Dienstag, der 16. Juni 1970

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Tommy Lachs vom Gewerkschaftsbund rief mich an und teilte mir
mit, dass er mit Benya und Hofstetter wegen der Zollsenkungen
auf dem Radio- und Televisions-Sektor gesprochen hat. Seiner Mitteilung
nach war Benya sehr erzürnt, dass das Handelsministerium hier der
Industrie grössere Konzessionen gemacht hat, als er als Obmann der
Gewerkschaft der Metallarbeiter diesen Firmen bereits mitgeteilt hat.
In der Zwischenzeit konnte ich feststellen, dass Dr. Dolinay vom
Fachverband der Elektroindustrie mir einen Vorschlag unterbreitet
hat auf Senkung von Zöllen, die derzeit auf Grund von Zollermässi-
gungen bereits autonom von unserem Ministerium hier gegeben wurden.
Tatsächlich wurden für Fernsehgeräte z.B. bis 5 Zoll derzeit nur
12 % eingehoben, von 5 – 12 Zoll 17,5 % und auf Vorschlag von Dolinay
und der Radio-Industrie wäre dieser Zollsatz in Zukunft mit 20 % fest-
gelegt werden. Ich liess Sektionschef Reiterer kommen und teilte
ihm mit, dass dies eine ausgesprochene unfaire Art der Verhandlung
gewesen ist und ich deshalb keine wie immer gearteten Versuche unter-
nehmen werde, in dieser Frage, sei es beim Finanzminister oder bei
irgendeiner anderen sonstigen Stelle mich dafür einzusetzen, die
Interessen dieser Gruppe zu vertreten. Ich erklärte ihm, dass ich
auf eine solche Vorgangsweise nicht gefasst gewesen bin. und ich
in Zukunft genaue Informationen benötige, wenn ich mich für Einzel-
interessen einsetzen soll. Bezüglich des TELEX von der Bundeskammer
wegen Fischmarinaden konnte ich feststellen, dass Andorsch mir mitteilt
te, hier hätte die Bundeskammer auch schon zugestimmt gehabt. In einem
zweiten Fall musste ich ebenfalls feststellen, dass das Haus mich
unzulänglich informiert hat. Der Gesetzentwurf, wonach die GATT-Zölle
auch auf Nicht-GATT-Mitglieder ausgedehnt werden soll, war von
Min.Rat Willenpart mir vorgelegt worden. Ich hatte mit Androsch
einige Aussprachen schon darüber und er wäre bereit gewesen, mir
auf ersten Anhieb zu sagen, aber ja schick Du diesen Gesetzentwurf
aus. Ich hatte aber das unbestimmte Gefühl, dass damit nur bei ihm im
Ministerium grosse Schwierigkeiten wegen dieser Kompetenzabtretung
entstehen könnten und ersuchte ihn, er sollte doch vorerst in seinem
Haus über dieses Problem reden. Er teilte mir dann mit, dass tatsach-
lich in seiner Abteilung eine gegenteilige Meinung vertreten wurde,
die durch eine Stellungnahme des Verfassungsdienstes bekräftigt wird.



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Ich wies bei der Sektionsleiterbesprechung auf diese Vorgangsweisen
hin und erklärte, dass ich in Hinkunft erwarte, dass dies nicht mehr
vorkommen würde. Andererseits konnte ich mitteilen bei der Sektions-
leitersitzung, dass die Bundesregierung übereingekommen, ist, dass
das Handelsministerium die Verhandlungen über die Kreditgewährung
an die Rumänen zu führen hat. Damit glaube ich hat die Beamtenschaft
gesehen, dass ich bestrebt bin, Kompetenzen, die uns eigentlich gar
nicht zustehen, zumindestens materiell an uns zu ziehen. So wie bei
den Wirtschaftsgesetzes werden wir deshalb überall wirtschaftspolitische
Vorarbeiten leisten, selbstverständlich müssen dann aber die Gesetze
auf Grund der Kompetenzlage von den dafür zuständigen Ministerien aus-
gearbeitet werden.

Mit Androsch ist es wirklich angenehm. zusammenzuarbeiten, aber mit
Veselsky ist es wirklich manchmal sehr belustigend, so kam er z.B.
zum Mittagessen und sagte, er hätte jetzt den russischen Koks für
Österreich gesichert und mit den Lieferungen sei zu rechnen. Ich konnte
mir dies nicht erklären, denn ich hatte keine wie immer gearteten
konkreten Mittteilungen. In Wirklichkeit stellt sich dann heraus, dass
auch er keine wie immer gearteten konkreten Zusagen hatte, sondern
nur bei einem Empfang anlässlich des Geburtstag der englischen Königin
in der Englischen Botschaft hatte er einen russischen Vertreter getrof-
fen und der hat ihm wahrscheinlich unverbindlich mitgeteilt, dass sich
Russland bemühen würde, eine entsprechende Kokslieferung nach Österreich
sicherzustellen, Eine Aussage, die insofern vollkommen wertlos ist, weil
sie bereits einige Male von den russischen Stellen uns konkret mitgeteilt
wird. Ich glaube ja, dass die Russen solange mit ihrer konkreten Zusage
warten werden, bis sie zu den Verhandlungen Ende Juni kommen werden.
Und wahrscheinlich wird, wenn der russische Aussenhandelsminister kommt,
er selbst mir dann eine entsprechende Zusage geben.

Bei der Fortsetzung der Klubtagung – sie wurde ja seinerzeit früh-
zeitig abgebrochen – und erstreckt sich nun auf jeweilige, vor dem
nächsten Parlamentstag stattfindenden Aussprachen in dem Klub – hatte
Freihsler über die Wehrpolitik zu berichten. Er hatte sich sehr gut
vorbereitet und auch wirklich die Genossinnen und Genossen für sich
gewonnen. Er hat zwar in seiner militärischen Art den Bericht erstattet,


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aber doch sehr zweckmässige Vorschläge vorbereitet. Allerdings hatte
er und das hatten Androsch, Fischer und ich – die wir zusammensassen .
gesagt , noch nicht das richtige Gefühl für die Politiker, auch für
die sozialistischen Politiker nicht und er hatte deshalb meiner
Meinung nach Zusage gemacht, die verheerend sein könnten. So er-
klärte er, er hätte jetzt ein sozialistisches Interventionsbüro
eingerichtet, wonach eben entsprechende Wünsche von Sozialisten an
ihn herangetragen werden sollten und dort bearbeitet werden. Ich
kann mir nicht sehr gut vorstellen, dass dieslange Zeit wird ver-
traulich bleiben und dann wird es wahrscheinlich Schwierigkeiten
geben. Selbstverständlich hatte Prader das ganz offen immer gemacht
aber man sollte meiner Meinung nach auch gegenüber sozialistischen Parla-
mentariern gegenüber vorsichtig argumentieren.

Androsch selbst hielt dann ein Referat über die finanzielle Situa-
tion desStaates und über seine Pläne, er sprach vollkommen frei,
ohne jede Aufzeichnungen und hat einen phatastischen Eindruck zu-
mindestens auf mich gemacht. Zu meiner grössten Verwunderung aber
stürzten sich die meisten Diskussionredner sofort auf die Preisentä
wicklung und griffen hier die Bundesregierung an. Unter anderem
glaubte die Genossin Winkler, dass in einem kapitalistischen Staat
in dem die ÖVP regiert selbstverständlich die Preise steigen,
weil das sei im Profitinteresse der Unternehmer, aber in einer
sozialistischen Regierungsführung müssten die Preissteigerungen ent-
sprechend nicht nur bekämpft sondern auch verhindert werden. Da
ich sogar von einem Abgeordneten – Mühlbacher – persönlich angesproche
wurde zu diesem Problem, meldete ich mich und versuchte, die Ge-
nossinnen und Genossen über die derzeitige Situation und überdie
Unmöglichkeit, hier wirklich preisstabilisierend zu wirken, aufzu-
klären. Auch Benya stürzte sich in die Schlacht und erklärte, dass
die Genossinnen und Genossen nicht mit so traumhaftenVorstellungen
herumgehen sollten, denn letzten Endes würde das bei unseren Mit-
gliedern und Wählern nur eine vollkommenen Unsicherheit auslösen,
sondern man müsste eben die nackten Tatsachen der Bevölkerung vor
Augen führen.



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Bei der Bezirkskonferenz hatte ich Gelegenheit, unsere Genossinnen
und Genossen ziemlich deutlich aufzuklären über die derzeitige
Situation, aber auch darauf hinzuweisen, dass wir jederzeit bereit
sein müssen, insbesondere in unserem Wahlkreis eventuelle Neuwahlen
zuberücksichtigen und ins Auge zu fassen.

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Tagesordnung 9. Ministerratssitzung, 16.6.1970 (endgültige Fassung)

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Tagesordnung 9. Ministerratssitzung, 16.6.1970 (Fassung 11.6.1970)

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Tagebuchfragment 3.6.1970 betr. Dienstreisen

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Tätigkeit: Finanzminister
GND ID: 118503049


Einträge mit Erwähnung:


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
      GND ID: 119083906


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: -obmann


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Sekr. Fachverband Elektroindustrie [1971]


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Leitender Sekretär ÖGB, SPÖ-NR-Abg.
            GND ID: 136895662


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Vizepräs. BHK, Präs. FWV


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg. bis 1973
                GND ID: 117404101


                Einträge mit Erwähnung:
                  GND ID: 12254711X


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                    Tätigkeit: Sektionschef HM, Diplomat, Verteter bei der EG


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                      Tätigkeit: MR HM


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: ehem. Verteidigungsminister, ÖVP-NR-Abg.


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