Donnerstag, 4., Freitag 5. Mai 1972
Die EFTA-Tagung in Genf wickelte sich genauso ab, wie ich es
mir vorgestellt habe und wo man überhaupt nichts versäumt, wenn
man nicht anwesend ist. Das Ganze entwickelt sich immer mehr zu
einem gesellschaftlichen Ereignis gipfelt in dem Dinner mit Tanz,
welches der Vorsitzende gibt. Da Englisch die Amtssprache ist,
muss zumindestens am Abend der nächste Vorsitzende bei diesem
Dinner eine lustige englische Rede halten. Zum ersten Mal hatte
ich eine heruntergelesen. Noble , der derzeitige Vorsitzende,
der britische Handelsminister, der scheinbar – ich kann mit
meinem mangelnden Englisch die Gags ja nicht verstehen – ungeheuren
Lacherfolg schon bei seiner Einleitung, welche er als serious
speech bezeichnet – in Wirklichkeit wahrscheinlich so wie
ich es in Deutsch gemacht hätte, den grössten Erfolg. Ich las, wie
man mir versicherte, die Rede ganz gut herunter, aber gelacht wurde
dabei sehr wenig. Es ist für mich verständlich, da wirklich vorher
die ganze Versammlung vor der ernsten Ansprache sich köstlich
amüsierte. Marquet meinte, bei einer Diskussion, die wir führten,
man müsste überhaupt darauf drängen, nachdem die Engländer jetzt
aus der EFTA ausscheiden, dass Englisch als Amtssprache durch deutsch
ersetzt wird. Ich war natürlich von diesem Plan teilweise begeistert,
weil er mir dann sehr entgegenkäme aber als ich dann von Getter,
dies ist unser Vertreter im Sekretariat, der die Rechtsabteilung er-
fuhr, dass alle Dokumenten und die Amtssprache in Wirklichkeit aus-
schliesslich Englisch ist, Französisch wird nur verwendet, wenn
der Vertrag geändert werden soll, weniger für diesen Plan zu haben.
In diesem Fall würden nämlich, wenn man zwei Sprachen alle Dokumente
und alles machen muss, die Kosten der EFTA wesentlich steigen. Ich
selbst hätte übrigens diesen Vorschlag nie vorgebracht, wenn ich es
hätte dann sofort geheissen, aha weil er nicht Englisch spricht, will
er, dass Deutsch als Amtssprache eingeführt wird. Der Schweizer Ver-
treter Brugger, der ebenfalls für die deutsche Sprache eintritt,
meinte mir gegenüber, er bewundert mich, dass ich ohne weiteres
in den Sitzungen Deutsch spreche. In diesem Fall wurde aus der Not
eine Tugend und zu meiner grössten Verwunderung, nachdem ich die
englische Rede gelesen habe, glauben scheinbar wirklich alle, ich
kann englisch und verwende nur die deutsche Sprache, um eben
zu dokumentieren, dass ich mich dessen nicht schäme.
Bei der Tagung selbst haben alle Minister nur ihre vorbereiteten
Statement heruntergelesen, aus der die weitere Zusammenarbeit
innerhalb der EFTA und die EFTA-Solidarität besonders unter-
strichen wurde.
Der Handelsminister von Schweden, Feldt, wollte unbedingt vor
der Tagung eine Aussprache, um mir mitzuteilen, dass die
schwedische Regierung beschliessen wird, dass die Nationalbank
der Arbeitsgruppe der EWG beitritt, um die Währungsprobleme
zu lösen. Die EG-Staaten wollen die Bandbreite verringern
und andere Massnahme erörtern. Bei der Bandbreite haben sie einer
neuen Ausdruck gefunden, nämlich die Schlange im Tunnel. Da
auch Feldt Englisch sprach, habe ich in Wirklichkeit gar nicht
sofort das ganze Problem mitbekommen. Durch geschickte, aller-
dings nichtssagende Antworten ist sicherlich der Eindruck ent-
standen, dass ich hier in englischer Sprache perfekt verhandelt
habe. Nicht dass ich unter Minderwertigkeitskomplexen leide,
aber Anstellungserfordernis für einen Handelsminister müsste
wirklich zumindestens perfektes Englisch sein. Die Argumen-
tation, man kann mit Übersetzern ja alles regeln, ist zwar
richtig, aber in Wirklichkeit wird die englische Sprache als
so selbstverständlich erwartet, dass es ungeheuer schwierig ist,
wenn man sie nicht beherrscht, seriös zu bestehen. Dass mir
dies durch Bluffen bis jetzt geglückt ist, ist für mich ein
Phänomen.
Bei einem Spaziergang, den ich mit Romé machte, kam ich zu-
fälligerweise bei der WIPO resp. BIRPI vorüber und habe nach
meinem guten alten System beschlossen, sofort den Direktor
Bogsch zu besuchen. Bei der Vertragsunterzeichnung über das
Weltdokumentationszentrum hat nämlich der Generaldirektor ge-
meint, es seien noch offene Fragen, die man unverzüglich in
Genf oder Wien besprechen müsste. Bogsch war bei einer Sitzung
und ich habe deshalb der Sekretärin nur auf einen Zettel
geschrieben: Herzliche Grüsse Staribacher. Die Sekretärin
war natürlich nicht bereit, wenn ein gewisser Staribacher kommt,
den Direktor zu stören. Kaum war ich bei der Sitzung wieder
angelangt, war der Anruf schon hier, er möchte mich unbedingt
im Hotel oder irgendwo sonst treffen. Ich vereinbarte für
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nächsten Morgen zeitig früh eine Aussprache bei ihm. Ich ersuchte
die Mission, mir den dafür zuständigen Mann mitzugeben. Da Dr. Klein
aber beim Redaktionskomitee der EFTA beschäftigt war, hat Bogsch er-
klärt, er selbst geht mit, Interessant war dann auch noch, dass Lorenz,
der sich bei einer BIRPI-Tagung aufgehalten hat, über Markenschutz,
ebenfalls in der Früh aufkreuzte. Bogsch erinnerte daran, dass bei
der Vertragsentwurf-Paraphierung von österr. Seite erklärt wurde,
innerhalb von 3 Monaten würde mit den 6 Regierungen, darunter Washington
und Tokio und Moskau ein diesbezüglicher Liefervertrag, der Unterlagen
für das Weltdokumentationszentrum, d.h. der Patente, abgeschlossen wer-
den. Jetzt seien bereits 6 Wochen verstrichen und er hätte noch nicht
einmal die Stellen, die in Österreich dafür verantwortlich seien. Ich
wies darauf hin, dass die Gesellschaft erst vom Finanzministerium
errichtet wird und ich unverzüglich mit dem Finanzminister dies-
bezügliche Besprechungen neuerdings aufnehmen werde. Lorenz er-
zählte mir dann anschliessend noch eine Stunde, welche Schwierigkeiten
er im Patentamt hat und dass insbesondere der Präsident jetzt entschied
hat, die Vorarbeiten seien abgeschlossen und deshalb sei sowohl
Ing. Pilch als auch er mit den Problemen nicht mehr befasst. Wichtig
ist, dass unverzüglich jetzt die Gesellschaft errichtet werden muss
und dass wir – solange der Finanzminister nicht entschieden hat – auch
den Vorschlag nicht akzeptieren können, nämlich die Leute vom Patent-
amt die in Hinkunft in diesen Fragen beschäftigt sind, der BIRPI zu
nominieren. In diesem Fall wäre ja auch nichts getan, denn die beiden
würden ja auch keinerlei Entscheidungen treffen, solange sie nicht
wirklich dazu ermächtigt sind und vor allem die finanzielle Sicherheit
und Deckung haben. Was mich persönlich immer wieder erschüttert
ist, dass Bürokratie ungeheuer hemmend wirken kann. Positives, was man
erreichen will, kann man nur mit ihrer Zustimmung. Negatives dagegen
kann sie jederzeit selbst entwickeln und selbst gegen den stärksten
Willen letzten Endes auch durchsetzen d.h verhindern oder zumindestens
irrsinnig lange verhindern.
Bei der ersten Aussprache der Rest-EFTA-Staaten musste ich feststellen,
dass ein Dokument, welches dort zur Diskussion stand, mir überhaupt
nicht gegeben wurde. Peinlich war nur, dass ich Brugger, der den
Vorsitz führte, vor der Sitzung fragte, was denn zur Debatte steht
und er auf dieses Dokument verwies. Dr. Klein hat mir dann das Doku-
ment gegeben und mich auch aufgeklärt. Ich habe deshalb sofort veran-
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lasst, dass er sich neben mich setzt und Reiterer musste dadurch
hinten sitzen. Ich habe ohne Worte dafür zu gebrauchen, meine
Empörung durch dieses Verhalten der ganzen Delegation klar und deut-
lich zu erkennen gegeben. Reiterer hat sich dann ausgeredet und
gemeint, dieses Dokument hätte er nicht bekommen, deshalb auch mir
nicht vorlegen können. In diesem Fall verwies ich aber, dass selbst
Marquet dieses Dokument gehabt hat. Einerseits will Reiterer wie er
mir auch unter vier Augen vorher versichert hat, das Vertrauen von
mir haben, andererseits passieren dann solche Dinge. In diesem Falle
würde ich aber nicht sagen, dass er aus Geheimnistuerei, was ihm
ja sehr liegt, oder aus Absicht die Information bei sich zu behalten,
sondern sicherlich eben nur weil er seine Sektion gar nicht in der
Hand hat, passiert, dass wichtige Dokumente er selbst vielleicht auch
gar nicht kennt. Die Stellungnahme zu diesem Dokument war nämlich
von Steiger gefertigt.
Romé von der AZ, der mich interviewte, dem ich natürlich von diesem
Vorgang überhaupt nichts sagte, erklärte mir, dass Reiterer als
schwacher Verhandlungsführer gilt und bei den anderen Delegationen
überhaupt keine Anerkennung findet. Es wird Zeit, wenn wir
eine gute Lösung auch für Reiterer finden. Buresch selbst erklärte
mir, er möchte unbedingt weg und hat Kirchschläger diesbezüglich
auch bereits geschrieben.
Tagesprogramm, 5.5.1972