Donnerstag, 15. Juli 1971
Präsident Müller-Hartburg vom Architektenverband wollte unbedingt
eine Erstreckung der Begutachtungsfrist für die Gewerbeordnung. Ich
erklärte mit aller Deutlichkeit und Jagoda sekundierte mir, dass
eine solche nicht in Frage kommt. Zuerst wollte er ganz scharf rea-
gieren, indem er erklärte, dann würde halt keine Stellungnahme von
den Ingenieuren vorliegen. Als er seine Wünsche dann im einzelnen
erläuterte, bemerkte er sehr bald, dass er dabei den kürzeren ziehen
würde, es ist in der Gewerbeordnung vorgesehen, dass die Baumeister
Hochbauten und verwandte Bauten machen können. In der neuen Gewerbe-
ordnung steht, Bauten aller ART. Insbesondere stört ihn dabei,
dass auch die Planung von Baumeistern durchgeführt werden könnte. Er
will nun die Studenten gegen diese Bestimmung aufwiegeln, denn er
sagt, es ist ganz sinnlos, wenn die studieren, wenn ein Baumeister
auch alles machen kann. Nach seiner Meinung müsste dies den Zivil-
technikern vorbehalten bleiben. In der BRD soll es jetzt einen oberstgerichtlichen Entscheid geben, wonach auch bei Einfamilienhäusern die
Planvorlage durch den Architekten verlangt wird. Genau dies ist
aber der Punkt, den wir unter gar keinen Umständen wollen. Natürlich
soll ein Baumeister nicht Kaprun oder Atomkraftwerke bauen können.
Andererseits aber ist es ganz unmöglich, dass wir für jedes Ein-
familienhaus einen Architekten einschalten. Aus unserer Diskussion hat
Müller-Hartburg erkannt, dass er letzten Endes, wenn er die Begutach-
tung nicht durchführt, den Kürzeren zieht. Deshalb hat er dann gemeint,
er würde unter Ausnützung seiner Geschäftsordnung doch eine Begut-
achtung mit dem Vorstand ausarbeiten und gegebenenfalls halt keinen
Kammertag einberufen.
Durch diese Aussprache kam ich zu spät zur Klubsitzung. Ich hörte
nur noch, wie Broda Hobl erklärte, so ginge das nicht und er liesse
sich das nicht gefallen. In der vorletzten Klubsitzung hat Broda
die Bestellung seines Präsidialchefs begründet und mitgeteilt,
dass Dr. Pickel, der Sekretär, bis jetzt bei Klecatsky und jetzt
auch bei ihm gewesen ist, übergangen wird. Alle Klubmitglieder
stehen aber auf dem Standpunkt, dass Pickel sich sehr anständig
benommen hat und in der Zeit Klecatskys war er der einzige Mann,
von dem man entsprechende Unterstützung haben konnte. Ich selbst
muss zugeben, dass dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Als mir
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unerklärlichen Gründen hat Broda jetzt einen Erz-CV-er und Schwarzen
ihm vorgesetzt, obwohl er rangmässig und dienstplanmässig der Stell-
vertreter im Präsidium war. Broda hätte nun, wie mir Hobl mitteilte,
erwartet, dass er ihn entsprechend verteidigt. In Wirklichkeit hat
es im Klub eine heftige Debatte gegeben und Broda ist ganz allein
geblieben. Daraus kann man lernen, dass erstens man nicht mit Personal-
fragen in ein Gremium geht, wo man nicht unbedingt hingehen muss,
er hätte die Entscheidung nämlich treffen sollen, ohne dass er den
Klub davon Mitteilung gemacht hat.
Der Sekretär von Pittermann, Dr. Fischer, vom Ministerium her bei
Pittermann in der verstaatlichten Industrie gearbeitet hat und jetzt
im Parlament jetzt wieder mit ihm mitgegangen ist, hat mich ersucht,
ich sollte seine Frau, die in der ZAE beschäftigt ist, empfangen.
Wir hatten eine sehr lange Aussprache und die Quintessenz war, dass
sich die Beschäftigten übergangen fühlen. Vor allem beschweren sie
sich, und ich glaube sogar zu Recht, dass vorher zu wenig mit ihnen
geredet wird. Die Massnahmen, d.h. Einsparungen im Personal finden
sie absolut für richtig, nur sollte man ihnen auch Aufgaben übertragen
und nicht nur neue Abteilungen und neue Leute vorsetzen. Dies bezog
sich insbesondere auf die Abteilung Stürmer, die nach Meinung der ZAE-
Leute wesentlich einfacher noch die übertragenen Agenden erledigen
könnte. Dass man Vereinfachungen insbesondere in der Abrechnung trifft,
findet man jetzt für richtig. Die AHF-Beiträge beim Import werden ja
jetzt schon vom Finanzamt eingehoben und bringen 290 Mio. S und die
Exportseitig zu errichtende Abgabe wurde durch die Hollerith-Abteilung
ziemlich kompliziert bis jetzt eingehoben. Bodenstein, der Leiter
der Dienststelle, kann sich gegen niemanden richtig durchsetzen, aber
auch nicht entsprechende Vorschläge erstatten. Dr. Fischer, der als
äusserst tüchtig beschrieben wird, ist über die neuen Agenden, die wir
ihm übertragen wollen, angeblich nicht sehr glücklich. Da er sehr tüchtig
ist, könnte man mit ihm die ZAE sinnvoll reorganisieren. Was man erwartet
ist, dass echte Aufgaben übertragen werden. Steiger hat z.B. jetzt veran-
lasst, dass zwar der Versand der EFTA-Publikationen durch die ZAE er-
folgt. Sicherlich eine Zeitersparnis für den Stubenring, aber doch
keine Aufgabe für die Metternichgasse. Gleichzeitig wird aber zugegeben,
dass in der ZAE in einer Ära, wo ein ÖAAB-Funktionär viel zu reden
gehabt hat, Krethi und Plethi aufgenommen wurde und daher jetzt ein
aufgeblähter Apparat existiert, der kaum in Wirklichkeit konzeptive
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Arbeit leisten kann.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Ich habe ersucht, man soll mir gelegentlich sogar
informell entsprechende Vorschläge geben. Gleichzeitig bitte ich Min.Rat
Meisl zu verständigen, dass er sich mit den willigen und tüchtigen Leu-
ten ins Einvernehmen setzt.
Frau Fischer hat mit Meisl gemeinsam studiert und hält sehr viel von ihm
Vielleicht könnte eine Aussprache hier einen wirklich zielführenden Weg
aufzeigen, wie man ohne die ZAE-Leute zu verstimmen zu einer produk-
tiveren Leistung kommt.
Im Institut traf ich Prof. Levcik, einen Wissenschaftler aus der
CSSR, der derzeit bei der ECE beschäftigt ist. Levcik will womöglich
österreichischer Staatsbürger werden, wie mir Dr. Kienzl später nachmittag im Parlament mitteilte. Levcik suchte auch mit der Arbeiterkammer,
d.h. mit dem Institut für Gesellschaftspolitik Kontakt und Mündel er-
klärte ihm, welche Arbeiten vom Institut gemacht werden. Levcik hat
auch eine Besprechung mit Prof. Nemschak vom Institut für Wirtschafts-
forschung gehabt, da dieser gegebenenfalls interessiert wäre, ihn für
das Institut zu gewinnen. Levcik muss, wenn er österreichischer Staats-
bürger werden will – ich habe diesbezüglich mit Rösch schon gesprochen –
unbedingt einen Wohnsitz in Österreich haben.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte, sich mit Dr. Mündel von der Arbeiterkammer
ins Einvernehmen zu setzen, um die technischen Voraussetzungen zu schaf-
fen, damit Levcik als als österreichischer Staatsbürger, wenn er darauf
wert legt, von der Bundesregierung eingebürgert werden kann.
Kirchschläger hatte im Parlament mit mitgeteilt, dass ihm Leitner
von Brüssel verständigte, dass eine Möglichkeit besteht, noch im
Juli einen Bericht über die Interimsverhandlungen von der Kommission
an den Rat erfolgen wird. Dieser Bericht könnte dann eine Grundlage
sein, ein Mandat der Kommission zu geben, wo die Ausnahmebestimmungen,
die bekanntlich Papier und EGKS-Produkte vorgesehen hat, fallengelassen
werden. In einem solchen Fall könnten wir vielleicht im September bereits
mit Verhandlungen beginnen, was ungeheuer politisch im Wahlkampf von
positiver Bedeutung wäre. Krichschläger fährt jetzt nach Rom und wird
dort Ministerpräsident Moro treffen, der gleichzeitig jetzt der Vor-
sitzende des Rates in der Europäischen Gemeinschaft ist. Er wird sich
sehr bemühen, zu versuchen, dass die Interimsverhandlungen flott ge-
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macht werden und dass es vielleicht auch glückt, im Globalabkommen
eine bessere österreichische Ausgangsposition noch zu erreichen.
Schleinzer liess Kirchschläger wissen, dass er nach Brüssel fährt,
um dort Besprechungen zu führen. Jedenfalls meldete sich dann Karasek
bei ihm und teilte mit, dass auch er mit nach Brüssel fahren würde.
Kirchschläger wies darauf hin, dass die Kompetenz eindeutig bei mir
liegt und sie müssten sich an mich wenden. Über diese Mitteilung
Kirchschlägers gegenüber Schleinzer und Karasek war ich nicht sehr
glücklich, denn ich befürchtete, dass sie dies auch tun würden.
Zu meiner grössten Verwunderung und Freunde haben sie aber erklärt,
er sollte sie lieb sein und sollte diese ganze Angelegenheit regeln.
Die Parteispitze, nämlich Schleinzer und der Integrationsmann Karasek
der aber im Aussenamt tätig ist und immer aus aussenpolitischen Gründen
dafür plädiert hat, dass eine richtige Kompetenzregelung zustandekommt
bewiesen, dass sie ebenfalls der Meinung sind, dass die Integrations-
frage derzeit von Kirchschläger und mir richtig aufgeteilt vorgenom-
men werden. Ich bin überzeugt, dass Sallinger und Mussil nichts davon
wissen und ich daher einen grossen Trumpf in der Hand habe, wenn Fiedler
oder Mitterer mich wieder angreifen werden, dass ich mich wesentlich
mehr um die Integration kümmern sollte.
Eine Aussprache mit Sallinger und Mussil über die weitere politische
Entwicklung bestätigt mir, dass sie grosse Angst haben, dass die FPÖ
das Handelsministerium bekommt. Die Meinungsforschung, die verwenden
das Fessel-Institut, ergibt wie sie glauben für sie einen äusserst
guten Trend, entweder hat Mussil hier absichtlich gelogen oder Fessel
ergibt wirklich ein anderes Ergebnis als das IFES-Institut. Nach dem
IFES-Institut haben wir gegenüber dem März 1970 von 44 auf 45 % zuge-
nommen, während die ÖVP einen verheerenden Rückgang zu verzeichnen
hat. Im Feber 1970 seien es 42 % gewesen, im April waren es noch 35 und
im Juni sind sie auf 28 % gefallen. Die Freiheitlichen haben von 2 auf
5 % zugenommen. Ich glaube, dass hier ganz bewusst von Mussil falsche
Informationen weitergegeben werden. Bei einer Aussprache mit ihm allein
wollte er die Bestätigung haben, dass ich den Min.Rat Meisl bereits
zum stv. Sektionsleiter bestellt habe. Ich erklärte ihm noch einmal
alle Gründe und sagte, er hätte doch beabsichtigt, mit Reiterer über
dieses Problem zu sprechen. Er meinte, er sei noch nicht dazugekommen
und wollte wissen, ob Reiterer dieser Regelung zugestimmt hat. Als
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ich dies bejahte, meinte er, dass man ihn dann vielleicht falsch
informiert hätte. Ich sagte ihm sofort zu, dass Engelmayer, der
Vertreter des ÖAAB und gleichzeitiger Personalvertreter, den Kontakt
mit ihm hat und ihn scheinbar nicht vollständig informiert. Er be-
stritt zwar formell, dass er mit Engelmayer Kontakt hat, aber ich
bin überzeugt davon und er selbst weiss auch, dass ich dies ganz
genau weiss. Wir besprechen die Personalsituation im Ministerium
und er selbst meinte, er hätte in der BHK auch nicht so tüchtige
Leute, wie er es sich also in der nö. Kammer seinerzeit aufgebaut
hat, gab aber unumwunden zu, dass Personalpolitik in den vergangenen
Jahrzehnten verheerend gewesen sei. Er selbst meinte, wenn er Mini-
ster geworden wäre, hätte er die Handelskammer für Führung des
Ministeriums herangezogen. Ich setzte ihm auseinander, dass dies
ein vollkommen falscher Weg wäre, man kann von aussen nicht ein
Ministerium führen, dass er aber drei tüchtige Leute sich hätte
mitnehmen wollen, um einen Stab wie ich ihn mir auch aufgebaut
zu, zu besitzen.
Nach zehnstündiger Wehrdebatte wurde nun endlich das Wehrgesetz
auch beschlossen. 60 Tage Waffenübungen sind Pflicht, die der
Jungmann akzeptieren muss, aber keine Pflicht des Staates, sie
tatsächlich von ihm zu verlangen. Die finanzielle Situation
und der organisatorische Apparat lässt dies überhaupt nicht zu.
Leider können wir dies in der Propaganda nicht herausstreichen.
Sicher ist aber eines, wenn die ÖVP jetzt argumentiert, die Wehr-
zeitver-kürzung ist nur 14 Tage de facto, denn bis jetzt war
sie 8,5 Monate und wird in Hinkunft 6 Monate + 2 Monate Waffen-
übungen sein, könnte dann ihr Argument, dass das Heer demontiert
wurde, nicht stimmen. Ich fürchte eigentlich ganz besonders eine
grössere finanzielle Belastung und der Finanzminister wird es sehr
schwer haben, diese Forderungen auf ein erträgliches Mass zurück-
zuschrauben.
In der Vorwoche hatten wir fehlerhaft in der Terminisierung von
vielen Gesetzen zugestimmt, dadurch müssen diese Gesetze jetzt im
Nationalrat in zweiter und dritter Lesung behandelt werden. Die
FPÖ ist damals sitzengeblieben und Pittermann hat aus prinzipiellen
Gründen, weil wir bis jetzt jeder Terminisierung von welcher Partei
sie immer gekommen ist, zugestimmt haben, Weikhart veranlasst,
dass er sich erhoben hat. Dadurch haben alle Abgeordneten unserer
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Fraktion selbstverständlich sich auch erhoben und damit eine Lawine
und Gesetzen, die auch schwere finanzielle Belastungen auslösen,
der weiteren parlamentarischen Behandlung zugeführt. Pittermann
meinte damals noch, Gratz hätte ihm sehr gedrängt, dass wir
noch das Privatschulgesetz erledigen, welches durch die Termini-
sierung jetzt ebenfalls noch auf die Tagesordnung gekommen ist.
Die ÖVP hat aber ausser dem 100 %-ige Personalaufwand, der in Hin-
kunft vom Staat übernommen wird, auch den laufenden Sachaufwand
verlangt, dass die Konfessionsschulen ersetzt bekommen sollen.
Damit konnte dieses Gesetz erst wieder nicht erledigt werden,
sondern wir habe sowohl das Privatschulengesetz als auch das Konkor-
dat mit dem Heiligen Stuhl wieder zurückgestellt, d.h. an den Aus-
schuss zurückverwiesen. Die anderen Gesetze aber, die eine Erhöhung
der Gewerbesteuerfreibeträge und der Lohnsummensteuerfreibeträge usw.
beinhalten, werden mit FPÖ- und ÖVP-Mehrheit beschlossen werden.
Die FPÖ kann uns jetzt noch vorwerfen, dass wir daran schuld sind,
denn hätten wir nicht der Terminisierung zugestimmt, die FPÖ ist
damals sitzengeblieben, so wären wir bereits mit der Tagesordnung
und der Session fertig. Ein in die hundert Millionen gehender Aus-
fall der Staatseinnahmen und der Gemeinden- und Ländereinnahmen
wurde durch einen taktischen Fehler ausgelöst. Ich ärgere mich noch
immer, dass ich damals nicht sofort eine Unterbrechung der Sitzung
verlangt habe. Sicherlich ist es nicht mein Geschäft gewesen, doch
nach den jetzigen Entscheidungen wird den Unternehmern eine wesent-
liche Steuerersparnis gebracht. Noch mehr ärgert sich natürlich
Dr. Fischer, unser Klubsekretär. In der Morgensendung der ÖVP
hat die Abgeordnete Hubinek behauptet, dass der Lebenshaltungskosten-
index 5,5 % in Wirklichkeit beträgt und der Index manipuliert wird.
Ich hatte deshalb, als ich mir Mussil Besprechungen führte, Gelegenheit
sie zu stellen und mit meinem ganzen Charme versuchte ich sie zu
überzeugen, dass sie hier wirklich auf falschen Ziffern aufbaut.
Mussil musste dies bestätigen und ich schickte ihr dann sogar noch
das letzte Heft des Instituts für Wirtschaftsforschung, wo ebenfalls
gegen die falschen Behauptungen der Indexmanipulation Stellung bezogen
wird. Ich habe sie zwar innerlich sicherlich nicht überzeugt, aber
ihr bewiesen, dass man – und darüber war sie sehr erstaunt – ihre
Sendung in der Früh zumindestens ich sie höre und dass ich nicht
falsche Behauptungen durchgehen lasse, ohne sofort ihr zumindestens
persönlich zu sagen, dass sie hier falsch informiert ist. Sie
schickte mir dann ein Brieferl, wo sie mir mitteilte, danke für die
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Information, wird in der nächsten Belangsendung berücksichtigt
Ich bin zwar überzeugt, dass sie dies sicherlich nicht machen wird,
doch ist dieses Dokument für mich äusserst wichtig.
Tagesprogramm, 15.7.1971
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)