Donnerstag, der 5. November 1970

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Ich informierte Min.Rat Böhm, den Personalreferenten, über die Aus-
sprache mit der Zentralvertretung der Belegschaft. Bei dieser Ge-
legenheit fragte ich ihn, wie weit seine Unterlagen gediehen sind,
um die Besetzung des Sektionschefspostens vornehmen zu können. Er
teilte mir mit, dass er bereits einige Male versucht hat, mit Sen-
Rat Jagoda in Kontakt zu kommen. Dieser sei aber erkrankt und bis
jetzt hätte er sich sich nicht mehr gemeldet. Heindl wird sich dieses
Falles viel genauer annehmen müssen. Die gleitende Arbeitszeit wurde
von Böhm ganz entschieden zurückgewiesen, da sie nach seiner Meinung
ungeheure Schwierigkeiten ergeben würde.

Die Diskussion in der Wiener Volkswirtschaftlichen Gesellschaft
wurde mit einen langen, eigentlich nichtssagenden Referat eingeleitet.
Mussil, Lachs und ich stürzten uns deshalb gleich auf die praktische
Seite des Problems des Lohns und des Preises. Die Diskussion war
nicht sehr ergiebig, brachte aber immerhin zustande, dass Mussil einige
Male andere konkrete Massnahmen, die die ÖVP setzte, verteidigen musste
die gesamtwirtschaftliche eigentlich nicht zu vertreten sind.

Der SPÖ-Parteivorstand hatte als ersten Punkt die Erhöhung des Mit-
gliedsbeitrages. Da die zentrale Partei unter ungeheurem Geldmangel
leidet, versuchte die Kontrollkommission, die einstimmig auch mit
allen Ländervertretern beschlossen hatte, dass der zentrale Anteils
erhöht werden musste, im Parteivorstand noch einmal diesen Vorschlag
durchzubringen. Hrdlitschka bemühte sich krampfhaft, den Nachweis zu
erbringen, dass eine Erhöhung des zentralen Anteiles unbedingt not-
wendig ist. Die Landesfürsten hatten aber bereits im Präsidium und er-
weiterten Präsidium mehrheitlich beschlossen, dass an dem Aufteilungs-
schlüssel 35 % Zentrale nicht geändert werden soll. Ich konnte nur
kurze Zeit dort bleiben, da ich Beirat versprochen hatte, zu
ihrer ersten Sitzung über Klein- und Mittelbetriebe zu kommen.

Die Arbeitsgruppe steht unter dem Vorsitz des Salzburger Handels-
kammerdirektor, der meiner Meinung nach sehr agil ist und sehr einen
guten Eindruck auf mich gemacht hat. Ich wollte zuerst nur eine kurze
Begrüssungsansprache halten und dann wieder in den Parteivorstand
zurückgehen. Ich war aber von der Diskussion und insbesondere von der
Verhandlungsführung derart beeindruckt, dass ich mir dies überlegte.



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Die Aufforderung, ob ich nicht ein paar Worte an den Arbeits-
ausschuss richten würde, lehnte ich deshalb ab und sagte, ich möchte
zuerst die Diskussion weiter verfolgen. Am Ende der Sitzung hielt ich
dann doch eine kurze Ansprache. Ich wies darauf hin, dass ich die Ar-
beit dieser Arbeitsgruppe ganz entscheidend dringend benötigen . Es be-
steht meines Wissen nach in meinem Ministerium kein Konzept für die
Klein- und Mittelbetriebe. Man hat bis jetzt nur vereinzelt in einigen
Punkten irgendwelche Massnahmen gesetzt oder oftmals nur Massnahmen ver-
sprochen, die man dann nicht einlösen konnte wie z.B. das Preisschleuderer
gesetz. Natürlich gibt es für mich auch keinen Zweifel, dass die Klein-
und Mittelbetriebe von Bedeutung sind. In Amerika ist das sogenannte
Smallbussiness noch immer gut im Rennen und wird wahrscheinlich in
Zukunft trotz aller Technisierung, Automatisierung und Konzentration
in der Industrie weiter bestehen bleiben. Im Osten, wo es
keine gewerblichen Betriebe gibt, sagte ich ich, sieht man wo die Volkswirtschaft
besonders auf dem Dienstleistungssektor hinkommt. Dies steckt aber nur
den Rahmen ab und gibt in Wirklichkeit kein Konzept. Ich glaube, dass
es auch tatsächlich für das Image des Ministeriums von meinem ganz
zu schweigen, wesentlich besser ist, wenn man sich ein bisschen Zeit
nimmt, bei Kongressen wie z.B. MMM oder Arbeitsgruppe wie z.B. dieser
für Klein- und Mittelbetriebe mindestens eine Stunde anwesend zu sein
und der Diskussion zu folgen, als man kommt nur hin, begrüsst und
rennt wieder weg.

In der Vorstandsitzung der Lebensmittelarbeiter beklagten sich einige
Kollegen, dass in immer stärkerem Masse die Unternehmer dazu über-
gehen, die Spitzenarbeiter zu Angestellten zu machen und jetzt selbst
sogar die LKW-Chauffeure zu Fahrverkäufern und damit in das Angestellten-
verhältnis übernehmen. Dadurch verliert unsere Organisation ständig an
Mitgliedern, darüber hinaus aber werden gerade die Spitzenkräfte, die
meistens auch Funktionäre sind, von unserer Gewerkschaft abfordert.
Ich weiss gegen diese Entwicklung keinen Rat, die Idee, die wir ge-
habt haben und auch verfolgen, die Differenz zwischen den Arbeitern und
Angestellten durch Anheben der Arbeiter sozialen Rechte auszugleichen.
ist in diesem Punkt nicht zielführend. Sie geht erstens einmal zu lang-
sam und zweitens bleibt das Sozialprestige auf alle Fälle natürlich
bestehen, dass der Angestellte heute mehr gilt als ein Arbeiter, auch
dann, wenn er im einzelnen Fall weniger bezahlt bekommt als ein gutbe-
zahlter Facharbeiter.



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Die preisdämpfenden Massnahmen wurden zwischen den Sozialpartnern
und dem Finanzminister und mir im Finanzministerium verhandelt. Die
Arbeiterkammer hatte einen grossen, umfangreichen Komplex zur Dis-
kussion gestellt. Der ÖGB ergänzte noch durch einige Lebensmittel.
Die Handelskammer hat eine verhältnismässig bescheidene Liste vorgelegt.
Ich hatte Mussil die Liste vormittags bereits übergeben, da ich
ihm versprochen hatte, sobald ich von der Arbeiterkammer Unterlagen
bekomme, diese ihm wirklich zur Verfügung zu stellen. Tommy Lachs
war dabei anwesend und deshalb war das Theater, welches Mussil nach-
mittags aufführte sehr lustig, aber nicht wirkungsvoll. Er sagte, er
hätte diese Liste noch nicht gekannt und müsste aus den Zeitungen aber
entnehmen, dass der Kurier bereits gemeldet hätte, dass mindestens
500 Mill. S Zollsenkungen hier eintreten würde, wenn die Zollsenkung- und
Ausgleichsteuerliste der Arbeiterkammer angenommen wird. Er fragte den
Finanzminister insbesondere, wo er die Bedeckung für diesen Ausfall
hernehmen würde, der hier im Budget 1971 entstehen müsste. Da die ÖVP
aber immer Massnahmen der Regierung verlangt und erklärt, es ist alles
viel zu wenig, wird er sich in der Argumentation sehr schwer tun. Ich
musste leider früher weggehen und wollte eigentlich noch einmal zur
Sitzung zurückkehren. Bei der Industriellenvereinigung aber wurde
ich dann verständigt, dass die Sitzung bereits zu Ende gegangen ist
und wahrscheinlich einzelne Unterausschüsse für Detailverhandlungen jetzt
beginnen werden.

In der Industriellenvereinigung feierte SHELL Österreich ihren 50-järhigen
Geburtstag. Da ich mit den Ölfirmen einen sehr guten Kontakt habe und
ihn auch benötige, so hatte ich – glaube ich, sehr gut getan – letzten
Endes dann nicht wieder wegzurennen (die Sitzung, wurde mir gerade als
ich aus der Industriellenvereinigung herausging mitgeteilt, sei schon
zu Ende) und ich konnte deshalb den Vortrag von Präs. Wagner noch mit-
anhören. Mayer-Gunthoff verlangte in seiner Begrüßungsansprache wieder,
daß die Regierung insbesondere die steuerliche Belastung für die Unter-
nehmer senken sollte, ansonsten würden weitere Töchter wahrscheinlich
schwer nach Österreich kommen. Ich ging selbstverständlich auf diese Argu-
mentation in meiner Rede ein und erwiderte, daß wir uns keinesfalls
nach dem Gesichtspunkt richten, es haben andere Mütter auch schöne
Töchter und wir brauchen diese nicht. Wir werden uns bemühen, jede
Tochter von jedem Unternehmen nach Österreich zu bringen. Ich glaube,
daß die Industriellenvereinigung wahrscheinlich mit der internationalen
Verflechtung der Wirtschaft in Zukunft gar nicht mehr so einverstanden


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sein wird, denn letzten Endes, kann ich immer wieder feststellen,
bedrängen die ausländischen Investoren die österreichen Firmen sehr
stark. Ich bin überzeugt, in kürzester Zeit wird sich-wahrscheinlich
die Bundeskammer oder die Industriellenvereinigung betreffend Neuan-
siedlung von ausländischen Firmen sehr zurückhalten. Ich verwendete
natürlich den guten Gag von Fritzl, daß ausländische Ölfirmen in
anderen Staaten oft schon Regierungen gestürzt haben, daß wir in
Österreich dies aber nicht befürchten. Ich wies aber natürlich darauf
hin, daß die Heizölkrise und die Ölversorgung manchmal sehr kritisch
ist, daß wir aber alles gemeinsam unternommen haben um diesem Problem
Herr zu werden und sprach der gesamten Ölwirtschaft meinen Dank in
dieser Beziehung aus. Da man bei einer Geburtstagsfeier sehr launig
sein kann, glaube ich, hatte ich wirklich die Lacher alle auf meiner
Seite und es wurde sehr viel gelacht.

Anschließend an diesen Vortrag und Empfang hatte ich natürlich Gelegen-
heit mit verschiedensten Herren der Industrie zu reden. Unter anderen
kam der Generaldirektor von Mobil und sagte mir, daß sie Kreisky
erklärt hätten, sie wären so glücklich, daß ich jetzt ihr Handels-
minister sei, denn mit mir könnten sie sehr gut zusammenarbeiten. Er
nahm an, daß mich Kreisky sowieso über diese Aussprache die der
Präsident der Mobil-Oil und er mit ihm gehabt hat informiert hätte.
Ich sagte sofort, daß dies erstens nicht notwendig sei, denn wir tun
halt alle unser bestes. Wichtiger aber war, daß letzten Endes, knapp
bevor ich wegging auch Schleifer mit mir reden wollte. Er wollte
mich unbedingt davon überzeugen, daß es zweckmäßig ist, einen Druck auf
die Leute auszuüben, damit sie der Gewerkschaft beitreten. Ich lehnte
dieses Ansinnen ganz entschieden ab. Er verwies, daß Proksch dies
seinerzeit im Sozialministerium mit gutem Erfolg getan hat. Er glaubt
es genüge vollkommen, wenn ich entsprechende Bemerkungen bei den
Sektionschefs und Ministerialräten machen würde, bei den Sektions-
räten könnte man sich dann schon alle Agitation ersparen, wenn erst
einmal die Sektionschefs und die Ministerialräte der Gewerkschaft
beigetreten sind. Wenn ich auch natürlich größtes Interesse daran
hätte, den Österreichischen Gewerkschaftsbund zu stärken, so glaube
ich, würde ich hier einen sehr großen Fehler machen. Erstens muß man
sich klar sein, daß die Mitglieder, die jetzt unter Druck kommen,
sicher dann wenn sie aus Angst zur Gewerkschaft beitreten umso stärker
die ÖAAB-Interessen dort vertreten werden. Da sie nur unter meinem
Druck zur Gewerkschaft gekommen sind, würden sie doch unter allen


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Umständen schon allein aus Wut, daß ein Sozialist sie in eine Organisation
preßt, entsprechend reagieren. Ich halte es aber aus politischen
Gründen für sehr zweckmäßig, wenn Heindl über diese Schleifer-Bemerkung
mit ihm unter Anwesenheit von ein paar anderen noch einmal zu sprechen
beginnt, um festzulegen, daß diese Idee von Schleifer ausgegangen ist
und ich in objektiver Führung des Ministeriums keinen solchen Druck
auf niemanden ausüben möchte.

Heindl hatte meine Frau zu einer Vorstellung von Muliar's Frau einge-
laden. Ich bin mir vollkommen klar, daß wir Muliar natürlich sehr
verpflichtet sind, da er einer der wenigen Schauspieler ist, der sich
politisch deklariert hat. Ich bin sehr glücklich, daß Heindl mich
aber von diesen Verpflichtungen entbunden hat und sich mit meiner
Frau begnügt. Ich hatte einige Zeit zum arbeiten und außerdem, als
sie um halb eins nach Hause kam, hab ich Gott sei Dank schon ganz fest
geschlafen.

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Tagesprogramm, 5.11.1970




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    Tätigkeit: Leiter Sekt. III HM


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      Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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          Tätigkeit: AK, ÖIAG
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            Tätigkeit: GD Fa. Shell 1972-77


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              Tätigkeit: Bundeskanzler
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                Tätigkeit: Personalvertretung HM


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                    Tätigkeit: MR HM


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                      Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


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                        Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
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