Freitag, der 27. November 1970

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Die Nationalratssitzung mit der Tagesordnung Wahlrechtsreform wurde
fortgesetzt. Weikhart hat zwar prognostiziert, dass wir am Vortrag
zwar schon um 7 oder 8 Uhr fertig sein würden, in Wirklichkeit hatte
ich getippt, dass es mindestens 2 Tage dauern würde. Tatsächlich hatten
wir erst um 3 Uhr dann die namentliche Abstimmung über einzelne Para-
graphen des neuen Wahlgesetzes. Da Weikhart als Ordner sehr vorsichtig
ist, lässt er die Leute nur sehr ungern und vor allem nur ganz kurz-
fristig aus dem Haus hinaus. Er glaube, dass vormittags bereits die
Abstimmung sein könnte und deshalb musste ich die Eröffnung "Ernährung
71" im Messepalast sehr gedrängt vornehmen. Ich hatte – und das ist wie-
der der Vorteil, dass wir alle im Nationalrat versammelt sein müssen –
vorher mit Vizekanzler Häuser und Staatsekretär Wondrack gesprochen,
dass wir die Kennzeichnungsverordnung novellieren müssten. Häuser hat
sofort eingesehen, dass wir den Abverkauf für die nicht der Kennzeich-
nungsverordnung entsprechenden Waren sicherstellen müssen. Ich verkünde-
te diese Tatsache, ohne dass ich einen Terminplan bekanntgab und
habe grossen Anklang bei den dort ausstellenden Handelsfirmen gefunden.
Den Messerundgang musste ich dann abrupt unterbrechen, da ich ver-
ständigt wurde, sofort ins Parlament zu kommen, da die Abstimmungen
durchgeführt werden.

Dr. Burian, ein Genosse aus dem Verkehrsministerium, kam wegen der
Kompetenzfrage E-Wirtschaft zum HM. Er meinte, dass die Sektion
grosse Bedenken hat, im Handelsministerium eingegliedert zu werden,
da sie befürchten, dass der nächste Minister dann natürlich ein ÖVP-
Mann sein würde und sie es dann noch schwerer haben, als im Verkehrs-
ministerium. Er übergab mir auch einen Brief, wo die Genossen seiner-
zeit an Kreiyky festgelegt hatten, warum sie glauben, dass es besser
ist, wenn sie im Verkehrsministerium verbleiben. Ich versicherte ihm,
dass wir aus wirtschaftlichen und verwaltungseinheitlichen Gründen
die Wirtschaftskompetenzen in einem Ministerium zusammennehmen müs-
sen und dass wir uns selbstverständlich um die Belange unserer Ge-
nossen in den einzelnen Sektionen sehr annehmen werden. Ich hoffe,
dass es Heindl gelingen wird, mit Dr. Burian nicht nur Konakt aufzu-
nehmen sondern auch einen diesbezüglich zweckmässigen Eingliederungs-
plan zu besprechen. Burian meinte, dass wenn Fürst und Bauernfeind
noch wären, würde dies alles besser ausschauen, als derzeit wo die


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Sektion von ÖVPler Dr. Cech geleitet wird. Er sagte mit, dass
er Cech bereits beobachtet hätte, wie der den Stellenplan und
insbesondere das Verzeichnis der CV-Ler studiert hätte, damit sie
die entsprechende Personalpolitik dann auch in dieser Sektion machen
könnten. Burian sagt, die Sektion ist total überaltet und es gibt
in Wirklichkeit nur zwei jüngere Genossen, die dann volkommen abge-
schnitten werden würden.

Philip Schoeller, der neue Obmann das Sektion Industrie in der
Bundeskammer kam zu einem formellen Antrittbesuch. Bei dieser Ge-
legenheit konnte ich aber feststellen, dass er erstens ein sehr
guter Freund von Kottulinsky ist und sich zweitens bemühen wird,
die Spannungen, die jetzt zwischen der Industriellenvereinigung
und der Bundeskammer bestehen, weitestgehend zu beseitigen. Er
ist sich allerdings vollkommen klar, dass seine Hauptaufgabe
eben darin besteht, die Widerstände, die wahrscheinlich in den
Fachverbänden und dort insbesondere von den Funktionäre zu erwarten
sind, im Laufe der Jahre erst überwinden zu können. Da ich Schoeller
wirklich schon Jahrzehnte kenne und seine Aktivität und seine Agili-
tät schätze, konnten wir uns leicht über die zukünftige Arbeit eini-
gen. Er ist ungefähr 3 Monate jünger als ich.

NR Steininger erzählte mir, dass ein Fuhrwerksunternehmer bei ihm
war, um sich für seine Interveniton bezüglich der Beschaffung von
roten Karten zu bedanken. Er stellte nachher fest, dass dieser einen
wohlgefüllten Brief auf seinem Tisch liegen lassen wollte. Er verlangte
sofort, dass dieser Brief von ihm selbst geöffnet wird und stellte
fest, dass mindestens 15 Tausender drinnen waren. Er gab dem Mann
sofort den Brief zurück und erklärte, dass er nicht bereit sei,
Geld für diese Intervention anzunehmen. Steininger meinte, dass
scheinbar bei der ÖVP es üblich gewesen ist dass für jede Inter-
vention, die irgendein Abgeordneter erfolgreich für Unternehmen ge-
tätigt hatte, sofort entsprechende Spenden gegeben wurden. Ich habe
diese Entscheidung nicht nur sehr begrüsst, sondern hoffe auch,
dass sie weiterhin, wenn z.B. Wahlen kommen, Steininger auch dann
so entscheiden wird, denn ich glaube, die grosse Gefahr besteht bei
Wahlen, dass dann die Unternehmen sich irgendwie freikaufen wollen.
Wenn ein Unternehmer Wahlspenden geben will, ohne dass er dem Be-
treffenden davon Mitteilungen macht, dann kann er dies ja sowieso
tun. Die Gefahr ist ja nur, dass er eben Geld für einen ganz bestimmten


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Mann für einen ganz bestimmten Zwecke gibt und damit das Wohlwollen
von diesem Mann erkaufen will.

Spät abends sollte ich noch eine Mitgliederehrung in einer Sektion
durchführen und Weikhart liess mich wieder nicht das Haus verlassen.
Ich bin für meine Disziplin bekannt und habe mich daher natürlich
daran gehalten. Zu meiner grössten Überraschung musste ich dann fest-
stellen, dass Sekanina ebenfalls zu Auszeichnung von Metallarbeitern
in eine Ortsgruppe im Dritten Bezirk gefahren ist. Anschliessend an
diese Auszeichnung wurde sogar noch ein Essen gegeben und Sekanina
hatte zwar die Genehmigung nur bis 8 Uhr, also ganz kurz dort zu sein
und ist dann glaube ich überhaupt nicht mehr gekommen. Ich sehe also,
dass Weikhart hier mit zweierlei Mass misst, was mich eigentlich
nicht erschüttert und auch gar nicht verwundert. Ich glaube, dass die
Disziplin, die Selbstdisziplin das Entscheidende ist und Weikhart
halt dort, wo er auf Selbstdisziplin nicht rechnen kann, bereit sein
muss, Konzessionen zu machen.

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Tagesprogramm, 27.11.1970


Tätigkeit: Obmann Sekt. Ind. BHK


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    Tätigkeit: GF IV
    GND ID: 142815691


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      Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg.


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        Tätigkeit: MR, Büro des Bundesministers


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          Tätigkeit: Bundeskanzler
          GND ID: 118566512


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            Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


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                Tätigkeit: SC Energiesektion HM bis 1973


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                  Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
                  GND ID: 102318379X


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