Sonntag, 30. April 1942
Die Sozialistische Jugend hat eine Diskussion mit entsprechender Jazz
Theateraufführungen usw. ins Museum des 20. Jahrhunderts verlegt,
um damit indifferente Jugendliche anzuziehen. Richtig war, dass
dorthin tausende junge Menschen kamen. Genauso richtig aber ist,
dass einige Genossinnen und Genossen, die in der Gewerkschaftsbe-
wegung tätig sind, zu mir kamen und ganz entsetzt fragten, ob denn
dies eine sinnvolle Veranstaltung ist. Ich glaube, dass man bei einer
solchen Gelegenheit den Fehler macht, die Jugendlichen, die dort
anwesend sind, als d i e Jugend zu bezeichnen. Es ist und bleibt
dies nur ein verschwindender Prozentsatz, der allerdings durch seine
Aktivität sich auszeichnet und die ganz bewusst bei solchen Gelegen-
heiten in Erscheinung tritt. Die Diskussion entwickelte ich dann
auch genau in dem Rahmen, den ich auch erwartet hätte. Einige Linke
haben sofort die Gelegenheit ergriffen, um die Regierung und natür-
lich – denn ich war als erster dran – mich zu attackieren. Insbeson-
dere wollten sie, nachdem über Betriebe diskutiert werden sollte,
die Veranstalter hatten sich allerdings vorgestellt, dass wir
über die Gewerkschaftsjugendprobleme diskutieren, sofort die Links-
auffassungen dokumentiert und mitgeteilt wurden. Über Sowjetsystem
in Österreich bis zum chinesischen Weg waren alle Vorschläge,
die allerdings nicht neu waren, vorgetragen. Selbst Günther Nenning,
der zeitweise zumindestens die Diskussion verfolgte und anwesend
war, meldete sich selbstverständlich zu Wort. Nach drei Stunden legten
sie einen Sketch ein, es wurde Lütgendorf angekündigt, was mit Bei-
fall vor allem aber mit Pfiffrunden entsprechend empfangen, stellte
sich dann heraus, dass zwei Schauspieler, der eine Lütgen und
der andere -dorf einen Dialog abwickelten. Dadurch war mein Teil,
der über 2 1/2 Stunden schon gedauert hatte, bald beendet. Die ganze
Angelegenheit kostete angeblich 250–300.000 S. Obwohl die SJ für
das Museum gar keine Gebühr bezahlen musste, nur die Lichtrechnung
muss beglichen werden, kann also daher dieser riesige Aufwand nur für
die diversen Jazz- und Theatergruppen sowie für einen Film gegen
§ 144 verwendet werden. Interessant für mich wäre, was Prof. Jungk
für die Diskussionsleitung verlangt hat.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte schau, ob Du die wichtigsten Posten der
Abrechnung bekommen kannst.
Auch bei den Festveranstaltung vom Fackelzug in Gänserndorf bis zur
Kundgebung in der Arbeiterkammer als auch am nächsten Tag bei
der Mai-Kundgebung, musste ich feststellen, dass immer wieder
das Problem Lütgendorf Zur Debatte kommt. Unsere SJ in Wien
wollte sogar während des Aufmarsches einige Parolen gegen Lütgendorf
im Sprechchor starten. Die Jugendlichen können sich nicht vor
stellen, dass eine Regierung Lütgendorf, wenn sie ihn einmal
akzeptiert hat und Kreisky hat ihn ja als den Mann in die Regierung,
der von allem Anfang an bringen wollen – Freihsler war ja nur eine
Notlösung, da der Parteivorstand unbedingt einen Genossen auf
diesem Posten haben wollte – dann auch mit diesem Mann identifi-
zieren muss und seine Massnahmen auch verteidigen muss.Was mich
nur immer wieder frappiert ist, dass die Arbeiter-Jugend, die
doch zu einem grössten Teil unverzüglich nach Erreichung der
Wehrdienstzeit einrücken muss, sich so für die 500 – max. 1.500
Studenten einsetzt, die eigentlich durch den Erlass ebenfalls
nur gleich wie die Arbeiterjugend behandelt werden. Teilweise
sagt man mir, dass die SJ heute sich kaum aus Arbeiterjugendlichen,
sondern doch – wenn überhaupt – nur auch soz. Mittelschülern oder
Studenten zusammensetzt. Die in meiner Jugend noch so
bestrittene Auffassung, dass die Arbeiter-Jugend, die SJ also
für die Lehrlinge und der VSW für die Studenten resp. Mittel-
schüler war, wäre, hat sich eigentlich jetzt in eine neue Form ge-
wandelt. Wir hatten seinerzeit noch nächtelang diskutiert, ob
es zielführend wäre, die Soz. Mittelschüler in der SJ zu organi-
sieren oder eine eigene Organisation, eben den VSW, aufzumachen.
Jetzt gibt es beide Organisationsformen keine haben in Wirklich-
keit auch nur den Ansatz von aktiven Gruppen, sondern in Wirklich-
keit nur eine grosse Anzahl von Katasterleichen, die dazu dienen,
um Gelder vom Bundesjugendring zu erhalten. Die Reorganisation
besteht grösstenteils nur auf dem Papier. Interessanterweise
kann ich aber feststellen, dass in den nö. Gemeinden doch
wesentlich stärkere Jugendgruppen im Verhältnis zu Wien existieren.
und auch in Erscheinung treten. Die Aufmärsche, ob es sich um nö.
oder um den Wiener gehandelt hat, und die Versammlungen, die ich
machte, ob in Gänserndorf, Wr. Neustadt oder Lichtenwörth, waren
alle verhältnismässig sehr gut besucht. Noch identifizieren
sich die Genossen mit unserer Politik, ja sie fühlen sich
sogar persönlich angegriffen, wenn jemand die Regierung oder ein
Regierungsmitglied attackiert. Dies glaube ich ist in Wirklichkeit
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die Erklärung für die Grundstimmung, die gegen den ORF derzeit
in der Partei herrscht. Wenn ein Journalist einen Minister hart
frägt und wenn dann der Minister vielleicht nicht sofort eine passen-
de Antwort geben kann und dadurch eine gewisse Schwäche des
Befragten zum Ausdruck kommt, dann fühlen sich unsere Genossen selbst
angegriffen und meinen, dies müsste sofort verboten werden. Solange
unsere Genossen sich daher mit der Regierung identifizieren, in einem
Ausmass, wie ich es nie für möglich gehalten habe, solange glaube
ich kann uns nichts passieren. Die Schwierigkeit beginnt nur dort,
wo einzelne, wie z.B. Lütgendorf eben von eigenen Parteiorganisatio-
nen, selbst wenn es sich nur im die nicht existente SJ oder um
den VSM handelt, angegriffen wird, dann wird es meiner Meinung nach
sehr kritisch. Wenn nämlich die Partei oder wenn vor allem viel-
leicht die Regierung nicht geschlossen auftritt, dann hat der Gegner
natürlich die Möglichkeit auf diese Festung seine Attacken wesent-
lich besser einzusetzen und dann auch sicherlich erfolgreich zu
sein. Ich weiss nicht, wie lange sich diese Solidarität aller
Regierungsmitglieder aufrechterhalten kann. Automatisch wird es
nämlich immer Spannungen zwischen einzelnen Ressortministern geben,
Diese resultieren nicht zuletzt auch daraus, dass mit längerer Regierungs-
zeit die Beamten sich innerhalb der einzelnen Ressorts leichter
durchsetzen und bis zum Minister mit ihrem Wunsch der Kompetenz-
erhaltung, wenn nicht sogar der Kompetenzausdehnung dringen. Ich
kann mir sehr gut vorstellen, dass insbesondere dann, wenn neue
Ministerien entstehen, wie dies seinerzeit zwischen Handel und
Bauten und jetzt zwischen Sozial und Gesundheit der Fall ist,
dies aber dann ganz besonders, wenn das grosse Kompetenzgesetz
kommen wird eintreten wird, die Beamten alle ihre Register spielen
lassen, um gegenseitig die Minister über die Kompetenzforderung
gegeneinander aufzubringen.
Tagesprogramm, 30.4.1972