Dienstag, 30. März 1971
KommRat Hinteregger berichtete mir von seinem Besuch
in Amerika, wo er mit Ford eine Besprechung geführt
hat, um gegebenenfalls einen Teil der Ford-Werke
nach Österreich zu bringen. Die Ford-Werke beabsichtigen
in Europa eine größere Investition. Sie wollen sogar
ein ganz neues Autowerk errichten. England, das durch
die Streikbewegung so beunruhigend ist, kommt nicht
mehr in Frage. Die Beziehungen, die Hinteregger ange-
knüpft hat, insbesondere mit einem GenDir. Skotsch,
werden nun von unserem Investorenbüro weiter verfolgt.
Anmerkung für Dr. Wanke:
Bitte wenn Gröger gesund ist, Unterlagen mit ihm be-
sprechen.
Außerdem kam Hinteregger wieder auf das Problem der
Mehrwertsteuer für Gebrauchtwagen zu sprechen. In
Schweden, Dänemark und Norwegen gibt es für Gebraucht-
wagen keine Mehrwertsteuer. In Frankreich, Luxemburg
und den Niederlanden ist ein wesentlich reduzierter
Steuersatz. Da Österreich 300.000 Gebrauchtwagen pro
Jahr verkauft, würde dieses Geschäft vollkommen zum
Erliegen kommen. MR Bundy vom Finanzministerium zeigt
sich in dieser Frage unzugänglich. Nach Meinung von
Hinteregger, aber auch von den Volkswagen-Leuten würde
dies dazu führen, daß in Hinkunft kein Gebrauchtwagen
mehr verkauft wird, sondern nur mehr als Kommissionär
abgehandelt wird. Über die Mehrwertsteuer wird man aber
sowieso noch in einem kleineren und letzten Endes dann
in einem größeren Kreis debattieren müssen.
Im Ministerrat, wo ich Finanzminister Androsch vertrat,
konnte ich den Wunsch des Finanzministeriums durchsetzen,
daß das Schülerbeihilfengesetz in den erläuternden Be-
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merkungen nicht die Anzahl der Dienstposten aufgenommen
wird. Androsch befürchtet wahrscheinlich ein gefährliches
Präjudiz, wenn ohne daß Berechnungen und die Durchführung
dieser Schülerbeihilfe bis in die letzten Details geregelt
ist, schon festgestellt wird, wieviele neue Dienstposten
geschaffen werden müssen. Die Bedenken des Verfassungs-
dienstes, daß die landwirtschaftlichen Fachschulen keiner-
lei Schülerbeihilfe bekommen können, weil sie nicht in
die Kompetenz des Bundes fallen, wird nicht berücksichtigt.
Gratz, ein ganz großer Spezialist für Verfassungsfragen,
hat mir Richt erörtert, daß, wo der Bund nicht zuständig
ist, er trotzdem ja finanzielle Zuschüsse geben kann.
Kreisky berichtete wieder über die Gesellschaft der Ver-
sammlung des ORF. Er versucht mit rechtlichen Mitteln
und hier kommt ihm glaube ich das GesmbH–Gesetz sehr
zugute, die Befugnisse des Aufsichtsrates und des Vor-
standes entsprechend zu beschneiden. Da nun die Republik
Österreich den größten Teil des Stammkapitals besitzt,
wehren sich jetzt auch die Länder-Vertreter gegen diese
Politik. Er wird es mit dieser Taktik sehr schwer haben,
da der Oberste Gerichtshof in einem Urteil erkannt hat,
es dürfte keine schikanöse Auslegung der gesetzlichen
Bestimmung erfolgen. Ich denke mit Wehmut an die Zeit,
wo Pittermann noch den Rundfunk angegriffen hat und
Kreisky als der vernünftige Vermittler im Hintergrund
gestanden ist. Ich glaube, in der Politik müßte man
erreichen, daß die führenden Männer fast überhaupt nicht
mit Institutionen in eine Kampfstellung kommen, sondern
dies sollte immer nur Aufgabe von nachgeordneten Funktionären
sein. Da auch ein Spitzenpolitiker auch nur ein Mensch ist,
so kann er, wenn er sich in einem Kampf mit einer Institution
befindet, dann kaum mehr unterscheiden, was sachlich noch
zielführend oder doch schon auf eine emotionelle Reaktion
zurückzuführen ist.
Bei einer Ministerratsnachbesprechung ersuchte Kreisky wir
sollten über die Länderforderungen doch so schnell wie
möglich zu einem Abschluß kommen und nicht warten, bis der
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Finanzausgleich im nächsten Jahr verhandelt wird. Einzelne
Minister wie zum Beispiel der Innenminister bei der Be-
setzung des Gendarmeriekommandanten oder der Justizminister
bei der Auflassung von Bezirksgerichten ist sehr stark von
den Landeshauptleuten abhängig. Außerdem will Kreisky eine
Verstärkung des Bundesrates. In diesem Bundesrat werden
wir durch Jahre hindurch eine große Mehrheit haben und
deshalb sollte man diese Länderkammer viel stärker in das
politische Geschehen einschalten. Die Vorschläge die Broda
und Gratz, aber auch die Länder seinerzeit gemacht haben,
sollen nun mit dem Verfassungsdienst besprochen werden
und ein Komitee bestehend aus Kreisky, Gratz, Broda und
Rösch, werden sich mit diesem Problem beschäftigen. Der
Wunsch der Länder, die seinerzeit den Bundesrat aufwerten
wollten, geht aber nun dahin, daß alle Verfassungsgesetze
mit 2/3 der Länderzustimmung nur in Kraft treten könnte.
Dies würde ein ganz neues Organ außer dem Nationalrat und
Bundesrat ergeben. Eine solcher Vorschlag kann unsererseits
niemals zugestimmt werden. Verständlich ist, daß die ÖVP-
Landeshauptleute keine Chance mehr sehen, über den Bundes-
rat einen stärkeren Einfluß zu gewinnen und deshalb die
Länder in jeden einzelnen Fall mit 2/3-Mehrheit zustimmen
sollten, ob eine verfassungsgesetzliche Bestimmung in Kraft
treten kann. Die Abgrenzung zwischen den Ländern und dem
Bund wurde am treffendsten von Gratz charakterisiert. Die
Gesetzgebung soll der Bund in der Hand behalten, die Voll-
ziehung soll den Ländern übertragen werden. Dadurch könnte
eine Dezentralisation als zweckmäßigste Lösung gefunden
werden. Wenn die Gesetzgebung auch bei den Ländern liegt,
dann geschieht wie z.B. beim Fürsorgegesetz die divergenteste
Entwicklung. Deshalb haben sich Länder dazu entschlossen,
ein Mustergesetz zu schaffen, damit alle Länder womöglich
gleichmäßig die Fürsorgefrage behandeln. Überhaupt gibt
es manchmal Forderungen der Länder, die vollkommen sinnlos
sind. Z.B. wünschen sie auch das das Landesdienstrecht
der Landesbeamten in ihre Kompetenz fällt. Wenn nun der
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Bund auf dieses Dienstrecht verzichtet ist zu erwarten,
daß jedes Land eine eigene Lösung anstrebt und die Länder sich
dann rauflizitieren. Mit Sicherheit kann man jetzt schon
sagen, daß dies dem Bund und den Ländern sehr viel Geld
kosten wird. Verständlich, daß die Gewerkschaft des öffentl.
Dienstes einheitlich für diese Lösung ist.
Für Herbst sieht Kreisky große Schwierigkeiten voraus,
ob die FPÖ eine Zustimmung zum Budget geben wird. Nach
den Bundespräsidentenwahlen wird sich deshalb nicht nur
der Parteivorstand, sondern auch die Regierung unterhalten,
wie wir taktisch im Herbst vorgehen werden.
Bei der Sektionsleiterbesprechung hat Sekt.Chef Reiterer
wieder erklärt er könnte unmöglich die Arbeiten an der
Negativliste betreffend des Osthandels vorwärts treiben,
da er keine Arbeitskräfte zur Verfügung hat. Wanke hat
sich, wie er mir nachher sagte, über dieses Vorgehen
maßlos geärgert und befürchtet einen großen Gewichts-
verlust für das Büro und insbesondere für seine
Person. Ich glaube, daß die vorgeschützten technischen
Schwierigkeiten nur so überwunden werden können, daß
man den Reiterer ganz einfach eben die Kompetenz für
diese Frage entzieht. Wanke wird mit MR Fälbl reden,
ob er imstande ist, diese Arbeit zu übernehmen und ab-
zuschließen und dann wird durch Dienstzettel, ohne noch
mit Reiterer viel zu sprechen, ihm die Kompetenz in
dieser Angelegenheit entzogen. Die Argumentation, daß
eine solche Vorgangsweise, daß nämlich eine Ministeran-
ordnung unter Mitterer, aber vor allem unter Bock nie-
mals mißachtet worden wäre, hilft mir gar nichts, da
vielleicht damals wirklich eine wesentlich bessere
Gruppierung der einzelnen Abteilungen mit Schreibkräfte
Platz gegriffen hat.
Vierkanzler Häuser hat dem Außenminister und auch
mich zu einer Ministerkomiteebesprechung über die jugosl.
Arbeitskräfte zu sich gebeten. Dr. Zuser vom Handels-
ministerium, der sich mit dieser Frage sehr eingehend
beschäftigt hatte begleitete mich und stellte gleich
fest, daß er auch jetzt an Überbeschäftigung leidet, da
er kaum eine Hilfskraft zur Verfügung hat. Das Problem
mit den jugoslawischen Arbeitskräften läßt sich kurz
charakterisieren. Jugoslawen wünschen, daß womöglich
ihre hochwertigen Arbeitskräfte aus Slowenien und den
Norden des Landes in Jugoslawien verbleiben und die
österreichischen Unternehmer sich aus Mazedonien und
den Süden des Landes eindecken sollen. Darüber hinaus
sollten noch finanzielle Mittel für die Ausbildung dieser
Arbeitskräfte in Jugoslawien vom österreichischen Unter-
nehmer oder vom österreichischen Staat bezahlt werden.
Ich vereinbarte mit Häuser, daß gegebenenfalls das
Ministerium den österreichische Unternehmer oder die
Handelskammer diese Ausbildung in Jugoslawien vorschießen,
dann bei Ankunft des jugoslawischen Arbeiters in Öster-
reich eine Refundierung erfolgt. Die gemischte Kommission,
bestehend aus Jugoslawen und österreichische Beamte, wird
in den nächsten Wochen in Österreich zusammentreffen.
Präsident Schoeller und GenSekr Mussil kamen um die Lohn-
forderung der Bäckerei-, Müllerei- und Molkereiarbeiter
und der daraus ergebenden Preiserhöhungen mit mir zu be-
sprechen und vor allem um die Zeitplanung abzustimmen.
Nach Meinung von Schoeller könnten sie zwischen der Ge-
nehmigung der Lohnbewegung und der Genehmigung der Preise
keinen größeren Zwischenraum akzeptieren. Mussil meinte
überhaupt, daß beides zum gleichen Zeitpunkt stattfinden
sollte. Nun war in den vergangenen Jahrzehnten immer
zwischen der Inkrafttreten der Lohnbewegung und den In-
krafttreten der Preise ein mehr- oder minderweniger Zwischen-
raum 8–14 Tagen waren normal. Mussil ist sich nun
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klar, daß vor der Präsidentenwahl eine solche Preisregelung
und damit Preiserhöhung nicht erfolgen kann und plädiert
deshalb, daß beides auf die Zeit nach der Präsidentenwahl
zurückverschoben werden soll. Die Bäckereiarbeiter haben
aber ihren Forderungen von zuerst 15–18 % jetzt auf 12 %
reduziert, verlangen aber dezidiert mit 1. April dieses
Inkrafttreten der Lohnbewegung. Ich glaube, daß hier der
Landtagsabgeordnete und Betriebsrat der Ankerbrotfabrik
Vorstandsvorsitzender und mein Stellvertreter in der Ge-
werkschaft Deutsch, über das Ziel hinausgeschossen haben,
denn ich bin überzeugt davon, daß mit 1. 4. es kaum mög-
lich sein wird, die Löhne bereits zu fixieren. Ich empfahl
den Unternehmungen in die Paritätische Kommission am 14.
April dieses ganze Problem zu bringen, da die Paritätische
Kommission ja erst eine Freigabe der Lohnbewegungen durch-
führen müsse. Die Forderung von 12 % erschien mir als sehr
vernünftig, da ja letzten Endes auch alle anderen Gruppen
um diesen %-Satz herum ihre Löhne erhöht hatten. Mussil
wollte eine weitere Zusage von mir, daß ich bereit wäre,
mich für ein baldiges Inkraftsetzen der Preise einzusetzen.
Ich lehnte dies ab, obwohl er immer wieder darauf hinwies,
daß ich doch falls ihr Vertreter in der Paritätischen
Kommission, aber auch in der Preisbehörde unbedingt die
Belange von der Industrie zu vertreten habe. Ich kam bei
dieser Gelegenheit gleich auf die Frage des Kokspreises
zu sprechen und erklärte, daß ich hier sehr wohl die Inter-
esse von Handel und Industrie vertreten habe. Wenn die
Bundeshandelskammer nicht bereit ist, den 1,95 er Preis,
den wir mit allen beteiligten Stellen, außer mit den Importeuren
aus dem Osten einvernehmlich festgesetzt hat, zustimmt,
dann werde ich nicht bereit sein, die Verordnung zu unter-
schreiben, Mussil hat noch einen Tag Zeit, wenn er bis
dahin seine Zustimmung nicht gibt, wird die Preisregelung
für Koks von mir sistiert werden. Da dies wahrscheinlich
das Ende der meisten Kohlenhändler bedeutet, meinte Mussil
dann müßte ich die Verantwortung übernehmen. Ich erklärte
sofort, daß er dafür die Verantwortung zu tragen hat, da
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er ja einer vernünftigen Regelung nicht zustimmen will.
Ich konnte durch das Rundschreiben vom Kleinhandel ihm
nachweisen, daß angeblich die Importeure erklärten, mit
195,–– nicht abschließen zu können und gleichzeitig
jetzt 178,–– in diesem Rundschreiben als Letztverbraucher-
preis empfehlen. Mussil war über diese Unterlage sehr
erschüttert und ich konnte feststellen, wie er sich nicht
nur innerlich geärgert hat, sondern auch durch Bemerkungen
zu Schoeller zu erkennen gab, daß wir bestens informiert
sind und er von seinen Leuten immer mit einer solchen Taktik
in den Hinterhalt gerät. Als ich ihm dann noch die Bauern-
bund-Aussendung, wo ein Regierungssprecher, nämlich Pisa
erklärte, daß diese Demonstrationen nur zur Kommunisten-
zeit üblich waren, unter die Nase hielt, war er total
fertig. Er erklärte, daß wir hier einen wesentlich besseren
Apparat haben, daß wir hier zwar von ihm in der Dokumentation
einiges gelernt hätte, jetzt aber auf diesem Apparat viel
besser spielen können. Mussil beschwerte sich auch, daß in
der Grundsatzabteilung zuviele Detailfragen besprochen
werden. Scheinbar möchte er doch, daß nur über die grund-
sätzlichen Fragen dort diskutiert wird. Ebenso beschwerte
er sich ganz entschieden und protestierte dagegen, daß von
unserer sektoralen Industriepolitik an einem Unternehmer
Fragebogen ausgeschickt wurde, die bis in die Detail hinein
gehende Auskünfte über den Betrieb wünschten.
Anmerkung für Dr. Wanke:
Bitte dieses Problem mit Meisl besprechen und formell
dem Mussil soweit wie möglich entgegenkommen. An unserer
grundsätzlichen Haltung braucht sich ja nichts zu ändern.
Bei der Wahlkundgebung der österreichischen Gewerkschafts-
bundfraktion war doch die Halle mit ca. 6 – 6.500 Menschen
angefüllt. Ich glaube, daß dies die größte Kundgebung war
und bleiben wird. Durch Kurzansprachen von Vorsitzenden
der sozialistischen Fraktion Robert Weisz vom
Bundeskanzler Dr. Kreisky, vom Bundespräsidenten Jonas und
zum Schluß vom ÖGB-Präsident Benya, war dieser Teil der
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sehr abwechslungsreich. Da die Frau des Bundespräsidenten
erkrankt ist, wünschte ihr Benya auch baldige Besserung.
Bei dieser Gelegenheit konnte man wieder feststellen, wie
in Wirklichkeit der als so hart verschriene Benya patzweich
ist. Es hätte nicht viel gefehlt und Benya wäre in Tränen
ausgebrochen. Ich kenne Benya jetzt wirklich schon jahrzehnte-
lang und bin aber immer wieder verwundert über sein weiches
Gemüt, obwohl er gerade bei diesem Job hart wie Stahl sein
müßte. In sachlichen Fragen allerdings kann man oft fest-
stellen, daß er diese Härte aufbringt. Die Rede des Bundes-
präsidenten war meiner Meinung nach sehr geschickt aufge-
baut, denn er weist jetzt immer daraufhin, daß man ihn als
einen politischen Karisten bezeichnet. Er schildert nun
seinen Lebenslauf und streicht immer wieder heraus,
wo denn die politische Kariere zu erkennen gewesen wäre,
als er sich für die Interessen der Arbeiter einsetzte und
dafür nur Not, Entbehrung und Gefängnis auf sich nehmen
mußte. Kreisky unterstrich vollkommen richtig das Argument
mit dem schwachen Bundespräsidenten in der 1. Republik,
Miklas, heraus.
Tagesprogramm, 30.3.1971
Tagesordnung 47. Ministerratssitzung, 30.3.1971 (unvollst.)
Tagesordnung 47. Ministerratssitzung, 30.3.1971 (vollst., mit zusätzl. hs. Notizen)
05_0407_05hs. Notizen (MR-Sitzung, vollst. Version, Rückseite)