Freitag, der 9. Juli 1971

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Freitag, der 9. Juli 1971

Der ehemalige Handelsminister, Präsident Bock kam, um von der Bundes-
konferenz der freien Berufe, deren Vertreter er derzeit ist, wegen
Verlängerung der Begutachtungsfrist der Gewerbeordnung anzusuchen. Ich
erklärte ihm, dass ich zwar offiziell keine Möglichkeit habe, den
Ende-September-Termin zu verlängern, da ansonsten wir nicht mit der
Arbeit fertig werden würden. Ich versicherte ihm aber – und damit war
er vollkommen einverstanden – dass es bis am 10. Oktober sein Gutachten
noch abgeben kann. In Wirklichkeit würde er gar nichts anderes machen,
als seinen neun Gruppen, die er hat, zu versuchen unter einen Hut zu
bringen, d.h. ein Gutachten abzugeben, wo alle Wünsche dieser neun Gruppen
als Minimumforderung umfassen wird. Für uns ist ja viel wichtiger, dass
wir von den Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern usw. die einzelnen
Gutachten direkt bekommen, weil wir können daraus entnehmen, was wirkliche
Einzelprobleme haben. Der Verein Bundeskonferenz der freien Berufe kann
und wird ja nur eine kombinierte Stellungnahme der Einzelgutachten ab-
geben, wobei es wahrscheinlich auch da noch zu Diskussionen kommt zwi-
schen den Ärzten und Zahnärzten usw. wahrscheinlich wird aber der Trend
vielmehr dahingehen, dass die Freiberuflichen keinerlei gewerbliche Tätig-
keit ausüben werden zumindestens werden sie die immer wieder behaupten.
Bock ist der Meinung, dass es mir nicht gelingen wird, wenn die Gewerbe-
ordnung im Parlament ist, dass sie sehr bald dann auch zu einem Ende ge-
färbt wird. Er glaubt, dass dies nicht einmal innerhalb einer Legisla-
turperiode möglich sein wird. Ich wettete deshalb mit ihm um einen Liter
Milch, den er mir bezahlen muss gegen eine Flasche Whiskey, die ich ihm be-
zahlen muss, wenn nicht innerhalb einer Legislaturperiode, das sind 4
Jahre, die Gewerbeordnung, wenn sie ins Parlament kommt, dann auch
beschlossen wird. Aus der Wett sieht man schon, dass ich mir scheinbar
meiner Sache sehr sicher bin. Zumindestens habe ich mir bei diesem Wett-
abschluss gedacht, dass ich ähnlich bei Poker bluffen will um zu zeigen,
dass ich auf alle Fälle im vorparlamentarischen Raum schon die nötigen
Zusicherungen habe, dass die Gewerbeordnung tatsächlich in so kurzer
Frist erledigt werden kann.

Im Parlament wurde die unterbrochene Sitzung um 9 Uhr fortgesetzt und
in Wirklichkeit kam nichts anders als der erste Tagesordnungspunkt, der
Rechnungshofbericht, zur weiteren Behandlung und bis 1 Uhr auch zum Ab-
schluss. Da aber der Ordner Weikhart nicht genau wusste, ob mein anderes


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Tagesordnungspunkt, nämlich der Integrationsbericht, der Nummer
zwei hatte, noch aufgerufen wird, verstehe ich, dass er mich nicht
weggelassen hat. Das Mittagessen mit den Botschaftern der EWG-Staaten
und Kirchschläger musste deshalb für mich entfallen. Ich hätte mich
sehr interessiert, wie die Botschafter informiert sind, resp. welche
Meinung sie bei diesem Mittagessen über unsere EG-Verhandlungen im
Detail mitgeteilt haben. Kirchschläger wird mir allerdings – davon
bin ich überzeugt – sowieso eine restlose Information geben.

In der Lebensmittelarbeitergewerkschaft hat der Sekretär der Brauerei-
arbeiter ersucht, dass ich bei der nächsten Sitzung des Verhandlungs-
komitees, d.h. bei der Vorbesprechung teilnehme. Ich versuchte den
Kollegen, in dem Fall sind es aber lauter Genossen, auseinanderzu-
setzen, warum wir eine Freigabe bei der Paritätischen Kommission
nach 11 Monaten nicht erwarten können. Wenn sie nun ihre Forderung
aufrechterhalten, d.h. wenn kein Kollektivvertragliche Lohnerhöhung
vereinbart werden kann, dann die Betriebe Einzelvereinbarungen ab-
schliessen, so setzte ich ihnen dann auseinander, dass sie damit
ihre gemeinsame Lohnpolitik, auf die sie und letzten Endes auch
wir so stolz waren, aufsplittern werden. Die grossen Brauerei-Be-
triebe werden selbstverständlich jeder 2.– S pro Stunde, d. entspricht
ungefähr einer 9,5 %-igen Lohnerhöhung akzeptieren müssen. Die mitt-
leren und kleineren Brauereien dagegen werden sich erfolgreich da-
gegen zur Wehr setzen. Wenn es dann im Herbst wahrscheinlich – habe
ich ihnen erklärt – kann man damit rechnen, dass wir Ende Oktober
eine Freigabe der Löhne erhalten werden, zu Verhandlungen kommt,
dann besteht die eminent grosse Gefahr, dass Lohnabschlüsse dann
getätigt werden z.B. dann von Ausmass von 12 max. 13–14 % und
dann die starken grossen Betriebe, denen die 2.– S eingerechnet werden,
kaum mehr eine sichtbare Lohnerhöhung bekommen. Die Kollegenschaft
wird dann ganz entschieden gegen diesen Abschluss Stellung nehmen,
weil er ihnen als unbefriedigend erscheint. Wenn andererseits die
2.– S, die jetzt gegeben werden, dann nicht in die neue Lohnbewegung
eingerechnet Werden, würde eine Aufspaltung der Brauereiarbeiterlöhne
nach 25 Jahren einheitlicher Lohngestaltung erreicht werden. Mein
Vorschlag hat daher gelautet: sie sollten die Prämie, welche erst
mit 1. Oktober fällig wird und über die eigentlich verhandelt wird,
denn es sollte ja eine Prämienerhöhung, die derzeit 70 % ausmacht
auf 100 % eines Monatslohnes durchgesetzt werden, man sollte also
diese Prämienerhöhung vorziehen. Wenn die Leute jetzt z.B. einen


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halben Monatslohn bekommen und im September, wenn sie vom Urlaub
zurückkommen, die weitere Hälfte des Monatslohnes, dann würde das
eine gewisse Beruhigung der Kollegenschaft herbeiführen.

Im Bundesparteivorstand berichtete Kreisky über die bisherigen Be-
sprechungen, die für den Beschluss, das Parlament frühzeitig aufzu-
lösen. notwendig waren. Sein politischer Lagebericht hat keine neuen
Nuancen gebracht, sondern er hat nur für die Parteivorstandsmitglieder,
die überhaupt im Parlament nicht sind oder auch nicht in der Regierung,
damit sie einen Überblick bekommen, seine Auffassung wiederholt. Der
Bericht wurde ohne Diskussion zur Kenntnis genommen.

Robert Weisz machte einen Zwischenruf, ob Kärnten noch bei Österreich
ist, da sie an der Parteivorstand-immerhin von einiger Massen Bedeutung
war, nicht daran teilnehmen. Kreisky entschuldigte Suchanek, der sich
entschuldigt hatte, die anderen kärntnerischen Parteivorstandsmitglieder
waren nicht erschienen. Ich glaube, dass dies darauf zurückzuführen ist,
dass Kärnten auf dem Standpunkt steht, es hat in der Parteivorstands-
sitzung nur insofern Interesse, als eventuelle Kärntner Probleme bespro-
chen werden. Die Kärntner regierende Gruppe – Sima, Suchanek, Tillian usw. –
hat die Mandatare in das Parlament entsandt, die in der Partei in Kärnten
überhaupt nichts zu reden haben, deshalb sind die Parteivorstandssitzungen
immer sehr schlecht besucht, weil meistens bei einer Nationalratssitzung
auch gleichzeitig ein Parteivorstand ist, wonach eben dann die anderen
Länder ihre Mandatare gleichzeitig an Ort und Stelle haben. In Kärnten
hat man glaube ich das System gewählt, dass man politisch einflusslosere
Leute nach Wien ins Parlament entsandt hat.

Eine lange Diskussion ergab sich über die weitere Behandlung des Wehr-
gesetzes. Die ÖVP hat ein ganz neues Papier vorgelegt, wo sie die 15.000
Mann Bereitschaftstruppe, die aus 8-Monats-Dienern mindestens bestehen
muss, zugrundelegt. Diese Forderung war von ihnen in den letzten Ver-
handlungen bereits aufgegeben werden. Da gleichzeitig auch die ÖVP
für nachmittags eine Pressekonferenz einberufen hat, ist anzunehmen,
dass es auf alle Fälle zu einem Scheitern der Verhandlungen kommen wird
und die ÖVP eben jetzt sich bereits absichert, dass sie als erstes die
Presse informiert hat. Nach eingehender Debatte einigte man sich, dass
man der FPÖ bezüglich der Waffenübung entgegenkommen soll, wenn die FPÖ
bereit ist, die Wehrbereitschaft durch die Regierung, d.h. dass keine
strategische Reserve mehr im Gesetz festgelegt wird, herbeigeführt werden
kann.



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Ausserdem müsste die FPÖ noch beschlussmässig zustimmen, dass ein
Wehrersatzdienst in Kürze durch Gesetz eingeführt wird. Unter diesen
Umständen beschloss der Parteivorstand, könnte unser Verhandlungs-
komitee die 60 Tage Waffenübungen, die die FPÖ seit eh und je forderte,
zustimmen. Mit dieser Regelung – wenn die FPÖ akzeptiert – könnte ein
Beschluss im Parlament zustandekommen, und ich glaube, dass dann die
ÖVP zwar in Hinkunft immer sagen kann, sie war schon immer gegen eine
solche Heeresdemontage – wie sie sich dann ausdrücken wird – dass sie
aber in Wirklichkeit dann als verhärtende Partei dastehen wird, die
infolge des Neuwahlbeschlusses eine so wichtige Materie, die jahre-
lang verhandelt wurde und wo man erwartet hätte, dass es tatsächlich
zu einer Einigung kommt, dann letzten Endes hat fallengelassen, resp.
dagegen gestimmt, weil sie sich in Hinkunft nicht belasten will.
Bei den Jungwählern, fürchte ich, wird es für die ÖVP dann wahrliche
schwer sein, in der Wahlpropaganda ihren Beschluss einigermassen
zu begründen.

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Tagesprogramm, 9.7.1971


Tätigkeit: ehem. ÖVP-Vizekanzler, Präs. Donaueurop. Institut, AR-Vors. Leykam


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    Tätigkeit: FSG-Vors., SPÖ-Klubobmann, Volksanwalt


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      Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg.


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        Tätigkeit: LH Ktn., SPÖ
        GND ID: 139418636


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          Tätigkeit: Ktn. LH-Stv., SPÖ


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            Tätigkeit: Präs. SPÖ-Arbeitsbauernbund


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              GND ID: 118566512


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                Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
                GND ID: 118723189


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