Samstag, 6. Oktober 1973
Der 13. Jugendkongress der Österr. Gewerkschaftsjugend wurde feierlichst
dadurch eröffnet, dass fast alle Institutionen eine Begrüssungsansprache
hielten. Dadurch kamen sie in einen gewissen Zeitdruck und es wurde
mein Referat ohne auch nur eine Pause einzuschalten sofort als 4. Tages-
ordnungspunkt nach der Wahl der Kommissionen angeschlossen. Dadurch
mussten sich auch die meisten, die sonst nur bei der Begrüssung anwesend
älteren Delegierten und Ehrengäste mein Referat anhören. Zum Glück hatte
ich am Vortag mich wirklich mit dem Problem noch einmal eingehend be-
schäftigt. Normalerweise interessiert mich nämlich die Details für das
Lehrlingswesen nur sehr bedingt. Jagoda selbst hat leider auch noch
nicht die Zeit gefunden, um sich auf diesen Gebiet besonders zu stürzen.
Ich selbst habe , das muss ich zugeben, angenommen, dass es gelingen
wird, wenn man eine zentrale Arbeitsgruppe einsetzt, auf Sozial-
partnerebene schneller zu Ergebnissen zu kommen, ohne dass ich mich
besonders damit beschäftigen muss. Jetzt muss ich zugeben, dass diese
Überlegung falsch war. Die Handelskammer dürfte doch einen zu starken
konservativen Standpunkt einnehmen, wodurch eigentlich die Arbeiten
sehr langsam vorangehen. Da ich diese verzögernde Arbeit freimütigst zu-
gegeben habe, hat sich dann in der Diskussion nicht die Härte und
Schärfe gezeigt, die ich eigentlich erwartet habe. Die Funktionär
der Gewerkschaftsjugend sind eigentlich verhältnismässig sehr verständnis-
voll. Wie ich glaube mit Recht sagen konnte, zu verständnisvoll.
Bei den einzelnen Fachgewerkschaften wie z.B. bei der Angestelltenge-
werkschaftjugend, aber auch in der Bau- und Holzarbeiterjugend sowie
bei den Metallarbeitern zeigt sich, dass die Innungen mehr einer
fortschrittlichen Lehrausbildung bereit sind zuzustimmen, als die Ver-
treter der Handelskammer in den zentralen Organen. In einer anschliessen-
den Pressekonferenz, an der allerdings meistens nur Gewerkscftsjourna-
listen resp. AZ-Leute teilgenommen haben, die einzige Ausnahme, die ich
kannte, war Nagiller vom Fernsehen, wurde diese Tatsache besonders heraus-
gearbeitet. Nagiller wollte besonders wissen, wo sich die Meinung des
Handelsministers nicht mit der eingebrachten Resolution der Gewerk-
schaftsjugend deckt. Ich habe sofort erklärt, dass ich auf dem Standpunkt
stehe, dass eine Selbstverwaltung und Kontrolle de AK- und ÖGB bezüglich
Nichteinhaltung von Gesetzen wirksamer sei, als die geforderten Be-
ratungsinspektoren und Kontrollorgane. Wenn diese nämlich wirklich von
einer speziellen Beamtenorganisation wie die Arbeitsinspektoren durch-
geführt werden, wird zwar eine grössere Anzahl von Beamtenposten be-
schaffen, die wie in diesem Fall bei den Arbeitsinspektoren meistens
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sogar aus Gewerkschaften kommen, aber dann als Beamte doch einen verhält-
nismässig geringen Erfolg zu verzeichnen haben. Jetzt beschweren sich die
Gewerkschaften – nicht zu Unrecht -über die verhältnismässig laxe Arbeits-
weise der Arbeitsinspektoren, die meistens durch höhere Beamte, die
natürlich keine Gewerkschafter sind und auf die Rechtsmässigkeit des Vor-
gehens immer wieder hinweisen, gehemmt werden. Weiters wollte Nagiller wis-
sen, ob ich mit einer Umlage der Unternehmer, wie es die Gewerkschaftsjugend
verlangt, einverstanden bin, damit in Hinkunft von einem zentralen Fonds
die guten Lehrwerkstätten unterstützt werden können. Hier hat mir auf
meine Anregung, dass wir dies checken müssten, Kinscher mitgeteilt, dass
die Bauunternehmer bereit sind, einen Teil der Beiträge, die sie der
Bauarbeiterurlaubskasse leisten mussten und die sie jetzt zurückbekommen,
nicht an das einzelne Unternehmer zurückzuzahlen sondern eben diesen
Betrag für Errichtung überbetrieblicher Lehrhöfe zu verwenden. Ich konnte
deshalb eben darauf hinweisen, dass es eine Vielfalt von Finanzierungsmög-
lichkeiten gibt, unter anderem sicherlich auch den Staat, sodass ich mich
nicht eindeutig für eine Umlage aussprechen musste. Auf alle Fälle wird
es höchste Zeit, dass ich mich mit diesem Problem eingehender beschäftige.
Nachdem die zentrale Arbeitsgruppe jetzt endlich zwei Modelle, eines für
die Elektrobranche und eines für die kaufmännischen Angestellten fertig
hat, das in nächster Zeit auch mit Zustimmung der Unternehmer beschlossen
wird, müsste es gelingen an Hand dieser Mustermodelle auch sofort die an-
deren nicht nur in Angriff zu nehmen, sondern diese schneller positiv
abschliessen zu können. Sicherlich habe ich auch politisch einen Fehler
gemacht, dass ich die immerhin 147.000 Lehrlinge, die wir derzeit
besitzen als zukünftige potentielle Wähler viel zu gering eingeschätzt
habe. Ich wurde bis jetzt von niemandem noch attackiert, aber wenn ich
mir Rechenschaft ablege, so hätten wir hier wesentlich mehr machen müssen.
Der grösste Teil der Arbeit liegt allerdings bei Sinowatz, denn die
Unterrichtsverwaltung müsste das Problem des polytechnischen Lehrganges als
wirkliche Berufsvorbereitung durchführen. Darüber hinaus müssten die Berufs-
schulen und und deren Lehrpläne entsprechend revidiert werden. Sinowatz
hat aber ganz grosse Schwierigkeiten mit den Lehrern, weil hier allein
beim polytechnischen Lehrgang schon die harte Auseinandersetzung zwischen
den Hauptschullehrern und Berufsschullehrern und teilweise den Mittel-
schullehrern beginnt.
ANMERKUNG FÜR WAIS: UND HEINDL: Bitte mit dem Sekretariat des Unterrichts-
ministers klären, wie weit hier durch eine
Intervention Sinowatz die Änderung des Schul-
systems beschleunigen könnte.
Tagesprogramm, 6.10.1973
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)
"Themen - Pressekonferenz"
hs. Notizen ("Themen - Pressekonferenz" Rückseite)