Dienstag, der 6. Oktober 1970

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Der österreichische Botschafter, Agstner, der wieder nach Israel
zurückfährt, besuchte mich, um einige Wünsche vorzutragen, er
will vor allem, dass in Tel Aviv bei der Messe die österr. Investi-
tionsgüterindustrie sich stärker beteiligt. Derzeit ist in der jetzt
jährlich stattfindenden Messe nur die Konsumgüterindustrie, Kapsch,
Philips und andere, einigermassen vertreten. Die Investitionsgüterindustrie
ist mit nur 1 oder 2 Maschinen anwesend und fällt sehr gegenüber Belgien,
Niederlande, Schweiz, Frankreich, Sowjetunion und Rumänien ab.
Am Vorabend hatte mir Salvik erzählt , dass der österreichische Han-
delsvertreter Dr. Schimpf in Tel Aviv einmal bei einer Besprechung mit
Salvik komische Meinungen über die Kibuzin geäussert hatte. Der Zufall
wollte es, dass heute Agstner auf das Problem des Handelsdelegierten
zu sprechen kam. Ich konnte deshalb sofort auf diese Begebenheit hin-
weisen und Agstner meinte, ich sei phantastisch informiert, er erklärte
mir allerdings, dass Schimpf dies hier nicht so gemeint hätte und in
Wirklichkeit nur in dem Sinne geredet hat, wie Mitterer, der bei einem
offiziellen Besuch gemeint hatte, diese Kibuzin hätten keine Zukunft
und seien Kollektiv-Organisationen, die mit der individuellen Freiheit
und der freien Wirtschaft der westlichen Welt nichts gemein hätten.
Schliesslich meinte Agstner, dass es gut wäre, in Tel Aviv eine
Österreich-Woche durchzuführen, die auch der Handelsdelegierte immer
wünscht. Bis jetzt ist dieses Projekt daran gescheitert, dass sich
Philip Schoeller, der meistens im Auftrag der Bundeskammer in den
Osten fährt, sich nur bei den arabischen Staaten bis jetzt hat sehen
lassen.

Generaldirektor Witzmann von der Porr AG wollte eine entsprechende
Unterstützung für seine Fremdenverkehrsprojekte. Die Porr AG hat seiner-
zeit das Parkhotel, das mit 96 % ausgelastet ist in Wien errichtet.
Auf dem unteren Hauptzollamt hat er die zwischen der Österreichischen
Bundesbahn und der Baufirma Weis und Freitag abgeschlossenen Vertrag
insofern jetzt in der Tasche, als er die Fa. Weis und Freitag erworben
hat. Er hat ihren Lagerplatz mit 16 Mio S abgelöst und kauft jetzt
stückweise die Firma auf. Damit hat er die Grundplatte für den Air
terminal, der dort errichtet werden soll. Er würde nun auf diesem
Gelände eine Dependance des Parkhotels errichten. Ich konnte ihm nur
mitteilen, dass er bei der ERP-Fremdenverkehrsaktion einreichen soll,
allerdings sind von den 150 Mill. S, die uns zur Verfügung stehen,


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schon ein sehr grosser Teil vergeben. Da er diese Hotels nicht
selbst betreibt, sondern dem Verkehrsbüro verpachtet, kann er ja
mit Millwischk der gleichzeitig in der ERP-Kommission bei mir
das grosse Wort führt, entsprechende Vorverhandlungen führen.
Im Bad Gastein will er drei Appartement-Häuser mit 96 Wohnungen
ca. 4.000 m2 Nutzfläche verbauen. Dort hat er, wie er selbst zugibt,
derzeit eine Fehlinvestition, weil er eine Parkgarage mit 25 Mill.
in den Felsen geschlagen hat, für 380 PKW, die derzeit nicht benützt
wird. Der Grund liegt darin, dass zwar die Gemeinde entsprechende
Halteverbote und Parkverbote in den Strassen erlassen hat, der
Gemeindewächter aber ein einziger, der zur Verfügung steht, um
5 Uhr seinen Dienst beendet und dann nicht mehr die Autofahrer
von den Parkverbotsflächen verscheucht.

Nach der Ministerratssitzung, die vollkommen problemlos verlief,
besuchte ich mit Heindl die Modeschmuck-Ausstellung von Muliars Sohn.
Dies sei für den jungen Juwelier, der sehr schöne Arbeiten leistet
und kein Verkaufslokal besitzt von grösster Bedeutung.

Bei der Sektionsleiterbesprechung schilderte ich zum ersten Mal die
Voraussetzungen, die ein Nachfolge von Sekt.Chef Habel mitbringen
müsste. Ich erklärte einleitend, dass ich dieses Problem vorher mit
Habel besprechen wollte, da er aber bis jetzt auf Urlaub ist und die
Zeit fortschreitet, muss ich dies ohne seine Anwesenheit und Vorbe-
sprechung tun. Min.Rat Gasser von der OB berichtete, dass er nun bei
Min.Rat Zorn im Finanzministerium den Antrag stellen wird, dass
50.000 t Heizöl leicht zollfrei eingeführt werden sollten. Vergan-
gene Woche am Donnerstag hat er noch eine Presseaussendung veran-
lasst, dass kein wie immer geartete rechtliche Voraussetzung gegeben
ist, Heizöl leicht zollfrei zu importieren. Mein Hinweis, dass dies
das Ansehen der Obersten Bergbehörde natürlich auch das des Mini-
sters ganz entschieden negativ beeinflusst, beantwortete er mit
einem einzige Satz, die ÖMV hat das eben am Donnerstag eben noch
abgelehnt und heute stimmt sie einer solchen Einfuhr zu. Ihm
kam gar nicht zum Bewusstsein, dass das Ministerium natürlich im
engsten Einvernehmen mit den Wirtschaftsstellen und Firmen handeln
soll, aber deswegen doch seine eigene Politik machen muss und nicht
einmal hütt und einmal hott sagen kann. Die Aufgabe der OB wäre
doch, die entsprechenden vorausschauenden Planungen durchzuführen
und wenn ein Bedarf für Öl vorhanden ist, der vom Inland nicht ge-
deckt werden kann, durch Importe abzudecken. Ich habe zu diesem


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Zweck jetzt neuerdings verlangt, ähnlich wie das beim Weissbuch für
Koks geschehen, dass die Heizöl-Situation laufend berichtigt und
genau dargestellt werden muss.

Die Sektionen hatten auf meine Forderung die entsprechenden Gesetze
und Verordnungen mir mitzuteilen, die in nächsten Zeit im Parlament
eingebracht werden müssen, sehr negativ meistens mit Leermeldungen
geantwortet. Ich stellte deshalb neuerdings klar, warum eine solche
Anmeldung erfolgen muss, weil nämlich das Parlamentspräsidium einen
Fahrplan bezüglich der Session aufstellt und nachher eine Korrektur
nur sehr schwer zu erreichen ist. Bei dieser Gelegenheit stellte ich
fest, dass es scheinbar Habel nicht geglückt ist, die KFZ-Novelle,
die Steinhart ausarbeitet und die Schu1wegsicherungsgesetz Min.Rat
Kammerhofer, zeitgerecht fertigzukriegen. Wohlgemuth sagte mir, dass
Habel dies angeblich verlangt hätte, aber die Min.Räte insbesondere
Steinhart, erklärten , dies sei ganz unmöglich, Ich vereinbarte
sofort eine Besprechung mit Wohlgemuth, Steinhart und Kammerhofer
und setzte ihnen auseinander, das sie jetzt unverzüglichst diese Arbeit
zu beenden hätten. Insbesondere Steinhart erzählte mir des langen
und breiten, warum alles unmöglich sei, er hätte durch die KFZ-Durch-
führungsverordnung hunderte Seiten in der Begutachtung bekommen und
müsste dies jetzt einmal bearbeiten, dann könnte er erst herauskristalli-
sieren, welche zusätzliche Gesetzesnovelle noch notwendig sei, dann
müsste er mit den entsprechenden Stellen erst Verhandlungen führen und
dies könnte im Laufe dieser Session nicht mehr möglich sein. Auf
meinen Hinweis, dass der Verfassungsgerichtshof ihm ja die VO-Ermächti-
gung im Kraftfahrgesetz bezüglich der Gebühren der KFZ-Überprüfungen
aufgehoben hatte, antwortete er ausweichend. Ich stellte deshalb ultimativ
die Forderung, dass der Kraftfahrzeugbeirat, der noch einberufen werden
müsste, dies mit Ende des Oktobers zu erfolgen hat, sodass ich mit der
ersten Sitzung im November im Ministerrat die KFZ.Gesetznovelle mit
der aufgehobenen Bestimmung des Verfassungsgerichtshofes einbringen
werde. Dieser Termin ist an und für sich sowieso schon sehr sehr spät,
weil kaum anzunehmen ist, dass das Parlament hier so schnell die Ge-
setzesnovelle bearbeiten und auch im Bundesrat verabschieden wird.
Nötigenfalls könnten wir halt auf Grund der erst mit März nächsten
Jahres aufgehobenen Gesetzesbestimmung eine neue VO kurzfristig er-
lassen, um einen verordnungslosen gebührenfreien Zeitraum zu überbrücken


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Ich hatte bisher angenommen, dass die Bürokratie, zumindestens
wenn der Verfassungsgerichtshof oder der Verwaltungsgerichtshof-
Entscheid gezwungen ist, entsprechende Arbeit zu leisten, dann
diese Termine dann garantiert einhalten würde. Zu meiner grössten
Verwunderung hat nicht einmal eine Fallfrist für die Bürokratie
einen Ansporn, nämlich zeitgerecht die entsprechenden Gesetze
im Nationalrat einzubringen.

Dr. Büchlmann von der TAL kam, um über die Pipeline-Frage Auskunft
einzuholen. Seiner Meinung nach würde das Pipeline-Gesetze eine
Enteignung der TAL/Pipeline ermöglichen und ich beruhigte ihn und
seine Gesellschafter, dass sie mit einer solchen Massnahme nicht
zu rechnen hätte und im Gesetz auch gar nicht vorgesehen werden
Würde. Ich versprach ihm, was ich bereits den Ölfirmen mitgeteilt
hatte, dass ich unter allen Umständen, bevor ich dieses Gesetz
im Ministerrat einbringen würde, in einer Enquete noch mit den dafür
zuständigen Stellen eine Besprechung abhalten werden.

Präsident Szabadits, der Vorsitzende des Österr. Patent- und Marken-
schutzsenates, machte seine Antrittsvisite, da er und sämtliche Senat-
smitglieder von mir neuerdings auf 5 Jahre bestellt wurden. Mit
1. Oktober 1965 – wie er mir mitteilte – wurde der Patentgerichts-
hof leider aufgelöst. Auf Grund des Art. 94 der Bundesverfassung musste
eine strenge Trennung zwischen Justiz und Verwaltung durchgeführt
werden und der Patentgerichtshof wurde als eine Art Verwaltungsstelle
deklariert, wodurch er eben zu einem Senat umgewandelt wurde. Als
äusseres Zeichen des Verfalls, sagte mit Sazbadits, dass z.B. früher
die Anwälte sich immer beim Präsidenten des Gerichtshofes vorstellten
und auch vor dem Prozess bei ihm seine Aufwartung machten, während
sie jetzt, seitdem er nur mehr als Senatspräsident fungiert, ein
einziges Mal bei ihm noch vorgesprochen hatten oder ihm ihre Aufwartung
gemacht hatten.

Die Fraktion im E+E-Fonds hatte ich eingeladen, um die endgültige
Marschroute festzulegen. Der E+E-Fonds hat sich bis jetzt nur sehr
unbefriedigend entwickelt, insgesamt von den 2 Mia Haftung, die er
aussprechen kann, hat er maximal 20 % bis jetzt vergeben. Die Banken
hätten ein Gentlemen-Agreement abgeschlossen, den E+E-Fonds zu
schneiden, um günstigere Bedingungen zu erreichen. Sie wollen eine
100 %-ige Bundeshaftung und ausserdem an Stelle der Ausfallshaftung
das Eintreten als Bürge und Zahler. Die Investitionsbank ist aus


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diesem Arrangement ausgesprungen. Bei der beabsichtigten Presse-
konferenz über die Sanierung der Bürges-Aktion werden wir
über die Entwicklung des E+E-Fonds ebenfalls berichten und ent-
sprechende Propaganda machen.

Sekt.Rat Marhold und Amtsrat Schütz kamen, um die finanzielle
Situation zu besprechen. Sie glauben, dass es nicht möglich sein
wird, die im Budget vorgesehenen Mittel, die durch das Budget-
überschreitungsgesetz noch um 50 Mio aufgestockt werden, auch
tatsächlich heuer vergeben zu können. Wir haben deshalb einen
Plan festgelegt, wie und in welchem Umfang in den nächsten Wochen
die einzelnen Abteilungen zweckmässige Ausgaben vorbereiten, die
bei Genehmigung, dass das Budgetüberschreitungsgesetz mit Ende
des Jahres sofort in Angriff genommen werden können.

Bei einer Ausschuss-Sitzung im 3. Bezirk wurde das Problem der
Angelobung der neuen Abgeordneten zur Debatte gestellt und Wald-
brunner
erklärte, warum er seinerzeit sich dagegen ausgesprochen
hat, dass die Funktionen der Nationalräte erlöschen. Seiner Meinung
nach hat das ganze Verfahren gezeigt, wie der Verfassungsgerichtshof
– wie er sich ausdrückte – verantwortungslos und leichtfertig einen
Entscheid getroffen hatte und damit die gesamte parlamentarische
Demokratie in eine schwere Krise hätte stürzen können. Gesetzlich
waren überhaupt keine Vorkehrungen getroffen, unsere Verfassung
Geschäftsordnung des Nationalrates das Wahlgesetz beinhaltet keine
einzige Bestimmung über eine Nachwahl und es ergibt sich jetzt immer
wieder die Frage, ob der Nationalrat überhaupt noch verhandlungsfähig
gewesen ist. Manche Juristen behaupten, dass nur der mit 165 Abgeord-
neten bestückte Nationalrat handlungsfähig ist. Dies würde bedeuten,
dass bei einer Situation, wo z.B. ein Grossteil der Abgeordneten
durch höhere Gewalt oder sonstige Umstände nicht einsatzfähig ist,
dann der Nationalrat keine Beschlüsse fassen könnte. Dies wäre eine
grosse Gefahr für die Zukunft und deshalb lehnt die SPÖ eine solche
Auslegung auf das entschiedendste ab.

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Tagesprogramm, 6.10.1970

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Tagesordnung 24. Ministerratssitzung, 6.10.1970

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Tätigkeit: Beamter [Amtsdirektor HM; 1971 von JS als B-Beamter bezeichnet, der das Budget im Einzelnen ausarbeitet und im Detail kennt]


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Obmann Sekt. Ind. BHK


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
      GND ID: 102318379X


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Handelsminister, ÖVP, Präs. HK Wien


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: MR HM
          GND ID: 1035518031


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: MR HM, Leiter OB


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: VM (Ministerienneuorganisation 1974)


              Einträge mit Erwähnung:
                GND ID: 114650888


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Wr. Bgm. bis 1973
                  GND ID: 107489872


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: VM (Ministerienneuorganisation 1974)


                    Einträge mit Erwähnung: