Donnerstag, der 25. Juni 1970

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Die internationale Organisation der Lebensmittelkleinhändler
hatte mich zu ihrem Kongress eingeladen. Die internationale
Organisation hat allerdings nur europäische Kleinhändlervertreter.
Sallinger, der ebenfalls die Eröffnungsansprache halten sollte,
war nicht gekommen, da er in der Bundesparteileitung der ÖVP
dringende Besprechungen hatte, ebenso Mussil. Architekt Förster,
der die Bundeskammer vertrat, versuchte in seiner Begrüssungs-
ansprache die er vom Blatt las, daher nicht extemporierte, die
staatlichen Stellen auf die Entwicklung hinzuweisen, die der
Lebensmittelkleinhandel in letzter Zeit durchzumachen hatte und
insbesondere klangen seine Worte dahingehend aus, man müsste
einen besonderen Schutz dieser Berufsgruppe geben. Die Absicht
dieser Berufsgruppe war zumindest immer bei den Wirtschaftsbund-
versammlung und auch im Freien Wirtschaftsverband kam dies zum
Ausdruck, ein sogenanntes Anti-Schleuderergesetz zu erhalten.
Ich hatte am Abend bei einem Empfang dann Gelegenheit, mit den
deutschen Delegierten zu sprechen und die teilten mir mit,
dass ein solches Gesetz vollkommen sinnlos ist, da es keine
wie immer geartete Möglichkeit gibt, es tatsächlich durchzuführen.In
Deutschland hätten sie ein solches Gesetz mehr denn je notwendig,
denn dort wird agressivste Verkaufspolitik betrieben. Wie ich
dann mit dem Greminalvorsteher, Komm.Rat Zach und dem Arch. Först-
ner
, der bei der Eröffnungsansprache dieses Gesetz forderte,
darüber diskutierte, erklärten mir beide, dass sie selbst auch
nicht an eine wirkliche zweckmässige gesetzmässige Regelung glaub-
ten. Förstner sagte sogar, dass in seinem Geschäft, wo er oft
nachdem eine gewisse Ware nicht abgesetzt werden kann, diese unter
dem Einstandspreis verkaufen muss,er in diesem Fall sogar straf-
fällig werden würde. Ich glaube, es wäre zweckmässig, wenn wir
im Haus auf Grund Robinson Beckman Act von Amerika und von den
Erfahrungen anderer Länder und der gesetzlichen Regelungen, soweit
solche Vorhanden sind, eine Studie ausarbeiten liessen.

ANMERKUNG für Wanke: Bitte, einen solchen Auftrag erteilen.


Bei dieser Gelegenheit könnten wir feststellen, ob und inwieweit
meine Vorgänger tatsächlich konkrete Arbeit auf diesem Sektor vor-
bereitet und geleistet haben. Das Problem der Lebensmittelklein-


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händler ist meiner Meinung nach unlösbar, wenn es ihnen nicht
gelingt, eine andere Organisationsform zu finden. Ihre Internatio-
nale hat des eine zweite Kommission eingesetzt, die sich insbes-
sondere mit den Organisationsformen, d.h. mit den Zusammenschlüssen
ADEG, SPAR usw. beschäftigt und ich glaube, dass es zweckmässig ist
hier auf diesem Sektor von Seiten unserers Ministeriums auch ent-
sprechende Unterstützung dieser Entwicklung zu gewähren. Aller-
dings müssen wir aufpassen und hier können wir Service für die
einzelnen Kleinhändler leisten, dass diese übermächtigen Organisa-
tionen nicht ihre Machtstellung dazu benützen, um die Kleinhänd-
ler dann letzten Endes in ihre totale Abhängigkeit zu bringen.
Ich habe deshalb Komm.Rat Zach zugesichert, dass ich bereit wäre,
wenn er in seinem Gremium entsprechende Besprechungen wünscht,
erstens mich den Gremialvorstehern aus ganze Österreich zu stellen
und zweitens dieses Problem mit einer kleinen Gruppe von ihm
zu diskutieren, wobei mir vorschwebt, Übergriffen entsprechend
entgegenzutreten. Z.B. wird behauptet, dass Kleinhändler, wenn
sie sich einer solchen Organisation anschliessen, durch Wechsel-
verpflichtungen letzten Endes ihre Selbständigkeit vollkommen
verlieren.

Bei der Begrüssungansprache anlässlich des 20-jährigen Bestehens
der Chemiewirtschaft hatte ich die Möglichkeit darauf hinzuweisen,
dass ich bereit bin, Diskussionen mit ihrer Jugendgruppe, die
angeblich 180 Personen umfasst, zu führen. Ich glaube, dass es
zweckmässig ist, in diese Verästelungen der privatrechtlichen
Organisationsformen der gewerblichen Wirtschaft einzubringen.
Scheinbar ist es der Bundeskammer nicht möglich, diese jungen
Kräfte, diese jungen Unternehmer, wirklich bei sich zu organi-
sieren und es bilden sich deshalb einzelne Vereine und die sorgen
entsprechend für ihren Nachwuchs.

Der Parteivorstand war einberufen worden, um die politische Lage
nach Erkenntnis des Verfassungsgerichthofes zu diskutieren. Die
Parteivorstandssitzung hatte ja schon in der vorigen Woche statt-
finden sollen. Da das Erkenntnis aber noch immer nicht zur Ver-
fügung stand, wurde es eine reine Routinesitzung, bei der über-
haupt keine konkreten neuen Gesichtspunkte auftauchten.



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Da Russlandverhandlungen jetzt beginnen, hatte sich einer der
grössten Switcher von Österreich, Herr Moskovics, Simon, vom Bankhaus
Winter & Co., gemeldet. Er teilte mit, dass er sich jetzt in der
letzten Zeit sehr bemüht hat, den russischen Clearingüberhang von
17 Mio $ auf ca. 10 Mio $ zu senken und es ist richtig, dass er
den grössten Teil davon zustandegebracht hat. Derzeit, sagt er,
kommen immer mehr seiner Branchenkollegen auf diese Idee und das
Endergebnis sei nur, dass die Russen jetzt versuchten, in Österreich
günstigere Konditionen herauszuschlagen. So hätte er ein Platin-
Switch-Geschäft von den Russen jetzt angeboten bekommen, wo sie von
ihm 165 $, währenddem am freien Markt 754 $ gegen freie Devisen
verkaufen. Er sagt, dass er unter diesen Umständen solche Geschäfte
nicht mehr machen kann. In Fortsetzung seiner bisherigen Politik
ist er in der sten Phase, wo er nur Switch-Geschäfte gemacht hat,
in der zweiten Phase, wo er Gold verkauft hat für die Russen, über
die dritte Phase, nämlich Zahlungsverpflichtungen, die der Osten
hat, aufzukaufen und mit 10 % Disagio im Westen abzusezten, zur
letzten und vierten Phase gekommen, wo er Spezialverträge schliesst.
Er hat z.B. mit der Autofirma Renault in Frankreich derzeit ein
Geschäft, wonach er 100,Mio $, die die französische Aussenhandels-
finanzierung nur mit 4 Jahren garantiert, auf eine 8-jährige Finanz-
transaktion umgewandelt. Allerdings gibt er zu, dass ihm der 100 Mio
$-Betrag ein zu grosses Volumen ist und er deshalb wahrscheinlich
in diesem Konsortialvertrag nur einen Teil davon übernehmen wird.
Sein Hauptanliegen war aber, dass wir bei den russischen Verhand-
lungen unbedingt darauf drängen, dass wenn wir jetzt schon den
Zahlungsverkehr multiläteralisieren, so doch auf keinen Fall bei
den Verhandlungen auf Warenlisten verzichten dürften. Seiner Meinung
nach müsste unter allen Umständen die Listen aufrechterhalten bleiben.
da er A-, B-, C- und D-Waren unterscheidet und wenn solche Listen
nicht wären, die Russen nur C- und D-Waren liefern würden. Ich ver-
langte von ihm eine Aufstellung der Listen, wie er sie haben will
und insbesondere eine Kategorisierung, da er nicht bereit war oder
nicht imstande war, was er unter A-, B-, C- und D-Ware versteht.



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Anschliessend kamen die Vertreter der österreichischen Transit-
händler. Es ist dies ein Verein, da nach ihrer Angabe die Bundes-
kammer ihre Interessen zu wenig vertritt. Nach Meinung dieser
Verbandskollegen sind sie im Gremium für Ein- und Ausfuhrhandel
mit ihren Fragen nicht durchgedrungen und haben deshalb den privat-
rechtlichen Verband der österr. Transithändler geschäffen. Einer ihrer
wichtigsten Sprecher, Herr Pisetz, war allerdings bei dieser Aussprache
nicht dabei, Wanke selbst teilte mir mit, dass er einer der grössten
Geschäftsmacher unter Mitterer gewesen sei und die Mär geht oder die
Verdächtigung – ich kann es ja nicht prüfen, ob es stimmt – dass Mitterer
selbst an den Geschäften Pisetz's beteiligt gewesen sei. Der Verband
spricht sich ganz entschieden gegen eine Multilateralisierung aus,
da er seiner Meinung nach dann die Transitätigkeit im Osthandel, die
1969 nach ihren Angaben 1,5 Mia S betragen hat, nicht mehr durchführen
könnte. Sie wollte von mir eine Zusicherung haben, dass ausser Russ-
land keine Oststaaten mehr in der nächsten Zeit multilateralisiert
werden. Ich konnte ihnen eine solche Zusicherung nicht geben und
erklärte nur, dass wir im Zusammenhang mit den Wünschen der Polen
die vor Ablauf ihres langfristigen Handelsvertrages mit 1.1.1973
schon Besprechungen und eventuell eine Multilateralisierung wünschen,
Verhandlungen aufnehmen werden, aber dies sicher erst im Laufe des
Jahres 1971 hier geschehen wird.

Spät abend wurde mir vom Präsidenten Waldbrunner vom Nationalrat
dann doch das Erkenntis des Verfassungsgerichtshofes zugestellt
und gleichzeitig mitgeteilt, dass ich auf Grund des § 70 Verfassungs-
gerichtshofgesetzes, den Sitzungen des Nationalrates fernzubleiben
hätte. Heinzi Fischer, mit dem ich anschliessend telefonierte, und
das Urteil besprach, war sehr empört, dass sich der Verfassungsgerichts-
hof die Frage so leicht gemacht hat, überhaupt nichts über den weiteren
Vorgang geschrieben oder entschieden hatte, sondern wahrscheinlich
nur rein formell die entsprechenden Mandate aufgehoben. Dadurch er-
gibt sich jetzt, dass alles offen ist, wie und in welchem Umfang
jetzt eine entsprechende Nachwahl durchzuführen ist. Rösch hat einen
Gesetzentwurf ausgearbeitet, wo die Widerholung von Nationalrats-
wahlen unterzüglich von der Bundesregierung auszuschreiben sind. Nachdem
aber in der Nationalratswahlordnung § 1 (2) festgelegt ist, dass eine
solcher Wahltermine nur im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss getroffen


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werden kann, ist es fraglich, ob die ÖVP diesem Gesetzentwurf zu-
stimmen wird. Es wurde wie man hier sieht, durch dieses Erkenntnis
des Verfassungsgerichtshofes eine vollkommen unmögliche, weil über-
haupt nicht durchzublickende Situation geschaffen. Es ist nicht klar,
ob die Nationalratsmandate aufgehoben sind, ob sie nichtig sind,
wer jetzt und in welchem Umfang die Nationalratswahlen durchzuführen
hat, wie sie durchzuführen ist und es ergeben sich rechtlich unheimlich
viele Variationsmöglichkeiten und damit natürlich auch genau so viele
Anfechtungsgründe, wenn dann irgendwelche Beschlüsse und Entscheidungen
von den zuständigen Gremien getroffen werden, da gesetzlich überhaupt
dieses Problem nicht geregelt ist und daherauch keine Vorsorge getroffen

Bei aller Anerkennung für den Rechtsstaat, und niemand hat mehr in
der Vergangenheit, sei es in der Ständestaatzeit oder in der nationalsoziali-
stischen Zeit, darunter gelitten, dass damals kein Rechtsstaat war,
als ich selbst. Bei aller Anerkennung also des Rechtstaatsgedankens
und bei der Aufrechterhaltung, bin ich also doch der Meinung, dass es sich
die Hüter des Rechtsstaates zu einfach gemacht haben. Allerdings bin ich
ja nicht naiv genug, um nicht zu wissen, dass wenn es in ganz kritischen
Situation notwendig wäre, dass diese obersten Gerichtshöfe entsprechende
Standfestigkeit zeigen müssten, wie das z.B. im Jahre 1933 in der ersten
Republik der Fall gewesenist, dass dann auch von diesen Richtern auch
nur menschlich, allzu menschlich entschieden wird, und sie in Wirklichkeit
dann nicht die Härte und die Stärke und die Grösse zeigen, wie es in
diesen Fällen dann notwendig wäre. Auf alle Fälle, das glasklare Recht,
das immer so schön von den Lehrkanzlen gepredigt wird, hat wieder einmal
einen sehr dunklen Fleck erhalten.

Tätigkeit: Innenminister bis 1977, danach Verteidigungsminister


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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      Tätigkeit: -obmann


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        Tätigkeit: SChef HM
        GND ID: 12195126X


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: KR, Bundesgremialvorsteher Lebensmittelkleinhandel


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Kunsthändler, Staatswappenträger


            Einträge mit Erwähnung:
              GND ID: 114650888


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Handelsminister, ÖVP, Präs. HK Wien


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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