Sonntag, der 6. September 1970

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Die Messe-Eröffnung gab mir Gelegenheit einige Gedanken des
Ministeriums beim Publikum auszubreiten, das hauptsächlich
aus Wirtschaftsleuten bestand. Ich versuchte insbesondere die
Angriffe, die in letzter Zeit gegen das Konsumentenforum aber ins-
besondere gegen den Aussenhandelsrat gestartet wurden von Seiten
Mussils – ohne seinen Namen zu nennen - als ein Missverständnis hin-
zustellen. Es war zweifelsohne eine hochpolitische Rede, von der
allerdings nicht weiss, wie sie noch ankommen wird. Die
Industrie1lenvereinigungsvertreter, Mayer-Gunthof, sagte mir,
allerdings anschliessend, er sei mit allem einverstanden, nur bezüglich
der Arbeitskräfte müsste etwas geschehen. Ich hatte von Häuser er-
fahren, dass sowieso jetzt zwischen Gewerkschaftsbund und Unternehmer-
vertreter auf Interessensvertretungsbasis die Verhandhngen über
ein Fremdarbeiter- ich würde eher sagen, Gastarbeitergesetz aufge-
nommen werden. Ich hatte über diese Rede sehr lange nachgedacht und
sie einige Male durchexerziert. Trotzdem glaube ich, ich werde
mich dazu durchringen müssen, so kurze Ansprachen - ich wollte nicht
länger als maximal 15 Minuten reden -ich glaube es war sogar kürzer,
kann man nicht frei sprechen, sondern muss sich dazu entschliessen,
(wortwörtlich) herunterzulesen.

Bei dem anschliessenden Messerundgang benützte ich die Gelegenheit,
um Sallinger erstens darauf aufmerksam zu machen, dass harte An-
griffe gegen die Bundeskammer auf dem Weinsektor derzeit in der Presse
zu finden sind. Nach unseren Exportziffern hätten nur 22.000 hl Wein
nach Westdeutschland geliefert werden können, während nach der deut-
schen Statistik 115.000 hl Wein aus Österreich geliefert wurden. Da
die Statistiken nicht angezweifelt werden, so muss es sich hier um
verschnittene Weine handeln, die mit österreichischen Ursprungszeug-
nissen nach Deutschland geliefert werden. Laut Ursprungszeugnis –
regelung dürfte 1/3 ausländischer Weine zu österreichischen Weinen
geschnitten werden und es sind noch immer österreichische Weine.
Dies erklärt allerdings nicht diese grosse Diskrepanz zwischen
22.000 und 115.000 hl. Sallinger sagte mir zu, er werde unverzüglich
diese Frage prüfen lassen, fragte auch dann im Handelskammerpavillon


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den Kammeramtsdirektor von Wien, Dr. Zöllner, von dem er keine
gute Meinung hat, und bekam auch tatsächlich keine befriedigende
Antwort. Zöllner erwiderte nur, ja ja, das kann schon möglich sein,
aber das ist nicht wahr und war nicht bereit, Anfangs überhaupt
sich dagegen zur Wehr zu setzen. Sallinger hat ihm allerdings dann
Füsse gemacht und ich bin neugierig, nachdem ja nicht nur Wien
sondern alle Landeskammern Ursprungszeugnisse ausstellen können,
ob die Bundeskammer mir tatsächlich einen umfassenden Bericht zur
Verfügung stellen wird.

Der Handelskammerpavillon von Wien ist neu gestaltet, d.h. es wurden
jetzt in viel stärkerem Masse moderne Ausstellungsideen, wie wir
sie in der Arbeiterkammer seit Jahren verfolgt haben, aufgenommen.
Bei dem anschliessenden Gulasch-Frühstück kam ich neben Sallinger
zu sitzen, um mit ihm doch einige politische Gesichtspunkte der
letzten Zeit zu erörtern. Moser sass neben uns und ich glaube auch
er wurde von Sallinger in einigen Fragen mit Wünschen der Handels-
kammer befasst. U.a. wünschte Sallinger, dass endlich einmal die
Strengbergsache liquidiert wird, d.h. dass die Firmen ihre ausstän-
digen Gelder bekommen, da bis jetzt kein Minister diese Liquidation
durchgeführt hat. Moser sage, er beabsichtige, tatsächlich jetzt
die Beträge endlich zur Auszahlung zu bringen. Allerdings muss er
noch ein Forum schaffen, um sich gegen die Angriffe, die er sonst
von Seiten des Rechnungshofes erwarten müsste, abzudecken und vor
allem auch gegebenenfalls Angriffe des politischen Gegners abwehren
zu können. Sallinger sagte sofort zu, er würde innerhalb seiner
Partei die diesbezügliche Deckung übernehmen, was uns allerdings
nur veranlasste, darauf hinzuweisen, dass den ÖAAB doch in Wirklich-
keit kein Mensch mehr kontrollieren kann. Bei dieser Gelegenheit
meinte Sallinger, er hätte aber bewiesen, dass in der letzten Zeit
er mit seinen ldeen sehr wohl durchkomme, siehe z.B. die Bestellung
vom Klubobmann, obwohl der ÖAAB mit grossen Reden und Festlegungen.
sei es von Maleta persönlich oder von Beschlüssen dieses Gremiums
die Sache präjudizieren will. Auf alle Fälle geht der Streit inner-
halb der ÖVP über diese Frage ganz schön weiter.

Die Eröffnung der Landwirtschaftsschau hatte der Landwirtschafts-
minister nicht vornehmen können, da er sich in Tirol befindet und
er hat dazu Sekt. Chef Schratt beauftragt.Dies nützte der Präsident


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der Landwirtschaftskammer Bierbaum dazu, um einerseits sein grosses
Bedauern darüber zum Ausdruck zu bringen und andererseits in seiner
Rede einige wirklich unsachliche Passagen aufzunehmen. Androsch neben
mir meinte, dies sollte sich einmal ein Gewerkschaftsbundpräsident
oder Arbeiterkammerpräsident erlauben. Ich persönlich habe diesen
Angriff nicht als so krass empfunden, allerdings hat die Rede sehr
viel Unsachlichkeit auch beinhaltet. Z.B. hat Bierbaum behauptet,
wenn wir heuer nicht genügend Brotgetreide ernten können und wir Ge-
treide importieren, dass dann dem Staat daraus grosse finanzielle
Belastungen erwachsen. Genau das Gegenteil ist richtig, da bekanntlicher-
weise Brotgetreide wesentlich billiger aus dem Ausland importiert
werden kann. Ich ventilierte die Idee – und Androsch war davon nicht
begeistert – gegebenenfalls zu erklären, dass mich der Landwirtsehaftsm-
inister Weihs beauftragt hatte, die Eröffnung vorzunehmen und ent-
sprechend sofort auf Bierbaum Referat aus dem Stegreif zu reagieren.
Sowohl Androsch als auch Rösch meinten, dies hätte ich vorher ankündigen
müssen und es gäbe jetzt keine Möglichkeit mehr. Ich benützte aller-
dings dann den Rundgang, um den Kammeramtsdirektor Hofrat Dr. Bertl
auf die Unrichtigkeit des Referats aufmerksam zu machen. Da er dies
bezweifelte, suchte ich den Gen.Direktor Grün , der die Importe zu
tätigen hat und konfrontierte diesen mit diesen falschen Behauptungen-
. Sie versuchten natürlich ein Rückzugsgefecht, gaben mir aber letzten
Endes in der sachlichen Darstellung recht. Hätte der Herr Präsident
frei gesprochen, dann hätte man können sagen, es ist ihm eben in der
freien Rede passiert. Da er aber die Rede heruntergelesen hat, gibt
es hiefür diese Ausrede nicht. Man sieht also, auch frei reden hat
gewisse Vorteile. Abschliessend besuchte ich den sehr seriös aufgebauten
Arbeiterkammerpavillon. Man sieht eine neue Ära ist auch dort angebrochen

Tätigkeit: Finanzminister
GND ID: 118503049


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    Tätigkeit: Bautenminister


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      Tätigkeit: nö. ÖVP-LR, Präs. LWK NÖ


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        GND ID: 118576704


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          Tätigkeit: Innenminister bis 1977, danach Verteidigungsminister


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            Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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              Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
              GND ID: 130620351


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                Tätigkeit: AK


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                    Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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