Dienstag, der 30. Juni 1970

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Der Japanische Botschafter Niiseki und der bevollmächtigte
Minister Tachibana kamen, um ihre Wünsche bezüglich der weiteren
Verlängerung des österr.-japanischen Handelsvertrages zu deponieren.
Sie verwahrten sich dagegen, zwar mit fernöstlicher Höflichkeit,
dass sie noch immer nicht als GATT-Mitglieder die volle Liberali-
sierung besitzen. Wir hatten zwar um die Verlängerung des Vertrages
bis Jahresnende zu erreichen, 29 Positionen weiterhin liberalisiert
aber noch immer waren 79 Positionen auf Kontingentlisten. Da wir
im Zuge der preisdämpfenden Massnahmen einen Grossteil dieser Listen
sowieso abbauen wollten, konnte ich ihnen zusagen, dass wir ihr Prob-
lem sehr genau studieren werden und sicher im Laufe des Herbstes
Einvernehmen zwischen ihren und unseren Wünschen herstellen können.
Ich versuchte noch, ob wir gegebenenfalls eine Schutzklausel ein-
bauen könnten, sitess aber auf den heftigsten Widerstand, da sie
erklärten, nicht einmal der EWG eine solche Zusicherung machen zu
wollen. Unter diesen Umständen ist die Taktik, die mir vom Haus empfoh
len wird, Ing. Reiterer tritt insbesondere dafür ein, vollkommen sinn-
los, nämlich mit endgültigen Beschlüssen abzuwarten, bis die EWG
mit Japan den Vertrag endgültig geregelt hat. Nach der Aussage des
Botschafters und des bevollmächtigten Ministers ist kein Zweifel,
dass sie – die Japaner – nicht bereit sind, der EWG auf diesem Sek-
tor irgendwelche Zugeständnisse zu machen.

Im Ministerrat – wo an und für sich nichts los war, hatten wir
anschliessend eine interessante Diskussion über die Urlaubsver-
tretungen. Die Regierung ist überein gekommen, dass sie nicht so
wie in den vergangenen 25 Jahren im Juli/August keine Regierungs-
sitzung mehr abhält, sondern im Rundlauf alles erledigt, heuer zum
ersten Mal in den Sommerferien gearbeitet werden soll. Der Vor-
teil ist nocht nur ein optischer – dass man sagt, die Regierung
arbeitet das ganze Jahr hindurch – sondern auch ein praktischer, denn
mir Jahresurlaubsende, d.h. im September sind dann ganze Stösse von
zurückgebliebenen Beschlüssen zu beschliessen gewesen und deshalb
ist der Eindruck entstanden, wenn die Regierung im Juli auf Urlaub
ist, überhaupt nichts gearbeitet hätte. Nun werden wir – ausser am
11. August, wo zu wenig Minister im Inland sind – die ganze Zeit
hindurch tätig sein und ein Minister wird hatl durch einen anderen


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vertreten werden. Die Bürokratie hat allerdings nach Rücksprache
mit dem Verfassungsdienst erklärt, dass dies deshalb nicht möglich
sei, weil eine Vertetung, eine formelle Vertretung von einem Mini-
ster, nur möglich ist,wenn er im Ausland sich befindet. Frage, wie
weit im Inland eine solche Vertretung möglich ist, blieb ungeklärt,
es wurde nur festgehalten, dass an dem Dienstag, wo ein Minister
einen anderen vertritt, der vertretene keine Massnahmen setzen
darf, d.h. keine Akte unterschreiben, damit nicht dabei zwei Mini-
ster dann in einem Ressort regiert haben.
Da in Österreich der 6. Weltkongreß der Internationalen Organisa-
tion der Verbraucherverbände stattfand,hatte Koppe die Idee dies
als Aufhänger für einen Presse-Empfang mit einer Konsumenten-
Deklaration des Handelsministeriums zu verbinden. Da die Verkehrsverhält-
nisse aber sehr triste waren, vor allem wie wir nachher feststellen
konnten, es ungeheuer schwierig war, die daran Interessierten in
einem von uns beigestellten Autobus zu verfrachten, kamen diese
Damen und Herrn um fast 3/4 Stunden zu spät. Ich hatte deshalb
Gelegenheit vorher mit der Bundeskammer und deren Vertretern,
bei diesem Presse-Empfang ebenfalls anwesend waren, zu sprechen.
Ich konnte feststellen, dass der Obmann in der Konsumenteninfoma-
tion Landtagsabgeordneter KomRat Ebert un-d der dafür in der
Bundeskammer zuständige Referent Dr. Christian sowie der Vertreter
der Bundeskammer im Verein für Konsumenteninformation Dr. Wessely
und auch der Pressereferent Dr. Steinacker der Bundeskammer für unsere
Ideen nicht nur aufgeschlossen, sondern auch Zustimmung gewonnen werden
konnte. Ich glaube der Hauptwiderstand liegt natürlich nach wie
vor bei Musil, der jedwede Aktion mit entsprechender Skepsis
beurteilt und vom politischen Standpunkt ja überhaupt Interesse
hat, daß so wenig wie möglich in unserem Haus geschieht.
Beim anschließenden Mittagessen im "Intercontinental" hielt der
Präsident des Vereines, ein Amerikaner namens Warren die Tisch-
rede und da die persönliche Beraterin des Präsidenten Nixon auch
bei der Delegation war, konnte ich unter Hinweis darauf, daß wir
in Österreich die Gleichberechtigung der Geschlechter unbedingt
herbeiführen wollen, sie ebenfalls bitten eine Ansprache zu
halten. Reichert hatte mich nämlich ersucht, ob wir nicht in
irgendeiner Weise arrangieren könnten, daß sie – als besonders
wichtige Person – eine Möglichkeit hätte, ohne daß die anderen


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Delegierten verärgert werden, das Wort zu nehmen. Aus diesem
Grund konnte ich, da das Mittagessen viel länger dauerte als
vorgesehen, die ÖGB-Fraktion nicht besuchen wo hauptsächlich
über das Problem der Überstundenversteuerung und überhaupt
Steuerpolitik diskutiert wurde. Wie ich nachher im Klub erfahren
hatte, war es zu keiner einheitlichen Auffassung gekommen, es
war also scheinbar nicht möglich den Vorschlag von Hannes
Androsch dort zustimmend durchzubringen. Sondern man hat sich
halt, wie das auf diesem Sektor in den vergangenen Jahrzehnten
auch der Fall war, zu einer neueren Methode nicht durchringen
können. Allerdings ist auch nicht endgültig der Vorschlag abge-
lehnt worden, vor allem weil niemand einen besseren Vorschlag
machen konnte.
Bei der ERP-Fremdenverkehrssitzung im Haus hatte Bundesobmann
Dr. Fink, wie er mir versprochen hatte, seine Ideen bezüglich
einer Ausweitung der Kreditvergabemöglichkeiten dargelegt. Er
stellte sich vor, daß – nachdem wir nur 150 Millionen zugewiesen
erhalten hatten, den selben Betrag der auch im Vorjahr für die
Fremdenverkehrs-ERP-Kommission bereitgestellt wurde, nicht aus-
reicht um die bei ca. 320 Millionen schon jetzt befindlichen Vor-
schläge und Anträge zu bedecken, wie das bereits 1955 der Fall
gewesen ist, zusätzliche Geldmittel durch die Banken aufgetrieben
werden sollen. Da es sich aber in dieser Frage darum handelt,
wer die Zinszuschüsse für das Herabschleissen des Kredites von
ca. 8 1/2 bis 9 % auf 5 % bezahlen sollte, hatte er 3 Ideen:
Erstens wollte er, daß wir die 150 Mio S am Jahresbeginn erhalten
und dann auf ein Konto legen, das verzinst wird und dieser
Zinsertrag uns zur Verfügung stehen würde. Diese Möglichkeit
wurde sofort von mir ausgeschlossen und der Min.Rat Schütz von
der Sektion V des Bundeskanzleramtes erklärte, daß das Geld erst
nach Anfall der schon genehmigten Anträge zur Auszahlung gelan-
gen wird, bestätigte meine Ablehnung. Der zweite Vorschlag
wonach die ERP-Gelder überhaupt herausgelöst werden aus dem
ERP-Fonds und von uns verwaltet werden, mußte ebenfalls abge-
lehnt werden, da diese Gelder ja als Währungsdeckungsreserve
bei der Nationalbank veranlagt sind mit dem Nationalbankblock
oder mit dem Eigenblock ebenfalls gesetzlich fester gebunden
sind. Der dritte Vorschlag lief dann darauf hinaus, daß wir –
ähnlich wie wir das bei der Zinsenzuschußaktion des Bundes-


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ministeriums für Handel und Wiederaufbau seit Jahren, aller-
dings ohne entsprechende budgetmäßige reichliche Versorgung,
tun, von uns ein zusätzlicher neuer Zinsenzuschuß aus Budget-
mitteln gezahlt werden konnte, mußte aus budgetären Überlegungen
abgelehnt werden. Der sehr agile und ja doch bereits über
80 Jahre alte Fink erklärte darauf, man soll ihm nicht böse sein,
wenn diese Vorschläge nicht gehen, er werde sich andere über-
legen und sich dann mit mir ins Einvernehmen setzen. Ich war
erstens einmal wirklich nicht böse, denn ich war immer wieder
verwundert wie sehr er von Ideen sprühend – ich weiß allerdings
nicht ob diese Ideen von ihm oder vom Syndikus Cedek stammen –
wie er also immer diese Ideen sehr agil vorträgt, leider aber
an den Bestimmungen oder der Bürokratie bis jetzt gescheitert
ist.
Die Beförderungen, die ich zweimal im Jahr durchzuführen habe,
waren zwar sehr feierlich, weil alle im dunklen Anzug erschienen
waren und ich versuchte auch, durch eine Ansprache auf die
Besonderheit dieses Tages hinzuweisen, für sie persönlich und
für ihre Dienste , die sie im Dienste der Wirtschaft als "Service
an die Wirtschaft" wie ich das jetzt überall bezeichne, geleistet
haben. In Wirklichkeit aber war es sehr unpersönlich, weil ich
einen einzigen Beförderten gekannt habe, nämlich den Mitarbeiter
von Dr. Gröger – Dr. Laroche – der nebenbei bemerkt in der
Gumpendorferstraße im Finanzamt seit Jahren, wie er mir mitge-
teilt hat, bevor in das Ministerium kam meinen Steuerakt bear-
beitet hat.
In der Klubsitzung vom Parlament stellte ich wieder einmal mehr
fest, daß ein Teil der Abgeordneten, insbesondere die die sich
sowieso immer zum Wort melden, zu jedem Tagesordnungspunkt
immer nur klagen darüber, daß sie jetzt in große Schwierigkeiten
kommen wegen all den Maßnahmen die die sozialistische Regierung nicht
macht oder gegebenenfalls auch die sie setzt und setzen muß. Es
bewarheitet sich halt tatsächlich, daß eine Regierungspartei
dann in der Bevölkerung,von einzelnen Gruppen angegriffen wird
und daß dann die Abgeordneten, die mit diesen Gruppen in Kon-
takt kommen, sich nur schwer tun zu verteidigen und deshalb also
dann im Klub nicht nur ihr Herz ausschütten, sonder darüber-
hinaus noch Maßnahmen wollen, die beim besten Willen nicht
möglich sind. Insbesondere die Genossin Winkler hat den Land-
wirtschaftsminister Weihs, der ebenfalls ein Steirer ist, hart


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attackiert, daß sie bei Besprechungen wo Bauern anwesend waren
festgestellt hat, daß die zwar mit allen Maßnahmen die die
Regierung treffen muß und getroffen hat einverstanden sind, aber
sich im besonderen gegen die Agrarbürokratie wenden und gegen
die Landwirtschaftskammern und, daß er halt jetzt alles das
ändern müßte und die Molkereien sollten stillgelegt werden, weil
sie so viele Millionen Schillinge auch Supergewinn haben und
unbedingt stillzulegen seien. Ich glaube, daß es Hauptaufgabe
sein wird, diese Abgeordneten besser zu informieren – auf der
einen Seite – auf der anderen Seite aber müssen sie natürlich
auch versuchen, solchen oft sehr sinnlosen Forderungen nicht
dadurch nachzugeben, daß sie mit in das Geschrei einstimmen, denn
es sind halt oft Maßnahmen oder es können Maßnahmen nicht
gesetzt werden, auch dann wenn eine sozialistische Regierung
derzeit die Verantwortung trägt. Die Frau Abgeordnete Winkler
hat ja das letzte mal auch gemeint, nachdem eine sozialistische
Regierung die Preise jetzt mehr oder minder zu überwachen hat,
daß sie alles daransetzen müßte, daß Preissteigerungen zu unter-
bleiben hätten. Sie hat zwar nicht sagen können wie wir dies
machen, aber ihre Erklärung war, daß in einer ÖVP-Alleinregierung
selbstverständlioh die Unternehmer Preissteigerungen durchführen
dürfen, damit die Profite im kapitalistischen Staat für die
Unternehmer recht groß sind, aber in einer sozialistischen
Regierung dürfte eine solche Politik nicht gemacht werden und
die Preise hätten deshalb stabil zu bleiben. Ich kann mich nur
über so viel Naivität deshalb wundern, denn es hat selbstver-
ständlich auch Klaus versucht mit allen ihm zur Verfügung stehen-
den Mitteln – wobei er noch den moralischen Druck auf die Unter-
nehmer ausüben konnte, weil sie ja größtenteils seine Partei-
freunde sind – die Preise stabil zu halten und es ist ihm
natürlich auch nicht geglückt.
Von der ÖVP ist zu einem Gegenbesuch der Dozent Frühwirt zu mir
in den 3.Bezirk gekommen und ich hatte eine ganz interessante
Diskussion mit ihm, wobei ich feststellen konnte, daß die
Spannungen innerhalb des Bezirkes – was uns ja allen bekannt ist –
aber auch innerhalb der ÖVP doch sehr groß sind.
Bei der anschließenden Sektionsleitersitzung, an der auch Wald-
brunner
teilgenommen hat, erklärte ich unseren Genossen, daß
Präsident Waldbrunner als Vorsitzender des Nationalrates, dessen
Funktion jetzt ruht, im Wahlkampf nicht sehr aktiv in Erscheinung
treten soll. Alle waren damit einverstanden nur Wolfig wieder
meinte, er müßte sich ebenfalls in die Schlacht stürzen, weil


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ansonsten – wenn wir 2 Mandate verlieren, dann er nicht mehr
Präsident des Nationalrates sein würde. Ich glaube aber, daß
selbst die größten Pessimisten dieser Meinung Wolfigs nicht
beistimmten und deshalb wir dabei bleiben, daß den Wahlkampf
selbstverständlich ich allein im Wahlkreis bestreiten werde.

Am Empfang der russischen Handelsdelegierten passierte mir
ein kleiner faux-pas indem ich nämlich die Übersetzerin, die
ich bereits vormittags bewundert hatte, zum Personalstand der
russischen Botschaft zählte, obwohl sie eine Österreicherin ge-
wesen ist, die für uns nur dolmetschte. Ich hatte allerdings
dabei gleich die Gelegenheit ihr zu bestätigen, daß ich eben
nicht angenommen hatte, daß jemand so gut russisch-deutsch
übersetzen kann, der nicht eigentlich von der russischen Bot-
schaft ist.
Beim Heurigenabend für die Auslandspresse konnte ich dann um
11 Uhr, wie man im Wienerischen sagt "abreissen", weil dort
der Delegierte von der irischen Presse mir mitteilte, er müsse
sich schon entfernen, da er mit der Straßenbahn nach Hause
fahren müßte. Ich nützte die Gelegenheit um ihm sofort zu
erklären, daß ich ihn nach Hause bringe und Sekt.Chef Meznik,
der für die Presse verantwortlich ist, war darüber sehr glück-
lich und bedankte sich tausendmal für meine Unterstützung, die
ich ihm in diesem Fall angedeihen ließ.

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Tagesordnung 11. Ministerratssitzung, 30.6.1970

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Tätigkeit: SPÖ-Sektionsleiter


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Finanzminister
    GND ID: 118503049


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: MR HM


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Wr. ÖVP-GR-Abg., Obmann Sekt. Handel Wr. HK, Vizepräs. VKI


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
          GND ID: 130620351


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: HK


              Einträge mit Erwähnung:


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg. bis 1973
                    GND ID: 117404101


                    Einträge mit Erwähnung:
                      GND ID: 114650888


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: Sektionschef HM, Diplomat, Verteter bei der EG


                        Einträge mit Erwähnung: