespräch auch von der Entführung des
CDU-Vorsitzenden von Berlin, Lorenz, überschattet. In der Mannheimer
Handelskammer, aber auch Rudi Arndt und viele andere konnte ich
eine sehr radikale Meinung hören. Man meinte kaltschnäuzig, wenn
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hier nachgegeben wird, wird der Terror nur stärker werden, Arndt
meinte, dann würde er sich selbst persönlich bis auf die Zähne
bewaffnen müssen, um sich zu schützen, mit einem Wort: Die haben aus
München nichts gelernt!
In Berlin hatte ich mit dem Wirtschaftssenator König Gespräche.
Auch hier musste ich feststellen, dass innerhalb der Partei ein
ganz scheussliches Verhältnis existieren muss. Die älteren, die jetzt
abtreten, und König gehört dazu, meinen, die Linken oder die Jungen
haben alles verspielt. Von 62 % haben sie jetzt 50 % Stimmenanteil
und werden, ohne dass er es sagte, weiter verlieren. Ein typisches
Beispiel: Der Wirtschaftssenator, dem auch der Berliner Wald unter-
steht, 8.700 ha, musste sich vor einigen Wochen in der Öffentlich-
keit dagegen wenden, dass ein anderes Regierungsmitglied wünschte,
man sollte 150 ha für Parkflächen zur Verfügung stellen. Dort sollte
für Kinder oder ich weiss nicht was sonst Aufenthalts- und Spiel-
plätze entstehen. Die Öffentlichkeit wehrte sich angeblich auch gegen
dieses Projekt und hat König rechtgegeben. Eine Partei, die ihre Gegen-
sätze in der Regierung nicht austragen kann, sondern in der Öffentlich-
keit bei einer monochromen Regierung dies machen muss, ist meiner Mei-
nung nach von vornherein zum Verlieren verurteilt.
Die wirtschaftliche Situation in der BRD, die ich natürlich primär ver-
suchte zu erforschen, ist sehr verschieden. In den Städten, Frank-
furt am Main z.B., aber auch Berlin sagte, sei alles in Ordnung.
Die Arbeitslosigkeit sei verhältnismässig gering und die wirklich
schlechte wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitslosigkeit ist nur ört-
lich bedingt und aber auch branchenmässig ausgelöst. Auch hier habe ich
das Gefühl man versucht immer wieder, wenn man ein bisschen besser
steht als der westdeutsche Durchschnitt sofort zu sagen, das ist
gar nicht unser Problem, das ist das Problem der anderen. Wenn dann wo-
möglich noch eine politische Schattierung dazukommt, d.h. das in
sozialistisch geführten Gemeinden dies noch nicht so gross ist, dann
sagt man, das ist also bei den CDU-Leuten usw. Genau dasselbe erlebte
ich natürlich in der Entführungsangelegenheit Lorenz. Da erklärten
die Deutschen, man müsse dies als überparteiliche Frage betrachten,
der Wahlkampf wurde sofort abgebrochen, aber dennoch hat die CDU
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Erklärungen abgegeben, die auf das Versagen der SPD-Führung schliessen
lässt. Die Aussprache, die ich mit den Handelskammerleuten sowohl
in Frankfurt als auch in Berlin gehabt habe, zeigten mir, dass der Opti-
mismus der Regierung, dass spätestens im Halbjahr die Konjunktur
wieder stark anlaufen würde, übertrieben ist oder zumindestens von
diesen Leuten nicht geteilt wird. Gerade hier hatte ich einen wesent-
lich grösseren Pessimismus festgestellt und man nimmt an, dass die
Aufschwungperiode erst im Winter, wahrscheinlich sogar erst im näch-
sten Jahr sich bemerkbar machen wird. Mein Hinweis dass aber die Börse
die normalerweise zumindestens doch ein guter Konjunkturanzeiger ist,
weil doch die Kapitalbesitzer Aufschwünge vorwegnehmen und schlechte
Entwicklungen durch Baisse bereits auch zu erkennen geben, wird gerade
von den Handelskammerleuten als nicht richtig oder typisch be-
zeichnet.
Senator König hat mir auf meine besondere Frage, als wir dann in ganz
kleinem Kreis, er war allein und von mir waren nur Zolles, Kübler und
Oelhafen von der ÖFVW sowie der Zugeteilte vom österr. Konsulat
anwesend, seine zehnjährigen Erfahrungen mit den Oststaaten dargelegt.
Er hat ja nicht allzu grosse Kompetenzen gehabt, versuchte aber
doch immer wieder Berlin mit Aufträgen aus der SU und Polen und auch
aus der DDR zu erreichen. Er schildert das jetzt so, wie wenn er immer
der einzige gewesen wäre und deshalb sogar wegen Ostanfälligkeit von
den Unternehmern aber ich glaube eher von der CDU angegriffen wurde.
Deshalb meinte er, hätte er in den letzten Jahren sich nicht mehr allzu
sehr sich angestrengt. Er kennt die Lieferschwierigkeiten der Oststaa-
ten und meint deshalb, sie können in Wirklichkeit gar nichts liefern
Strom sei bei ihnen von anderer Frequenz und störe ununterbrochen
die Versorgungslage, Öl könnten sie nicht brauchen, Kohle haben sie
von Polen, 300.000 t, aber von der SU bräuchten sie keine, weil sie
den westdeutschen Bergbau unterstützen müssen, Gas hätte er einige
Milliarden m³ gebraucht, hätte aber keine festen Zusagen bekommen kön-
nen, weshalb sie auch die Investitionen nicht vornehmen, sodass
eigentlich ein sehr trübes Bild des Ost-Ex- und Importes zustandekam.
wenn ein Senator abtritt, und dies war schon klar, er wird jetzt
Leiter des Berliner Wirtschaftsforschungsinstitutes, dann ist er
sehr frustriert und hat entsprechend auch seine Schilderung unter
diesem Gesichtspunkt gemacht. Innerhalb der Berliner Wirtschaft dürfte
er als er begonnen hat, zuerst einen guten Namen gehabt haben, denn
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er schilderte mir, dass er die Verkehrsbetriebe insofern sanierte,
als er über 1.100 Arbeitsplätze wegrationalisierte, wahrscheinlich
waren sie genauso überbesetzt wie in anderen Grosstädten. Dafür war
er bei der Belegschaft unbeliebt, hätte aber einen guten Start bei
den Unternehmern haben müssen. Jetzt auf alle Fälle habe ich
durch Äusserungen als wir den Rundgang bei der internationalen
Touristenbörse machten und auch nachher hören müssen, so müsste man
auftreten, wie ich dies dort getan habe. Ich kenne doch die Schwie-
rigkeiten, die Fotographen haben, gute Bilder zu schiessen und habe
mich deshalb frei und locker mit Wiener Schmäh durch die Ausstel-
lung im wahrsten Sinne des Wortes durchgeturnt. Nicht nur die Foto-
grafen, sondern auch die anderen waren angeblich begeistert. Der Be-
sitzer vom besten Hotel Kempinski, wo ich auch einquartiert war,
meinte, so müsse man für die Interessen der Wirtschaft eintreten.
Aber unsere Herren haben dies ja scheinbar nicht mehr notwendig.
Die Fremdenverkehrsveranstaltungen in Frankfurt am Main für die
Verabschiedung von Tischler gab wieder vielen Österreichern die
Gelegenheit, dorthin zu fahren. Noch viel mehr aber bemerkte ich
diesen Trend in Berlin bei der Internationalen Touristenbörse.
wenn wirklich nur die Leute fahren, die etwas zu tun haben und die
eine Arbeit leisten, dann würden sich Länder und sonstige Institu-
tionen viel Geld ersparen. Die jetzige Art der Fremdenverkehrs-
politik insbesondere in den Bundesländern ist meiner Meinung nach
irrsinnig aufwendig und ob es wirklich die maximalst günstigste
ist, bezweifle ich. wenn man Prospekte bekommt, die überhaupt nichts
aussagen, ausser nur motivieren wollen, dass der betreffende, der
den Prospekt sich ansieht nach dem Bundesland reist, keinerlei In-
formationswert darstellt, dann bezweifle ich dass diese Ausgaben
sinnvoll sind. Wenn man darüber hinaus dann feststellen kann,
was Prospekte für vollkommen falsche Bilder von Orten beinhalten, die
dem Besucher etwas vortäuschen, was er dann gar nicht findet, finde
ich dies als einen Skandal. Viele kommen nachher in die Fremden-
verkehrsstelle, um sich zu beschweren, dass dieses Bad dort gar nicht
gewesen ist usw. Zolles wird jetzt versuchen, diesen Zustand zu
ändern. Ich habe ihn auf alle Fälle dazu aufgefordert. Zolles
hat sich überhaupt jetzt durchgesetzt. Es gibt niemanden mehr,
der diese Aktivität und Kenntnis anzweifelt resp. bekämpft. Die
zwei Tage konnte ich dazu benützen, um ihn erstens kennenzulernen
und noch einige Tips ihm zu geben. Wenn z.B. die Berliner Stelle
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sich beschwerte, dass in Wirklichkeit das Reisebüro der anreisenden
Länder- und Gemeinde-Vertreter sind, so empfahl ich ihm, sich
nicht allzu sehr zu wehren. Er sollte nur eine Organisationsform
finden, wie unser Büro am wenigstens belastet ist. Wenn er aber
dies radikal abstellt, dann werden diese gegen die ÖFVW immer und
überall Stellung beziehen und sie nur kritisieren. Dies ist ein
gewisses Services, das man eben auch Leuten zukommen lassen muss,
die sich oft einbilden, sie sind der Kaiser von China. Alle meinten,
sie wären glücklich wenn jeder so oder auch nur annähernd so be-
scheiden wäre wir ich es immer bin. In Wirklichkeit hasse ich nur das
Protokoll und das ewige Betreutsein und bin sicherlich nicht typisch .
wenn man aber nun die kleineren und mittleren Funktionäre verärgert,
dann kann man erleben, dass sie zumindestens eine schlechte Stimmung
gegen die österreichische Fremdenverkehrswerbung leicht machen
können. Ein weiteres Problem war, dass wir ungeheure Telefonrechnun-
gen haben, weil jeder ganz einfach am Stand der ÖFVW nach Öster-
reich telefoniert. Hier gab ich ihnen den Tip, sie sollen dies
keinesfalls heuer abstellen, aber eine Liste auflegen, wo sie bit-
ten, den Betreffenden er soll sich eintragen, nur weil sie selbst
dann gegenüber der Zentrale Rechenschaft ablegen müssen wegen der
hohen Telefonrechnungen. Im nächsten Jahr empfahl ich ihnen, sich
nur einen Ortsapparat zuzulegen. Bei der Deutschlandkonferenz unserer
Vertreter, d.h. der Zweigstellenleiter konnte ich feststellen, dass
dieses junge Team wesentlich besser ist und moderner agiert, als
die zum Beispiel der zu verabschiedende Tischler getan hat. Tischler
ist ein Typ gewesen, der 1956 nach Deutschland kam, dort mit Hilfe des
des Weines, und das haben alle Redner dort fest unterstrichen, die
Beziehungen zu Österreich ausgestaltet hat. Mit anderen Worten, er
hat sich durch die Gegend gesoffen und natürlich bei Vertretern der
damaligen verantwortlichen deutschen Fremdenverkehrswirtschaft viel-
leicht beliebt gemacht. Auch diese Zeit ist glaube ich zumindestens
teilweise vorüber. Heute regiert das harte Geschäft, man ist aber
sicherlich einem Glas Wein nicht abgeneigt. Nur aber mit dem Wein
ist es heute nicht mehr möglich. Trotzdem hat Tischler einen unge-
heuren Bekanntenkreis, zumindestens war der Empfang im Frankfurter
Hof in dieser Beziehung ein toller Erfolgt. Wie weit allerdings
dann Leute nur kamen, die Essen und Trinken wollten, kann ich nicht
beurteilen. Ich bin Gott sei Dank früher weggefahren und Zolles hat
mit Kübler bis 3 Uhr früh ausharren müssen. Typen, wie wir sie
auf unserer Seite haben, gibt es wahrscheinlich auf der anderen
Seite genauso viele.
Teilnehmerliste Empfang für JS, 28.2.1975, Frankfurt/Main
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