Samstag, 14. Oktober 1972
Der britische Handelsminister Noble ist zu einer Eröffnung der britisch-
österreichischen Woche in Graz gekommen. Bei seiner Ankunft hatte mir
Reiterer mitgeteilt, war er am Flugfeld, da ich in Bad Gastein weilte.
Ich habe ihn deshalb, obwohl er dies gar nicht wollte, verabschiedet.
Interessant war, dass Reiterer gar keine Anstalten machte, aufs Flugfeld
zu kommen. Ich selbst habe ihn auch dazu nicht aufgefordert, hätte aller-
dings erwartet, dass er dies selbstverständlich macht. Zum Essen nämlich
ist er auf alle Fälle gekommen. Neben Marquet vom Aussenamt, Gen.Sekr.
Wodak, Präs. Igler von der Industriellenvereinigung und Gen.Dir. Treichl
von der CA. Die Zusammensetzung dieser Gesellschaft war für mich nicht
erklärlich. Da ich zu früh beim Botschafter erschien, auch Reiterer
und Marquet waren gerade gekommen, haben wir noch eine Runde um den
Häuserblock gedreht. Bei dieser Gelegenheit wurde über alles und jedes ge-
sprochen, nur nicht über die Frage, die Reiterer sicher brennendst inter-
essiert, was mit seiner Brüsseler Mission wird. Marquet meinte, insbe-
sondere, dass es ihm unerklärlich ist, dass die EFTA jetzt für die
nächste Tagung in Wien noch ein ganz grosses gesellschaftliches Programm
verlangt. Insbesondere die Engländer hätten schon erklärt, sie würden
sogar zwei Tage länger bleiben. Marquet meinte zu mir dann, als ich ihn nach
Hause führte, dies sei empörend, da es sich doch nicht um einen Ausflug
handelt. Für mich war es allerdings ganz klar, dass man, als man in
Genf beschlossen hat, nach Wien zu kommen und Kreisky diese Idee sogar
als sehr gut empfand, weil es als die letzte grosse EFTA-Veranstaltung gilt,
bevor die drei Mitglieder ausscheiden, dass diese Veranstaltung nur auf der
einen Seite als Propaganda für die österreichische Regierung und Dele-
gation aufzufassen ist, aber andererseits natürlich von allen Teilnehmern
als eine gesellschaftliche Veranstaltung gilt.
Marquet hat mich auch bei diesem Rundgang aufmerksam gemacht, wir sollten
doch hauptsächlich wegen der Papier-Kontingente intervenieren. Hier hat
die britische Regierung die alleinige Verfügungsgewalt und kann daher
ohne weiters uns anstelle der zugesicherten 80 % der Präferenzperiode
68–71, die de facto nur eine 50 %-ige Exportquote bedeuten, wesentlich
mehr entgegenkommen. Bei Vollmilchpulver ist sie dagegen auf die Zu-
stimmung von Brüssel angewiesen. Reiterer erklärte dann zwar in der
Diskussion mit Noble, dass auch bei Vollmilchpulver und Butter die
englische Regierung auf Grund des Protokolls 16 die alleinige Entscheidung
13-1270
zu treffen hätte. Hier steht im Gegensatz zu den Informationen, die
ich von Pultar erhalten habe.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte Sachverhalt endlich einmal klären.
Der Handelsminister setzte uns auseinander, dass auch in England
die Papiersituation äusserst kritisch sei. Bezüglich Vollmilchpulver
und Butter hätte er mehr Verständnis, doch sei dies eine präjudizielle
Frage. Bei diesen Aussprache ist es ja immer so, dass der Gast nicht
abrupt irgendwelche Vorschläge ablehnt, wohl aber Bedenken geltend macht,
aus denen man schon entnehmen kann, dass er sie nicht allzusehr
unterstützt. Auch mein Hinweis, dass unser Kanzler bereits mit dem
Premierminister Heath diesbezügliche Gespräche geführt hat und von
Heath erklärt wurde, er würde die österreichischen Forderung unterstützen,
hat der Handelsminister nur zur Kenntnis genommen. Ich fürchte, dass
eine wirklich befriedigende Lösung kaum erreicht werden kann. Dies
gilt sowohl für die Papierfrage als auch für die Landwirtschaft.
Selbst wenn wir ihm gewisse Zugeständnisse abgepresst hätten, bin ich
nicht ganz sicher, ob er sie in London dann auch wirklich durchge-
setzt hätte. Solche Aussprache dienen daher meiner Meinung nach haupt-
sächlich dazu, um gewisse Alibihandlungen für uns zu schaffen.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Ich glaube, es ist zielführend, wenn wir uns jetzt
immer notieren, wo und wer und in was wir immer wieder interveniert ha-
ben, um die österr. Position zu erleichtern.
Für mich war bei dieser Aussprache von grösster Bedeutung, dass auch
der Präsident der Industriellenvereinigung anwesend war, der damit
sah, wie sehr wir uns alle um positivere Lösungen bemühen. Igler hat
auch dann am Ende mir erklärt, er möchte sehr gerne in der nächsten
Zeit mit mir eine Aussprache haben. Ich versicherte ihm, dass ich für
ihn jederzeit einen diesbezüglichen Termin freimachen würde.
Tagesprogramm, 14.10.1972
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)