Dienstag, der 23. März 1971

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Dienstag, den 23. März 1971

In der Früh kam die Personalvertretung, um mir zu meinem
Geburtstag zu gratulieren. Heindl und ich nützten die Ge-
legenheit, um unsere enge Verbundenheit mit der Personalver-
tretung zum Ausdruck zu bringen. Schleifer mußte zugeben, daß
wir unsere Versprechen tatsächlich gehalten haben. Die Per-
sonalfragen werden jetzt nur im Einvernehmen mit der Perso-
nalvertretung durchgeführt. Ein einziges offenes Problem
gibt es noch, die gleitende Arbeitszeit. Wir setzten ihnen
auseinander, daß wir hier absolut positiv dieser Idee gegen-
überstehen, daß wir aber glauben, eine halbe Stunde Verschie-
bung hätte nicht sehr viel Sinn. Außerdem müssen wir dieses
Problem im Einvernehmen mit den anderen drei Ministerien, die
in unserem Haus untergebracht sind, treffen. Verkehrsministerium
wurde ebenfalls jetzt die gleitende Arbeitszeit eingeführt,
allerdings mit einer Differenz von 2 Stunden. Da am 4. Mai
bei uns die Sommerzeit eingeführt wird, d. h. statt um 8.00
Uhr um 1/2 8 Uhr der Bürobeginn ist, könnte bei dieser Ge-
legenheit wirklich gleich das System mit einer gleitenden
Arbeitszeit mit mehr als einer Stunde Differenz eingeführt
werden. Heindl wird sich bemühen müssen, ob es ihm gelingt
Sekt. Chef Schipper für diese Idee zu gewinnen. Schipper wird
jetzt allerdings ins Spital gehen, um sein linkes Auge operieren
zu lassen.

Anmerkung für Dr. Heindl:

Prüfe, ob es zielführend ist, noch vor seinem Spitalsgang
die notwendigen Veranlassungen in der Arbeitszeit zu erlassen.

Mussil kam mit Dr. Christian und seinem Vertreter um den
zweiten Teil, den speziellen Teil der Gewerbeordnung mit
Jagoda und mir durchzubesprechen. Er erklärte, daß wir die
großen Probleme für die Bundeshandelskammer beginnen und er


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deshalb eine konkrete Stellungnahme zu den einzelnen
Endkonzessionierungen und der Auflösung von handwerk-
lichen Betrieben in gebundene und von der Abschaffung
von vielen gebundenen Gewerben zustimmen könne. Er dürfte
aber im großen und ganzen mit unseren Vorschlägen einver-
standen sein, weil er in Wirklichkeit nur zwei konkrete
Forderungen gestellt hat, Druckereien sollen von einem der-
zeit konzessionierten Gewerbe in ein gebundenes übergeführt
werden. Mussil meint nun, da könnte man eher noch akzeptieren,
daß ein handwerklicher Betrieb wird. Dann ergeben sich aller-
dings große Schwierigkeiten mit den Befähigungsnachweisen.
Derzeit sind nämlich die Druckereien in den verschiedensten
Sparten aufgegliedert, Flachdrucker, Hochdrucker, Stein- und
Offsetdrucker, usw. In unserem Entwurf ist außerdem vorge-
sehen, daß die Maler spalieren dürfen, währenddem er jetzt
dann unbedingt verlangt, daß auch die Tapezierer Malerar-
beiten verrichten dürften. Meiner Meinung nach müßte man
die Stimmungen aufnehmen, daß verwandte Gewerbe in unter-
geordnetem Umfang in andere Gewerbe hineinarbeiten dürften.
In dem Entwurf vorgesehene Regelung, daß Marktfahrer nur
den kleineren Befähigungsnachweis brauchen, hält er für
unerklärlich. Nach seiner Auffassung, und ich teile diese,
kann es doch nicht davon abhängen, wo einer sein Gewerbe
ausübt, ob Marktfahrer oder als fester Standort. Die Markt-
fahrer bezeichnet er überhaupt als Zigeuner, in dem er nämlich
meinte, das ambulante Gewerbe wird jetzt einen besonderen
Zigeunerschutz bekommen. Dr. Koupa wies darauf hin, daß der
96 J, wo Arbeitsbeschränkung für Betriebe aufgehoben ge-
hört. Dieses Routiment bestimmt noch, daß an Werktagen bis
18.00 Uhr in Großhandelsbetrieben gearbeitet werden kann. Da
für die anderen Gewerbe keine Arbeitszeitbeschränkung im
Sinne von Schlußzeiten gegeben sind, erscheint es wirklich
sinnlos, für die Großhandelsbetriebe eine solche aufrecht
zu erhalten. Ein weiterer Wunsch sind die Ausverkaufsbe-
stimmungen, die derzeit durch Verordnung geregelt werden
ins Gesetz aufzunehmen. Mussil verlangte allen Ernstes, daß
der Dienstnehmerschutz beim Handelsministerium verbleiben


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sollte. Ich erklärte ihm sofort, ich hätte ihm bereits
im Vorjahr zu erkennen gegeben, daß die Bundesregierung
in der Kompetenzabgrenzung dem Sozialministerium alle
Dienstnehmerfragen übertragen wird. Da er im Grunde ge-
nommen auch gegen den speziellen Entwurf keine grundsätz-
lichen Einwände vorbringen kann, verlegte er sich auf die
gute alte Taktik und erklärte, die Bundeshandelskammer
müßte jetzt durch Vollversammlung durch entsprechende
Demonstrationen dem Handelsminister auf einen richtigen
Weg bringen und die beste Lösung. wäre, die Gewerbeordnung
an und für sich fallen zu lassen.und nicht weiter zu ver-
folgen. Da er dies aber nicht ernst sondern scheinbar nur
ein Rückzugsgefecht liefern will, habe ich ihm sofort an-
geboten er soll mich entsprechend informieren, wo diese
Demonstrationen stattfinden und wo die Versammlungen abge-
halten werden, damit ich mich einfinde, um den Empörten,
wie er sich ausdrückte, zum letzten Verzweiflungskampf ent-
schlossenen Gewerbetreibenden meine Absicht zu erklären.
Als Waldviertler Abgeordneter hat er von der Anfrage Melters
wegen dem Sterbegesetz erfahren und wollte die Antwort wissen.
Ich hatte ihm sofort die Anfragebeantwortung vorgelegt und
er war damit sehr einverstanden. Er fürchtete scheinbar das
Allerschlimmste.

Der Ministerrat ging glatt über die Bühne. Außer einer
ellenlangen Erklärung von Kreisky über die neue Vertrags-
bedienstetenschutzkommission gab es nichts besonderes zu
berichten.

Anschließend an den Ministerrat wurde die endgültige For-
mulierung des Kompetenzgesetzes besprochen. In der offenen
Frage mit dem Landwirtschaftsministerium über die Ein- und
Ausfuhr einigten wir uns letzten Endes, daß wir die land-
wirtschaftlichen Produkte zuzüglich der Waren, die in einem
Fonds geregelt sind im Landwirtschaftsministerium belassen,
ebenso die Weine. Weihs wollte dann noch die Fruchtsäfte
haben. Ich selbst exponierte mich gar nicht, aber die Re-
gierung, insbesondere Kreisky und Häuser meinten, dies sei


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doch ganz unmöglich. Ich flüsterte Weihs nur zu, daß
mir es die Arbeiterkammer nie verzeihen würde, wenn
ich ihm die Fruchtsäfte belassen würde. Anschließend
wurde Loebenstein gerufen, der die endgültige Formulierung
dieser Übereinkommen jetzt in Gesetzesform kleiden soll.
Dabei ergab sich wieder die schon bekannte Diskussion,
daß die Exportförderung bei keinem Ministerium expressis
verbis geplant ist, was aber in Wirklichkeit gar nichts
ausmacht, denn in der allgemeinen Wirtschafts- und Handels-
politik ressortiert sie bei mir und in den spezifischen
finanzpolitischen Gesichtspunkten, wie Kreditgewährung,
resp. Aufsicht über die Exportfinanzierungsabwicklung
beim Finanzminister. Unangenehmer ist nur, daß jetzt der
Tatbestand allgemeine Wirtschaftspolitik sowohl beim
Finanzminister, als auch bei mir aufgezählt ist. Androsch
meinte, daß sich auch daraus eine Kollision ergeben müßte,
weil er dies doch vom physikalischen Gesichtspunkt aus zu
behandeln hätte, währenddem ich doch mehr von der branchen-
mäßigen Seite die Probleme zu bearbeiten hätte. Diese Aus-
legung fand nicht einmal die Zustimmung von Kreisky. Ich
glaube deshalb, daß Wanke recht hat. Es werden sich im Laufe
der Jahre doch entsprechende Streitigkeiten herauskristalli-
sieren. Eine genauere Definition war aber trotz des wirk-
lich guten Willen aller Anwesenden nicht zu erreichen. Da
der Gesetzentwurf in die Begutachtung geht, wird es noch
Gelegenheiten geben, über Einzelheiten und Formelle Än-
derungen zu beraten.

Der Bürgermeister von Bad Gastein erklärte uns das große
Naßfeld–Fremdenverkehrsprojekt. Da die Save ein großes
Kraftwerksprojekt am Bockhartsee in Angriff nimmt, wird
eine Straße ins Naßfeld gebaut, das sich die Gemeinde
und die Save teilt. Der ÖVP-Bürgermeister von Gastein, Ing.
Kerschbaumer, ist ein sehr aktiver und agiler junger Mann.
Er erörterte uns seine Absicht den Heilstollen ent-


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sprechend auszubauen und führte uns natürlich in sein
Paradestück, nämlich das Felsenbad. Alle waren derart
begeistert, daß sie beschlossen, anstelle des Vortrages
im Rotary-Klub die Zeit zu nützen und bis 9.00 Uhr abends
baden zu gehen. Da bei dieser Rotary-Veranstaltung sehr
viele deutsche Gäste anwesend waren, versuchte ich natürlich
auch die Verhältnisse Österreichs zur BRD im Hinblick
auf die Konjunkturerwartungen näher zu erörtern. Der
Präsident war mit dieser Vorgangsweise sehr einverstanden
und ich glaube, daß mit dem wienerischen Schmäh das
Referat, das aber doch auf die wirtschaftliche Expansion
Österreichs auch den Bundesdeutschen vor Augen führte,
kam ganz gut an.

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Tagesprogramm, 23.3.1971

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Tagesordnung 46. Ministerratssitzung, 23.3.1971 (Kopie Entwurf 18.3.)

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hs. Notizen


Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
GND ID: 130620351


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: SChef HM
      GND ID: 12195126X


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
        GND ID: 102318379X


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: [unklar, entweder HM oder HK; Zusammenhang Gespräch mit Mussil und Christian 1971 zur Gewerbeordnung]


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: HK


            Einträge mit Erwähnung:


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Bundeskanzler
                GND ID: 118566512


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: MR HM


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: Leiter Sekt. III HM


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: Finanzminister
                        GND ID: 118503049


                        Einträge mit Erwähnung:
                          GND ID: 118996258


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: Bgm. Bad Gastein, ÖVP


                            Einträge mit Erwähnung:
                              Tätigkeit: FPÖ-NR-Abg.


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