Freitag, der 2. Oktober 1970

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Freitag, 2. Oktober 1970

Da die Besprechungen bei Bundesrat Brugger erst um 11 Uhr begannen,
ersuchte ich sowohl den Sekt.Chef Reiterer als auch den Botschafter
Marquet, dass wir nach dem Frühstück, welches für 8.00 Uhr von mir
festgesetzt war, eine entsprechende Vorbesprechung führen würden.
Bei dieser Vorbesprechung stellte sich heraus, dass Marquet doch in
den Details viel besser informiert ist oder zumindestens er imstande
ist, diese Details auch entsprechend formuliert, mir sofort ver-
ständlich zu machen. Der Unterschied zwischen dem früheren Absichten
Österreichs bei der EWG, welche übrigens besonders auch von den Schwei-
zern nachher herausgestrichen wurde, ist folgender: Auf Grund des Römer Vertrages versuchte die Schweiz 1961 bei den Eröffnungsgesprächen
eine Lösung unter Neutralitätsvorbehalt so wie Österreich zu er-
halten. Die 5 Neutralitätsvorbehalte waren: 1. In Kriegszeiten oder
bei Kriegsgefahr oder selbst auch bei Krisenzeiten musste die Mög-
lichkeit bestehen, den Vertrag zu suspendieren. 2. Die Handelsfreiheit
der Trade Making Power musste gewahrt werden. 3. Eine Kündigung des
Vertrages musste vorgesehen werden. 4. Die Institutionen dürften
nicht so aufgebaut sein, dass Österreich oder die Schweiz überstimmt;
werden konnten. 5. Bezüglich der Harmonisierung wurde allgemein fest.
gehalten, dass dies nur so weit erfolgen dürfte, wenn sie nicht im
Widerspruch zur Neutralität steht und im besonderen z.B. bei Zöllen
wurde verlangt, dass Z.B. eine politische Zollpolitik gegen den
anderen Staat ausgenommen sein müsste. Nach Meinung von Marquet war
sogar ein Punkt, nicht expressis verbis aber doch angedeutet worden,
dass nämlich kriegswichtige Industrien geschützt werden müssten.
Stand die Schweiz und Österreich will sich dieser Idee ebenfalls an-
schliessen auf dem Standpunkt, dass die Neutralität als ganz neuer
Faktor bei den beginnenden Verhandungen bereits als Grundlage jed-
weden
Gespräches genommen werden soll und so ist sie deshalb an die Spitze aller
Ausführungen zu stellen Es wird deshalb nicht mehr eine Sonder-
lösung im Verhältnis zu dem Römer Vertrag, der letzten Endes übernom-
men werden soll, sondern es eben ein ganz eigener Vertrag sui
generis mit den Neutralen abzuschliessen sein. Die Neutralen sind ja
durch den Beschluss der EWG-Kommission als solche bereits anerkannt
und es wurde weiters bei der Haager Ministerratssitzung festge-
legt, dass eben für die Nichtbeitrittsfähigen und -willigen Staaten
eine Lösung gefunden werden müsste. Aus diesem Grund hofft die Schweiz


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dass sie sowohl für die Landwirtschaft und Forstwirtschaftsfragen
als auch für das Niederlassungsrecht, das bereits in den Römer-Verträgen
vorgesehen ist, entsprechende Sonderregelungen kriegen wird. Für die
zweite Generation, d.h. für die Probleme, die im Römer-Vertrag noch
gar nicht im einzelnen geregelt sind oder zumindest mit Österreich und
der Schweiz zu einem viel späteren Zeitpunkt verhandelt werden sollte,
ist die Harmonisierung die Industriepolitik besonders bezüglich Patent
bezüglich des europäischen Gesellschaftsrechtes bezüglich der Techno-
logie, weiters die Währungsfragen, die Forschungsfragen, die Konjunktur
politik und die Verkehrspolitik noch vollkommen offen. Ausgenommen nach
Schweizer Auffassung müsste die Strukturpolitik, die Steuerpolitik
und die Arbeitsmarktpolitik werden. Ein weiteres Problem ergibt sich
für die Schweiz und auch für Österreich bezüglich der Zuerkennung
gegenüber Osten auf Grund der uneingeschränkten Meistbegünstigungen.
Sowohl die Schweiz als auch Österreich hatten diese der Sowjetunion
zugestanden. Die Schweiz bereits auf Grund des Vertrages von 1948
Österreich 1956. Marquet meint, dass es aber eine Möglichkeit gibt,
über dieses Problem zumindest auf österreichischer Seite leichter hin-
wegzukommen. Bei den Verhandlungen mit der Sowjetunion hat Marquet
mündlich festgehalten, dass die Freihandelszone oder eine Zollunion
wie bei GATT auszunehmen sei und der damalige Verhandlungsleiter hatte
dem nicht widersprochen. Ausserdem hätte deshalb Marquet damals
in dem Vertrag, der an den Nationalrat gegangen ist, in den Erläuternden
Bemerkungen einen diesbezüglichen Vermerk gemacht. Jetzt wird immer
wieder, wenn die Sowjetunion auf diesen Tatbestand zurückkommt, auf
diese Erläuternden Bemerkungen verwiesen, die allerdings von der
Sowjetunion nicht anerkannt wird, da eine schriftliche Vereinbarung
darüber nicht existiert. Ein weiterer Punkt bei der Vorbesprechung
bildete die industriell-technische Zusammenarbeit mit der Schweiz.
In der Schweiz selbst ist Walkard, der Generalsekretär des Schweizeri-
schen Departements damit betraut und er hätte auch im Budget nach
Auffassung von Dr. Scheuch 80 Millionen Sfrs. zur Verfügung. Ein weiterer
Punkt sei die Patentproblematik, die von der Schweiz jetzt ganz gross
in Angriff genommen wird. Weiters hielten wir bei der Vorbesprechung
fest, dass die bilateralen Besprechungen über eine Entwicklungshilfe
Rahmenabkommen wo gemeinsame Projekte z.B. in Angriff genommen werden
sollten, leider nicht viel weiter kommen. In unserem Budget sind
keine zusätzlichen Mitteln vorgesehen, sodass die paar Millionen für


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Fortsetzungsprojekte verwendet werden müssen. Wir kamen allerdings
überein, dass wenn wir angesprochen werden, bezüglich des Geologen,
der für ein Projekt in Uganda verwendet werden sollte, doch positiv
dazu stellungnehmen wollen. Alle diese Punkte kamen aber bei der
Aussprache gar nicht zur Debatte. Reiterer musste eine Stunde vorher
die Vorbesprechung verlassen, da er mit Jolles über eine Abschöpfungs-
frage bei Schokolade diskutierte. Die Schweizer sollen, dass der
Anteil für Trockenmilch, der bis zu 20 % betragen kann, nicht mehr
geschöpft werden soll, weil nämlich die Schweizer Trockenmilch teurer
ist als die österreichische. Als ich diesbezügliche Fragen über die
Preise stellte, konnte sie mir Reiterer im Detail nicht beantworten,
es entspricht seinem Arbeitsstil, dass er scheinbar in Verhandlungen
mit den Schweizern geht, wenn er ihnen aber positiv den Antrag erledigt
über Details gar nicht mehr mit ihnen debattiert. Bei Zucker teilte
er mir mit, dass die Schweiz keine Wünsche diesbezüglich hätten,
denn es wäre der Zuckerpreis bei uns mit S 6.50 um 3.- 3 höher als
in der Schweiz. Der Anteil sei 27 bis 60 %, allerdings Gewichtsprozent
und er erinnerte sich, dass er seinerzeit von den Industrie-Vertretern
Dr. Patacky vom Fachverband der Nahrungs- und Genussmittelindustrie
hineingelegt wurde, weil er damals angenommen hatte, es handle sich
um sogenannte Wertprozente (Schillingprozente).

Die Verhandlungen waren glaube ich ganz erfolgreich, denn ich konnte
erstens Brugger versichern, dass die österreichische Bundesregierung
Kreisky und Kirchschläger hatten ihm das ja schon bestätigt und ich
war ja gerade zu diesem Zweck zu ihm gekommen, mit der Schweiz in
jeder Beziehung als neutrales und gut nachbarliches Land die ersten
Kontakte wollen und bezüglich der EWG vollkommen vorzugehen. Jolles
erklärte noch im besonderen, warum sie nicht imstande sind, mit der
Landwirtschaft auch nur im entferntesten ein Arrangement mit der EWG
anzustreben. Ihr Preisniveau liegt um 30 % höher und die Schweiz
würde einen entsprechenden Einkommensverlust für die Landwirtschaft
herausbekommen. Aus neutralitätspolitischen Gründen müssten sie die
50 %ige Selbstversorgungsquote gegenüber Österreich, wo 82 % sind.
Sie wollen deshalb für die Landwirtschaft eine pragmatische Regelung
und keinesfalss die Agrarmarktordnung übernehmen. Auch Österreich
meinten sie, müsste sich entscheiden, ob dieses Endziel die Über-
nahme der Agrarmarktordnung, die nebenbei bemerkt die ÖVP-Regierung
scheinbar angestrebt hatte, tatsächlich aufrechterhalten bleibt.



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Marquet sagte sofort, dass wir nur eine Regelung anstreben werden,
die uns bei der Referenzpreiserstellung mehr entgegenkommt. Derzeit ist
der Viehreferenzpreis zum grössten Teil auf die Preise von Irland und
Dänemark aufgebaut und der Österreich-Anteil beträgt an diesem Referenz-
preis nur 15 %. Die andere Situation der EWG gegenüber der Schweiz im
Verhältnis zu Österreich ergibt sich daraus, dass die Schweiz wesentliche
Futtermittelimporte aus der EWG hat. Diese Futtermittel werden von der EWG
sehr stark subventioniert und Weidenauer meint, man könnte sich hier
vorstellen, dass eine gewisse Entlastung des Agrarfonds erfolgt, dass
diese Subventionen nicht mehr in die Schweiz notwendig werden. Export-
seitig hätte die Schweiz nur ein Interesse, Emmentaler in die EWG
zu liefern und dies könnte mit einem vernünftigen Mindestpreis und
einem Zoll von derzeit 5 % leicht überwunden werden. Bezüglich der
weiteren Vorgangsweise meinten die Vertreter der Schweiz, es sei frag-
lich, ob es zweckmässig ist, jetzt in der EFTA noch grosse gemeinsame

Wege zu besprechen, denn die Koordination mit Grossbritannien wird immer
schwieriger, Marquet erinnerte Jolles an die letzte Tagung, wo es ihm
nur mit äusserster Anstrengung geglückt ist, die Engländer zu einer Koor-
dinationsklausel zu bringen, die von diesen immer bekämpft wird und be-
kämpft wurde. Der Vorschlag, Dänemark Arbeitsgruppen einzusetzen, soll
deshalb nicht mehr forciert werden.

Bezüglich Osthandels haben sie seit 1948 einen Vertrag, der uneinge-
schränkt die Meistbegünstigung vorsieht, freie Devisenbezahlung und
Errichtung einer Handelsvertretung in Bern. Sie haben deshalb, wie
Weidenauer glaubt, den Russen nichts mehr zu bieten, und Patolitschew,
der bereits 1969 eingeladen wurde, hat bisher nicht eine konkrete
Zusage seines Kommens gemacht. Es gibt derzeit nur einen Rahmen-
-Uhren-Vertrag, der im Juni 1970 abgeschlossen wurde und der die Technik,
das know how vorsieht, dass die Russen erwerben können. Aber gleich-
zeitig sollten entsprechende Markenbestimmungen und vor allem eine
Handelsmöglichkeit in Fertigprodukten eröffnen. Der Vertrag ist aber noch
nicht sehr wirksam geworden. Mit den anderen Oststaaten gibt es entsprechende
bilaterale Abkommen, welches allerdings mit Jugoslawien in der
Zwischenzeit aufgehoben wurde und mit Polen soll dies in der nächsten
Zeit geschehen. Für die anderen Staaten aber gibt es noch ein spezielles
Textil-Clearing-Abkommen, insbesondere mit der CSSR, Polen und Ungarn.



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Betreffend DDR wurden von ihnen Verhandlungen jetzt geführt. Wie
mir Kirchschläger allerdings mitteilte, hatten sie dies ihm nicht
mitgeteilt, sondern er selbst hatte über seine Freunde im Ausland
erfahren, dass sie solche Verhandlungen in Kommissionen bereits in
Angriff genommen hatten. Das Problem der Schweizer ist, dass sie einer-
seits nicht im Kielwasser der BRD schwimmen wollen andererseits natürlich
mit der DDR nicht in zu engen Kontakt kommen wollen. Sie sagen,
dass wir in Österreich besser dran sind, weil wir auf Handelskammer-
ebene einen Vertrag, haben, währenddem die DDR mit ihnen jetzt nur
mehr über eine offizielle Handelsvertretung plus einem konsularischen
Agendenvertrag verhandeln wollen. Die 1 1/2 Stunden Arbeitssitzung
waren verhältnismässig sehr bald um und ich konnte zum Abschluss
und beim Essen nur neuerdings Brugger versichern, dass wir nicht
mehr in Zukunft als unsichere Kantonisten gelten wollen. Wir verein
barten, dass die Informationen sehr intensiv sein sollten und in jeder
Phase erfolgen müssten. Dies trifft zu besonders für die Verhand-
lungen mit der EWG nach den Eröffnungsgesprächen, da anzunehmen ist,
dass die Europäische Gemeinschaftsverhandler, jede Detail
einem Land getrennt führen und das zweite Land dann entsprechend
ausgespielt werden kann, wenn nicht die Information lückenlos
erfolgt. Ich glaube, dass die Schweizer Vertreter aus der bisherigen
Art unserer Information sehr befriedigt sind und sagten zu, dass sie
in Zukunft an dieser festhalten wollen.

Bei der Heimreise mussten wir in Zürich-Kloten über 3 Stunden warten
und letzten Endes wurde ich noch – so wie alle anderen Passagiere –
ganz genau einer Leibesvisitation unterzogen.

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Schmähbrief an Staribacher (Crank file): hs. Notiz "0 Veranlassung"

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Schmähbrief an Staribacher (Crank file)

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Schmähbrief an Staribacher (Crank file): Umschlag Adressat

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Schmähbrief an Staribacher (Crank file): Umschlag Absender


Tätigkeit: Schweizer BR f. Wirtsch.


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Schweizer Diplomat


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Botschafter, Onkel v. Louis Marquet; evtl. Falschidentifikation


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Bundeskanzler
        GND ID: 118566512


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
          GND ID: 118723189


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: sowj. Außenhandelsminister


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Sektionschef HM, Diplomat, Verteter bei der EG


              Einträge mit Erwähnung: