Samstag, 5. Juni 1971
Die Vorstandsfraktion in der Arbeiterkammer begann nicht um 8 Uhr, wie
in meinem Programm festgehalten, sondern um 9 Uhr. Koordination mit
den Terminen ist scheinbar noch immer die grösste Schwierigkeit im
Büro.
Kreisky war bereits aus dem Spital entlassen und ich besuchte ihn
in seiner Wohnung, um ihm den Brief von der indischen Minister-
präsidentin Gandhi zu überbringen. Da er nachmittags den Aussen-
minister Kirchschläger traf, brauche ich Kirchschläger nicht einen
gesonderten Bericht zugeben, sondern ersuchte Kreisky, er möge ihm auch
meinen Aktenvermerk übermitteln.
Kreisky ersucht, dass ich in der Sowjetunion nicht nur seine Grüsse
den Ministern übermitteln sollte, sondern dass ich auch versuchen
möge, ihnen die Stellungnahme bei der sozialistischen Internationale
in Helsinki darzulegen. Nach Mitteilung Kreiskys ist es ihm gelungen,
die westlichen Bruderparteien, insbesondere Belgien, für die
Aktion Sicherheitskonferenz in Europa zu gewinnen. Bis jetzt haben
einige sozialistische Parteien, wie er sich ausdrückte, eine solche
Konferenz abgelehnt und ihm sei es in Helsinki möglich gewesen, die
Zustimmung dieser Parteien für eine Sicherheitskonferenz zu erhalten.
Gesundheitlich fühlte sich Kreisky wieder sehr wohl, nur von dem langen
Liegen, er ist immerhin einige Tage im Bett gelegen, hat er noch nicht
seine alte Spannkraft erhalten, sondern ist noch ein bisschen müde.
Er erwähnte, dass sein Herz und sein Kreislauf vollkommen in Ordnung
sind, und er sich eigentlich auf dem Wege zur Besserung befindet.
Da ich erstens von der Medizin nicht verstehe und zweitens niemals
einen Kranken frage, was ihm wirklich fehlt, da ich ja auch nicht weiss,
ob er es selbst weiss, ging ich auf alle diese Bemerkungen gar nicht
ein. Ich bin überzeugt davon, dass er in Kürze wieder voll am Damm
sein wird.
Beim Empfang der Sonderkonferenz für die Unido-Delegierten im BKA
den Kirchschläger in Vertretung des Bundeskanzlers gab, wollte ich
zuerst gar nicht besuchen. Ich habe dann es mir dann doch überlegt,
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und dies war sehr geht. Ich traf dort Botschafter Marquet und
konnte mit ihm über den letzten Stand der Brüsseler Vorschläge
der Kommission an den Rat diskutieren. Zu meiner grössten Ver-
wunderung fragte er mich, ob ich denn noch nicht das Telegramm,
welches Leitner scheinbar geschickt hatte, erhalten habe. Ich
erklärte sofort, ich wäre die ganze Zeit nicht in meinem Büro
gewesen, was gar nicht simmte, um nicht zu dokumentieren, dass
ich eigentlich die Unterlagen viel zu spät erhalte. Den wichtigsten
Fragen muss ich leider immer wieder feststellen, kommen die In-
formationen von seiten der Abteilungen oder der die die Telegramme
bekommen, viel zu spät direkt an mich heran. Wir hatten dann eine
sehr interessante Diskussion mit dem schwedischen, finnischen
und den französischen Botschaftern, die sich mit uns an einen
Tisch setzten. Die Finnen sind über die Lösung sehr glücklich
auch wir können mit dem Vorschlag der Kommission, wenn er abge-
nommen wird, sehr zufrieden sein, da er keine Organe vorsieht.
Die Schweden dagegen haben natürlich ein Interesse, eine wesentlich
stärkere Bindung mit der EWG zu bekommen. Der schwedische Bot-
schafter meinte, es hätten die Beamten ja Palme seinerzeit em-
pfohlen, er möge sich um einen Beitritt zu EWG bemühen. Der fran-
zösische Botschafter meinte, dass die Lösung, die sich abzeichnet,
die optimalste sei. Er meinte damit nicht den ersten Vorschlag
der Kommission, wonach zwei Jahre überhaupt keine Verhandlungen
mit den neutralen Staaten stattfinden sollten und die EFTA weiter
bestehen sollte, sondern den zweiten Vorschlag der Kommission,
dass man ähnlich wie bei den Beitrittswilligen Staaten nur die
Industriezölle in einem ähnlichen Rhythmus wie bei den beitritts-
willigen abbauen sollte.Für die Landwirtschaft ist in diesem
Vorschlag keine Lösung vorgesehen. Ebenso wird in diesem Vorschlag
kein gemeinsames Organ errichtet. Von den Schweizern konnte ich
niemanden sehen und weiss daher nicht die endgültige Stellungnahme
zu diesem Vorschlag. Ich bin aber überzeugt, dass auch sie sehr dage-
gen sind, weil sie doch auch eine stärkere Verankerung wünschen.
Allerdings stellte sie die Schweiz vor dass sie in möglichst viele
Organen vertreten ist, oder dass Organe geschaffen werden, wo sie
entsprechenden Einfluss auf die Entwicklung der EWG nehmen könnte,
ohne dass sie sich bindet an die EWG.
Tagesprogramm, 5.6.1971