Montag, 4. November 1974
Beim Journalistenfrühstück kritisierte ich, dass die österreichi-
schen Zeitungen über die EFTA-Tagung überhaupt nichts schreiben
und verwies darauf, dass es in anderen Ländern zu einer wesentlich
besseren Berichterstattung über diese internationale Organisation
kommt und die EFTA deshalb ein wenig traurig ist. Natürlich war ich
mir vollkommen klar darüber, dass ein solcher Appell überhaupt nichts
fruchtet, weil in den österreichischen Zeitungen überhaupt nur Eingang
findet, was irgendwie sensationell oder unmittelbar interessant
für die österreichische Bevölkerung ist, aufgenommen wird. Trotzdem
war es mir ein Bedürfnis, diese Kritik einmal anzubringen. Viel-
leicht aber hätte man auch wesentlich konkreter schon von Helsinki
aus die österreichischen Zeitungen bearbeiten müssen.
Bei der Unterzeichnung mit Südkorea wegen Textilselbstbeschränkung
zwischen dem koreanischen Botschafter und Willenpart nützte ich
die Gelegenheit, um den anwesenden Textilvertreter Dr. Katarin und
den Handelspolitiker Schwarz von der Handelskammer mit Willenpart und
Dinzl zu konfrontieren, bezüglich weiterer Vorgangsweise bei Japan,
Wünsche auf Aussetzung des Artikel XXXV GATT. Dinzl hat mir voll-
kommen rechtgegeben, dass wenn wir nicht sehr bald eine Lösung
mit Japan finden, diese die Entliberalisierung von Textilien,
die derzeit nach Japan von Österreich geliefert werden, beim GATT
als Retorsionsmassnahme beantragen werden. Willenpart erklärte rundwe
dass es so unverständlich ist, warum die Handelskammer noch immer
gegen eine Verhandlung mit Japan wegen Aufhebung des Artikels XXXV
verweigert. Seiner Auffassung nach haben wir den günstigen Zeit-
punkt, dafür etwas einzutauschen längst versäumt. Wir müssen nun
versuchen, ob Japan vielleicht noch eine gewisse Selbstbeschrän-
kung, die sie uns überlassen würde, zu administrieren, dafür einrauschen würde. Sowohl Katarin als auch Schwarz haben dies zumin-
destens in meiner Anwesenheit eingesehen. Ich drohte übrigens
der Handelskammer, dass ich gegebenenfalls den Vorschlag, den sie
jetzt nicht akzeptieren, nämlich für das Jahr 1975 den Art. XXXV
noch anzuwenden und dann aber mit 1.1.1976 ihn endgültig aufzuheben,
wenn dann die Japaner Retorsionsmassnahmen ergreifen, liegt die
Schuld ausschliesslich bei der Handelskammer. Treffen wird es ganz
23-1316
besonders die Textilexporte und sonstige Konsumgüterexporte nach
Japan. Mit Meisl habe ich dieses Problem auch besprochen und er
meinte, dass das Handelsministerium eine solche unverantwortliche
Stellungnahme nicht abgeben könne. Hier handelt es sich nur um ein
Bestemm von Dr. Gleissner und Österreich würde dabei den kürzeren
ziehen und nachher würde man dies dem Handelsminister vorwerfen.
Meisl sieht allerdings ein, dass ich fast keine andere Möglichkeit
habe, um dieses Problem aus dem Wahlkampf herauszuhalten, der
auf alle Fälle nächstes Jahr beginnen wird.
Im Institut und anschliessend auch mit Präs. Hrdlitschka disku-
tierte ich die weitere Vorgangsweise beim Wunsch des Wiener
Stadtsenates über Erhöhung der Tarife. Hrdlitschka lehnte eine
Regelung des Elektrizitätspreises durch Erhöhung der Grundge-
bühr, auch wenn diese als Mess-Gebühr bezeichnet wird, auf das
Entschiedenste ab. Ebenso wird die Erhöhung der Strassenbahn-
tarife, auch wenn es sich um eine Umwandlung von bis jetzt die
letzten Einheiten auf Sichtkarten handelt, wegen schaffnerlosen
Wagen, abgelehnt. Hrdlitschka, von Zöllner informiert, und mit
diesem einer Meinung, meint, Maximum wäre, dass man beim Gas-
preis den Stadtwerken ein wenig hilft. Allerdings befürchte ich,
und ich habe das Hrdlitschka auch klar und deutlich gesagt, dass
er wahrscheinlich letzten Endes doch noch bereit sein würde, die
Erhöhung des sowjetischen Erdgaspreises für den Haushalt zu
akzeptieren. Eine wirkliche Sanierung der Stadtwerke oder auch nur
teilweise Abdeckung des Defizits von 970 Mill. S, bin ich überzeugt,
wird er auch über den Gaspreis nicht zustimmen. Ich habe Hrdlitschka
angekündigt, ich werde mit Bürgermeister Gratz reden und ihn ersuchen,
er soll eine Sitzung zwischen ihm, ÖGB-Präsident, AK-Präsident und
mit einberufen.
Ganz unvermutet und für mich überraschend hat – als ich mich für die
nächste Fraktionssitzung des Vorstandes entschuldigte – Hrdlitschka
gemeint, es gäbe grosse Schwierigkeiten wegen meiner Teilnahme.
Völlig – meiner Meinung nach – aus der Luft gegriffen meinte er, der
ÖAAB verlangt jetzt eine Kooptierung in den Vorstand, ausserdem die
Angestellten wünschten ebenfalls – wie Skritek formulierte – die
Koll. Lenz und wahrscheinlich Tschassnig kooptiert, sodass nach
Meinung von Hrdlitschka dieses ganze Problem der Teilnahme an
der Fraktionssitzung des Vorstandes neu überdacht werden muss
23-1317
Er meinte, wir sollten offen über dieses Problem sprechen. Da
ich wahrlich gar keinen Grund habe, mich dort aufzudrängen, er-
klärte ich sofort, ich würde in Hinkunft nur mehr dann zur Frak-
tionssitzung kommen, wenn ich ausdrücklich eingeladen werde. Ich
habe mich nur ganz entschieden dagegen ausgesprochen, als er dann
auch noch meinte, ob Blümel infolge seiner Lungeninfarkte die
Vorstandsfunktion noch ausfüllen könne. Ich erklärte ihm rundweg, das
soll er uns überlassen und im übrigen ist das ein Mandat, welches der
Lebensmittelarbeitergewerkschaft gehört und von uns unter gar keinen
Umständen aufgegeben wird. Ich war einigermassen über diese Erklä-
rung verwundert, weil ich doch angenommen habe, dass es im Inter-
esse der Arbeiterkammerfraktion liegt, wenn ich entsprechende
Informationen den Genossen gebe und gleichzeitig mehr oder minder
gleich die Fragen mit ihnen abstimme.
Bei der Ministerratsvorbesprechung hat Kreisky berichtete, dass
er später gekommen ist, weil vom Kurier die Betriebsräte wegen der
Aktionen der SPÖ gegen den schwarzen Kurier sich bei ihm beschwerten.
Kreisky hat mir Recht darauf hingewiesen, dass die Schreibweise des
Kurier eindeutig für die ÖVP geht, obwohl ein Grossteil ihrer Leser
sicherlich auch der SPÖ angehören, ja sogar ein noch grösserer
Teil wahrscheinlich sozialistisch wählen. Die Propaganda und die
Auseinandersetzung wird in Hinkunft noch härter werden. Die Parole
"Kein Zurück zur ÖVP" wird sich mit den Korruptionsfällen Müllner,
Polcar usw. beschäftigen müssen. Nach wie vor ist noch offen, die
Erklärung Raab 21 Mill. S dafür aber zentral zurückzuzahlen. Die
Massenmedien werden keine objektive Berichterstattung haben.
Selbst Kreuzer möchte kein Alternativprogramm entwickeln, obwohl
das im ORF-Gesetz drinnensteht. Die Zeitungen werden sich gegen uns
wenden. In Vorarlberg hat sich jetzt herausgestellt, dass die ÖVP be-
reit, den Freiheitlichen für 4 Landtagsmandate einen Landesregierungs-
sitz zu geben und von den Sozialisten mit 10 Mandaten möchten sie
bestimmen, wer das eine Landesregierungsmitglied sein darf. Noch
niemals hat es so etwas gegeben, dass eine Partei de anderen vor-
schreibt, wer in die Regierung entsendet wird. Kreisky meinte, in
Vorarlberg wird dieses Verhalten auch sehr schlecht ankommen. Selbst
Ortner von den Vorarlberger Nachrichten schreibt, dass dies gegen
die demokratische Übung verstösst. Hier zeigt sich auch das Konzept
Peters, das er seinerzeit entwickelt hat, gemeinsame Oppositions-
23-1318
politik – gemeinsame Koalitionspolitik. Kritisch und problematisch
wird nur das Wahlverhalten der Jungwähler nicht für uns positiv
ist. Deshalb verlangt jetzt auch die Volkspartei die Herabsetzung
des Wahlalters. Die ca. 100.000 Neuwähler würden zu 60 % der ÖVP
zufallen, weil sie auf dem Lande die Aktiveren in der Jugend
sind und in den Ballungszentren die Jungwähler, wenn überhaupt,
sich nicht für uns, sondern maximal ein Grossteil durch Stimmenthaltung
auszeichnet. In der älteren Generation haben wir in den Ballungs-
zentren keine Abschwächung. In der Steiermark hätte eine IFES-Er-
hebung ergeben, dass für das Land die Sozialisten nur 39 % der
Stimmen mit der Zurechnung der Unentschiedenen Wähler 41 % hätten,
bei Bundeswahlen aber immer noch 48 % für die Sozialisten stimmen
würden. In Tirol ist Salcher bei den Landtagswahlen chancenlos.
Im Osten liegen wir in Wien, NÖ und Burgenland besser als im
Westen, dies kann uns aber nach meiner Meinung nach nur schaden,
weil wir bekanntlicherweise 3 Mandate von Wien nach dem Westen
abgeben müssen. Davon würden wahrscheinlich zwei auf alle Fälle
verlorengehen. Die Preissteigerungen spielen derzeit nicht mehr
die entscheidende Rolle, sondern es geht jetzt um die Sorge um
den Arbeitsplatz, der die Bevölkerung nach Meinungsumfrage wesentlich
mehr beschäftigt.
Kreisky wollte dann auch endgültig wissen, wie es mit dem Energie-
sparen weitergeht, weil die Beamten seiner Meinung nach hier nichts
Konkretes zustandebringen. Er meinte deshalb, es sollte kurzfristig
das Ministerkomitee zusammentreten und mit den wichtigsten Beamten
die notwendigen Beschlüsse fassen. Moser verwies darauf, dass er
einen Sparerlass für den Bundesbereich bereits fertig hat und
den an das Bundeskanzleramt übersendet hatte. Kreisky schlug dann
vor, am Dienstag um 3/4 11 Uhr eine Besprechung, obwohl ich ihm
sage, ich könnte daran wegen meiner Abwesenheit in Vorarlberg nicht
teilnehmen. Zuerst war er erpicht darauf, einen hohen Beamten
dafür zu haben, ich schlug ihm Frank vor, den ich eventuell von
den Illwerke-Feier zurückhalten wollte, dann war er aber einver-
standen, dass Gehart an dieser Sitzung teilnehmen soll. Da ich
mich um 9 Uhr mit Gehart dann am Abend noch getroffen habe, um
das Problem der Einbindung der deutsch-österreichischen Grenzland-
förderungsverhandlungen in die ÖROK zu besprechen, habe ich ihn
sofort von seiner Teilnahme an der Sitzung informiert.
Lütgendorf verwies darauf, dass auch er den Atomgegnerbrief
des Weltbundes des Lebens bekommen hatte. Er wurde einvernehm-
lich beschlossen, dass die Antwort durch den Bundeskanzler erfolgen
wird, der über die gesamten Details in einer Besprechung der be-
troffenen Beamten informiert wird.
ANMERKUNG FÜR BUKOWSKI: Bitte den weiteren Ablauf mit Reiter
besprechen.
Weihs stellte zur Diskussion, dass die Wirtschaftsgesetze keiner
Begutachtung unterworfen werden konnten, wenn tatsächlich morgen
der Ministerrat diese Regierungsvorlagen beschliessen sollte.
Er plädierte für einen Initiativantrag, um über diese Schwierig-
keit hinwegzukommen. Kreisky sprach sich gegen einen Initiativ-
antrag aus, weil er meint, es wäre Aufgabe der Regierung, hier
die Konzeption vorzulegen. Wenn wir jetzt in einem Verzug sind,
dann sollte morgen bei den Parteienverhandlungen die über dieses
Problem beginnen, grundsätzlich geklärt werden, wie man weiter
vorgehen will, auf alle Fälle aber müsste, um den Bundeskanzler
wegen Nichtachtung der Verfassung, d.h. die Durchführung der
Begutachtung nicht im Parlament angreifen zu können, eine kurzfri-
stige Aussendung der Gesetze zur Begutachtung erfolgen. Wir einigten
uns nach Vorschlag von Fischer auf 14 Tage, Montag, den 18. Nov.
muss also die Begutachtung ablaufen, damit dann am Dienstag im
Ministerrat endgültig beschlossen werden kann. Häuser sagte mit
Recht, es wird nichts anderes herauskommen als eine Verlängerung.
Da in diesem Zeitraum keine gemeinsame Lösung gefunden werden
kann oder gar eine mit einfachem Gesetz zu beschliessende Ersatz-
lösung. Die ÖVP kann dies im Parlament allein schon dadurch verhin-
dern, dass wenn wir nicht Schluss der Debatte in den Ausschüssen
erklären, sie auf alle Fälle diese schwierige Problematik, wie
Heinz Fischer richtig bemerkte, durch dieses Procedere einer
zeitgerechten Beschlussfassung verhindern kann.
Bielka berichtete über die Energieagentur und meinte, dass wir
doch in der morgigen Ministerratssitzung einen Beschluss fassen
müssen. Kreisky schlug vor, dass wir in der OECD uns ent-
weder der Stimme enthalten, nachdem Kreisky dies ablehnte,
dann von mir aus in der OECD dem Projekt zustimmen, unter der
Voraussetzung, dass der Leitungsausschuss der Agentur, d.h. die
23-1320
Länder zustimmen, dass wir die mit der Schweiz jetzt abgestimmte
Neutralitätsklausel bekommen. Kreisky formulierte, dass wir
unser Abstimmungsverhalten positiv in der OECD sein wird, in
der Anhoffnung, dass unsere Neutralitätsvorbehalt angenommen
wird. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, müsste die Schweiz,
Schweden und Österreich sich entsprechende neue Schritte über-
legen.
Androsch machte aufmerksam, dass so wie in den Vorjahren die Aus-
schöpfung der Restbeträge gehandhabt werden soll, d.h. ohne dass
er es sagte, dies nur im Einvernehmen mit dem Finanzministerium
geschehen kann.
Ich verständigte Jagoda abends, dass er unbedingt jetzt die
Aussendung der Wirtschaftsgesetze zur Begutachtung mit der kurzen
Frist bis 18. vornehmen soll. Damit wurde auch seinem Wunsch
weitestgehend Rechnung getragen.
Gehart befürchtet, dass durch die Einbeziehung aller Aktivitäten
der Grenzlandförderung in die ÖROK diese Zusammenarbeit mit Deutsch-
land zum Erliegen kommt. Jaumann von Bayern hat dezidiert erklärt,
und auch das Wirtschaftsministerium in Bonn ist dieser Meinung,
wenn die Raumordnungskonferenz resp. die Raumordnungsverant-
wortlichen in Deutschland, das ist in dem Fall statt Friderichs,
der Wirtschaftsminister, der Raumordnungsminister Vogel, diese Kom-
petenz kriegen, sie die Aktivität sofort einstellen. Anderer-
seits drängt besonders Vorarlberg darauf, dass die Länder auf Grund
des Beschlusses in der Raumordnungskonferenz damit beschäf-
tigt werden, wenn die Mehrheit dies verlangt. Veselsky hat sich
bis jetzt immer dagegen ausgesprochen, dürfte aber durch Interven-
tion von Kreisky, der den Ländern hier entgegenkommen will,
jetzt keinerlei Widerstand mehr leisten. Gehart hat mir alles
zusammengeschrieben, wenn ich in Vorarlberg darauf angesprochen
werde, ich sofort darauf reagieren kann.
Die abendliche Aussprache mit dem Bundespräsidenten in seinem
Salonwagen war für mich sehr lehrreich. Im Zusammenhang mit der
internationalen Energieagentur meinte er, dass das Vorgehen
Bielkas und mir absolut richtig ist. Auf der einen Seite könnten
wir nicht heraussenbleiben, weil das eine europäische Ange-
23-1321
legenheit wird, auf der anderen Seite aber wird es grosse Schwie-
rigkeiten geben. Er befürchtet eine kriegerische Auseinander-
setzung im Nahen Osten, weil die Israeli die Gelegenheit verpasst
haben, zu Vereinbarungen mit Ägypten zu kommen und jetzt die Araber
sich auf das Alleinvertretungsrecht der Palästinenser, Arafat, geeinigt
haben. Dadurch wird es für Israel wieder unannehmbar, mit ihm ver-
handeln zu müssen. Wenn es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung
kommt, ist mit einem Ölboykott zu rechnen und dann muss Österreich
sich mehr oder minder mit den europäischen Staaten solidarisieren.
Einem Alleingang, wie er mir im vergangenen Winter geglückt ist,
ist demnach gar keine Chance mehr zu geben. Kirchschläger ist
durch die Wortprotokolle des Ministerrates und vor allem auch
Informationen von Kreisky sehr gut informiert. Erfreulicherweise
ist es jetzt zu einem besseren Kontakt zwischen dem Bundeskanzler
und dem Bundespräsidenten gekommen, als dies zwischen Kreisky und
Jonas der Fall war.
Tagesprogramm, 4.11.1974